Sind Gebete wirksam? Diese Frage stellen sich viele Menschen, insbesondere jene, die einer Religion angehören. Gebet bedeutet vom Menschen ausgehende Kommunikation, die mit der Erwartung auf Gehör und ggf. eine Reaktion verbunden ist.
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Dieser Beitrag ist Teil der Serie „Was geschieht mit mir wenn ich sterbe?“
Grobes Inhaltsverzeichnis
Die monotheistischen Offenbarungsreligionen (Judentum, Christentum, Islam) postulieren einen Gott, der als übernatürliches Wesen, Schöpfer des Universums und allen Lebens offenbart wird. Für die Menschen unsichtbar lebt er in einem extrauniversalen Existenzraum, der landläufig als „Himmel“ bezeichnet wird. Dort, in der „Himmelswelt“, existieren außerdem Geistwesen (Engel, Dämonen).
Kommunikation ist der Normalfall
Neben seiner Eigenschaft als Schöpfer wird Gott in allen Offenbarungsreligionen auch Empfänglichkeit für menschliche Bitten zugeschrieben. Diese Bitten können sowohl im rituellen Gebet in allgemeiner Form als auch im Rahmen des individuellen Gebets vorgetragen werden. Als Gebet wird eine verbale oder nonverbale Zuwendung zu einem Gott bzw. einer Gottheit verstanden.
Im Judentum ist das rituelle Gebet sehr stark verankert. Zum täglichen Gebet gehören für religiöse Juden – Männer wie Frauen – drei Gebete: das Morgen-, das Nachmittags- und das Abendgebet. Gebete sind fester Teil des Alltags. Das individuelle, auch in freier Wortwahl formulierte Bittgebet tritt allerdings keineswegs in den Hintergrund. Im Alten Testament der Bibel finden sich viele individuelle Gebete, insbesondere im Buch der Psalmen.
Im Neuen Testament der Bibel, Grundlage für das Christentum und dessen Ausbreitung, wird dem Gebet ein hoher Stellenwert zugewiesen. Besonders bekannt ist das im Matthäus-Evangelium (Kap. 6,9–13) und im Lukas-Evangelium (Kap. 11,2–4) genannte „Vaterunser“. Die vom Evangelisten Lukas überlieferte Version wird meist als die ursprünglichere Version angesehen.
Zum individuellen Bittgebet wird im Neuen Testament geradezu ermuntert. Dies kommt insbesondere in folgender Passage des Matthäus-Evangeliums zum Ausdruck: „Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet. Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet. Oder ist einer unter euch, der seinem Sohn einen Stein gibt, wenn er um Brot bittet, oder eine Schlange, wenn er um einen Fisch bittet? Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wie viel mehr wird euer Vater im Himmel denen Gutes geben, die ihn bitten.“ (Kap. 7,7-11).
Der Islam kennt neben den Ritualgebeten, die zu festgelegten Zeiten vorgeschrieben sind, auch das individuelle Bitt- oder Dankgebet. Die Wortwahl ist dem Betenden selbst überlassen. Im Koran sagt Allah über sich selbst: „Ich erhöre die Bitte des Bittenden, wenn er mich bittet“ (Sure 2:186).
Was liegt unter diesem Vorzeichen der Ansprechbarkeit Gottes näher als mit Gott Kontakt aufzunehmen und ihm seine persönlichen Anliegen vorzutragen? Immer wieder geraten Menschen in Not und Bedrängnis und sehen keinen anderen Ausweg mehr als eine göttliche Intervention. Andererseits sehen viele Menschen ihr Wohlergehen nicht als eigenes Verdienst und wenden sich mit Dankbarkeit an Gott. Dieses Vorbringen von Dank und/oder Bitten – überhaupt all dessen, was Menschen „auf dem Herzen liegt“ -, mit dem Begriff „Gebet“ zusammengefasst, konstituiert eine unidirektionale Kommunikation des Menschen mit Gott.
