„Dank und Liebe sind die großen Mächte der Welt.“ Dieses Zitat stammt von Friedrich von Bodelschwingh. Er musste es wissen, denn sein Leben verlief alles andere als problemlos. Zusammen mit seiner Frau musste er u. a. den Tod von vier Kindern verkraften, die innerhalb von nur zwei Wochen an Diphterie starben. Damals gab es noch keine Impfung gegen diese Krankheit.
Trotz seines keineswegs einfachen Lebens kam Friedrich von Bodelschwingh zu der Erkenntnis, dass Dank bzw. Dankbarkeit eine der großen Mächte sind. Mit dieser Erkenntnis stand er durchaus nicht alleine. Viele andere Menschen äußerten sich dem Sinn nach sehr ähnlich.
Wenn Dank eine große Macht ist, dann kann und wird Dank bzw. Dankbarkeit auch positiv lebensverändernd wirken. Demgegenüber scheint die Macht der Dankbarkeit ziemlich unbekannt zu sein. In den Medien ist nicht sonderlich viel darüber zu hören, zu sehen oder zu lesen. Doch ist die geringe Popularität von Dankbarkeit ein Indiz dafür, dass Dankbarkeit eben doch keine lebensverändernde Kraft hat?
Gibt es überhaupt einen Grund für Dankbarkeit?
„Ich weiß gerade nicht so recht, wofür ich eigentlich dankbar sein soll“ – „Mir ist gerade überhaupt nicht nach Dankbarkeit zumute“ – „Danke für nichts“ … Ist nicht nachvollziehbar und verständlich, wenn einem nach einer persönlichen Enttäuschung, einem Scheitern oder einer schlechten Nachricht der Gedanke an Dankbarkeit überhaupt nicht in den Sinn kommt?
Viele Menschen gehen irgendwann in ihrem Leben, bildlich ausgedrückt, durch ein tiefes Tal. Sollten sie dafür auch noch dankbar sein? Wäre das nicht viel zu viel verlangt? Oder kann man selbst in einer schwierigen Situation oder Lebenslage trotzdem noch für irgendetwas dankbar sein?
Manche Situationen können einen in der Tat dazu bringen, die Dinge nur noch schwarz zu sehen. Alles erscheint bedrohlich, vielleicht sogar aussichtslos. Doch ist wirklich alles nur noch schwarz? Oder kann man das, was (noch) gut ist, gerade einfach nicht (mehr) sehen? Es gibt immer noch etwas Gutes – und es ist da, auch wenn man es gerade nicht wahrnehmen kann. Zumindest für dieses Gute könnte man dankbar sein.
Ein anderer Zugang zu einer Antwort führt zu der Frage, ob nicht einfach alles selbstverständlich ist. Wenn alles selbstverständlich ist, gibt es keinen Grund für Dankbarkeit. Genauso wenig gibt es einen Grund für Dankbarkeit, wenn man einen Anspruch auf etwas hat. Wenn man beispielsweise einen Anspruch auf ein unbeschwertes und glückliches Leben hätte, bräuchte man für das Gute im Leben nicht dankbar sein.
Ein kurzes Nachdenken führt jedoch zu dem Schluss, dass so gut wie überhaupt nichts selbstverständlich ist. Und man hat auch auf so gut wie überhaupt nichts einen Anspruch. Also gibt es einen Grund für Dankbarkeit.
Wofür könnte man dankbar sein?
Wenn man sich etwas Zeit nimmt und darüber nachdenkt, was im Leben alles nicht selbstverständlich ist und worauf man keinen Anspruch hat, fällt einem bestimmt vieles ein. Geht man in einem weiteren Schritt daran, inhaltliche Schwerpunkte zu bilden, bieten sich Folgende an: Dinge, Beziehungen und immaterieller Reichtum.
Dankbarkeit für Dinge
Zu den so vielen Dingen, für die man dankbar sein kann, zählen beispielsweise das Dach über dem Kopf, Lebensmittel und die Infrastruktur (Energieversorgung, Verkehr, Gesundheit usw.). Nichts davon ist selbstverständlich. Jederzeit können Umstände, wie beispielsweise Naturkatastrophen, eintreten, die bisher Gewohntes von einem Augenblick zum anderen zerstören.
