Wie wird der Bestimmungsort im extrauniversalen Existenzraum, dem Jenseits, gewählt? Wenn davon ausgegangen wird, dass das individuelle Selbst nach dem biologischen Tod in das Jenseits übergeht, stellt sich die Frage nach dem Bestimmungsort. Gibt es nur einen Bestimmungsort oder mehrere? Oder gibt es eine Art Zwischenwelt als eine Art Warteraum bzw. Vorraum des Bestimmungsorts?
Wenn es mehrere alternative Bestimmungsorte geben sollte, wird die Frage provoziert, wie es möglich ist, an den persönlich bevorzugten Bestimmungsort zu gelangen. Was muss dazu unternommen werden?
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Dieser Beitrag ist Teil der Serie „Was geschieht mit mir wenn ich sterbe?“
Grobes Inhaltsverzeichnis
Bestimmungsorte im extrauniversalen Existenzraum
Die Art möglicher Aufenthaltssorte bzw. Bestimmungsorte im extrauniversalen Existenzraum, dem Jenseits, lässt sich zum einen aus anekdotischen Schilderungen von Menschen, die eine Nahtoderfahrung erlebten, und zum anderen aus dem religiösen Schrifttum erschließen. Ob von vorübergehendem „Aufenthaltsort“ oder endgültigem „Bestimmungsort“ gesprochen werden kann, ergibt sich aus dem Kontext des jeweiligen religiösen Schrifttums.
Das religiöse Schrifttum der Offenbarungsreligionen beschreibt einen in unterschiedliche Regionen gegliederten Existenzraum. Daraus ergeben sich unterschiedliche Bestimmungsorte, an denen ein individuelles Selbst weiterexistieren kann. Im linearen Existenzprozess erscheint somit die Frage der Weichenstellung von existenzieller Bedeutung. „Wer stellt die Weiche, wo die Existenz nach dem biologischen Tod fortgesetzt wird?“, „Wie wird die Weiche gestellt?“ und „Wann wird die Weiche gestellt?“ erscheinen als Schlüsselfragen.
Antworten auf diese Fragen finden sich im Schrifttum der Offenbarungsreligionen. Auf den ersten Blick scheinen die Offenbarungsreligionen auf einem einheitlichen Konzept zu basieren. Eine vertiefende Betrachtung fördert jedoch signifikante Unterschiede zutage.
Bestimmungsorte im Judentum
Im Judentum entwickelten sich im Zeitverlauf sehr unterschiedliche Vorstellungen, die sich nicht zur Deckung bringen lassen. Während zunächst unterschiedslos alle Toten in das Totenreich „Scheol“ (die Semantik ist nicht eindeutig geklärt) gelangten, wurde später in „Scheol“ und „Gehenna“ unterschieden, wobei letztgenannter Ort als Ort der Strafe betrachtet wurde. Im Talmud findet sich auch der Begriff „Abrahams Schoß“ als Synonym für „Paradies“. Gewisse Ähnlichkeiten mit der griechischen Mythologie drängen sich auf. Dort werden Hades, das Reich der Unterwelt und Bestimmungsort aller Sterblichen, Elysios, der Ort ewiger Glückseligkeit, und Tartaros, die tiefste Region und Bestimmungsort der Frevler, unterschieden.
