Ist die in der Bibel erzählte Sintflutgeschichte plausibel? Oder ist sie es nicht? Hat die Sintflut wirklich stattgefunden? Und hat sie in dem datierbaren Zeitraum stattgefunden?
Die Antwort auf diese Frage hat nicht direkt etwas mit der Frage der Existenz nach dem Tod zu tun. Aber die Sintflutgeschichte wird in der Bibel prominent erzählt und wenn sie plausibel ist, stärkt sie das Vertrauen in die Offenbarungsreligion und macht damit auch von Vornherein Aussagen glaubhafter, die sich auf eine Weiterexistenz nach dem Tod beziehen.
Dieser Beitrag ist Teil der Serie „Was geschieht mit mir wenn ich sterbe?“
Grobes Inhaltsverzeichnis
In mythologischen Erzählungen verschiedener antiker Kulturen wird das Ereignis einer Sintflut als eine gottgesandte Flutkatastrophe beschrieben. Deren Ziel war den Narrativen zufolge die Vernichtung der gesamten Menschheit und sämtlicher Landtiere. Die Motivation für die beabsichtigte Vernichtung lag in den Verfehlungen der damals lebenden Menschen, die den Zorn Gottes bzw. der Götter hervorriefen. Nur wenige besonders gottesfürchtige Menschen konnten dieser Katastrophe entkommen.
Das biblische Sintflut-Narrativ (Genesis Kap. 6-9) entstand nach den Erkenntnissen der modernen Bibelwissenschaft wahrscheinlich zwischen dem 7.–5. Jahrhundert v. Chr. Sintfluterzählungen gab es im Alten Orient jedoch schon vorher. Insbesondere ist das bekannte Gilgamesch-Epos zu nennen, das im 2. Jahrtausend v. Chr. in Babylonien entstand. Die auf Tafel 11 zu findende Sintfluterzählung wurde wahrscheinlich vor 1200 v. Chr. dem Epos hinzugefügt. Auch die Sintfluterzählung der griechischen Mythologie erscheint erwähnenswert. Aus Ägypten ist hingegen keine Sintfluterzählung bekannt.
Sintflut im Gilgamesch-Epos
In der Erzählung macht sich der sich seiner eigenen Sterblichkeit bewusste Gilgamesch, der jedoch nicht sterben möchte, auf den Weg und hofft, dass ihm sein unsterblich gewordener Urahn Utnapischtim dabei helfen kann. Utnapischtim erzählt ihm die Geschichte einer Flutkatastrophe, die er als einziger Mann überlebte.
Die Götter verfolgten die Absicht, die Menschheit mit einer Sintflut auszulöschen. Die Motivation für diese Absicht bleibt jedoch unklar. Der weise Gott Enki warnt jedoch Utnapischtim (entspricht dem sumerischen Ziusudra und dem späteren biblischen Noah), den Helden der Erzählung, und gebietet ihm, ein Schiff zu bauen. Im Epos heißt es dazu:
„Du Mann aus Šuruppak …
Sintflut-Narrativ im Gilgamesch-Epos
Reiß ab dies Haus und baue ein Schiff!
Lass fahren den Besitz, das Dasein rette!
Gib hin dein Gut und sichere das Leben,
Ins Schiff nimm aller Lebewesen Samen! …“
Und Utnapischtim tut, wie ihm befohlen: (Er)
„Ließ einzieh’n aller Lebewesen Samen,
Hieß alle geh‘n aufs Schiff, die mir (ihm) verwandt,
Und nahm an Bord auch alles Vieh des Feldes,
das Wildgetier und alle Handwerksmeister.“
Utnapischtim reißt sein Haus ab und baut aus dem Material ein Boot. In dieses lässt Utnapischtim nun die Tiere der Steppe, seine Frau und seine gesamte Sippe einsteigen. So gelingt das Entkommen vor der Flut. Im Gilgamesch-Epos wird Šuruppak im unteren Mesopotamien als der Ort angegeben, von dem die Flut ihren Ausgang nahm.
Nach dem Ende der Sintflut strandet Utnapischtim auf einem Berg. Am siebten Tag sandte er eine Taube aus, um zu sehen, ob das Wasser zurückgegangen war. Die Taube konnte nichts als Wasser finden und kehrte zurück. Später sandte er eine Schwalbe aus, und auch diese musste zurückkehren, da ausschließlich Wasser zu finden war. Schließlich sandte Utnapischtim einen Raben aus. Dieser nahm wahr, dass das Wasser zurückgegangen war, und kehrte nicht wieder zurück.
