Wie kann man in der Krise dringend benötigte Kraft und Energie tanken? Das soziale Beziehungsnetz erfüllt hier eine äußerst wichtige unterstützende Aufgabe. Wie kann es ganz praktisch helfen?
Die Coronavirus-Pandemie, die im Frühjahr 2020 ihren Anfang nahm, traf die gesamte Bevölkerung plötzlich, unvorbereitet und unverschuldet.
Innerhalb weniger Tage veränderte sich die Lage in allen Bereichen der Gesellschaft drastisch. Das Wirtschaftsleben war stark beeinträchtigt und dies hinterließ auch an den Finanzmärkten tiefe Spuren.
Schon nach relativ kurzer Zeit befanden sich viele Länder mitten in einem Krisenmodus und ein Ende schien nicht abzusehen. Es stellte sich die Frage: Wie kann man eine so schwere Krise wie diese bewältigen?
Die Coronavirus-Pandemie ist, so starke Auswirkungen sie auch mit sich brachte, doch nur eine Krise von vielen. In jeder Krise stehen Politik und Wirtschaft in der Verantwortung, auf ihren jeweiligen Gebieten Wege zur Krisenbewältigung zu finden, aufzuzeigen, verständlich zu machen und diese Wege kraftvoll zum Wohl der Gesellschaft umzusetzen.
Und dann ist in einer Krise jeder für sich auf ganz individuelle Weise betroffen. Vielleicht ist der Arbeitsplatz bedroht. Vielleicht fällt das Einkommen aufgrund von Kurzarbeit geringer aus. Vielleicht hat man auch gar keine Einnahmen. Die Ausprägungen der persönlichen Betroffenheit sind ganz unterschiedlich.
Wie geht man mit der Krise auf der persönlichen Ebene um? Wie kann man die Krise bewältigen? Wie kann man gut für sich selbst sorgen?
11 Tipps sollen Antworten auf diese Fragen geben und dabei unterstützen, möglichst gut durch eine tiefgreifende Krise zu kommen.
Dieser Tipp befasst sich mit der Frage, wie man in der Krise dank des sozialen Beziehungsnetzes Kraft und Energie tanken kann, damit man die Krise durchstehen kann.
Tipp: Das Beziehungsnetz pflegen und stärken
Michael (nicht der richtige Name) war verzweifelt. Sein Unternehmen befand sich in existenziellen Schwierigkeiten. Er fühlte sich als Versager und zog sich immer mehr zurück. Er konnte es nicht gut ertragen, wenn andere fröhlich waren. Ständig war ihm präsent, dass es ihm nicht gut ging. Schließlich dachte Michael sogar an Suizid.
Während der Krise vertraute er sich einem Freund an und bat ihn, ihm Geld zu leihen. Es fiel ihm sehr schwer, seinen Freund darum zu bitten. Er wollte den Schein wahren und sich keine Blöße geben. Aber irgendwann ging es nicht mehr. Also gab er sich einen Ruck, nicht zuletzt auch auf Drängen seiner Frau. Der Freund ging darauf ein und lieh ihm Geld, und dies ohne Sicherheiten.
Glücklicherweise musste Michael mit seinem Unternehmen nicht in die Insolvenz gehen. Für sein Unternehmen ging es wieder aufwärts. Er überstand die Krise und konnte das geliehene Geld wieder zurückzahlen.
Was würde Michael heute anders machen?
Basierend auf seinen Erlebnissen und Erfahrungen würde Michael heute definitiv manches anders machen. Ihm wurde klar, dass er viel zu lange gewartet hatte. Viel zu lange hatte er alles in sich „hineingefressen“. Sein Freund hatte Verständnis für seine verzweifelte Lage. Und er hätte es mit Sicherheit auch schon viel früher gehabt, bevor sich Michaels finanzielle Situation so dramatisch zuspitzte. Sein Freund hätte ihn sicherlich ermutigt, so wie er es später immer wieder tat, als er um Michaels Lage wusste. Michael wurde klar: er hatte sich selbst um Unterstützung und Ermutigung gebracht.
Michael wollte lange Zeit alles mit sich selbst ausmachen und schaffte es doch nicht. Zwei andere Möglichkeiten hätte er noch gehabt.
Er hätte zum einen seine Suizidgedanken in die Tat umsetzen können. Aber eigentlich wollte er leben, nur nicht so. Er hätte Frau und erwachsene Kinder zurückgelassen, die vermutlich wütend gewesen wären, weil er sich gewissermaßen durch Suizid „heimlich, still und leise“ aus der Affäre gezogen hätte. Seine Frau hätte dann die Konsequenzen seines Egoismus tragen, die Firma abwickeln, das Haus verkaufen und sich eine neue Bleibe suchen müssen.