Zur Veranschaulichung sei das Trinkwasser, das wichtigste und unersetzbare Lebensmittel, herausgegriffen. Wenn die Trinkwasserversorgung plötzlich zusammenbrechen würde, hätte dies gravierende Folgen, denn selbst unter günstigen Bedingungen kann der Mensch nur etwa fünf Tage ohne Wasser überleben. Viele Organe, insbesondere das Gehirn, leiden jedoch bei Flüssigkeitsentzug schon nach relativ kurzer Zeit.
In anderen Teilen der Erde zeigt sich sehr viel konkreter, dass Zugang zu Trinkwasser keine Selbstverständlichkeit ist. Rund zwei Milliarden Menschen weltweit haben keinen regelmäßigen Zugang zu Trinkwasser, weil vorübergehende Wasserknappheit herrscht. Rund 770 Millionen Menschen haben noch nicht einmal eine Grundversorgung, d. h. es gibt auf dem Grundstück keine Wasserversorgung.
Wenn der Bogen weiter gespannt wird, erschließt sich, dass fast alle Dinge im täglichen Leben in Wirklichkeit nicht selbstverständlich sind. Sie werden zwar als selbstverständlich betrachtet, sind es aber bei genauerem Hinsehen nicht. In der Konsequenz kann man somit auch für die scheinbar selbstverständlichen Dinge dankbar sein.
Dankbarkeit für Menschen
Gibt es auch nur einen einzigen Menschen, der keinen einzigen Grund findet, anderen Menschen gegenüber dankbar zu sein? Wohl kaum! Sicherlich kann niemand ernsthaft behaupten, im bisherigen Leben alles ohne Unterstützung anderer Menschen geschafft zu haben.
Den Erfolg im Leben, wie auch immer man diesen beschreibt, kann man nicht nur auf das eigene Konto buchen. Man hat Grund anzuerkennen, dass auch andere ihren Anteil daran haben. Vielleicht denkt man zuerst an das Familienumfeld, in dem man aufgewachsen ist. „Meine Eltern haben mir diese Möglichkeiten geboten.“ oder „Meine Großmutter hat mich immer wieder getröstet, wenn ich mit einer schlechten Note nach Hause kam, und mir geholfen, nicht aufzugeben“, so oder so ähnlich mag man vielleicht in der Rückschau empfinden.
Doch da waren mit Sicherheit noch viele weitere Personen, die im Lauf des Lebens auf die ein oder andere Art und Weise Gutes für einen getan haben: Lehrer, Arbeitskollegen, Freunde, um nur einige zu nennen. Sie haben ihr Vertrauen geschenkt, haben „ein Ohr“ für einen gehabt, haben einem in ganz praktischen Dingen geholfen. Kurzum: Sie alle haben das Leben auf ihre ganz eigene Art und Weise bereichert.
Zwischenmenschliche Beziehungen bereichern das Leben. Manche Beziehungen sind nur kurzlebig, auf eine bestimmte Situation begrenzt. Da ist vielleicht der hilfsbereite Mensch, der einem den schweren Koffer in den Bus hebt, und dem man nie wieder begegnet. Manche Beziehungen wiederum halten ein Leben lang. Sie überstehen auch die Tiefen des Lebens.
Ist es selbstverständlich, dass einem andere Menschen unterstützend zur Seite stehen? Falls nicht, besteht ein Grund zur Dankbarkeit.
Dankbarkeit für immateriellen Reichtum
Wenn man auf sich selbst schaut, stößt man auf die Begabungen, Fähigkeiten und Kompetenzen, die man besitzt. Sie sind durch genetische Veranlagung ins Leben mitgegeben worden. Man musste sie nicht erst erwerben. Man konnte und kann sie schulen und ausbauen. Im Lauf der Zeit sind vielleicht auch neue hinzugekommen. Dies alles sind Ressourcen. Um sie sich bewusst zu machen, lohnt es sich, sie zu benennen und aufzuschreiben.
Handwerkliches Geschick, sprachliche Begabung, Organisationstalent, Kreativität, Durchhaltevermögen, Sorgfalt, analytisches Denken … sind nur einige wenige aus der langen Liste möglicher Ressourcen. Jeder Mensch verfügt über Ressourcen, der eine mehr, der andere weniger – aber niemand besitzt keine einzige Ressource. Wenn man sich etwas Zeit nimmt und über die eigenen Ressourcen nachdenkt, wird die Liste sicherlich nicht kurz bleiben.