Sintflut in der griechischen Mythologie
In der griechischen Mythologie findet sich ebenfalls eine Sintfluterzählung. Demnach schickte der Gott Zeus eine Sintflut, um das moralisch und sittlich verkommene Menschengeschlecht zu vertilgen. Lediglich zwei Personen überlebten die Sintflut: der gottesfürchtige Deukalion, der fromme Sohn von Prometheus, und seine Frau Pyrrha, die Tochter von Prometheus‘ Bruder Epimetheus und der Pandora.
Deukalion war König von Thessalien soll zur gleichen Zeit wie der ägyptische Pharao Thutmose III (1504-1450 v. Chr.) regiert haben. Die nach ihm benannte Deukalionische Flut wird auf das Jahr 1478 v. Chr. datiert. Deukalion gilt zudem als Stammvater der Hellenen.
Zeus ließ es Tag für Tag regnen, bis alles überflutet war. Deukalion, die griechische Version des biblischen Noah und des babylonischen Utnapischtim, und seine Frau Pyrrha überlebten in einem zuvor gebauten Schiff. Sie waren von Prometheus vor der bevorstehenden Flut gewarnt worden. Sie steuerten mit einem Schiff vierzehn Tage lang durch die Fluten und landeten schließlich ganz oben auf einem Berg, auf dem Gipfel des Parnassos-Gebirges.
Themis, die griechische Göttin der rechtlichen Ordnung beziehungsweise der Gerechtigkeit, erteilte Deukalion und Pyrrha die Weisung, die „Gebeine der großen Mutter“, d. h. die Steine der Erde, hinter sich zu werfen. Nach einer anderen Quelle gab Zeus selbst diesen Auftrag. Aus den von Pyrrha geworfenen Steinen entstanden Frauen, aus den von Deukalion geworfenen Männer.
Biblisches Sintflut-Narrativ
Der Erzählung im Buch Genesis (Kap. 6-9) zufolge hatte Gott den Entschluss gefasst, die gesamte Menschheit zu vernichten. Der Grund dafür könnte gewesen sein, dass die Nachkommen Kains (Sohn Adams, des von Gott geschaffenen ersten Menschen, und Mörder seines Bruders Abel) zunehmend sündhaft lebten. Möglicherweise ließen sich auch die meisten Nachkommen Seths, nach Kain und Abel der dritte Sohn von Adam und Eva. auf das sündhafte Leben ein. So wird in den ersten Versen von Genesis 6 von Beziehungen zwischen „Gottessöhnen“ und „Menschentöchtern“ erzählt, wobei aus diesen Beziehungen auch Kinder entstanden. Die Sintflut erscheint vor diesem Hintergrund gewissermaßen als „Säuberungsaktion“.
Im äthiopischen Henoch-Buch, das zu den apokryphen Schriften gezählt wird, jedoch zum kanonischen Schrifttum der (christlichen) äthiopischen Kirche zählt, finden sich weitere Hinweise. Dort wird die Sintflut als göttliche Reaktion auf die unentschuldbare Rebellion der „Wächterengel“ unter Führung von Azazel verstanden. Azazel ist ursprünglich der Name eines Wüstendämons, dem beim jüdischen Sühnefest (Jom Kippur), mittels des sprichwörtlichen Sündenbocks, die Sünden des Volkes Israel aufgeladen wurden.
Die „Wächterengel“ gaben sich dieser Erzählung zufolge mit ihrer Nähe zu Gott nicht zufrieden, sondern lehrten die Menschen verschiedene Künste (siehe auch Prometheus in der griechischen Mythologie) und vermischten sich schließlich mit diesen sogar sexuell. Um dem ein Ende zu setzen, blieb in der Konsequenz wahrscheinlich keine andere Möglichkeit, als den durch den Samen der abgefallenen Gottessöhne unrettbar verdorbenen Teil der Menschheit flächendeckend auszulöschen.
Dem biblischen Sintflut-Narrativ zufolge wurde der gottesfürchtige Noah von Gott verbal, in direkter Kommunikation, vor einer großen Flut gewarnt und damit beauftragt, ein großes kastenförmiges Schiff, eine Arche, zu bauen. Auf diese Weise sollte er dazu in der Lage sein, sich und seine Familie sowie die Landtiere zu retten. Die Sintflut dauerte ein Kalenderjahr und 10 Tage. Selbst die Bergspitzen waren mit Wasser bedeckt.
Nach dem Rückgang des Wassers landete die Arche schließlich „auf den Bergen Ararat“. Eine von Noah ausgelassene Taube kehrte mit einem frischen Olivenzweig im Schnabel zur Arche zurück und lieferte damit den Beweis, dass die Flut zurückgegangen war.
Nach der Sintflut schloss Gott einen neuen, ewigen Bund Gottes den noch lebenden Menschen Noah und allen Tieren. Gott gelobte, nie wieder eine Flut solchen Ausmaßes über die Erde zu bringen. Das Zeichen dieses Bundes ist der Regenbogen.