Neben dem Bittgebet (für sich selbst) und dem Dankgebet (Dank für etwas Erlebtes oder Erfahrenes) lassen sich noch weitere Gebetsarten benennen: Fürbittegebet (Bitte für andere), Klagegebet (Klage über Verhältnisse), Bußgebet (Bitte um Vergebung), Lobpreisgebet (für die Schöpfung, an den Schöpfer), und Stoßgebet (kurzes, prägnantes Gebet in einer akuten Notlage). Mit all diesen Gebetsarten kann der Mensch mit Gott in Kontakt treten und sich ihm gegenüber individuell ausdrücken.
Beim Gebet geht die Aktivität vom Menschen aus. Der Mensch wird initiativ und tritt mit Gott in Kontakt. Bei manchen Gebetsarten (insbesondere Bittgebet, Fürbittegebet und Stoßgebet) beinhaltet das Gebet die Erwartung eine Reaktion Gottes. Diese Reaktion kann direkt oder über Geistwesen als Folge einer Beauftragung von Gott geschehen.
Bittgebete in Notlagen
Gerade wenn sich ein Mensch in einer Bedrängnis oder gar Notlage befindet, liegt es nahe, sich mit Hilfe des Gebets an Gott zu wenden. Inhalt des Gebets mag beispielsweise die Bitte um Heilung von einer lebensbedrohlichen Krankheit, um Heilung zwischenmenschlicher Beziehungen oder um Abwendung einer akuten oder akut bevorstehenden Notlage sein.
In Vergangenheit und Gegenwart wurde und wird immer wieder von der Erhörung von Gebeten berichtet. Insbesondere an Wallfahrtsorten, wie beispielsweise Fatima und Lourdes, werden Gebetserhörungen mit Danktafeln bezeugt. Darüber hinaus werden in der Literatur und in anderen öffentlichen Quellen Gott zugeschriebene Reaktionen auf Gebete geschildert. Eine der besonders beeindruckenden Schilderungen, die Rettung aus einem Sumpfgebiet als Reaktion auf das Gebet eines Soldaten, findet sich im Beitrag „Können sich Geistwesen materialisieren?“. Demgegenüber stehen jedoch auch viele Enttäuschungen als Reaktion auf unerhörte Gebete, dies zumindest nach Auffassung der Betenden.
Es darf davon ausgegangen werden, dass in vergangenen Notzeiten viele Bittgebete an Gott gerichtet wurden. Zu denken wäre beispielsweise an die Zeit der sogenannten Jahrtausenddürre im Jahr 1540, während der es historischen Aufzeichnungen zufolge etwa elf Monate lang in großen Teilen Europas nur spärlich oder so gut wie überhaupt nicht regnete. In einem Beitrag in „Spektrum der Wissenschaft“ werden die Nöte dieser Zeit skizziert: „Der Juli brachte eine solche fürchterliche Gluthitze, dass die Kirchen Bittgebete aussandten, während Rhein, Elbe und Seine trockenen Fußes durchwatet werden konnten. Dort, wo noch Wasser floss, färbte sich die warme Brühe grün, Fische trieben darin kieloben. Der Bodenseepegel sank auf Rekordniveau, Lindau war sogar mit dem Festland verbunden. Bald verdunstete das Oberflächenwasser vollständig, die Böden platzten auf, manche Trockenrisse waren so groß, dass ein Fuß darin Platz fand.“ Die Auswirkungen gingen sogar so weit, dass Wein mancherorts billiger war als Wasser. Erst im Dezember 1540 fand diese Periode extremer Dürre, die mit Hunger und Krankheit einherging, ihr Ende.
Zu denken wäre auch an die Zeit des NS-Regimes und des Zweiten Weltkriegs, unter der Millionen Menschen zu leiden hatten. Wahrscheinlich beteten viele Menschen für einen Sturz des NS-Regimes, der aber bis Kriegsende nicht eintrat. Öffentliche Gebete für einen Regierungswechsel oder eine Beendigung des Krieges waren aufgrund der Unterdrückungsmaßnahmen des Regimes nicht möglich. Gleichwohl beteten wahrscheinlich sehr viele Menschen in privatem Rahmen oder in geschützten Kleingruppen für solche Anliegen. Diese Gebete wurden offensichtlich nicht erhört.