Wie sind beispielsweise Gesundheit, körperliche Fitness, Lebenszeit, zu bewerten? Es lässt sich argumentieren, dass auch dies Ressourcen sind, die zum immateriellen Reichtum zählen.
Dass man über immateriellen Reichtum verfügt und ihn weiter vermehren kann, beispielsweise durch Weiterbildung, ist ein Grund für Dankbarkeit. Man hat Gestaltungsmacht über das eigene Leben. Manche haben sie mehr, andere weniger, aber niemand hat keine Macht, sein Leben zu gestalten.
Wie wirkt sich die lebensverändernde Kraft der Dankbarkeit konkret aus?
Welche konkreten Auswirkungen hat Dankbarkeit auf das praktische Leben im Alltag? Eine spannende Frage. Was sagen die Ergebnisse und Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Untersuchungen und Studien aus?
Der US-amerikanische Psychologe Robert Emmons erforschte zusammen mit weiteren Kollegen in mehr als zehnjähriger wissenschaftlicher Arbeit die Auswirkungen von Dankbarkeit auf die körperliche Gesundheit und das seelische Wohlbefinden. An den verschiedenen Studien nahmen Personen vom Kindes- bis zum fortgeschrittenen Seniorenalter teil.
Was die körperliche Gesundheit anbelangt, ließen sich nicht unerhebliche positive Effekte feststellen. Zu den wichtigsten zählen: Stärkung des Immunsystems, niedrigerer Blutdruck, längerer Schlaf, höhere Bereitschaft für regelmäßige Bewegung, und geringere Neigung zum Rauchen und Alkoholmissbrauch.
Bemerkenswert sind auch die positiven Auswirkungen auf die Psyche. In Dankbarkeit geübte Menschen erleben ein höheres Niveau an positiven Gefühlen. Sie sind dem Leben mehr zugewandt, erleben öfters Freude, sind optimistischer und glücklicher. Außerdem vermindert Dankbarkeit durch höhere psychische Widerstandsfähigkeit das Risiko, irgendwann im Leben an einer Depression zu erkranken. Davon abgesehen blockiert Dankbarkeit selbstschädigende Gefühle wie Neid oder Feindseligkeit. Es ist schlicht unmöglich Dankbarkeit und Neid gleichzeitig zu empfinden.
Wenn positive Auswirkungen objektiv feststellbar sind – und dies ist der Fall -, dann ist Dankbarkeit ein Schlüssel für ein glücklich(er)es und zufrieden(er)es Leben. Dann lohnt es sich, Dankbarkeit im täglichen Leben wichtig zu nehmen und Dankbarkeitsrituale in den Tagesablauf einzubauen.
Das Einüben von Dankbarkeit selbst für vermeintlich Unbedeutendes (beispielsweise, wenn man an der Kasse im Supermarkt vorgelassen wird) erweist sich als ein hochwirksames und darüber hinaus völlig kostenloses Mittel zur Verbesserung sowohl der körperlichen Gesundheit als auch des seelischen Wohlbefindens. Dankbarkeit ist aktive Selbstfürsorge!
Kraftgedanken formulieren
Als Startpunkt kann man einige allgemeine Kraftgedanken formulieren, die einem dabei helfen, im Hinblick auf Dankbarkeit aufmerksam zu bleiben. Beispiele sind:
„Ich bin dankbar für all die Dinge in meinem Leben, die ich besitzen und nutzen darf.“
„Ich bin dankbar für alle Menschen, die mir im Leben begegnen und die mich auf die eine oder andere Art unterstützen.“
„Ich bin dankbar für alles, was mir an Fähigkeiten und Kompetenzen ins Leben mitgegeben wurde. Und ich bin dankbar, dass ich diese Ressourcen vermehren kann.“
Diese Kraftgedanken können und sollten auf die individuellen Lebensumstände angepasst werden. Ein Beispiel wäre: „Ich bin dankbar für meine Freundin …, mit der ich über … sprechen konnte.“
Durch regelmäßiges Wiederholen stellt sich mit der Zeit eine positive Grundstimmung der Dankbarkeit ein. Sie ist nachhaltig und wirkt sich konkret im praktischen Leben aus.