Wie kann man in der Krise sinnvoll in sich selbst investieren? Bewusst Zeiten des persönlichen Rückzugs, der Stille, einplanen erweist sich als wirkmächtige Strategie.
Die Coronavirus-Pandemie, die im Frühjahr 2020 ihren Anfang nahm, traf die gesamte Bevölkerung plötzlich, unvorbereitet und unverschuldet.
Innerhalb weniger Tage veränderte sich die Lage in allen Bereichen der Gesellschaft drastisch. Das Wirtschaftsleben war stark beeinträchtigt und dies hinterließ auch an den Finanzmärkten tiefe Spuren.
Schon nach relativ kurzer Zeit befanden sich viele Länder mitten in einem Krisenmodus und ein Ende schien nicht abzusehen. Es stellte sich die Frage: Wie kann man eine so schwere Krise wie diese bewältigen?
Die Coronavirus-Pandemie ist, so starke Auswirkungen sie auch mit sich brachte, doch nur eine Krise von vielen. In jeder Krise stehen Politik und Wirtschaft in der Verantwortung, auf ihren jeweiligen Gebieten Wege zur Krisenbewältigung zu finden, aufzuzeigen, verständlich zu machen und diese Wege kraftvoll zum Wohl der Gesellschaft umzusetzen.
Und dann ist in einer Krise jeder für sich auf ganz individuelle Weise betroffen. Vielleicht ist der Arbeitsplatz bedroht. Vielleicht fällt das Einkommen aufgrund von Kurzarbeit geringer aus. Vielleicht hat man auch gar keine Einnahmen. Die Ausprägungen der persönlichen Betroffenheit sind ganz unterschiedlich.
Wie geht man mit der Krise auf der persönlichen Ebene um? Wie kann man die Krise bewältigen? Wie kann man gut für sich selbst sorgen?
11 Tipps sollen Antworten auf diese Fragen geben und dabei unterstützen, möglichst gut durch eine tiefgreifende Krise zu kommen.
Dieser Tipp befasst sich mit der Frage, wie man in einer Krise Zeit in sich selbst investieren kann.
Tipp: Zeiten des Rückzugs, der Stille investieren
Der englische Naturforscher Sir Isaac Newton (1642-1726) erlebte eine ungeplante Zeit der Quarantäne. Er war von der sogenannten Großen Pest von London betroffen, die in den Jahren 1665 und 1666 im Süden Englands wütete. Diese Pestepidemie forderte rund 100.000 Todesopfer, etwa 70 % davon in London, was rund 20 % der damaligen Stadtbevölkerung (insgesamt rund 350.000 Einwohner) entsprach.
Newton gelang noch der Bachelor-Abschluss an der Universität Cambridge, bevor die Universität wegen der Großen Pest im Sommer 1665 geschlossen wurde. Er musste an seinen Wohnort zurückkehren, wo er die beiden folgenden Jahre bis zur Wiedereröffnung der Universität in weitgehender wissenschaftlicher Isolation verbrachte. Erst 1667, nach Aufhebung der Quarantäne, konnte er wieder nach Cambridge an die Universität zurückkehren und seine akademische Karriere fortsetzen.
Für Newton waren die Jahre des erzwungenen Rückzugs, der Quarantäne an seinem Wohnort, keine verlorenen Jahre. Vielmehr nutzte er die Zeit zum intensiven Nachdenken. In den Jahren 1665/1666 hatte er seine ersten weitreichenden Ideen, die ihn auf die Spur seiner drei großen Theorien führten: der Infinitesimalrechnung (Theorie der Fluxionen, in Newtons Terminologie), der Theorie des Lichts und der Gravitationstheorie. Dass er zum führenden Mathematiker seiner Zeit wurde, dazu trug sicherlich auch die Zeit der erzwungenen Quarantäne maßgeblich bei.
Ob Newton diese Zeit des Rückzugs nur für seine wissenschaftliche Arbeit nutzte oder ob er auch bewusst Zeit in sich selbst investierte, ist nicht bekannt.
Zeit als kostbare Ressource betrachten
Immer wieder werden Menschen von unvorhergesehenen und ungeplanten Ereignissen aus ihrem Lebensrhythmus gerissen. Eine Wirtschafts- oder Finanzkrise kann wirtschaftliche Rezession, verbunden mit Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit, mit sich bringen. Plötzlich hat man zeitlichen Freiraum. Wie kann und soll man ihn nutzen?
Der Antwort kann man wohl am besten mit einer etwas anders gelagerten Frage näherkommen: Wie wertvoll ist Zeit? Wenn man modellhaft eine Lebensspanne von 80 Jahren unterstellt, macht jedes Jahr 1,25 % der Lebenszeit aus. Jeder Monat entspricht somit rund 0,105 % an Lebenszeit und jeder Tag macht bei einer Lebensspanne von 29.200 Tagen (80 Jahre mal 365 Tage) etwa 0,0034 % aus. Ist das viel oder wenig?
