In der Krise den Tag durchstehen, wo doch manchmal alles drunter und drüber geht? Vielleicht weiß man nicht mehr, wo einem der Kopf steht. Wie kann man durch den heutigen Tag kommen? Gibt es dafür ein praktikables Rezept?
Die Coronavirus-Pandemie, die im Frühjahr 2020 ihren Anfang nahm, traf die gesamte Bevölkerung plötzlich, unvorbereitet und unverschuldet.
Innerhalb weniger Tage veränderte sich die Lage in allen Bereichen der Gesellschaft drastisch. Das Wirtschaftsleben war stark beeinträchtigt und dies hinterließ auch an den Finanzmärkten tiefe Spuren.
Schon nach relativ kurzer Zeit befanden sich viele Länder mitten in einem Krisenmodus und ein Ende schien nicht abzusehen. Es stellte sich die Frage: Wie kann man eine so schwere Krise wie diese bewältigen?
Die Coronavirus-Pandemie ist, so starke Auswirkungen sie auch mit sich brachte, doch nur eine Krise von vielen. In jeder Krise stehen Politik und Wirtschaft in der Verantwortung, auf ihren jeweiligen Gebieten Wege zur Krisenbewältigung zu finden, aufzuzeigen, verständlich zu machen und diese Wege kraftvoll zum Wohl der Gesellschaft umzusetzen.
Und dann ist in einer Krise jeder für sich auf ganz individuelle Weise betroffen. Vielleicht ist der Arbeitsplatz bedroht. Vielleicht fällt das Einkommen aufgrund von Kurzarbeit geringer aus. Vielleicht hat man auch gar keine Einnahmen. Die Ausprägungen der persönlichen Betroffenheit sind ganz unterschiedlich.
Wie geht man mit der Krise auf der persönlichen Ebene um? Wie kann man die Krise bewältigen? Wie kann man gut für sich selbst sorgen?
11 Tipps sollen Antworten auf diese Fragen geben und dabei unterstützen, möglichst gut durch eine tiefgreifende Krise zu kommen.
Dieser Tipp befasst sich mit der Frage, wie man in der Krise den heutigen Tag durchstehen und überstehen kann.
Tipp: Genau einen Tag leben!
In dem Buch „Was im Leben wichtig ist – Begegnungen mit außergewöhnlichen Menschen und ihre wertvollsten Ratschläge“ lässt Richard Reed den britischen Philanthropen und Autor Terry Waite zu Wort kommen. Dessen Geiselhaft und Freilassung machten Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre in der Weltpresse Schlagzeilen.
Terry Waite fasst die Zeit seiner rund vierjährigen Einzelhaft in einer fensterlosen Zelle zusammen: „Das ist die Lektion, die ich in der Zelle gelernt habe. Du musst für den Tag leben, dir klarmachen, dass du dein Leben jetzt lebst, in genau diesem Moment. Nicht morgen, nicht gestern: jetzt. Also leb es so intensiv, wie du kannst. Investiere in jeden Tag.“.
Für den Tag leben
Wie konnte Terry Waite, angekettet in einer fensterlosen Zelle, es schaffen, für den Tag zu leben? Schien nicht alles hoffnungslos zu sein? Tag für Tag die gleiche Routine. War eine Hoffnung auf Freilassung überhaupt realistisch? Wäre es in einer solchen Lage nicht nur zu verständlich, alle Hoffnung aufzugeben?
In der Krise den Tag durchstehen, durch einen Tag zu kommen, bedeutet nicht zu unterschätzende und intensive seelische Arbeit. Dennoch ist man der Situation, was die Seele anbelangt, nicht hilflos ausgeliefert.
Diese Erfahrung machte auch Viktor Frankl, österreichischer Neurologe und Psychiater, der während der Zeit des Dritten Reiches mehr als zwei Jahre in verschiedenen Konzentrationslagern verbringen musste. Er drückte es so aus: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“
Welche Freiheit hat man?
