Den Dingen ein Maß geben – Glaubenssätze überprüfenLesezeit: 3 Min.

Den Dingen ein Maß geben? Allen Dingen gebe ich ein Maß – meist sogar ohne richtig darüber nachzudenken. Oder ich übernehme das Maß anderer. Aber was ist das richtige Maß?

Wolfgang (nicht sein richtiger Name) durchlebte zur Zeit des Finanzcrash 2008 eine schwierige Zeit. Die Geschäfte, er war selbständig, liefen alles andere als gut. Er befürchtete die Pleite, den sozialen Absturz.  Ohne es selbst wahrzunehmen, schlitterte er in eine Depression. Die typischen Anzeichen (Schlafstörungen ständiges Grübeln, fehlender Antrieb, Rückzug aus sozialen Beziehungen usw.) konnte er selbst nicht richtig einordnen. Seine Freude am Leben verschwand zunehmend. Sein Lebenssinn war für ihn nicht mehr zu fassen. Sein Denken verengte sich und fixierte sich auf das Problem. Er dachte an fast nichts Anderes mehr als an das Problem. Schließlich wurden Selbstmordgedanken immer präsenter. Er dachte intensiv darüber nach, wie er seinem Leben ein Ende setzen könnte.

Zu einem wirklichen Selbstmordversuch kam es dann doch nicht. Wolfgang „kam wieder auf die Beine“. Jahre später sagte ihm jemand in ganz anderem Zusammenhang, dass man Dingen ein Maß geben müsse. In Wolfgang löste dies eine wahre Gedankenlawine aus. Was war das Maß der Dinge, der Umstände, die ihn an den Rand des Selbstmords geführt hatten? Was wäre das wirkliche Maß der Pleite, des Verlusts an Selbstwertgefühl, des Verlusts der Ehre gewesen?

Wolfgang wurde klar, dass er sein Leben für etwas beendet hätte, das überhaupt nicht an der Spitze seiner Prioritätenskala stand. Es ging ihm nicht wirklich um den materiellen Verlust. Der befürchtete Ehrverlust, sein geschwundenes Ansehen, die Aussicht, als Versager gebrandmarkt zu sein, wogen für ihn schwerer. Unausgesprochen schwang für ihn außerdem die Befürchtung mit, endgültig gescheitert zu sein, ohne Hoffnung auf eine Besserung.

Selbstmord hätte nichts verbessert

Auch erst viel später wurde ihm bewusst, dass er mit dem Selbstmord nicht wirklich etwas verbessert hätte. Er hätte die Existenz seines Körpers, nicht aber die seines Geistes und seiner Seele beendet. Dies gehörte schon zu der Zeit, als er sich intensiv mit Selbstmord befasste, zu seinen übergeordneten Überzeugungen (die ihm aber selbst in dieser Deutlichkeit damals nicht klar waren). Trotzdem schien ihm der Selbstmord ein Ausweg zu sein.

Aus heutiger Sicht, mit einigen Jahren Abstand, ist für Wolfgang klar, dass er sich zwar von den Verhältnissen „befreit“ hätte, nicht aber von sich selbst. Seinen Charakter und seine Erinnerung hätte er nach eigener Überzeugung in eine zukünftige Existenzform „mitgenommen“ (auch das wurde ihm erst später deutlicher bewusst). Ja, das Problem hätte er zurückgelassen (und, so hart es klingt, er hätte sich „aus dem Staub gemacht“ und die „Aufräumarbeiten“ hätte er auf seine Familie verlagert), aber sich selbst nicht.

Den mehr oder weniger unbewussten Glaubenssatz „Ich bin der berufliche Erfolg“ ersetzte er durch „Ich habe beruflichen Erfolg“. Überhaupt stellte er im Lauf der Zeit viele Glaubenssätze auf den Prüfstand. Und er revidierte das Maß des beruflichen Scheiterns radikal von „Super-Gau, unbeherrschbar“ auf „Vorfall, beherrschbar“.

Die wirklich wichtigen Dinge benennen

Und dann ging er daran, die wirklich wichtigen Dinge für sein Leben ausdrücklich zu benennen. Auf seiner Prioritätenliste stehen Beziehungen in der Familie, im Freundeskreis usw., jetzt ganz oben. Zwar waren ihm Beziehungen auch zuvor schon wichtig, aber er ordnete sie beruflichen Verpflichtungen (oder was er dafür hielt) stets unter. Jetzt ist dies nicht mehr so. Andere und natürlich er selbst profitieren davon. Und er erlebt Lebensfreude.

Was ist das richtige Maß? Diese Frage kann nur ich selbst und nur ich für mich selbst beantworten. Das Maß ist dann richtig, wenn ich zu meiner Einschätzung inneren Frieden habe. Schließlich ist es mein Leben, und für dieses habe ich alleine die Verantwortung.

Das richtige Maß für Dinge zu finden gehört außerdem zum Vorbeugungsprogramm für meine Seele. Wenn ich Dingen das für mich richtige Maß zuweise, beuge ich aktiv einer Erkrankung meiner Seele vor.

Welchen Dingen gebe ich welches Maß? Was ist mir wirklich wichtig? Stoff zum intensiven Nachdenken.

Ich bin Dieter Jenz, Begleiter, Berater und Coach mit Leidenschaft. Über viele Jahre hinweg habe ich einen reichen Schatz an Kompetenz und Erfahrung erworben. Meine Themen sind die "4L": Lebensaufgabe, Lebensplanung, Lebensnavigation und Lebensqualität.