Wurde das Universum und alles Leben von Gott erschaffen? Gibt es eine einfache Antwort? Oder stößt man auf viele Widersprüche?
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Dieser Beitrag ist Teil der Serie „Was geschieht mit mir wenn ich sterbe?“
Grobes Inhaltsverzeichnis
Die Frage nach dem Ursprung des beobachtbaren Universums und allen Lebens auf unserem Heimatplaneten Erde sind Fragen, die sich wohl jeder Mensch schon früh im Leben stellt und die auch das Leben begleiten. Die verschiedenen Religionen versuchen, diese Fragen entsprechend ihrer jeweiligen Tradition zu beantworten.
Aus der Perspektive der geschichtlichen Entwicklung betrachtet konnten Narrative des Ursprungs von beobachtbarem Universum und allem Leben zunächst nur mündlich von Generation zu Generation weitergegeben werden. Erst mit der Etablierung von Schriftsystemen und der breiteren Verfügbarkeit von länger haltbaren Schriftträgern konnten mündliche Überlieferungen dauerhaft schriftlich festgehalten werden. Dies war erst im 4. Jahrtausend v. Chr. möglich. Die sehr wahrscheinlich ältesten Schriftfunde stammen von dem Fundort Uruk (Mesopotamien) aus Abfallschichten unter der sogenannten Uruk-III-Schicht. Sie werden in das 4. Jahrtausend v. Chr. datiert.
Von den religiösen Überlieferungen, insbesondere von den vor der Zeitenwende entstandenen, kann aufgrund von deren Entstehungsgeschichte nicht erwartet werden, einen Abriss der Weltgeschichte zu vermitteln. Noch weniger kann eine überzeugende naturwissenschaftliche Erklärung zu den Grundfragen nach der Existenz des Universums, der Herkunft des Menschen usw. erwartet werden. Überlieferungen mussten auch relativ kurz und einprägsam gehalten werden. Vielmehr scheint bei diesen Überlieferungen eine Art ethische Botschaft im Vordergrund zu stehen.
Die religiösen Überlieferungen der fünf großen Weltreligionen unterscheiden sich in ihren Welt- und Menschenbildern nicht nur fundamental, sondern sie widersprechen sich auch. Die sogenannten Erfahrungsreligionen (Hinduismus, Buddhismus) positionieren sich völlig anders als die sogenannten Offenbarungsreligionen (Judentum, Christentum, Islam). Während Hinduismus und Buddhismus ein zyklisches Existenzkonzept vertreten, basieren Judentum, Christentum und Islam auf dem Konzept einer einmaligen, von einem Gott bewerkstelligten Schöpfung von Universum und Leben.
Datierungsprobleme – eine mögliche Lösung
Sämtliche Überlieferungen enthalten sich einer Zeitangabe hinsichtlich des Alters des beobachtbaren Universums einschließlich der Erde. Die Schriften der Offenbarungsreligionen weisen auf einen Schöpfungsakt eines Gottes hin, der zeitlich nicht direkt bestimmt wird. Der hebräische Tanach ermöglicht jedoch auf Basis der linearen Genealogie von Adam bis Noah (Genesis 5,1-32) und weiterer Genealogien (u. a. Genesis 10) eine indirekte Zeitbestimmung. Im Neuen Testament der Bibel gibt das Geschlechtsregister Jesu Christi (Matth. 1) weitere Hinweise. Dadurch werden Schöpfungszeitpunkt und wichtige weltgeschichtliche Ereignisse, wie insbesondere die Sintflut, zeitlich annähernd berechenbar.
Durch diese Berechenbarkeit macht sich die Bibel angreifbar. Hätte sie sich, wie beispielsweise der Buddhismus, jeglicher Zeitabgaben enthalten, hätte sie dieses Dilemma umschifft. Insofern bleibt die Frage, wie sich Erkenntnisse der Planetologie zum Alter des Universums und auch zum Alter unseres Heimatplanten Erde mit dem Narrativ der biblischen Schöpfungsgeschichte vereinbaren lassen.
Allerdings ist der Einwand möglich, dass nach hebräischem Verständnis die Aussage „A zeugte B“ bedeuten kann, dass A eine Generationenlinie hervorbrachte, in der später B vorkam (siehe Ludwig Neidhart, Chronologie des Alten Testaments, S. 84). Der Begriff „Vater“ hat die Bedeutung von „Vorfahre“. In der Konsequenz sind Lücken in Generationenlisten möglich. Auch im Matthäus-Evangelium wird von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Dort ist zu lesen, dass Joram Usija (Asarja) zeugte. Allerdings zeugte Joram Usija nicht direkt, sondern die „Zeugungslinie“ verlief über Ahasja, Joasch und Amazja. Usija war also nicht der Sohn Jorams, sondern dessen Urenkel. Dennoch ist nach hebräischem Verständnis die Aussage „Joram zeugte Usija“ korrekt. Matthäus erklärte (Matth. 1,17): „Im Ganzen sind es also von Abraham bis David vierzehn Generationen, von David bis zur Babylonischen Gefangenschaft vierzehn Generationen und von der Babylonischen Gefangenschaft bis zu Christus vierzehn Generationen.“ Diese Aussage ist faktisch falsch, nach hebräischem Verständnis jedoch durchaus keine „Schummelei“. Der Verfasser bezog sich wohl auf nennenswerte Geschlechter, nicht aber auf faktische Geschlechter.