Zu jeder Zeit kann man wählen, wie man auf einen Reiz reagiert. Der Reiz mag beispielsweise das Kündigungsschreiben des Arbeitgebers, der Brief der Bank mit der Kreditkündigung oder das Gespräch mit dem Arzt über eine Diagnose sein. Der Reiz kann einen richtiggehenden Schock auslösen. Plötzlich ist alles nicht mehr so wie vorher.
Wie man auf den Reiz reagiert, liegt in der eigenen Hand und Verantwortung. Der Reiz mag eine Lähmung auslösen. Man ist zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Man fühlt sich buchstäblich überrollt. Dennoch eröffnet sich zwischen Reiz und Reaktion ein Raum.
In diesem Raum kann man bewusste Entscheidungen treffen. Man kann sich allerdings auch Entscheidungen verweigern. Dennoch ist auch eine Verweigerung eine Entscheidung. Man trifft immer Entscheidungen, direkt oder indirekt.
Wenn man schon auf jeden Reiz mit einer Entscheidung reagiert, wäre es dann nicht konsequent, dafür auch die Verantwortung zu übernehmen? Damit vollzieht man gleichzeitig den Schritt von der Passivität zur Aktivität.
Welche Lebensspuren will man heute hinterlassen?
Ob Krise oder nicht, der Tag gehört zur eigenen Lebensgeschichte dazu. Wie stürmisch es im Leben an diesem Tag auch sein mag, man kann entscheiden, welche Lebensspuren man an diesem Tag setzen will. Will man die Spuren eines tobenden Menschen hinterlassen, der lautstark anderen die Schuld zuweist? Will man die Spuren eines jammernden Menschen hinterlassen, der sich im Selbstmitleid verliert? Oder will man die Spuren eines Menschen hinterlassen, der die Situation, so wie sie jetzt gerade ist, akzeptiert und versucht, einen Weg für sich zu finden?
Wenn man sich gehen lässt, ist dies auch eine Entscheidung. Und wenn man sich vornimmt, positive Lebensspuren zu setzen, ist es auch eine.
Wie will man heute über sich selbst denken?
Kann man entscheiden, wie man über sich selbst denkt? Oft orientiert man sich an Einschätzungen und Werturteilen anderer Menschen. Diese Menschen können Personen aus der engeren und weiteren Familie, dem Freundes- und Bekanntenkreis, dem Arbeitsumfeld, dem Verein oder es können Meinungsmacher sein.
Schnell kann man Einschätzungen und Werturteile anderer Menschen übernehmen. „Ich gehöre nur dazu, wenn ich …“, „ich bin nur richtig, wenn ich …“, oder „ich bin nur angesehen, wenn …“, so oder ähnlich hören sich soziale Wertmaßstäbe an.
Wem gestattet man es, Maßstäbe für sich zu setzen? Wo etwa steht geschrieben, dass man – sarkastisch ausgedrückt – nur mit Markenkleidung zur Gesellschaft gehört? Wenn man sich Markenkleidung gerade nicht leisten kann, wäre man also in gewissem Sinn „minderwertig“. Will man einen solchen Wertmaßstab für sich übernehmen? Falls ja, macht man sich selbst „minderwertig“. Die Entscheidung liegt bei einem selbst.
Ist es nicht sehr viel hilfreicher, wertschätzend über sich selbst zu denken? Eine gesunde Selbstwertschätzung ist ein wichtiger Schutzmechanismus der Seele. Sie wirkt gewissermaßen als „Airbag der Psyche“.
In der Krise kann man den Tag jedenfalls besser durchstehen, wenn man wertschätzend über sich selbst denkt.
Wie will man sich heute vor negativen Gedanken schützen?
In der Krise kann man sich schnell in negativen Gedanken verlieren. „Warum musste das gerade mir passieren?“, „Hätte ich doch nur schneller reagiert, dann …“, oder „Wie konnte ich auch nur so blöd sein und …?“, sind nur einige Beispiele von Gedanken, die schnell in eine Spirale negativer Gedanken führen können. Man kommt ins Grübeln, vergleicht sich mit anderen, denkt an Fehler der Vergangenheit, oder fürchtet sich vor der Zukunft.