Die Bewertung eines Lebens wurde im Judentum mehr im Diesseits verortet. Im Allgemeinen wurde davon ausgegangen, dass Gott die Menschen noch im Diesseits belohnt oder bestraft. Belohnung und Bestrafung konnten mittelbar auch die Nachkommenschaft treffen. Im Alten Testament der Bibel, Buch Exodus, wird dies explizit ausgedrückt (Kap. 34, 7): „Er bewahrt Tausenden Huld, nimmt Schuld, Frevel und Sünde weg, lässt aber (den Sünder) nicht ungestraft; er verfolgt die Schuld der Väter an den Söhnen und Enkeln, an der dritten und vierten Generation.“ Im Buch Deuteronomium (Kap. 5, 9-10) ist zu lesen: „Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir Feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen und an der dritten und vierten Generation; bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld.“
Eine Lehre von der Auferstehung setzte sich erst später durch. Im Buch Jesaja (Kap. 26,19) und im Buch Daniel (Kap. 12, 13), dem jüngsten Buch der Hebräischen Bibel (kanonisiert um das Jahr 167-162 v. Chr.), finden sich Hinweise. Um die Wirkungszeit Jesu Christi herrschten drei theologische Strömungen vor: Sadduzäer, Pharisäer und Essener. Bemerkenswert ist, dass die Sadduzäer eine Auferstehung ablehnten, während die Pharisäer sie anerkannten. Letztere glaubten, dass die Toten unter der Erde gerichtet würden.
In der Gesamtschau lassen sich Bestimmungsorte nicht ohne Weiteres eindeutig erschließen. Im Verlauf der Geschichte veränderte sich darüber hinaus die Semantik.
Bestimmungsorte im Christentum
Das Christentum kennt das Konzept der Auferstehung. Zwischen dem Zeitpunkt des biologischen Todes und der Auferstehung befindet sich das individuelle Selbst nicht in einer Zwischenwelt als vorübergehender Aufenthaltsort. Aus dem Neuen Testament der Bibel lässt sich erschließen, dass der Mensch schon zu seinen Lebzeiten seinen Bestimmungsort im Jenseits durch persönliche Annahme oder Ablehnung des durch Jesus Christus bewirkten Erlösungsgeschehens selbst bestimmt.
Vereinfacht ausgedrückt, gilt: Wer dieses Erlösungsgeschehen für sich annimmt und auf Jesus Christus vertraut, wird aufgrund seines Glaubens gerechtfertigt. Das so bezeichnete „Jüngste Gericht“ hat sodann den Charakter einer Zuwendung von „Lohn“ entsprechend der Lebensführung.
Im Neuen Testament der Bibel findet sich auch das alttestamentliche Konzept der Belohnung und Bestrafung zu Lebzeiten eines Menschen nicht mehr. Das im Lukas-Evangelium erzählte Beispiel vom reichen Mann und dem armen Lazarus (Kap. 16, 19-31) illustriert dies. Der reiche Mann lebte materiell im Überfluss, es fehlte gewissermaßen an nichts. Vor seinem Haus lag der an einer schweren Erkrankung leidende, materiell arme Lazarus. Dieser wurde vom reichen Mann völlig ignoriert. Beide starben. Der reiche Mann gelangte in die Unterwelt, wo er im Feuer qualvolle Schmerzen litt. Lazarus gelangte hingegen an einen anderen Ort, in „Abrahams Schoß“ (Abraham gilt als Urvater der Juden). Dort, im Paradies, musste er keine Qualen erleiden.
Der reiche Mann wandte sich an Abraham, den er offenkundig erkannte – obwohl Abraham schon mehrere hundert Jahre zuvor verstorben war (Abraham lebte etwa im 18. oder 19. Jahrhundert v. Chr.) -, mit der Bitte, Lazarus zu ihm zu schicken, um ihm etwas Linderung zu verschaffen. Abraham antwortete jedoch: „Mein Kind, denk daran, dass du schon zu Lebzeiten deinen Anteil am Guten erhalten hast, Lazarus aber nur Schlechtes. Jetzt wird er dafür getröstet, du aber musst leiden. Außerdem ist zwischen uns und euch ein tiefer, unüberwindlicher Abgrund, sodass niemand von hier zu euch oder von dort zu uns kommen kann, selbst wenn er wollte.“ Damit wird wohl ausgesagt, dass sich der reiche Mann bereits an seinem endgültigen Bestimmungsort befand.
