Gibt es ein Leben vor dem Leben? – Die Frage der PräexistenzLesezeit: 10 Min.

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Gibt es ein Leben vor dem Leben? Oder etwas anders formuliert: Existieren Menschen schon im extrauniversalen Existenzraum, dem Jenseits, bevor sie im intrauniversalen Existenzraum, dem Diesseits, geboren werden und ihr irdisches Leben beginnen? Und kehren sie dann mit dem biologischen Tod einfach wieder in das Jenseits zurück? Wird diese Frage bejaht, wäre in der Konsequenz das Jenseits die eigentliche Heimat.

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Was geschieht mit mir wenn ich sterbe - Gestaltung: privat

Dieser Beitrag ist Teil der Serie „Was geschieht mit mir wenn ich sterbe?
Grobes Inhaltsverzeichnis

Die Vorstellung einer vorgeburtlichen Existenz ist bereits vom Reinkarnationskonzept her bekannt. Dieses Konzept ist mit einem Reinkarnationsprozess verknüpft, demzufolge jedes Individuum eine unsterbliche Seele (ein unsterbliches individuelles Selbst) besitzt und sich im Diesseits wiederholt inkarniert. Der Präexistenzgedanke lässt sich auch mit einem linearen Existenzprozess vereinbaren. Dieser Prozess würde dann allerdings nicht, wie bereits dargestellt, mit der Empfängnis beginnen, sondern mit der Existenz im extrauniversalen Existenzraum, dem Jenseits.

Die Präexistenz hat keinen definierten Beginn. Wenn davon ausgegangen wird, dass der extrauniversale Existenzraum nicht an das Raum-Zeit-Kontinuum gebunden ist, dem der intrauniversale Existenzraum, das Diesseits, unterworfen ist, kann nicht von einem Beginn der Präexistenz gesprochen werden.

Schilderungen mit Präexistenzbezug

Im Zusammenhang mit Nahtoderfahrungen ziehen, Schilderungen zufolge, bei relativ wenigen Erwachsenen im Lebensrückblick Szenen aus ihrer vorgeburtlichen Existenz vorüber. Häufiger scheinen derartige Erlebnisse bei Kindern vorzukommen. Absolute Zahlen zu Häufigkeiten liegen jedoch nicht vor.

Anekdotische Schilderungen vorgeburtlicher Erlebnisse deuten darauf hin, dass Menschen ihre Existenz nicht erst mit der Empfängnis im intrauniversalen Existenzraum beginnen. Dies wäre außerdem ein Hinweis darauf, dass Menschen bereits vor ihrer Empfängnis im extrauniversalen Existenzraum existieren und sich entweder aufgrund eigener Entscheidung oder Entscheidung einer bestimmten Instanz inkarnieren. Dies hätte eine Migration eines individuellen Selbst – über den Weg von Empfängnis, Heranwachsen im Mutterleib und Geburt – in den intrauniversalen Existenzraum zur Folge.

Die Frage, wer die Entscheidung zur Inkarnation trifft, ist durchaus bedeutsam. Entweder trifft ein Individuum selbst, sie wird von einer übergeordneten Instanz (z. B. Gott) oder einvernehmlich von beiden getroffen. Eine klare Antwort auf diese Frage lässt sich aus vorliegenden Schilderungen nicht erschließen.