Es kommt auf die Betrachtungsweise an. „Drei Haare in der Suppe sind relativ viel, drei Haare auf dem Kopf relativ wenig.“, so illustriert es dieser lustige Vergleich. Lebenszeit ist messbar. Jeder Tag macht zwar nur etwa 0,0034 % aus, aber es sind immerhin 0,0034 %. Man muss für sich bewerten, wie wichtig einem ein Tag der Lebenszeit ist, welchen Wert man dem Tag zumisst. Sinngemäß gilt dies natürlich auch für andere Zeiteinheiten, wie insbesondere die Stunde.
Wenn man beispielsweise darüber nachdenkt, wie man den Tag gestaltet, kann man sich in einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise genauso fragen: „Wie investiere ich 0,0034 % meiner Lebenszeit?“.
Netflix oder Nachdenken? – Konsum oder Investition?
Wenn der gewohnte Lebensrhythmus auf einmal nicht mehr möglich ist, sei es durch plötzliche Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Quarantäne oder sonstiges bedingt, stellt sich die Frage: Wie möchte man die Zeit nutzen? Soll sie für Konsum oder Investition genutzt werden?
Man könnte beispielsweise die neu verplanbare Zeit dem Medienkonsum widmen. Man könnte sich dann vielleicht für Unterhaltung entscheiden und Filme anschauen. Die Möglichkeiten sind dank der modernen Kommunikationsmöglichkeiten nahezu unbegrenzt. Ein Tag lässt sich mit Medienkonsum problemlos ausfüllen.
Wenn man etwas konsumiert, bleibt nichts übrig. Ein Beispiel: Eine gekaufte Tafel Schokolade wird verzehrt. Die Schokolade schmeckt einem und man erlebt den Genuss, während man sie isst, aber es bleibt nichts davon übrig – außer mehr Speck auf den Rippen.
Alternativ könnte man sich vornehmen, die Zeit zu investieren, um auf Dauer einen Zusatznutzen zu erhalten. Was könnte der Zusatznutzen, bezogen auf das Leben, sein? Einige wenige Ideen dazu sind:
- Bessere Fokussierung des Lebens auf ein Ziel,
- Mehr Klarheit hinsichtlich der Lebensgestaltung,
- Erlernen von etwas Neuem, was zukünftig von Nutzen sein könnte,
- Vertiefen von etwas, wo man sich verbessern möchte.
Wenn man sich auf den Konsum beschränkt, entwickelt man sich nicht wirklich weiter. Man übernimmt eine passive Rolle, lässt sich im Extremfall vielleicht nur noch berieseln und flieht vor der Realität. Weshalb dann nicht aktiv werden und in die persönliche Weiterentwicklung investieren und aktiv für sich selbst etwas tun?
Investitionschancen
Ein Teil der täglich verfügbaren Zeit kann als persönliche Zeit der Stille genutzt werden. So wie es viele Möglichkeiten zum Konsum gibt, so gibt es auch viele Möglichkeiten, Zeit zum Erzielen eines Zusatznutzens einzusetzen, sie zu investieren. Einige davon seien beispielhaft genannt.
Meditieren
Die Meditation gilt als eine spirituelle Praxis. Durch Achtsamkeits- oder Konzentrationsübungen soll zunächst der Körper und dann der Geist zur Ruhe kommen. Im Alltag kann das Meditieren dabei unterstützen, mit Angst- und Stresssituationen besser umzugehen und innere Klarheit zu gewinnen. Meditieren wird dann nicht als Zeitverschwendung, sondern im Gegenteil als Zeitgewinn empfunden.
Resilienz stärken
Resilienz wird, etwas vereinfacht ausgedrückt, als psychische Widerstandsfähigkeit oder Immunsystem der Seele bezeichnet. Wenn man die Resilienz stärken möchte, bedeutet dies, die psychische Robustheit gegenüber Belastungsfaktoren zu stärken.
Die Amerikanische Psychologenvereinigung (American Psychological Association, APA) empfiehlt zur Förderung der persönlichen Resilienz einige konkrete Schritte. Einige davon lassen sich in die persönliche Zeit der Stille einbauen:
- Betrachte Krisen nicht als unlösbare Probleme,
- Akzeptiere, dass Veränderungen zum Leben gehören,
- Setze Dir Ziele und träume,
- Finde zu Dir selbst,
- Entwickle eine positive Sicht auf Dich selbst,
- Erwarte das Beste.
Diese Schritte lassen sich mit Übungen unterlegen. Ziel ist es, die Krisenkompetenz zu stärken. Bei diesen Übungen wird einem bewusst, über welche Stärken und Ressourcen man verfügt.
Selbstwertgefühl stärken
In einer Krise können Selbstwertgefühl und Selbstwertschätzung sehr angegriffen sein. Ein schwach ausgeprägtes Selbstwertgefühl kann die Entstehung von Depressionen begünstigen.