Das Beispiel lässt vermuten, dass dem reichen Mann nur sein eigenes Wohlergehen wichtig war. Welche Mittel er dazu einsetzte, ob er beispielsweise zum Mittel der Gewalt griff oder nicht, bleibt im Dunkeln. Gott und seine Gebote scheinen ihm jedenfalls gleichgültig gewesen zu sein.
Einen Kontrapunkt setzt der ebenfalls im Neuen Testament der Bibel zu findende Bericht vom Kreuzigungsgeschehen Jesu Christi. Neben Jesus Christus wurde ein Verbrecher hingerichtet, der zum Tod durch Kreuzigung verurteilt war (diese Hinrichtungsart war als besonders entehrende Strafe Rebellen vorbehalten). Dieser sah sein Urteil als seinen Taten angemessen und gerecht an. Er erkannte offensichtlich Jesus Christus als den Sohn Gottes. Ein kurzer, im Lukas-Evangelium erzählter, Dialog (Kap. 23, 42 -43) lässt darauf schließen, dass dieser Ausdruck des Vertrauens an Jesus Christus dem Verbrecher den sofortigen Zugang zum Paradies nach seinem physischen Tod eröffnete. „Dann sagte er [der Verbrecher]: Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst. Jesus antwortete ihm: Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ Der bisherige Lebenswandel des Verbrechers schien für Jesus Christus kein Hinderungsgrund zu sein, diesem Zugang zum Paradies zu gewähren.
Das Jüngste Gericht scheint nur noch sekundäre Bedeutung zu haben, da eine „Richtungsentscheidung“ von jedem Menschen schon zu seinen Lebzeiten selbst getroffen wurde. Ein Zeitpunkt des Jüngsten Gerichts wird nicht genannt. Nur Gott selbst scheint diesen Zeitpunkt zu kennen.
Bestimmungsorte im Islam
Das Konzept der Zwischenwelt als vorübergehender Aufenthaltsort findet sich auch im Islam. Dort wird diese Zwischenwelt, das Reich zwischen Tod und Auferstehung, als „Barzach“ bezeichnet. In diese Zwischenwelt gelangt der Mensch nach seinem biologischen Tod und verbleibt dort bis zur Auferstehung. Märtyrer sind allerdings vom Aufenthalt in dieser Zwischenwelt befreit.
Im „Barzach“ erfährt das individuelle Selbst seine zu Lebzeiten vollbrachten Taten in Form von Manifestationen. Gute Taten, wie beispielsweise das tägliche Ritualgebet, die Hadsch-Reise oder das religiöse Fasten, machen sich mit einem faszinierenden Anblick und Wohlgeruch bemerkbar. Schlechte Taten – dazu zählen etwa Unterdrückung, Betrug und Korruption – zeigen sich hingegen in abstoßender, ekelerregender Gestalt.
Die Auferstehung schafft die Voraussetzung für das Gericht am Jüngsten Tag, von dem niemand ausgenommen ist. Die „guten“ und „bösen“ Taten werden gegeneinander aufgewogen. Die Waage mit dem Gewicht der Waagschalen entscheidet über Paradies oder Hölle: „Diejenigen, deren Waagschalen schwer sind, das sind die Erfolgreichen. Diejenigen, deren Waagschalen leicht sind, haben sich selbst verloren und werden in der Hölle enden, in der sie ewig bleiben werden.“ (Sure 23, 102-103). Falls beide Waagschalen gleich schwer sind, gelangt das individuelle Selbst in die Zwischenwelt „Araf“ und von dort aus irgendwann in das Paradies. Das Paradies ist auch der Aufenthaltsort Allahs.
Bei alledem entscheidet Allah souverän, wobei Allah allerdings auch Barmherzigkeit bzw. Gnade zeigen kann und somit nicht unbedingt rein nach Faktenlage entscheidet. Die unabänderliche und souveräne Entscheidung Allahs ist als ein Zeichen der göttlichen Gerechtigkeit zu verstehen.