Grübeln ist Gift für die Seele. Und das Vergleichen mit anderen ist ein todsicher wirkendes Rezept, sich selbst unzufrieden und unglücklich zu machen. Søren Kierkegaard drückte es so aus: „Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.“
Gedanken an die Zukunft können konkrete Sorgen auslösen. Doch können Sorgen etwas an der Zukunft ändern?
Vielleicht flüchtet man sich auch in die Opferrolle. Damit drückt man indirekt aus: „Ich bin das, was mir passiert ist“, ein negativer Gedanke. Viel hilfreicher wäre es, wenn man zu sich selbst mit den Worten von Carl Gustav Jung sagen würde: „Ich bin nicht das, was mir passiert ist, ich bin, was ich beschließe zu werden.“.
In der Krise wird man negative Gedanken nicht vermeiden können. Aber wenn man merkt, dass man sich gerade wieder mit so einem negativen Gedanken beschäftigt, kann man sich selbst ein „Stopp!“ zurufen. Dafür kann man sich entscheiden und die Gedanken wieder auf etwas Positives lenken.
Wenn man sich selbst immer wieder achtsam in das Hier und Jetzt zurückführt, kann man die schönen Erlebnisse des Tages viel bewusster erleben. Wenn beispielsweise das kleine Töchterchen zu einem sagt: „Ich hab‘ dich ganz doll lieb“, dann wird man das intensiv wahrnehmen, sich darüber freuen und es nicht nur beiläufig registrieren.
Womit will man heute seine Seele nähren?
Wie bei der Nahrung für den Körper kann man auch bei seiner Seele frei entscheiden, welche Nahrung man zuführt. Wie will man in dieser Hinsicht gut für sich sorgen?
Man kann sich beispielsweise jeden Tag von „Junkfood“ (laut Wikipedia „kalorienreiche Nahrung mit einem ungesund hohen Anteil von salzhaltigen, zuckerhaltigen oder fetthaltigen Inhaltsstoffen mit geringem Nährwert“) ernähren. Dem Körper würde diese einseitige Ernährung auf Dauer allerdings überhaupt nicht gut bekommen. Man würde ihm mittel- und langfristig schaden und dürfte sich bei übermäßigem Verzehr über Übergewicht nicht wundern.
In sinnentsprechender Weise kann man seine Seele ungesund nähren. Wenn man sich beispielsweise einseitig von Verschwörungstheoretikern oder religiösen Fanatikern dominierten Medien hingibt, sind ein unausgewogenes Weltbild und Realitätsverlust die Folge. Man lässt in sich Ängste schüren, die möglicherweise völlig aus der Luft gegriffen und in Wirklichkeit unbegründet sind.
In den Weiten des Internet kann nahezu jede und jeder in Wort, Bild und Ton publizieren. Das Korrektiv, beispielsweise das einer Verlagsredaktion, fehlt. Einerseits ist dies ein Vorteil hinsichtlich einer im gesetzlichen Rahmen nahezu unbegrenzten Meinungsäußerung, andererseits jedoch ein Problem.
Jede und jeder kann mit einfachsten Mitteln in sozialen Medien und auf Internet-Plattformen publizieren, darunter eben auch politische oder religiöse Fanatiker, psychisch kranke Menschen (z. B. Menschen mit einer schweren Psychose, einer Geisteskrankheit) oder Betrüger. Nicht immer ist schnell erkennbar, wessen „Geistes Kind“ die Verfasserin bzw. der Verfasser ist oder welche Motivation die Triebkraft ist.
Die Medienflut und ‑vielfalt kann einen schlicht überwältigen. Also muss man filtern. Wie soll der Filter eingestellt sein? Möchte man das herausfiltern, was einen in der Krise aufbauen kann? Man hat die Entscheidungsmöglichkeit.
