Hoffnung auf Beziehung – auch eine Frage der Sichtweise. Wie werde ich von anderen wahrgenommen? Werde ich als Mensch gesehen oder wird nur meine Funktion wahrgenommen? Und wie nehme ich selbst andere Menschen wahr?
Zwischen beiden Polen klafft eine tiefe Kluft. Jemanden als Funktion zu sehen, bedeutet: ein Mensch ist für mich nur insoweit interessant und wichtig als er für mich eine Art Leistung erbringt. An der Verkäuferin in der Bäckerei, bei der ich meine Brötchen kaufe, interessiert mich wahrscheinlich nur ihre Funktion. Ich erwarte, dass sie mir die gewünschten Brötchen in der gewünschten Anzahl in eine Tüte packt und dass sie beim Wechselgeld korrekt ist. Dass sie vielleicht kürzlich ihren Vater verloren oder eine Trennung zu verarbeiten hat, weiß ich vielleicht überhaupt nicht. Und wenn ich es wüsste, ginge es mir wahrscheinlich nicht wirklich nahe. Es gibt ja nur eine „funktionale“ Beziehung.
Völlig anders verhält es sich, wenn ich einen Menschen in seiner Ganzheit sehe. Dann sehe ich den Menschen mit allen seinen Licht- und Schattenseiten. Und ich kann den Menschen so annehmen, wie sie oder er ist. Dies bedeutet nicht, dass ich alles toleriere, was diese Person denkt und wie sie sich verhält. Und es bedeutet nicht, dass ich darauf verzichte, Grenzen zu setzen. Aber ich nehme einen Menschen ganzheitlich wahr, blicke tiefer. Und ich ziehe mich nicht zurück, wenn ich etwas entdecke, was mir nicht gefällt.
Viele Menschen wünschen sich, als Mensch gesehen und nicht auf eine Funktion reduziert zu werden. Doch leider zeigt die Realität, dass die Funktionssicht überwiegt. „Ich gebe mich nur dann mit dir ab, wenn ich etwas benötige und einen Nutzen davon habe. Ansonsten bist du mir gleichgültig.“, so etwa lässt sich die Einstellung verkürzt auf den Punkt bringen.
So bleiben viele Menschen arm. Sie sind vielleicht finanziell auf der sicheren Seite, aber arm an bereichernden Beziehungen. Sie kennen jede Menge Menschen, die für sie eine Funktion erfüllen. Aber leider kennen sie nur sehr wenige Menschen, die sie in ihrer Ganzheit sehen und von Herzen annehmen. Sie haben keine wirklichen Freunde.
Viele Menschen wünschen sich wertschätzende Beziehungen. Sie möchten Freundschaft erleben, die auch in schwierigen Zeiten trägt. In einer solchen Freundschaft spielen viele ansonsten wichtigen Dinge keine wirkliche Rolle mehr. Da ist es beispielsweise unwichtig, ob ein Freund Bankdirektor, Fliesenleger oder Polizist ist. Es geht ja schließlich nicht darum, sich beispielsweise einen vergünstigten Kredit für den geplanten Hausbau zu verschaffen. Es ist ausschließlich die menschliche Beziehung, die im Vordergrund steht.
Es gibt Hoffnung. Ich kann Menschen kennenlernen, die mich nicht als Funktion oder Dienstleister sehen, die mich so annehmen können, wie ich bin. Ich kann Menschen kennenlernen, die meine tiefsten Wünsche nach Beziehung erwidern. Dafür brauche ich Zeit. Eine echte Freundschaft, und darum geht es im Kern, muss wachsen können. Auch ein Baum wächst nicht über Nacht, aber er wächst langsam und gesund. Er nimmt immer mehr Raum ein und, je nach Art des Baums, trägt er mit der Zeit seine Früchte.
So kann ich darangehen, für mich einen Gedanken zu formulieren, der mich begleitet. Er kann vielleicht so lauten:
„Ich bin dankbar, dass ich mich auf andere Menschen von Herzen einlassen und sie annehmen kann. Und ich bin dankbar, dass ich erwarten darf, wertschätzende Begegnungen zu erleben. Ich habe Hoffnung, von anderen Menschen auch von Herzen angenommen zu werden.“