Zum anderen hätte er Insolvenz anmelden können. Dies hätte wohl ebenfalls zur Konsequenz gehabt, das Haus verkaufen und umziehen zu müssen. Seine Frau und er hätten gemeinsam neu anfangen müssen, aber sie hätten einander gehabt und sie hätten es sicherlich gemeinsam irgendwie geschafft. Für seine Frau, der die Finanzlage des Unternehmens bewusst war, stand im Übrigen nie zur Debatte, sich von Michael zu trennen. Ihr war Michael wichtiger als Besitz.
Wenn eine ähnliche Situation wieder eintreten würde, dann würde Michael sein soziales Netz sehr viel stärker wertschätzen. Er würde sich sehr viel früher an Freunde wenden und Unterstützung suchen.
Das Beziehungsnetz pflegen und kräftigen
Ein soziales Netz, hier verstanden als ein Beziehungsnetz, bestehend aus Familie, Freunden und Bekannten, muss gepflegt werden. Wird es nicht gepflegt, droht es zu reißen. Man kümmert sich nicht mehr umeinander und verliert sich langsam aber sicher aus den Augen. Um ein langsames Auflösen des Netzes zu vermeiden, muss man es pflegen.
Gerade in Zeiten allgemeiner Krisen, wie etwa einer Wirtschafts- und Finanzkrise oder einer Gesundheitskrise, ist das soziale Netz äußerst wichtig. Andere geben einem das Gefühl, dass man nicht alleine ist. Man kann sich gegenseitig Mut machen und, wenn „Not am Mann“ ist, sich gegenseitig „unter die Arme greifen“.
In einem solchen sozialen Netz muss man nicht stark sein. Vertrauten Menschen gegenüber kann man auch offen sein und vorübergehende Mutlosigkeit, fehlendem Optimismus, Perspektivlosigkeit, oder was immer es sei, eingestehen und dem Ausdruck geben.
Ist ein derartiges soziales Netz reine Utopie? Auf den ersten Blick scheint es so zu sein. Wer hat denn schon die Zeit, sich intensiv um das soziale Netz zu kümmern?
Bekommt man einen anderen Blick, wenn man Pflege und Kräftigung des sozialen Netzes wie eine wichtige und sinnvolle Investition betrachtet? Man schließt beispielsweise verschiedenste Versicherungen ab, um im Bedarfsfall abgesichert zu sein. Da gibt es die Haftpflichtversicherung, die Rechtsschutzversicherung, die Reiserücktrittsversicherung und die Zahnzusatzversicherung, um nur einige wenige zu nennen.
Wie denkt man über das soziale Netz, wenn man es gewissermaßen als eine Art Versicherung gegen Einsamkeit und als soziales Unterstützungsnetz versteht? Manchmal fühlt man sich alleine oder man hat einen „Durchhänger“ und wünscht sich aufbauende Unterstützung. Wäre es dann nicht gut, in ein soziales Netz eingebunden zu sein? Bekommt es dann nicht einen anderen Stellenwert?
In Kontakt bleiben und Gemeinschaft genießen
Die modernen Kommunikationsmedien senken die Kommunikationsschwelle. Neben dem Telefon als klassischem Kommunikationsmedium stehen weitere Medien zur Verfügung, insbesondere Instant-Messaging-Dienste, wie beispielsweise Skype, FaceTime, WhatsApp usw.
Einige dieser Dienste ermöglichen Videokonferenzen bzw. Bildtelefonie. Somit ist es mit einfachen Mitteln problemlos möglich, sich beispielsweise virtuell auf ein Bier zu verabreden. Oder man kann miteinander eine Partie Schach oder Mensch-ärgere-dich-nicht spielen. Der Phantasie sind (fast) keine Grenzen gesetzt. Weshalb sollte man diese Möglichkeiten moderner Kommunikation nicht nutzen?
Nicht nur zu zweit, sondern auch in der Gruppe lässt sich kommunizieren. Man kann sich auch zu einer Art privater Videokonferenz verabreden. Sie muss ja nicht lange dauern. Wichtig ist, dass man sich sehen kann, auch wenn zwischen den Beteiligten, geografisch gesehen, möglicherweise große Distanzen liegen.
Wenn man sich begegnet, sei es zu zweit oder als Gruppe, sind möglicherweise nicht alle in guter Stimmung. Vielleicht geht es gerade nicht jedem gut. Aber alle können einander aushalten, denn jedem ist bewusst, welchen Wert die Gemeinschaft hat. Man kann die Gemeinschaft genießen, auch wenn die Stimmung manchmal etwas gedrückt sein sollte.
Wenn man sich den vertraulichen Rahmen wünscht und sich persönlich begegnen möchte, bietet beispielsweise ein längerer Spaziergang oder eine längere Wanderung eine gute Gelegenheit zum gemeinsamen Gedankenaustausch. Manches braucht Zeit, muss in den Gedanken intensiv bewegt werden.
Die Pflege des sozialen Beziehungsnetzes erfordert Zeit, viel Zeit. Aber man ist schließlich mit den Menschen, die einem im Beziehungsnetz nahestehen, gerne zusammen. Und diese Zeit ist gut investiert.