Gerade in der Krise kann man den Tag wesentlich besser durchstehen, wenn man seiner Seele gute Nahrung zuführt.
Welche Ressourcen möchte man heute nutzen?
Wenn man in einer Krise steckt, neigt man dazu, sich zurückzuziehen, sich zu verkriechen. Man kann sich aber auch anders entscheiden und sich überlegen, welche Ressourcen in Form sozialer Kontakte einen unterstützen können. Da gibt es vielleicht die gute Freundin oder den guten Freund, den man anrufen könnte. Und man weiß, dass sie oder er einen aufbauen könnte.
Und wenn man niemand hat, mit der oder dem man reden könnte? Dann kann man bei der Telefonseelsorge (0800 1110111 oder 0800 1110222) unter Schutz von Anonymität und Vertraulichkeit anrufen. Man findet eine Gesprächspartnerin oder einen Gesprächspartner für ein aufbauendes Gespräch, während dem man auch seine Gedanken klären kann.
In der Krise kann man den Tag sehr viel besser durchstehen, wenn man ein oder mehrere aufbauende Gespräche führen kann, die einem wieder Mut machen. Man spürt, dass man nicht alleine ist.
Abseits von Gesprächen sind insbesondere die Natur und die eigene Kreativität wertvolle Ressourcen. Ein kurzer Spaziergang in der Natur kann schon die Stimmung heben. Und wenn man etwas kreativ gestaltet, tut man ebenfalls etwas für eine bessere Stimmung.
Möchte man heute die Hoffnung hochhalten?
Bisher hatte noch jede Krise ein Ende. Die zeitliche Begrenztheit liegt schon in der Bedeutung des Wortes „Krise“. Und „Krise“ umfasst auch einen Höhepunkt oder Wendepunkt und birgt gleichzeitig auch die Chance zur Verbesserung. Das chinesische Schriftzeichen für Krise drückt dies gut aus. Es besteht aus zwei Zeichen: ein Zeichen steht für Gefahr oder Risiko, das andere für Chance.
Wenn eine Krise auch als Chance zu einer Verbesserung verstanden wird, dann besteht auch Hoffnung. Wenn man sich dafür entscheidet, die Hoffnung hochzuhalten, bekommt man neue Kraft und Energie.
In der Krise kann man den Tag besser durchstehen, wenn man in sich die Hoffnung bewahrt, dass die Krise ein Ende haben wird und dass in ihr sogar auch Chancen liegen.
Möchte man heute Verantwortung für sich übernehmen?
Will man heute auf der Kommandobrücke stehen und den Kurs setzen, den das Lebensschiff steuern soll – oder es wenigstens versuchen? Oder soll die Kommandobrücke lieber verwaist und das Lebensschiff Wind und Wellen überlassen bleiben?
Vielleicht fällt es einem gerade nicht leicht. Aber wenn man sich dafür entscheidet, die Kommandobrücke zu besetzen und die Rolle des Kapitäns auszufüllen, übernimmt man Verantwortung für sein Leben. Ob man heute Verantwortung für sein Leben übernehmen möchte, ist Entscheidungssache.
Genau einen Tag leben – heute – so intensiv wie möglich
Es sind gar nicht so wenige Entscheidungen, die man jeden Tag direkt oder indirekt treffen kann und trifft. Nur einige wenige sind hier kurz skizziert. Es gibt noch viele weitere Entscheidungsmöglichkeiten, beispielsweise die Entscheidung, dankbar zu sein.
Nicht in der Vergangenheit leben, nicht in der Zukunft, sondern genau heute, genau einen Tag leben. Auch in der Krise ist der Tag nicht verloren. Man kann ihn füllen. Terry Waite vermochte es treffend auszudrücken: „Du musst für den Tag leben, dir klarmachen, dass du dein Leben jetzt lebst, in genau diesem Moment. Nicht morgen, nicht gestern: jetzt. Also leb es so intensiv, wie du kannst. Investiere in jeden Tag.“.