Das Neue Testament der Bibel nimmt an vier Stellen Bezug auf Noah. Nach Lk 17,26–27 verglich Jesus Christus (nach Überzeugung des Christentums der Sohn Gottes) die Zeit seines irdischen Wirkens mit den Tagen vor der Sintflut. Hebr 11,7 sagt aus, dass Noah durch den Glauben die Arche gebaut habe und auf diese Weise seine Hausgemeinschaft habe retten können. 1 Petr 3,20 vergleicht die Rettung Noahs durch das Wasser mit der Taufe. Schließlich wird Noah in 2 Petr 2,5 als „Prediger der Gerechtigkeit“ bezeichnet. Aus diesen Referenzen auf das Alte Testament, den Tanach, lässt sich schließen, dass Noah als geschichtliche Person und die Sintflut als Realität verstanden wurde.
Zeitliche Bestimmung der Sintflut
Das im Buch Genesis der hebräischen Tora geschilderte Sintflut-Ereignis lässt sich zeitlich annähernd bestimmen. Maßgeblich hierfür ist die Genealogie von Adam bis Noah, dem neben Angehörigen von der Sintflut Betroffenen.
Adams gesamtes Lebensalter wird in Genesis 5,5 mit 930 Jahren angegeben. Wenn der Schöpfungsakt Gottes der Einfachheit halber genau auf das Jahr 4000 v. Chr. datiert wird, müsste Adam etwa bis zum Jahr 3070 v. Chr. gelebt haben. Zu dieser Zeit gab es schon das erste Schriftsystem. Es wäre durchaus denkbar, dass es bereits zu diesem frühen Zeitpunkt eine Art schriftlichen Beleg geben konnte. Schließlich existierte im späten 4. Jahrtausend v. Chr. schon eine frühe Form der sumerischen Keilschrift. Auch die ägyptischen Hieroglyphen wurden schon seit etwa 3200 v. Chr. als Bilderschrift verwendet. Für die Existenz Adams und Evas gibt es jedoch keine außerbiblischen Belege.
In Genesis Kap. 5 findet sich das Geschlechtsregister von Adam bis Noah. Adams Nachfahren bis einschließlich Noah erreichten folgende Lebensalter: Set 912 Jahre, Enosch 905 Jahre, Kenan 910 Jahre, Mahalalel 895 Jahre, Jered 962 Jahre, Henoch 365 Jahre, Metuschelach 969 Jahre, Lamech 777 Jahre, Noah 950 Jahre. Bedingt durch die hohen Lebensalter überschneiden sich viele Generationen. Adam lebte noch zu Lebzeiten Lamechs, der 8. Generation nach ihm. Lamech wiederum starb erst relativ kurz vor der biblischen Sintflut.
Die in der Bibel genannten Jahresangaben entstammen dem Masoretischen Text (MT). Vom Buch Genesis, dem ersten Teil der Tora, sind jedoch insgesamt drei verschiedene Texte überliefert. Neben dem Masoretischen Text sind dies der Samaritanische Pentateuch (SAM) und der Text der Septuaginta (LXX). Letzterer Text ist eine Übersetzung aus dem Hebräischen in das Griechische, allerdings mit Abweichungen. Die folgende Tabelle zeigt das Alter der Urväter in den verschiedenen Texten.
MT | SAM | LXX | |
Adam | 930 | 930 | 930 |
Set | 912 | 912 | 912 |
Enosch | 905 | 905 | 905 |
Kenan | 910 | 910 | 910 |
Mahalalel | 995 | 895 | 895 |
Jered | 962 | 847 | 962 |
Henoch | 365 | 365 | 365 |
Metuschelach | 969 | 720 | 969 |
Lamech | 777 | 653 | 753 |
Es wäre zu erwarten, dass Adam sein „Wissen“ über Gott an seine Nachfahren und diese wiederum an ihre Nachfahren mündlich weitergaben. Menschen der nachfolgenden Generationen bis hin zu Lamech hätten rein theoretisch die Möglichkeit gehabt, sich direkt bei Adam über Gott zu erkundigen. In der Konsequenz wäre davon auszugehen, dass der Glaube an den einen Gott über den Zeitraum bis hin zur Sintflut sicher und zuverlässig überliefert wurde. Es stellt sich deshalb die heute nicht mehr zu beantwortende Frage, wie sich die Menschheit innerhalb von nur 10 Generationen derart entwickeln konnte, dass der Zorn Gottes übermächtig wurde und Gott schließlich dazu bewog, die gesamte Menschheit außer Noah und seiner Familie zu vernichten.