Begegnungen mit einem Verstorbenen und einem noch Ungeborenen

In „Wir waren im Himmel“ werden die Erinnerungen von Jan geschildert. Es lässt sich nicht erschließen, in welchem Alter Jan ihre Erinnerungen wiedergab. Ihre ersten Erinnerungen fasste sie so zusammen (S. 13 f.): „Als Kleinkind habe ich oft von meinem älteren und meinem jüngeren Bruder ‚geträumt‘. Mein älterer Bruder war vor seiner Geburt gestorben. Mein jüngerer Bruder war noch nicht empfangen worden. Als Kleinkind konnte ich gedanklich nicht begreifen, wo die beiden waren, wenn ich morgens erwachte. Bevor ich einschlief, sah ich meinen älteren Bruder John am Fußende meines Bettes. Und manchmal waren er und mein jüngerer Bruder bei mir, wenn ich schlief. Ich verbrachte so manchen Morgen damit, das gesamte Haus nach ihnen abzusuchen, und stellte Mom anschließend viele Fragen darüber, wo sie waren. Später fand ich heraus, dass Mom eine Fehlgeburt hatte, bevor meine ältere Schwester geboren wurde. Das Baby war ein Junge gewesen, den Sie ‚John‘ genannt hatten. Dies war eine Bestätigung für den, den ich gesehen hatte. Mir wurde erzählt, dass ich dieses ‚ärgerliche‘ Verhalten, nach meinen Brüdern zu suchen, mehrere Jahre beibehielt, bis mein kleiner Bruder dann tatsächlich empfangen und geboren wurde. Nachdem mein kleiner Bruder da war, hörte ich auf, danach zu fragen, wo John war. Danach kam John mir nicht mehr in den Sinn, obwohl er mich einige Male in meinen Träumen besuchte. John teilte mir mit, dass seine Aufgabe darin bestand, mich und meine Schwester zu beschützen. Er sagte, dass er dies in seiner geistigen und nicht in einer körperlichen Form tun müsse.“

Während das Erleben der Begegnungen mit dem verstorbenen älteren Bruder den Charakter eines Nachtodkontakts hat, der sich nicht als Halluzination erwies, lässt sich das Erleben der Begegnungen mit dem noch ungeborenen Bruder nur mit dessen Präexistenz erklären. Eine Begegnung wäre nicht möglich, wenn das individuelle Selbst des jüngeren Bruders im extrauniversalen Existenzraum, dem Jenseits, noch nicht existieren würde. Als Alternative bliebe lediglich, Jans Erfahrung für das Produkt ihrer Fantasie zu erklären und von Halluzinationen auszugehen.

Erinnerungen an „Zuhause“

Ebenfalls in „Wir waren im Himmel“ findet sich eine Schilderung von Marian (S. 53): „Ich war krank vor Heimweh und entsetzt darüber, wo ich mich wiederfand, nachdem ich geboren worden war. Ich hatte Erinnerungen daran, ‚zu Hause‘ zu sein, und wollte wieder dahin zurückkehren. Es war eine Welt in den Wolken, eine Welt, die frei von Angst war, einfach voller Liebe und Freude. Ich habe mich hier immer ‚anders‘ gefühlt. In sehr jungen Jahren begann ich, außerkörperliche Erfahrungen zu machen.“

Auch diese kurze Schilderung stellt einen direkten Bezug zu einer Präexistenz im Jenseits her. Leider lässt sich nicht erschließen, in welchem Alter Marian sein Erleben schilderte. Wäre es bekannt, ließen sich erkennen, wie lange seine Erinnerung anhielt.

Miterleben der eigenen Zeugung

Es mag als unglaublich erscheinen, wenn Kinder schildern, dass sie bei ihrer Zeugung anwesend gewesen seien. Wiederum in „Wir waren im Himmel“ wird diesbezüglich das Erleben von Marianthi geschildert (S. 158): „Ich wurde stark von der Vision und Lehre meiner eigenen Zeugung gelenkt, wo mir das sich vermischende Licht meiner Eltern gezeigt wurde. Das dabei gewonnene Verständnis zeigt mir, dass Menschen beim Sex viel von dem austauschen, was jeder von ihnen auf dem Grund seines Wesens ist, und wie jeder positiv wie negativ auf Weisen beeinflusst werden kann, die sie zu jenem Zeitpunkt noch nicht erkannten.“

Wenn ein Kind seine eigene Zeugung miterlebt, lässt sich daraus die Präexistenz des Individuums folgern, das im Mutterleib heranwächst und schließlich geboren wird. Der Autorin, P. M. H. Atwater, zufolge liegen weitere Schilderungen von Kindern vor, die ihre Zeugung miterlebten.

Auswirkungen auf das individuelle Selbst

Wird von einer Präexistenz des individuellen Selbst ausgegangen, stellt sich eine entscheidende Frage: Wie wird das individuelle Selbst durch den Existenzprozess im Diesseits beeinflusst? Dieser beginnt mit der Empfängnis und endet mit dem biologischen Tod.

