Der lineare Existenzprozess – wie ist er vorstellbar?Lesezeit: 8 Min.

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Wie kann man sich den linearen Existenzprozess vorstellen, der das Dasein im Diesseits und die Existenz im Jenseits überspannt? Und was kennzeichnet diesen Prozess?

Das Konzept der linearen Existenz wird von den Offenbarungsreligionen (Judentum, Christentum, Islam) vertreten. Es propagiert einen Übergang in einen extrauniversalen Existenzraum, das Jenseits. Das zurückliegende Leben eines Menschen wird beurteilt.

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Was geschieht mit mir wenn ich sterbe - Gestaltung: privat

Dieser Beitrag ist Teil der Serie „Was geschieht mit mir wenn ich sterbe?
Grobes Inhaltsverzeichnis

Ausgangsbedingungen

Das religiöse Schrifttum der Offenbarungsreligionen entstand im Verlauf mehrerer Jahrhunderte. Die ersten Schriften des Alten Testaments der Bibel entstanden etwa im 9. Jahrhundert v. Chr. Ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. wurden Schriften zu größeren Einheiten zusammengefügt, beginnend mit der Tora, den fünf Büchern Mose. Die zeitlich jüngsten Bücher entstanden erst im 2. Jahrhundert v. Chr. Der Umfang des Alten Testaments, wie es heute vorliegt, stand etwa um 100 n. Chr. fest.

Die Schriften des Neuen Testaments der Bibel entstanden etwa im Zeitraum zwischen 50 und 140 n. Chr. Um 140 n. Chr. lagen alle Schriften des späteren Neuen Testaments vor. Es wäre zu erwarten, dass schriftliche Aufzeichnungen über das Leben und Wirken Jesu Christi schon unmittelbar nach dessen Tod im Jahr 33 n. Chr. kursierten. Dass dies nicht der Fall ist, wird zuweilen damit begründet, dass seinerzeit mit der baldigen Wiederkunft Jesu Christi gerechnet wurde und es deshalb nicht als lohnend erschien, Leben und Wirken Jesu Christi noch zu dokumentieren.

Die bis heute älteste Bibelhandschrift der Welt datiert aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. Der 1844 von Friedrich Konstantin von Tischendorf im griechisch-orthodoxen Katharinenkloster auf der ägyptischen Sinai Halbinsel entdeckte Codex Sinaiticus wurde auf feinstem Pergament in Griechisch verfasst. Das Neue Testament der Bibel war vollständig und blieb in ausgezeichnetem Zustand erhalten.

Der Koran entstand in einem Zeitraum von knapp zwei Jahrzehnten. Die ersten Texte wurden noch zu Zeiten des Propheten Mohammed Anfang des 7. Jahrhunderts n. Chr. niedergeschrieben.

Unterschiedliche Interpretationen

Die Heiligen Schriften der Offenbarungsreligionen haben und werden keine Änderung mehr erfahren. In gewisser Weise werden somit Gottes-, Gesellschafts- und Rechtsbilder der Vergangenheit gewissermaßen für alle Zukunft konserviert. Interpretationen und Sichtweisen auf die Heiligen Schriften, wie beispielsweise in Katechismen (Handbücher der Unterweisung in den Grundfragen des christlichen Glaubens), können sich jedoch im Zeitverlauf durchaus ändern.

Zum Zeitpunkt der Entstehung der Heiligen Schriften herrschten in jeder Hinsicht völlig andere Bedingungen als heute, beispielsweise im Hinblick auf Gesellschafts- und Rechtsordnungen. Naturgemäß bilden die Texte des religiösen Schrifttums die Kultur und auch das Rechtsverständnis der damaligen Zeit ab. Manches mutet heute im westlichen Kulturkreis äußerst befremdlich an, so beispielsweise das Konzept der Sippenhaftung oder Sippenhaft. In der heutigen Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland ist eine Sippenhaftung nicht mit dem strafrechtlichen Schuldprinzip vereinbar. Auch die zivilrechtliche Verschuldenshaftung setzt eine persönliche Vorwerfbarkeit voraus. In anderen Teilen der Welt ist Sippenhaft jedoch durchaus auch heute noch im Rechtssystem verankert und wird praktiziert.

Die Heiligen Schriften betonen in erster Linie den Beziehungsaspekt zwischen Gott und Mensch. Da unterschiedliche Autoren mit teilweise unterschiedlichen Begrifflichkeiten zu ebenso unterschiedlichen Zeiten am Werk waren, ergibt sich bei aller Kohärenz dennoch zwangsläufig ein Interpretationsspielraum. In der Konsequenz entwickelten sich im Lauf der Geschichte unterschiedliche Glaubensgemeinschaften und ‑strömungen. So entstanden im Judentum in den letzten zwei Jahrhunderten v. Chr. die Strömungen der Pharisäer, Sadduzäer Essener, Zeloten usw. Im Christentum entwickelte sich zunächst die römisch-katholische Kirche, von der sich im Jahr 1054 n. Chr. die christlichen Ostkirchen abspalteten. Durch die Reformation des 16. Jahrhunderts entstand der Protestantismus. In den beiden letzten Jahrhunderten entstanden verschiedene Freikirchen und sonstige Glaubensgemeinschaften. Auch im Islam entstanden mehrere Glaubensströmungen. Als die beiden wichtigsten gelten das Sunniten- und Schiitentum.