In der persönlichen Zeit der Stille kann man daran arbeiten, den Negativkräften entgegen zu wirken und das Selbstwertgefühl zu stärken. Der persönliche Gewinn ist:
- Man beugt wirksam einer Depression vor,
- Man entwickelt sich zu einer starken und souveränen Persönlichkeit weiter,
- Man steigert seine Beziehungsfähigkeit.
Lebensplanung überdenken
Eine Krise bietet einen unwillkommenen Anlass, um die Lebensplanung zu überdenken. Auf den zweiten Blick kann man aber vielleicht besser erkennen, dass eine Krise in dieser Hinsicht auch etwas Gutes hat.
Im gewohnten Lebensrhythmus kommt der Gedanke normalerweise nicht auf, sich mit seiner Lebensplanung zu beschäftigen. Wieso sollte man auch? Es läuft doch alles gut. Man hat ein Dach über dem Kopf, genügend zu essen, eine Arbeitsstelle, eine Partnerin oder einen Partner, kann jedes Jahr mindestens einmal in Urlaub fahren und kann sich auch sonst einiges leisten.
Nur wenn man mit etwas sehr unzufrieden ist, sich an etwas reibt oder einem etwas Wichtiges fehlt, wird man gewissermaßen darauf gestoßen, sich mit der Lebensplanung zu beschäftigen. Die persönliche Zeit der Stille bietet dafür einen geeigneten Rahmen.
Wo anfangen?
Wo fängt man am besten an? Worüber könnte man zuerst nachdenken? Es liegt nahe, sich zunächst mit den Dingen zu beschäftigen, die dem Leben Grundlage, Struktur und Ziel vermitteln: Berufung und Lebensaufgabe.
Im allgemeinen Sprachgebrauch ist Berufung eine Art innerer Antrieb, der einen Menschen zur Übernahme einer bestimmten Aufgabe bewegt. Rein rational betrachtet verfügt jeder Mensch über einen inneren Antrieb, ob noch ungerichtet oder schon auf eine bestimmte Aufgabe fixiert. Jeder Mensch hat Gaben, Fähigkeiten, Interessen und Visionen, die er mittels seines Antriebs entwickeln und ausleben kann. Gaben, Fähigkeiten, Interessen und Visionen formen ein einzigartiges Profil, das in der persönlichen Berufung zur Wirkung kommt.
Die Berufung führt zur Lebensaufgabe. Als Lebensaufgabe lässt sich eine Aufgabe verstehen, der man sein ganzes Leben widmet, die einen lebenslang beansprucht. Sie beschreibt die langzeitige Umsetzung einer Berufung. Sie gibt dem Leben Struktur und Ziel.
Standortbestimmung
Wo ist man im Leben schon angekommen? Wo steht man gerade? Hat man seine Berufung und Lebensaufgabe schon gefunden oder hat man diese Themen bisher eher links liegen gelassen? Wenn dies so ist, dann kann man sich selbst in der Krise damit beschäftigen, um für sich Klarheit zu schaffen.
Ist man (noch) auf Kurs?
Diese Frage setzt natürlich voraus, dass man ein Ziel hat. Vielleicht hat man für sich ein Ziel (vielleicht in Generalziel und mehrere Unterziele aufgegliedert) gefunden und sich vorgenommen, es umzusetzen. Ist man noch auf dem Weg zum Ziel oder hat man es schon teilweise oder sogar ganz aus den Augen verloren?
Insofern ist die persönliche Zeit der Stille auch eine Zeit der Rückschau auf das bisherige Leben. Sicherlich werden dann auch weitere Fragen aufgeworfen, wie beispielsweise die Frage, was bisher wichtig war und was sich verändert hat. Vielleicht hat man auch Träume und Wünsche, die bisher zu kurz gekommen sind. Welche sind dies?
Vielleicht wird einem auch bewusst, dass das bisherige Ziel nicht mehr passt und dass es geändert werden sollte. Dann kann man ein neues Ziel formulieren und es neu ins Visier nehmen.
Die Zeit gut nutzen
Wenn man sich in einer Krisensituation befindet, besteht die Gefahr, sich in Aktionismus zu stürzen. Man schaut auf das Bankkonto, auf die Verpflichtungen, die man zu erfüllen hat. Und man schaut auf das, was gerade nicht (mehr) funktioniert. Und Zukunftssorgen können noch hinzukommen. Dies alles ist nur zu verständlich.
Bei alledem lohnt sich jedoch auch ein Blick auf die andere Seite der Medaille. Mit einem Mal hat man Zeit, die man sinnvoll für sich nutzen und sinnvoll investieren kann. Die persönliche Zeit der Stille ist eine solche sehr sinnvolle Investition. Natürlich ist es mit einer einmaligen Zeit der Stille nicht getan. Man muss sich immer wieder Zeit dafür einplanen und sie sich auch gönnen und nehmen.