Eine Aufzählung der in der Vergangenheit durchlebten Zeiten schwerer Not würde sehr lang. Auch in der Gegenwart werden nahezu täglich Meldungen über Naturkatastrophen, Ernteausfälle, Krankheiten usw. verbreitet. Viele Menschen beten für eine Befreiung von akuten Nöten. Doch viele Gebete scheinen unerhört zu bleiben.
Den von Medien verbreiteten Meldungen zu Notlagen aller Art stehen Notlagen gegenüber, die von einzelnen Menschen, Familien oder kleinen Gruppen erlebt werden und keine mediale Aufmerksamkeit finden. Vielleicht ist ein Kind zu früh geboren und die Ärzte kämpfen um sein Leben. Vielleicht ging die Arbeitsstelle und mit ihr die Einkommensquelle verloren; man sieht aus Altersgründen keine Möglichkeit mehr, wieder eine adäquate Stelle zu finden, und man weiß nicht, wie man künftig finanziell „über die Runden kommen“ soll. Oder vielleicht ist man an einer lebensbedrohlichen Krankheit erkrankt und hofft auf Heilung.
Es wird gebetet, oft sehr intensiv. Trotzdem scheint das Gebet nicht erhört zu werden. Das frühgeborene Kind stirbt, eine neue Arbeitsstelle lässt sich nicht finden, die lebensbedrohliche Krankheit schreitet voran. Der Eindruck entsteht: „Ich habe um etwas gebeten und habe anstatt Brot eben doch einen Stein bekommen“ (in Anlehnung an die zuvor zitierte Passage aus dem Matthäus-Evangelium).
Wissenschaftliche Untersuchung der Wirksamkeit von Gebeten
Es verwundert kaum, dass die Wirksamkeit des Gebets infrage gestellt wurde und wird. Um die Wirksamkeit von Gebeten näher zu untersuchen, wurde eine wissenschaftlich fundierte Studie durchgeführt, deren Ergebnisse im Jahr 2006 unter dem Titel „Study of the Therapeutic Effects of Intercessory Prayer“ (deutsch: „Studie über die therapeutischen Wirkungen des Fürbittgebetes“) veröffentlicht wurden.
Der Zweck der mit der Kurzbezeichnung „STEP“ versehenen Studie bestand darin, zu untersuchen, welchen Nutzen Gebete für Patienten nach einer Bypass-Operation an der Koronararterie haben. An der Studie nahmen insgesamt 1802 Patienten an sechs US-amerikanischen Kliniken teil. Leiter der Studie war Professor Herbert Benson, Kardiologe an der Harvard-Universität in Boston.
Die Patienten wurden nach dem Zufallsprinzip einer von drei Gruppen zugeordnet. Den Patienten der Gruppen 1 und 2 wurde mitgeteilt, dass möglicherweise für sie gebetet würde. Tatsächlich wurde nur für die Patienten der Gruppe 1 gebetet. Patienten der Gruppe 3 wurden darüber informiert, dass für sie gebetet würde, und dies geschah auch.
Dem Konzept der Studie zufolge sprachen die Patienten die Gebete nicht selbst. Vielmehr wurden die Gebete von anderen Menschen für Patienten gesprochen. Weitere Rahmenbedingung für die Durchführung der Studie war, dass Betende und Patienten einander nicht kennen durften.
Den Betenden, Katholiken und Mitglieder der New Thought Church Silent Unity, wurden nur Vor- und Nachnamen der Patienten mitgeteilt. Fotos der Patienten erhielten sie nicht. Die Gebetsmethode wurde teilweise standardisiert. Die Betenden durften auf die ihnen jeweils eigene Art und Weise beten. Sie wurden jedoch angewiesen, einen bestimmten Satz in ihre Gebete mit einzuschließen, der sich so übersetzen lässt: „für eine erfolgreiche Operation mit einer schnellen, guten Genesung und ohne Komplikationen“.