Muslime glauben, dass sie über eine zum Paradies führende Brücke („Shirat“) gehen. Nur diejenigen, die ein Leben nach muslimischen Werten gelebt haben und vor Allah bestehen, kommen unbeschadet ins Paradies. Alle anderen fallen in die unter der Brücke befindliche Hölle.
Möglichkeiten der Einflussnahme
Für die Frage, wie die Existenz nach dem biologischen Tod fortgesetzt wird, ist bedeutsam, ob und wie der Mensch beeinflussen kann, wohin im extrauniversalen Existenzraum, dem Jenseits, er gelangt. Aussagen dazu, welche Einflussnahme möglich ist, finden sich ausschließlich im Schrifttum der Offenbarungsreligionen. Eine Queranalyse mithilfe weiterer Quellen und Methoden (beispielsweise Textanalyse) ist nur bedingt möglich. Da sich viele einschlägige Aussagen im Schrifttum auf das Jenseits und auch auf die Zukunft beziehen, lassen sie sich in der Gegenwart weder bestätigen noch widerlegen. Schließlich sind in das Jenseits nur äußerst begrenzte Einblicke auf dem Weg von Nahtoderfahrungen möglich. Und auch der Blick in die Zukunft ist Menschen, abgesehen von bereits geschilderten Phänomenen, verwehrt.
Wege in den Offenbarungsreligionen
Die Offenbarungsreligionen kennen, wie bereits erwähnt, zwei endgültige Bestimmungsorte, landläufig als „Himmel“ und „Hölle“ (oder auch „Paradies“ und „Hölle“) bezeichnet. Während im Judentum und Christentum der Mensch im Grunde selbst über seinen Bestimmungsort entscheidet, ist es im Islam Allah, der auch nach einem Leben nach den Regeln des Koran letztlich souverän aufgrund des Lebenswandels urteilt.
Auftreten, Lehre und Wirken Jesu Christi kommen einem Paradigmenwechsel gleich. Der im Alten Testament der Bibel an verschiedenen Stellen mehr oder weniger verklausuliert angekündigte Messias („Gesalbter“) bzw. Erlöser, im Neuen Testament der Bibel als Gottes Sohn ausgewiesen, bewirkt einen völlig anderen Zugang zum Paradies. Ausschlaggebend ist nicht mehr nur der Lebenswandel, das Einhalten der Gebote Gottes, sondern in erster Linie der Glaube, die persönliche Inanspruchnahme der Erlösung von aller Schuld durch Jesus Christus. Das Christentum betrachtet Jesus Christus als diesen im Alten Testament so bezeichneten Gesalbten Gottes. Da vom Judentum ausschließlich das Alte Testament anerkannt wird und der erwartete Messias ein Mensch – aber nicht Gott – ist, bleibt Jesus Christus in der Konsequenz bis heute die Anerkennung als Messias versagt.
In der Gesamtschau ergeben sich somit drei unterschiedliche Möglichkeiten, in das Paradies – den wohl von den meisten Menschen angestrebten Ort – zu gelangen: gottgefälliger Lebenswandel (Judentum), Rechtfertigung aus dem Glauben an Jesus Christus (Christentum), sowie gottgefälliger Lebenswandel und souveräner Entscheid Allahs (Islam). Nur einer dieser Wege kann zutreffen und muss dann auch global, d. h. für die gesamte Menschheit, gelten.
Folgerungen und Konsequenzen
Trifft diese Betrachtungsweise zu, hat dies zur Folge, dass sich jeder Mensch, der sich nicht als Atheist oder Agnostiker bezeichnet, zu seinen Lebzeiten über den zielführenden Weg zum Paradies klar werden und zu einer persönlichen Überzeugung gelangen muss. Angenommen, man würde davon ausgehen, dass gute Taten den Weg ins Paradies öffnen. Wie verhielte es sich dann beispielsweise, wenn sich nach dem biologischen Tod herausstellen würde, dass der Weg über die Rechtfertigung durch den Glauben an Jesus Christus (entspricht der Lehre der christlichen Kirchen) führt? Dann würde ein fataler Irrtum manifest, der sich auf die künftige Existenz im extrauniversalen Existenzraum, dem Jenseits, auswirkt.