Langfristig denken und sich um sein Beziehungsnetz kümmern
Hätte es Michael gelingen können, mitten in der Krise neue Freunde zu gewinnen? Denkbar wäre es gewesen, aber sehr unwahrscheinlich. Michael war völlig mit der schwierigen Situation seines Unternehmens und seinen sich manchmal überschlagenden Gedanken beschäftigt. Gewaltiger Druck lastete auf ihm und in einer solchen Situation hätte er es schlichtweg nicht geschafft, sich um neue Beziehungen zu kümmern.
Michael war darauf angewiesen, sich jetzt, in seiner Gegenwart, vertrauensvoll an einen oder andere Menschen wenden zu können. Er wollte sich aber nicht irgendjemandem anvertrauen, sondern jemand, zu dem er absolutes Vertrauen haben konnte. Glücklicherweise hatte er einen solchen Freund.
Vertrauensvolle Beziehungen entstehen nicht von heute auf morgen. Manchmal braucht es viel Zeit, vielleicht sogar mehrere Jahre, bis gegenseitiges Vertrauen gewachsen ist. Vertrauen ist in zwischenmenschlichen Beziehungen gewissermaßen die härteste Währung. Wie schlimm hätte es für Michael kommen können, wenn sein Freund sein Vertrauen enttäuscht und sehr Vertrauliches ausgeplaudert hätte? Aber Michael konnte absolut vertrauen.
In einer akuten Krise wird es kaum gelingen, das soziale Beziehungsnetz auszubauen und zu erweitern. Deshalb ist es wichtig langfristig zu denken und sich frühzeitig um sein Beziehungsnetz zu kümmern und es in „guten Zeiten“ sorgfältig auf- und auszubauen. In der akuten Krise ist es nach aller Erfahrung dafür zu spät!
Das soziale Beziehungsnetz ist eine kontinuierliche Investition für schwere Zeiten, mit der möglichst frühzeitig begonnen werden sollte. Wird sie eine „Rendite“ erbringen? Wahrscheinlich schon, denn im Lauf seines Lebens wird man sehr wahrscheinlich mindestens einmal in eine Krise geraten. Man weiß nur nicht wann.
Auf die Beziehungsqualität achten
„Freunde in der Not gehen 1000 auf ein Lot“, so lautet ein altes Sprichwort. Sicherlich hat es seinen Ursprung in schmerzlicher Erfahrung. Es will darauf hinweisen, dass sich ein Freund möglicherweise überhaupt nicht als Freund erweist. Er lässt einen gerade dann, wenn man ihn am Nötigsten braucht, im Stich.
Die Vorstellung, was einen Freund ausmacht, unterscheidet sich zwischen den Kulturen erheblich. Wenn man beispielsweise in Nordamerika jemand als Freund bezeichnet, dann denkt man im Allgemeinen eher an einen Bekannten. Würde man einem Bekannten etwas sehr Persönliches anvertrauen oder ihm seine Hilf- oder Ratlosigkeit in einer bestimmten Situation eingestehen? Wohl kaum.
Im sozialen Beziehungsnetz ist nicht die Quantität der Freunde entscheidend, sondern ganz eindeutig die Qualität. Wie sollte man auch mit 100 Freunden engen Kontakt halten? Mit einem, zwei oder drei engen Freunden ist es jedoch möglich.
Und wenn man in der Krise alleine ist?
Viele Menschen blicken auf ein löchriges soziales Beziehungsnetz und manche sind in der Krise völlig auf sich alleine gestellt. Sie haben niemand, mit dem sie vertrauensvoll reden können, wo sie nicht stark sein müssen.
Für das soziale Beziehungsnetz gibt es leider keinen Ersatz. An wen können sich jedoch Menschen, die nicht vertrauensvoll mit jemandem aus ihrem Beziehungsnetz sprechen können, wenden?
Wer das vertrauliche Gespräch sucht, kann die Telefonseelsorge (0800 1110111 oder 0800 1110222) anrufen. Dies ist vor allem dann eine gute Möglichkeit, wenn die Gedanken in einem toben und man seine Gedanken sortieren möchte. Dabei unterstützt geschultes Personal der Telefonseelsorge. Anonymität und Vertraulichkeit sind gewährleistet.
Fachliche Auskünfte, beispielsweise in Fragen des Arbeits- oder Mietrechts, können von der Telefonseelsorge nicht erwartet werden. Gleichwohl kann einem dabei geholfen werden, etwas Abstand von sich selbst zu gewinnen und für sich die nächsten Schritte zu erkennen.
Das soziale Beziehungsnetz – eine gute Investition
Das soziale Beziehungsnetz entsteht nicht von selbst. Es muss sorgfältig aufgebaut, gepflegt und erweitert werden. Aber gerade in der Krise erweist sich ein „belastbares“ soziales Beziehungsnetz als unglaublich wertvoll. Michael machte genau diese Erfahrung. Er gewann durch die Unterstützung des Freundes Kraft und Energie.