In der Krise mag man dazu neigen, sich einfach hängen zu lassen. Wie kann man wirkungsvoll gegensteuern und in der Krise den Tagen eine Struktur geben?
Die Coronavirus-Pandemie, die im Frühjahr 2020 ihren Anfang nahm, traf die gesamte Bevölkerung plötzlich, unvorbereitet und unverschuldet.
Innerhalb weniger Tage veränderte sich die Lage in allen Bereichen der Gesellschaft drastisch. Das Wirtschaftsleben war stark beeinträchtigt und dies hinterließ auch an den Finanzmärkten tiefe Spuren.
Schon nach relativ kurzer Zeit befanden sich viele Länder mitten in einem Krisenmodus und ein Ende schien nicht abzusehen. Es stellte sich die Frage: Wie kann man eine so schwere Krise wie diese bewältigen?
Die Coronavirus-Pandemie ist, so starke Auswirkungen sie auch mit sich brachte, doch nur eine Krise von vielen. In jeder Krise stehen Politik und Wirtschaft in der Verantwortung, auf ihren jeweiligen Gebieten Wege zur Krisenbewältigung zu finden, aufzuzeigen, verständlich zu machen und diese Wege kraftvoll zum Wohl der Gesellschaft umzusetzen.
Und dann ist in einer Krise jeder für sich auf ganz individuelle Weise betroffen. Vielleicht ist der Arbeitsplatz bedroht. Vielleicht fällt das Einkommen aufgrund von Kurzarbeit geringer aus. Vielleicht hat man auch gar keine Einnahmen. Die Ausprägungen der persönlichen Betroffenheit sind ganz unterschiedlich.
Wie geht man mit der Krise auf der persönlichen Ebene um? Wie kann man die Krise bewältigen? Wie kann man gut für sich selbst sorgen?
11 Tipps sollen Antworten auf diese Fragen geben und dabei unterstützen, möglichst gut durch eine tiefgreifende Krise zu kommen.
Dieser Tipp befasst sich mit der Frage, wie man in der Krise dem Leben Struktur geben kann.
Tipp: Den Tagen Struktur geben
In dem Buch „Was im Leben wichtig ist – Begegnungen mit außergewöhnlichen Menschen und ihre wertvollsten Ratschläge“ schildert Richard Reed unter anderem die Erlebnisse von Terry Waite. Dessen Geiselhaft und Freilassung machten Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre in der Weltpresse Schlagzeilen.
Terence (Terry) Hardy Waite, geboren 1939, war in den 1980er Jahren Assistent des damaligen Erzbischofs von Canterbury, Robert Runcie, und war für Anglikanische Gemeinschaftsangelegenheiten zuständig. Im Auftrag der Church of England reiste er als Gesandter in den Libanon, um über die Freilassung von vier Geiseln zu verhandeln und diese zu erwirken. Er wurde unter Bruch der Zusage freien Geleits selbst entführt und von Januar 1987 bis November 1991 gefangen gehalten. Die ersten vier Jahre verbrachte er in Einzelhaft.
Vier Jahre lang war er alleine in einer fensterlosen kleinen Zelle an eine Wand gekettet. Vier Jahre lang sah er kein menschliches Gesicht, da er sich jedes Mal die Augen verbinden musste, bevor ein Wärter in seine Zelle kam. Er hatte keinerlei Kontakt zur Außenwelt. Und er bekam keinen Lesestoff und auch keine Schreibutensilien.
Terry Waite berichtet über diese Zeit: „Ich habe mich bemüht, den Tag zu strukturieren. Erst habe ich mir etwas Zeit für Gymnastik genommen, dann habe ich ein bis zwei Stunden im Kopf geschrieben und anschließend Rechnen geübt. Viel Zeit habe ich damit verbracht, mir Gedichte auszudenken. Und dann war wieder Gymnastik dran. Und so weiter.“.
Glücklicherweise müssen nur die wenigsten Menschen solche Zeiten extremer Isolation erleben. Gleichwohl geben die Erlebnisse und Erfahrungen Terry Waites einige wichtige Hinweise für jede Art von Krise.
Eine Entscheidung wird getroffen
Die Entscheidung, wie man mit der Krise und in der Krise mit sich selbst umgehen möchte, liegt bei einem selbst. Diese Entscheidung kann und wird einem niemand abnehmen.
Man könnte sich dafür entscheiden, aufzugeben und sich „hängenzulassen“. Wahrscheinlich entscheidet man sich dafür nicht bewusst und direkt, sondern eher indirekt durch Passivität. Dennoch ist es eine Entscheidung. Dann lebt man ohne Hoffnung und Struktur in den Tag hinein und lässt sich gehen.
Eine andere Entscheidung ist die, nicht aufzugeben. Es ist eine bewusste Entscheidung. Dann geht man davon aus, dass die Krise ein Ende hat und dass man selbst in der Krise Kapitän seines Lebens ist und bleibt. Weil die Krise irgendwann ein Ende haben wird, besteht Hoffnung. Und es gibt ein Leben nach der Krise.
Ist Struktur in der Krise überhaupt notwendig?