Bekanntlich vererben Eltern nicht nur körperliche, sondern auch seelische Anlagen an ihr Kind. Auch Veranlagungen ihrer eigenen Vorgängergenerationen werden, wie Erkenntnisse der Epigenetik zeigen, an eine oder mehrere nachfolgende Generationen weitergegeben. Ein im Mutterleib heranwachsendes Kind trägt unbewusst auch in gewisser Weise die Erlebnisse der Vorgängergenerationen mit sich. Diese können, beispielsweise durch Gewalterlebnisse, Flucht, Vertreibung usw., sehr belastend sein.

Wenn der lineare Existenzprozess unterstellt wird, wäre zu vermuten, dass ein individuelles Selbst im extrauniversalen Existenzraum vor der Inkarnation eine von Liebe und Freude geprägte Umgebung erlebte. Die Schilderung Marians (s. o.) legt dies nahe. Durch die Geburt erfolgt der Eintritt in das diesseitige Leben. Bedingt durch die von den Eltern mitgegebenen Erbinformationen verändert sich das individuelle Selbst im Verlauf des diesseitigen Lebens.

Wird ein zyklischer Existenzprozess, dem Reinkarnationskonzept entsprechend, unterstellt, unterscheidet sich lediglich der Ausgangszustand. Das individuelle Selbst hat schon ein oder mehrere Reinkarnationen hinter sich und spiegelt den bis dahin erreichten „Entwicklungszustand“ wider.

Wäre im Diesseits die Erinnerung an die im Jenseits erlebte Existenz möglich, wäre eine Art „gespaltene Persönlichkeit“ die Folge. Wenn die Migration in den intrauniversalen Existenzraum als Abstieg, Verschlechterung oder gar Strafe empfunden würde, würde man sich vermutlich ständig nach dem Dasein im „perfekten“ Jenseits zurücksehnen. Sehr wahrscheinlich würde man die Existenz im Jenseits der im Diesseits vorziehen. Was läge in der Konsequenz näher als sein irdisches Leben durch Suizid selbst zu beenden? In ihrem Buch „Wir waren im Himmel“ erwähnt P. M. H. Atwater Ergebnisse ihrer mit 120 Personen durchgeführten Untersuchung (S. 74). Dieser zufolge neigten 74 % der teilnehmenden Personen zum Suizid (im Vergleich wird in der Bundesrepublik Deutschland bei etwa 1,1 % aller Todesfälle Suizid als Ursache amtlich festgestellt; zur Suizidneigung liegt keine Zahl vor). Wird ein Suizid jedoch nicht als Möglichkeit zur frühzeitigen Rückkehr ins „perfekte“ Jenseits gesehen, bleibt die Diskrepanz zwischen dem Dasein im Jenseits und dem im Diesseits unterschwellig stets bewusst.

Wird nach der Inkarnation im Diesseits ein „Schleier des Vergessens“ über die Existenz im Jenseits gestülpt, wird die Möglichkeit eröffnet, sich ganz dem diesseitigen Leben mit allen seinen Aufgaben zu widmen. Dazu zählen beispielsweise das Erkennen des individuellen Lebenssinns, das Erwerben von Weisheit und das Entwickeln von positiven Charaktereigenschaften (menschenfreundlich, vergebungsbereit, hilfsbereit usw.).

Verbindung zur vorgeburtlichen Existenz

Das Erleben einer Nahtoderfahrung könnte die Verbindung zur vorgeburtlichen Existenz wieder herstellen. Es wird ein kurzer Einblick über die Grenze in den extrauniversalen Existenzraum, in dem Zeit keine Rolle spielt, gewährt. Insofern liegt auch der Blick auf die vorgeburtliche Existenz frei. Des Weiteren wird möglicherweise auch der Bezug zum Sinn, weshalb die Inkarnation im Diesseits erfolgte, (wieder) hergestellt und es wird erkennbar, dass die Inkarnation nicht aus reinem Zufall erfolgte.

Mit dem biologischen Tod tritt das individuelle Selbst gewissermaßen die Heimreise an. Wenn die Grenze endgültig überschritten wird, fällt, bildlich ausgedrückt, der  „Schleier des Vergessens“. Insofern war die Präexistenz lediglich vorübergehend, für die Zeit des irdischen Lebens, von einem „blickdichten“ Schleier verborgen.