Fundamentale Unterschiede

Während das Judentum keinen Katechismus kennt, ist im Christentum eine wahre Inflation an Katechismen festzustellen. Nahezu jede Konfession und Glaubensgemeinschaft besitzt einen eigenen Katechismus. Im Islam können die Hadithe (nach dem Koran die zweite Quelle der islamischen Normenlehre) als eine Art Katechismus des islamischen Glaubens verstanden werden. Die verschiedenen Katechismen unterscheiden sich teilweise fundamental. Es würde den Rahmen völlig sprengen, auf die Unterschiede näher einzugehen. Lediglich ein fundamentaler Unterschied, der wohl wichtigste, sei hier kurz angedeutet.

Das Judentum lehnt die Dreieinigkeit Gottes ab. Es sieht Jesus Christus nicht als Sohn Gottes an, da ein Mensch nach jüdischer Auffassung nicht göttlich sein kann. Der erwartete Messias ist ein Mensch, aber nicht Gott. Das Christentum kennt hingegen die Dreieinigkeit (Dreifaltigkeit), die Wesenseinheit dreier Personen: Gott, der Vater, Jesus Christus, der Sohn, und der Heilige Geist. Der Islam wiederum kennt nur einen Gott: Allah. Allah hat keinen Sohn. Im Islam ist Jesus ein Prophet.

Entweder hat Gott einen Sohn oder er hat keinen Sohn. Beides zugleich ist nicht möglich. In der Frage, wer Jesus Christus ist, unterscheiden sich die monotheistischen Offenbarungsreligionen somit fundamental.

Der Existenzprozess

Den Offenbarungsreligionen zufolge endet die Existenz des Menschen mit dem physischen Tod nicht, sondern setzt sich nach dem Übergang des individuellen Selbst vom intrauniversalen in den extrauniversalen Existenzraum, das Jenseits, fort.

Der extrauniversale Existenzraum ist, so lässt sich aus dem religiösen Schrifttum erschließen, im Unterschied zum intrauniversalen nicht an das Raum-Zeit-Kontinuum gebunden. Während der physische Körper nach dem Tod der Verwesung unterworfen ist, ist dieser im extrauniversalen Existenzraum durch einen Geistleib ersetzt.

Der Existenzprozess verläuft linear, ohne Zyklen und ohne Möglichkeit für Rücksprünge auf der Zeitachse. Aus einer „technischen“ Perspektive heraus wird versucht, diesen sehr überschaubaren Prozess allgemein zu beschreiben. Dass sich der Existenzprozess, wenn er auf eine bestimmte Religion projiziert wird, je nach Religion anders gestaltet, wird später noch deutlich.

Rollen

Für den Existenzprozess lassen sich abstrakte Rollen definieren, die im weitesten Sinne „Funktionen“ übernehmen. Eine Rolle ist mit Aufgaben und Verantwortungen verbunden. Jede Rolle ist für die Zwecke dieser Betrachtung mit einem Subjekt (verstanden als mit Bewusstsein ausgestattetes, denkendes, erkennendes, handelndes Wesen) verknüpft. Ein Subjekt kann mehrere Rollen übernehmen. Im Wesentlichen sind folgende Rollen beteiligt:

  • Das individuelle Selbst im intrauniversalen Existenzraum, dem Diesseits, in der Folge zu „ISI“ verkürzt,
  • Das individuelle Selbst im extrauniversalen Existenzraum, dem Jenseits, in der Folge zu „ISE“ verkürzt,
  • Richtungswahlinstanz (wählt durch die Lebensführung einen Bestimmungsort im extrauniversalen Existenzraum vor), in der Folge zu „RWI“ verkürzt,
  • Beurteilungsinstanz (beurteilt das im intrauniversalen Existenzraum gelebte Leben), in der Folge zu „BI“ verkürzt.

Als Beispiel übernimmt das Subjekt Max Mustermann während seines Erdenlebens die Rolle des „ISI“. Mit dem physischen Tod gibt er diese Rolle auf und übernimmt die Rolle des „ISE“. Max Mustermann übernimmt außerdem während seines Erdenlebens die Rolle des „RWI“, da er sein Leben (normalerweise) in eigener Souveränität nach freiem Willen gestalten kann.

Ereignisse

Im Existenzprozess treten diverse Ereignisse auf, die mit Auslösern verknüpft sind. Die für den Prozess wichtigen Ereignisse sind insbesondere:

  • Empfängnis, ausgelöst durch Verschmelzung von Spermium und Eizelle zu einer neuen Zelle (Zygote),
  • Entscheidung, ausgelöst durch eine individuell gewonnene Überzeugung,
  • Physischer Tod, ausgelöst durch eine irreversible Beendigung der Vitalfunktionen,
  • Urteil, ausgelöst durch eine Beurteilungsinstanz.