Manche Menschen sind in der Krise gewissermaßen überbeschäftigt. Sie sind intensiv damit beschäftigt, Dinge „am Laufen“ zu halten. Und sie müssen es auch, denn sie sind Unternehmer, Selbstständige und sonstige Personen, die Umsätze bzw. Einkommen erwirtschaften oder Abläufe aufrechterhalten müssen. Diese Überbeschäftigten stehen in der Krise vor der Herausforderung, ihren Tagen eine Struktur zu geben, allerdings eher, um nicht in Arbeit zu ertrinken.
Völlig anders verhält es sich bei Menschen, die vor der Herausforderung stehen, ihren Tag sinnvoll auszufüllen. Sie haben vielleicht ihre Arbeitsstelle verloren, müssen Zeit in häuslicher Quarantäne verbringen oder leiden unter einer längeren Erkrankung.
Dieser Beitrag ist für die Menschen gedacht, die sich überlegen, wie sie ihre Tage sinnvoll gestalten können. Was kann man tun, um sein Leben nicht nur so dahinzuleben, es gewissermaßen „abzuleben“? Um sich nicht zu verlieren und nicht einfach nur in den Tag hinein zu leben, benötigt man eine Tagesstruktur.
Woran soll sich eine Tagesstruktur ausrichten? Welchem übergeordneten Leitprinzip soll sie folgen? Dieses Leitprinzip orientiert sich an den Lebensspuren, die man setzen und hinterlassen möchte.
Welche Lebensspuren sollen es sein?
Jeden Tag hinterlässt man Lebensspuren, ob man will oder nicht. Es mögen ganz seichte Lebensspuren sein, weil man zurückgezogen lebt. Oder es mögen ausgeprägtere Lebensspuren sein, weil man in Familie und Gesellschaft stärker sichtbar ist.
Lebensspuren sind kontinuierliche Geschichtsschreibung der eigenen Lebensgeschichte. Man nimmt sie selbst aus dem eigenen Erleben heraus und natürlich auch bei gelegentlichen Rückblicken auf sein Leben wahr. Und andere Menschen sehen diese Lebensspuren auch, und zwar aus ihrem jeweiligen Blickpunkt.
Welche Lebensspuren sollen es sein? Diese Frage stellt sich auch in der Krise. Selbst in der Krise hat man die Entscheidungshoheit darüber, welche Lebensspuren man setzen und hinterlassen möchte. Die Entscheidung wird sehr stark von den Werten bestimmt, die einem für das Leben wichtig sind.
Konkret werden – eine Tagesstruktur gestalten
Wenn man sich bewusst dafür entscheidet, den Tagen und damit auch sich selbst eine Struktur zu geben, fällt es leichter, mit der Zeit der Krise umzugehen und sie zu überstehen. Dadurch drückt man auch klar aus, dass man sich nicht einfach hängen lassen möchte. Und man drückt aus, dass man Hoffnung hat, die Krise zu überstehen und vielleicht sogar gestärkt aus ihr hervorzugehen.
Durch einen Tag zu kommen, bedeutet auch seelische Arbeit. Dieser Aspekt darf keinesfalls unterschätzt werden. Insofern sorgt man für seine Seele, wenn man für sich in der Krise eine Struktur für jeden Tag, eine Tagesstruktur, gestaltet. Sie hilft der Seele, in eine Regelmäßigkeit zu kommen, stützt, bildlich gesprochen, das Rückgrat. Terry Waite folgte einem Tagesplan, und dieser half ihm, diese extrem schwierige Zeit in Einzelhaft zu überstehen.
Für Terry Waite war außerdem wichtig, sich selbst kein Selbstmitleid und keine Sentimentalität zu erlauben. Er hätte sich Selbstmitleid und Sentimentalität hingeben können, aber sie hätten ihm nicht weitergeholfen und auch an seiner Situation nichts geändert.
Die Tagesstruktur orientiert sich an der Lebenssituation und wird individuell festgelegt. Hier sind einige allgemeine Anregungen.
Grobstruktur festlegen
Zur Grobstruktur zählen Aufstehzeit, Frühstück, Mittagessen, Abendessen und Zubettgehzeit. Welche Zeiten man für ich konkret festlegen möchte, hängt natürlich sehr stark von der Familiensituation und eigenen Gewohnheiten und Vorlieben ab.
Lebt man alleine, zusammen mit einer Lebenspartnerin oder einem Lebenspartner, oder in einer Familie? Ist man selbst Frühaufsteher oder ist man gewohnt, länger liegenzubleiben? Ist man eine „Nachteule“ oder geht man gewöhnlich früh zu Bett? Davon hängt ab, welche Zeiten man für sich festlegen kann und sollte. Beispielsweise sollten in einer Familie mit einem oder mehreren Kindern Aufstehzeit, Mittagessen und Abendessen festgelegt sein.
Den Ton für den Tag setzen
Jeder Tag sollte mit einer festen Routine beginnen, um den Ton für den Tag zu setzen. Vielleicht hat man schon ein gewohntes Ritual. Dann sollte man es beibehalten.