Selbstverständlich müssen die Kriterien bekannt sein, die für den Zugang zum Paradies maßgeblich sind. Beispielhaft sei dies in aller Kürze an der Ausbreitung des Christentums illustriert, das sich über mehrere Jahrhunderte erstreckte. Im Mittelmeerraum konnte sich das Christentum aufgrund geografischer Nähe schon im 1. Jahrhundert n. Chr. sehr zügig verbreiten. Zu Beginn des 4. Jahrhunderts n. Chr. war das Königreich Armenien das erste christianisierte Reich. Die Missionierung Mitteleuropas erfolgte im 6. Jahrhundert n. Chr., im Wesentlichen vorangetrieben durch irische Wandermönche. Die Christianisierung Skandinaviens war erst um das Jahr 1030 n. Chr. abgeschlossen.
Ab dem Tod Jesu Christi (sehr wahrscheinlich im Jahr 33 n. Chr.) galt schon die Rechtfertigung durch den Glauben. Der allergrößte Teil der Menschheit konnte davon jedoch erst im Lauf der Jahrhunderte erfahren. Dann stellte sich jedoch schon die weitere Frage, ob die Menschen auch Inhalt und Bedeutung der christlichen Lehre klar und unverfälscht erfassen konnten.
Wie geht Gott mit dem „Problem“ um, dass sehr viele Menschen vom Christentum noch nichts wissen konnten? Diese Frage muss unbeantwortet bleiben. In ähnlicher Weise stellt sich diese Frage auch für andere Religionen. Für den Islam würde eine Frage lauten: „Wie geht Allah mit denen um, die vor der Zeit des Islam lebten?“
Erkenntnisse aus Nahtoderfahrungen
Aus Schilderungen von Nahtoderfahrungen lassen sich Erkenntnisse gewinnen, die Aussagen im religiösen Schrifttum entweder bestätigen oder widerlegen können. Einschränkend muss jedoch angemerkt werden, dass Berichte von Nahtoderfahrungen durch subjektive Lebenseinstellungen gefärbt sein können. Auch die Möglichkeit vorsätzlicher Falschdarstellungen lässt sich nicht ausschließen. Die Vertrauenswürdigkeit ist somit nicht unbedingt garantiert.
Von Menschen, die eine Nahtoderfahrung erlebten, liegen Berichte sowohl von Paradies- als auch Höllenerfahrungen vor. Gleichwohl überwiegen zahlenmäßig die Paradieserfahrungen, die als sehr schön und angenehm empfunden wurden. Die meisten Menschen mit einer Nahtoderfahrung wollten diesen Ort nur widerwillig wieder verlassen. Aufgrund der ebenfalls berichteten Höllenerfahrungen lässt sich jedoch die Existenz einer Hölle als Ort der Verdammnis nicht ausschließen.
Die Nahtoderfahrung wird zwar ohne Bindung an den physischen Körper, jedoch bei vollem Bewusstsein erlebt. Das „ich bin“ bezieht sich auf das individuelle Selbst. Während einer Nahtoderfahrung erleben manche Menschen, beileibe jedoch nicht alle, wie ihr bisheriges Leben wie ein Film an ihnen vorbeizieht.
Wie aus anekdotischen Schilderungen von Nahtoderfahrungen hervorgeht, erhält ein Erlebender während des vorübergehenden Aufenthalts im extrauniversalen Existenzraum einen Einblick – im weitesten Sinne – in die ethisch-moralische „Qualität“ des bisherigen Erdenlebens. Zwei Beispiele seien kurz skizziert.