Zur Illustration wird das Beispiel wieder aufgegriffen. Max Mustermann erleidet einen Herzstillstand. Ärztliche Hilfe kommt zu spät. Er stirbt und erleidet den physischen Tod, da seine Vitalfunktionen irreversibel versagen. Im extrauniversalen Raum angelangt wird sein zurückliegendes Erdenleben von einer Beurteilungsinstanz (z. B. Gott) bewertet.

Das Ereignis der Empfängnis wird an dieser Stelle allgemein mit der Menschwerdung und der Entstehung des individuellen Selbst gleichgesetzt. Dies entspricht der allgemeinen Auffassung des Christentums. Im Judentum wird davon ausgegangen, dass der Embryo bis zum 40. Tag entsteht. Zwischen Empfängnis und diesem Zeitpunkt wird der Embryo als „Golem“ bezeichnet. Der Islam ist in der Frage, wann der Mensch zum Menschen wird, nicht eindeutig. Eine verbreitete Auffassung besagt, dass der Mensch erst vierzig Tage nach der Zeugung beseelt wird und diese Seele dem Menschen dann das eigentliche Leben verleiht. Eine weitere Auffassung geht von 120 Tagen aus und noch eine weitere setzt die Menschwerdung mit dem Ereignis der Empfängnis gleich.

Die fakultative Aktivität „Entscheidung“ wird als bewusste Entscheidung verstanden. Sie kann einerseits im Entschluss resultieren, eine bestimmte Glaubensüberzeugung im irdischen Leben umzusetzen, um die Voraussetzungen zum Zugang in das „Paradies“ zu erfüllen. Andererseits kann sie auch den bewussten Entschluss repräsentieren, sich jeglicher Glaubensüberzeugung zu verschließen.

Wird während des Erdenlebens keine bewusste Entscheidung getroffen, ist dies gleichbedeutend mit dem Ausdruck von Ignoranz und Gleichgültigkeit. Damit wird implizit Desinteresse hinsichtlich des Aufenthaltsorts im extrauniversalen Existenzraum erklärt.

Der Mensch übernimmt in jedem Fall die zuvor kurz skizzierte Rolle der „Richtungswahlinstanz“ („RWI“). Die Richtungswahl erfolgt entweder implizit oder explizit.

Aktivitäten

Aktivitäten verkörpern Handlungen, die – im Sinne dieser Betrachtung – von Rollen ausgeführt werden. Jede Rolle ist, wie bereits erwähnt, mit einem Subjekt verknüpft. Die wesentlichen Aktivitäten sind:

  • Zeugung,
  • Lebensgestaltung (irdisches Leben),
  • Übergang (ausgelöst durch den physischen Tod),
  • Beurteilung,
  • Leben im extrauniversalen Existenzraum, dem Jenseits.

Im Beispiel bewirken Max Mustermanns Eltern durch die Zeugung, dass neues Leben entsteht. Max Mustermann gestaltet sein Erdenleben im Einklang mit seiner geistig-seelischen Entwicklung (normalerweise) in eigener Verantwortung. Mit dem physischen Tod überschreitet er, bildlich gesprochen, die Schwelle vom intrauniversalen zum extrauniversalen Existenzraum. Als nächste Aktivität steht die Beurteilung des zurückliegenden Erdenlebens durch die Rolle „Beurteilungsinstanz“, verkörpert durch ein beurteilendes Subjekt, an.

Die hier allgemein als „Beurteilung“ bezeichnete Aktivität weist in den Heiligen Schriften der Offenbarungsreligionen einen völlig unterschiedlichen semantischen Gehalt auf. Entscheidend ist, welche Kriterien einer Beurteilung zugrunde gelegt werden und welche Folgen eine Beurteilung hat. Die Unterschiede werden später noch deutlich.

Zustände

Jede Aktivität führt zu einem bestimmten Zustand. Im Kontext des Existenzprozesses sind insbesondere folgende Zustände relevant:

  • Im intrauniversalen Existenzraum lebend,
  • Im extrauniversalen Existenzraum lebend, vor Lebensbeurteilung
  • Im extrauniversalen Existenzraum lebend, nach Lebensbeurteilung.

In der Weiterführung des Beispiels wechselt Max Mustermann mit dem physischen Tod und dem Übergang in den extrauniversalen Existenzraum vom Zustand „im intrauniversalen Existenzraum lebend“ in den Zustand „im extrauniversalen Existenzraum lebend, vor Lebensbeurteilung“. Nach der Lebensbeurteilung wechselt er in den Zustand „im extrauniversalen Existenzraum lebend, nach Lebensbeurteilung“.

Ich bin Dieter Jenz, Begleiter, Berater und Coach mit Leidenschaft. Über viele Jahre hinweg habe ich einen reichen Schatz an Kompetenz und Erfahrung erworben. Meine Themen sind die "4L": Lebensaufgabe, Lebensplanung, Lebensnavigation und Lebensqualität.