Wird vom der Einfachheit halber angenommenen Schöpfungsjahr 4000 v. Chr. ausgegangen und werden die erwähnten Geschlechterfolgen zugrunde gelegt, ergibt sich rein rechnerisch nach dem Masoretischen Text das Jahr 1656 nach der Schöpfung als das Jahr der Sintflut. Demnach hätte die Sintflut im Jahr 2344 v. Chr. stattgefunden. Dem Samaritanischen Pentateuch zufolge geschah die Sintflut 1 307 Jahre nach der Schöpfung. Nach der Septuaginta vergingen 2 256 Jahre zwischen Schöpfung und Sintflut. Welche Angaben (einigermaßen) zutreffen, haben Bibelwissenschaftler zu klären. Im Alten Testament der Bibel basieren die Jahresangaben jedenfalls, wie schon erwähnt, auf dem Masoretischen Text.
Pyramiden von Gizeh als Referenzpunkt
Naturgemäß wäre zu erwarten, dass Spuren der Sintflut eindeutig nachweisbar sind. Als zeitlicher Referenzpunkt bieten sich die Pyramiden von Gizeh an, die etwa von 2620 bis 2500 v. Chr. entstanden. Falls die Sintflut danach stattfand, müssten sich an den Pyramiden Spuren davon finden. Davon abgesehen wäre zu klären, wer die Pyramiden erbaut haben könnte. Schließlich überlebte nur Noah mit seiner Familie (seiner Frau, seinen drei Söhnen Sem, Ham und Jafet sowie deren Ehefrauen) die Sintflut.
Angenommen, die Sintflut fand um das Jahr 2500 v. Chr. statt. Angesichts der wenigen Überlebenden musste es zum in etwa zeitgleichen Bau der Pyramiden zwangsläufig an Personal fehlen. Alleine für die ursprünglich rund 146 Meter hohe und eine Seitenlänge von rund 230,33 m aufweisende Cheops-Pyramide wurden mehr als sechs Millionen Tonnen Gestein verwendet. Es darf vermutet werden, dass während der mindestens 20-jährigen Bauzeit mehr als 100 000 Arbeiter tätig waren. Würde vereinfacht das Jahr 2400 v. Chr. als das Jahr der Sintflut angenommen, wäre der Bau der Pyramiden von Gizeh von Vornherein bereits abgeschlossen gewesen. In der Konsequenz müssten Spuren einer Sintflut nachweisbar sein. Dies ist jedoch nicht der Fall.
In Ägypten wurde Papyrus erstmalig als Beschreibstoff genutzt. Seine Verwendung lässt sich für das dritte Jahrtausend v. Chr. nachweisen. Papyrus wird aus Pflanzenfasern des Echten Papyrus hergestellt. Der Echte Papyrus (Cyperus papyrus) ist eine Art aus der Gattung Zypergräser (Cyperus), die Wuchshöhen von bis zu 5 Metern erreichen kann. Alle vor der Sintflut beschriebenen Papyrusrollen müssten entweder verlorengegangen sein oder zumindest beträchtlichen Schaden genommen haben, es sei denn, sie wurden wasserdicht aufbewahrt.
Der Bau der Cheops-Pyramide ist durch Papyrus Jarf A und B (gefunden 2013) bezeugt. Dabei handelt es sich um Fragmente der ältesten erhaltenen und beschriebenen altägyptischen Papyri. Sie verkörpern das Logbuch eines Arbeitstrupps, der Steine für den Bau der Cheopspyramide herbeischaffte. Dieses Logbuch deckt einen Zeitraum von etwa fünf Monaten (Juli bis November) im 26. Regierungsjahr von König Cheops (etwa 2620 bis 2580 v. Chr.). ab.
Bevölkerungsentwicklung als Referenzpunkt
Aus dem Blickwinkel der Entwicklung der Weltbevölkerung ergibt sich folgendes Bild: Die Größe der Weltbevölkerung im Jahr Null unserer Zeitrechnng wird, wie bereits erwähnt, auf 170 bis 300 Millionen Menschen geschätzt. Die UNO geht in Übereinstimmung mit dem Popolation Reference Bureau von 300 Millionen Menschen aus.
Um das Jahr 8000 v. Chr. lebten den Zahlen des Popolation Reference Bureau zufolge etwa 5 Mio. Menschen auf der Erde. Hätte die Sintflut im Jahr 2400 v. Chr. stattgefunden, wäre ein Anstieg der Weltbevölkerung auf die erwähnten 300 Millionen Menschen im Jahr Null objektiv unmöglich.
Die vorliegenden Eckdaten lassen den Schluss zu, dass die in der Bibel erzählte Sintflut entweder zeitlich sehr viel früher stattgefunden haben muss als in im Buch Genesis angegeben oder dass die in der Bibel angegebenen Zeiten implausibel sind.