Anekdotische Schilderungen anderer Phänomene, Sterbebettvisionen und Nachtodkontakte, könnten ebenfalls Hinweise auf eine Präexistenz beisteuern. Bei Sterbebettvisionen stehen Menschen schon vor oder unmittelbar auf der Schwelle des physischen Todes. In der Begegnung mit bereits Verstorbenen steht das „abgeholt werden“ im Vordergrund. Sterbende befinden sich noch immer vor der Grenze zum extrauniversalen Existenzraum. Insofern verwundert nicht, wenn in einschlägigen Schilderungen keine Hinweise auf eine vorgeburtliche Existenz zu finden sind.

Es wäre durchaus denkbar, dass Verstorbene bei Nachtodkontakten einen Bezug zu ihrer eigenen Präexistenz herstellen. Allerdings liegen auch hierzu keine Schilderungen vor. Vor dem Hintergrund, dass Verstorbene in erster Linie ihnen emotional nahestehende Personen trösten möchten, ist dies nachvollziehbar.

Folgerungen

Vom medizinischen Standpunkt aus gesehen ist die Erinnerung an eine vorgeburtliche Existenz völlig ausgeschlossen. Wie bereits im Zusammenhang mit dem Reinkarnationskonzept dargelegt, sind bei einem Fötus Gehirnaktivitäten erst ab etwa der Mitte der Schwangerschaft messbar. Selbst wenn Gehirnaktivitäten ab dem ersten Schwangerschaftsmonat messbar wären – nach dem aktuellen Erkenntnisstand der Neurowissenschaften ist es völlig unmöglich, dass sich ein Mensch an das Ereignis seiner Zeugung geschweige denn an vorhergehende Ereignisse erinnern kann.

Unter diesem Vorzeichen ist eine Erinnerung an eine vorgeburtliche Existenz nur dann überhaupt denkbar, wenn von einem nichtlokalen individuellen Selbst ausgegangen wird. Wird zugrunde gelegt, dass jedes Individuum ein nichtlokales individuelles Selbst mit einem ebenso nichtlokalen Gedächtnis „verkörpert“, wird ein linearer Existenzprozess denkbar. Dieser ist allerdings nur noch auf den ersten Blick ein linearer Prozess. Im zeitlosen Raum gibt es weder Anfang noch Ende. Die Existenz im intrauniversalen Existenzraum, dem Diesseits, stellt, bildlich gesprochen, eine Art „Ausbuchtung“ dar.

Die Vorstellung, dass Menschen bereits vor ihrer Empfängnis im Diesseits in einem extrauniversalen Existenzraum „leben“, kollidiert mit den Existenzkonzepten der Offenbarungsreligionen (Judentum, Christentum, Islam), dies jedoch auch nur auf den ersten Blick. Im Schrifttum der Offenbarungsreligionen findet sich kein Hinweis auf eine Präexistenz. Ein fehlender Hinweis ist nach den Gesetzen der Logik kein Beweis, dass es Ungenanntes nicht gibt.

Schöpfungsnarrative der Offenbarungsreligionen würden durch das Postulat einer Präexistenz keineswegs invalidiert. Sie gewönnen allerdings einen anderen Bedeutungsinhalt. Bezogen auf das Diesseits markieren sie nicht mehr den absoluten, sondern den relativen Anfang der Menschheitsgeschichte.

Wird von einer Präexistenz ausgegangen, hat der biologische Tod den Charakter einer Heimkehr in den Existenzraum, den man vorübergehend verließ. Man migrierte aus dem zeitlosen Raum in einen zeitgebundenen und kehrt aus diesem wieder zurück in die eigentliche Heimat. Das unsterbliche individuelle Selbst bildet die Verbindung. Es blieb und bleibt in beiden Existenzräumen, im Jenseits wie im Diesseits, stets erhalten.

Ich bin Dieter Jenz, Begleiter, Berater und Coach mit Leidenschaft. Über viele Jahre hinweg habe ich einen reichen Schatz an Kompetenz und Erfahrung erworben. Meine Themen sind die "4L": Lebensaufgabe, Lebensplanung, Lebensnavigation und Lebensqualität.