Sabine Mehne, Physiotherapeutin und systemische Familientherapeutin, schilderte wie sie ihre Nahtoderfahrung erlebte (Video bei Thanatos TV: „Ich habe erlebt, dass ich ohne Körper existieren kann“). Die Nahtoderfahrung zeige das eigene Leben wie mit einem Brennglas. In einer Klarheit, einer Schnelligkeit und in einer gnadenlosen Ehrlichkeit würden alle Facetten nochmals „aufgetischt“ und man müsse dazu Stellung beziehen. Man werde gnadenlos konfrontiert.
Aus der Schilderung geht nicht hervor, welche ethisch-moralischen Maßstäbe angelegt wurden und von wem diese angelegt wurden. Von einer Beurteilungsinstanz, wie beispielsweise Gott, ist nicht die Rede.
Wie auch bei anderen Schilderungen von Nahtoderfahrungen bleibt unbestimmt, ob das erlebte Jenseits als vorübergehender Aufenthaltsort oder endgültiger Bestimmungsort erlebt wurde.
In ihrem Buch „7 Botschaften des Himmels“ beschreibt die US-amerikanische orthopädische Chirurgin Mary C. Neal, eine Christin, einen Aspekt ihres Lebensrückblicks (S. 34): „Wie die meisten Leute hätte ich mir, bevor ich damit konfrontiert wurde, den eigenen Lebensrückblick als bloßes Vorspiel zu jenem endgültigen Urteil Gottes vorgestellt. Ungeachtet meiner Bemühungen und Absichten, ein moralisch und ethisch »gutes« Leben zu führen, hätte ich befürchtet, mein Lebensrückblick wäre hauptsächlich angefüllt mit Reue, Enttäuschung, Schuldgefühl. […] Doch mir wurde klar, dass ein Lebensrückblick von ganz anderer Art ist …“
In ihrer weiteren Schilderung bezieht sie sich auf eine Begegnung mit Jesus Christus (S. 36): „Behutsam lehnte ich mich an Jesus, und seine Gegenwart umfing und tröstete mich. Vor uns wurden Szenen meines Lebens sichtbar, projiziert gleichsam auf eine große, dreidimensionale und multisensorische Leinwand. […] Statt Sorge oder Angst empfand ich nichts als Liebe. In seinem Gesicht nahm ich nur unerschöpfliche Liebenswürdigkeit wahr. […] Während mein Leben ablief, fühlte ich mich tief geliebt und wusste irgendwie, dass seine Liebe nicht nur mir galt, sondern allen Menschen.“
Wenn unterstellt wird, dass Jesus Christus dauerhaft im Paradies lebt, erlebte sich die Berichtende an ihrem Bestimmungsort und nicht an einem vorübergehenden Aufenthaltsort, einer Zwischenwelt.
Zusammenfassung und Fazit
Der lineare Existenzprozess ist, wie bereits deutlich wurde, ein wesentliches Element sämtlicher Offenbarungsreligionen. Allerdings gestaltet sich dieser bereits in groben Zügen beschriebene Prozess in den Heiligen Schriften der Offenbarungsreligionen jeweils etwas unterschiedlich.
Allen Offenbarungsreligionen ist jedoch gemein, dass bereits während des Erdenlebens, der Existenz im intrauniversalen Existenzraum, explizit oder implizit eine Richtungsentscheidung hinsichtlich des Bestimmungsorts im extrauniversalen Existenzraum, dem Jenseits, getroffen wird. Die bedeutenden Unterschiede zwischen den aufgezeigten Wegen zwingen gewissermaßen jeden Menschen dazu, sich mit den Religionen auseinanderzusetzen und sich noch zu Lebzeiten für einen Weg zu entscheiden.
Schilderungen von Nahtoderfahrungen bieten gewissermaßen einen Blick durch ein Schlüsselloch in den extrauniversalen Existenzraum. Sie können dabei unterstützen, die Aussagen im religiösen Schrifttum zu untermauern oder auch zu entkräften. Eine Gewähr hinsichtlich Sachlichkeit und Objektivität derartiger Schilderungen darf jedoch im Einzelfall nicht unbedingt erwartet werden.