Auch die Kleidung setzt den Ton. Wenn man sich gleich den Jogginganzug anzieht und den ganzen Tag im Jogginganzug bleibt, lässt man sich eher gehen. Weshalb nicht gute Kleidung anziehen und damit ausdrücken, dass man jederzeit bereit ist, jedem Menschen zu begegnen?
Zeit für Ordnung und Sauberkeit
Jeden Tag sollte eine Zeit für Ordnung und Sauberkeit vorgesehen werden. Bett(en) machen, Kleidung aufräumen und nicht einfach herumliegen lassen, Geschirr aufräumen, sind einige der Routinetätigkeiten, die jeden Tag anfallen. Man sollte dafür Zeit vorsehen, am besten am Vormittag.
Vielleicht sind in der Vergangenheit das Aufräumen und Wegwerfen von überflüssigen oder alten Dingen, die nicht mehr benötigt werden, zu kurz gekommen. Dann könnte man sich, jeden Tag eine „Ecke“ vornehmen.
Zeit für Sport
Bewegung tut gut, auch in den eigenen vier Wänden. Es gibt eine Fülle von Anleitungen, in Buchform und im Internet, anhand derer man Gymnastik, Krafttraining, oder was immer einem gefällt, betreiben kann.
Zeit für Anspruchsvolles
Es bringt einen weiter, wenn man sich selbst herausfordert und gewissermaßen das Gehirn füttert. Damit drückt man aus, dass man nicht stehenbleiben, sondern sich geistig weiterentwickeln möchte. Am besten wählt man eine Zeit am Vormittag, denn da ist der Geist noch relativ frisch.
Eine gute Möglichkeit, diese Zeit zu nutzen, besteht darin, anspruchsvolle Lektüre zu lesen. Dazu zählen beispielsweise Sachbücher auf den Gebieten, die einen persönlich interessieren. Aber natürlich können es auch Klassiker deutschsprachiger oder fremdsprachiger Literatur sein.
Vielleicht möchte man die Zeit nutzen, um eine Fremdsprache zu erlernen oder seine Sprachkenntnisse zu erweitern. Oder man möchte lernen, ein Musikinstrument zu spielen. Möglichkeiten, sich selbst herauszufordern, gibt es nahezu unbegrenzt.
Zeit für persönliche Stille
Jeden Tag sollte man eine Zeit für persönliche Stille einplanen. Es gibt viele Möglichkeiten, diese Zeit gut auszufüllen. Einige sind im Tipp: Zeiten des Rückzugs, der Stille investieren, kurz skizziert.
Zeit für Kreativität
Kreativität regt den Geist an und hebt die Stimmung. Deshalb sollte jeden Tag eine Zeit für kreatives Gestalten eingeplant werden. Einige Anregungen dazu finden sich im Tipp: Etwas Kreatives tun.
Zeit für Bewegung in der Natur
Wenn es die Witterung zulässt, sollte man sich in der Natur bewegen. Ein Spaziergang oder eine kleine Wanderung tun der Seele gut. Auf die positiven Wirkungen wird im Tipp: Sich in der Natur bewegen kurz eingegangen.
Zeit für Kommunikation
Menschen sind soziale Wesen. Was liegt also näher als den sozialen Kontakt zu pflegen? Man sollte sich eine Zeit einplanen, um mit Menschen Kontakt zu pflegen. In erster Linie sind dies Menschen im Beziehungsnetz, in das man selbst eingebunden ist. Einige Anregungen finden sich im Tipp: Das Beziehungsnetz pflegen und stärken.
Zeit für Medienkonsum
Die Zeit für Medienkonsum sollte auf den Abend verlegt werden. Abends ist man in der Regel nicht mehr so frisch und nicht mehr so geneigt, aktiv zu werden. Man sollte die Zeit des passiven Medienkonsums beschränken und, sich an seinen Werten orientiert, überlegen, was man anschauen möchte. Möchte man sich beispielsweise einen Thriller anschauen, wenn man selbst den Wert der Gewaltlosigkeit hochhält?
Zeit für Rituale
Wenn man in einer Familie mit einem oder mehreren Kindern lebt, sollte man sich Zeit für Rituale nehmen. Kinder mögen Rituale, denn Rituale sorgen für Geborgenheit.
Abends, wenn das bzw. die Kinder zu Bett gehen, könnte man einen gemeinsamen Tagesrückblick einplanen. Kinder haben dann die Gelegenheit, über die Erlebnisse des Tages zu reden und vielleicht auch Belastendes zur Sprache bringen und es loszulassen.
Sinnvoll ausgefüllte Tage
Wenn man in der Krise den Tagen Struktur gibt, arbeitet man aktiv daran, seine Tage mit positiven Inhalten auszufüllen. Man hat sich als ganzen Menschen, mit Körper, Seele und Geist, im Blick. Und man überlegt sich, was einem guttut und wie lange.
Die Gefahr, dass man (relativ) unzufrieden auf einen Tag zurückblickt, hat man verringert. Man ist in der Krise nicht stehengeblieben, sondern hat sich sogar weiterentwickelt.