Die Gebete begannen am Vorabend des Operationstags und dauerten zwei Wochen an. Als primäres Kriterium für die Beurteilung der Wirksamkeit der Gebete galt, ob innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen nach der Operation Komplikationen aufgetreten waren.
Ergebnisse der Studie
Die Auswertung ergab, dass bei 52 % der Patienten, für die gebetet wurde (Gruppe 1) Komplikationen bei der Operation auftraten. Bei den Patienten der Gruppe 2, für die nicht gebetet wurde, traten bei 51 % der Patienten Komplikationen auf. Bei Patienten der Gruppe 3, denen im Unterschied zu den Patienten der beiden anderen Gruppen bekannt war, dass für sie gebetet wurde, traten in 59 % der Fälle Komplikationen auf. Der höhere Anteil an Patienten mit Komplikationen in Gruppe 3 führte zu der Vermutung, dass die Zusage des unterstützenden Gebets bei diesen Patienten Unruhe auslöste, etwa so: „Ist es bei mir so schlimm, dass für mich gebetet werden muss?“.
Aus den Ergebnissen dieser wissenschaftlich fundierten Studie lässt sich schließen, dass die wenigsten Komplikationen bei Patienten auftraten, für die nicht gebetet wurde und die auch keine Kenntnis von ihrer Beteiligung an der Studie hatten. Lässt sich im Weiteren folgern, dass für kranke Menschen nicht gebetet werden sollte? Sollten die Menschen, für die dennoch gebetet wird, wenigstens davon nicht informiert werden?
Skepsis und Kritik
Wie nicht anders zu erwarten stießen die Ergebnisse dieser weltweit beachteten Studie auf Skepsis. Schließlich wurde die Intensität, mit der die Gebete gesprochen wurden, nicht berücksichtigt und ebenso wenig die Glaubensstärke der Betenden. Das „mechanische“ Beten genügte offenkundig.
Dem Konzept der Studie lag das mechanistische Ursache-Wirkung-Prinzip zugrunde: Einer bestimmten Ursache (in diesem Fall das Gebet) folgt wiederholbar ein bestimmtes Ergebnis (eine Operation ohne Komplikationen im Beobachtungszeitraum). Wenn postuliert werden kann, dass bestimmte Gebete stets zu bestimmten Wirkungen führen, ist Gott in der Konsequenz in seinem Handeln nicht mehr frei. Gott wäre gewissermaßen zu einem Automaten degradiert. Er wäre nicht allmächtig.
Neben der STEP-Studie sind einige weitere Studien bekannt, die ebenfalls das Ziel verfolgten, die Wirksamkeit von Gebeten zu ergründen. Grundsätzlich muss allerdings die Frage gestellt werden, ob es überhaupt möglich ist, dieses Ziel zu erreichen. Ein Gott als von Menschen bedienbarer „Automat“ lässt sich prinzipiell nicht mit dem Geist der Bibel und den Aussagen Gottes über sich selbst vereinbaren.
Eine Beziehungsreligion, zu der auch Judentum und Christentum zählen, setzt zudem Akzente, die sich mit dem mechanistischen Ursache-Wirkung-Prinzip nicht vereinbaren lassen. In der möglichen Beziehung zwischen Gott und Mensch verfügt jeder der beteiligten Partner über einen freien Willen. Der Mensch ist zum Gebet nicht gezwungen. Es liegt an ihm, ob er die Beziehung zu Gott sucht und wie er sie von seiner Seite aus gestaltet. Ebenso ist Gott in seiner Gestaltung der Beziehung frei. In der Konsequenz ist der Betende keine „Gebetsmaschine“ und Gott keine „Erhörungs- oder Erfüllungsmaschine“. Teresa von Avila (1515-1582), Nonne und Mystikerin, drückte den Beziehungsaspekt beispielhaft aus: „Ein Gebet, bei dem man nicht bedenkt, mit wem man redet, um was man bittet, wer der ist, der bittet, und wer derjenige, zu dem man betet, nenne ich gar nicht Gebet, wie geschäftig man auch dabei die Lippen bewegt.“