Dass in den biblischen Geschlechterfolgen faktische Lücken auftauchen ist im Tanach kein Einzelfall. Wird der Deutungslinie gefolgt, dass zuweilen nicht nennenswerte Geschlechter ausgelassen worden sein können, ergeben sich zwangsläufig Unschärfen, wenn kein intrabiblischer Vergleich möglich ist. Dies ist beispielsweise bei der Geschlechterfolge von Adam bis Noah der Fall. Es gibt dafür nur eine Quelle im Tanach. In der Konsequenz können beliebig viele weitere Geschlechter zwischen Adam und Noah ungenannt geblieben sein. Dies ließe es beispielsweise theoretisch sogar möglich erscheinen, dass Adam schon mehrere hunderttausend Jahre v. Chr. lebte.
Wenn angenommen wird, dass Adam tatsächlich schon sehr viel früher lebte, ergäbe sich eine unbekannte Zahl von Generationen zwischen Adam und Noah. Bei weiterer vereinfachter Annahme, dass jede Generation 500 Jahre währte, resultierte daraus eine Geschlechterfolge mit wahrscheinlich weit mehr als 100 Gliedern. Es wäre verständlich, dass die mündliche Überlieferung überfordert wäre, zumal die Menschen sich geografisch in verschiedene Gebiete ausbreiteten und damit zwangsläufig mangels schriftlicher Aufzeichnungen irgendwann auch der Gesamtüberblick verloren gehen musste. Dass im Tanach zwischen Adam und Noah nur 8 nennenswerte Geschlechter genannt wurden, erscheint vor diesem Hintergrund nachvollziehbar.
Unter der Prämisse, dass auch die Sintflut sehr viel früher stattfand, ließe sich über die Genetik annähernd erschließen, wann Noah lebte. Noah wäre der gemeinsame Stammvater aller zu einem bestimmten Zeitpunkt lebenden Männer. Die Y-Chromosomen aller nach ihm lebenden Männer stammen von ihm ab. In einem in der Fachzeitschrift „Science“ erschienenen Beitrag wurde postuliert, dass der „Adam des Y-Chromosoms“ (eigentlich „Noah des Y-Chromosoms“) vor etwa 120 000 bis 156 000 Jahren lebte. Die Sintflut hätte also in diesem Zeitraum stattgefunden.
Das genetische Gegenstück des „Adam des Y-Chromosoms“ ist die „mitochondriale Eva“, eine Frau, aus deren mitochondrialer DNA die mitochondriale DNA aller heute lebenden Menschen durch eine direkte Abstammungslinie hervorging. Nach dem in „Science“ erschienenen Beitrag (siehe oben) lebte die „Urmutter“ vor etwa 99 000 bis 148 000 Jahren.
Wird unterstellt, dass die Schöpfung schon sehr viel früher erfolgte, lassen sich Schöpfungsnarrative sehr viel leichter mit den aktuellen Erkenntnissen der Wissenschaft (z. B. Genetik) vereinbaren. Darüber hinaus wird auch nachvollziehbar, weshalb sich der Polytheismus verbreiten und dominant werden konnte. Dass sich über einen langen Zeitraum hinweg (möglicherweise mehr als 100 000 Jahre) und bedingt durch die geografische Ausbreitung der Menschen das „Wissen“ über den Schöpfergott, zumindest in manchen Gebieten der Erde, stetig verlor, erscheint sogar als nahezu zwingend.
Der genaue Zeitpunkt der Erschaffung des Universums und des Lebens muss unbestimmt bleiben. Schließlich ist unbekannt, wie viele Geschlechter zwischen Adam und Noah ausgelassen wurden. Im Prinzip kann jede genannte Person für ein ganzes Zeitalter der Menschheitsgeschichte stehen. Eine wirklich fundierte Chronologie ist über Abraham, dem Stammvater Israels, hinaus nicht möglich. Die Menschheitsgeschichte vor Abraham (etwa 1900 v. Chr.) muss – aus der Perspektive des Tanach – im Dunkeln bleiben.
Gottebenbildlichkeit kontra Evolutionsbiologie
Auch die im hebräischen Tanach explizit deklarierte Gottebenbildlichkeit des Menschen steht im Widerspruch zu den Erkenntnissen der Evolutionsbiologie. Diese betrachtet den Menschen, gemeinsam mit Gorillas, Orang-Utans und Schimpansen, als der Familie der Menschenaffen (Hominiden) zugehörig. Nach dem Schöpfungsnarrativ erschuf Gott zwar Tiere und Menschen an demselben Schöpfungstag, jedoch zeitlich voneinander getrennt.
Die Schöpfungsnarrative der Weltreligionen sind im Verhältnis zum Gesamtumfang der Schriften relativ kurzgehalten. Dies lässt darauf schließen, dass es den Autoren nicht wichtig war, schöpfungs- und/oder entwicklungsgeschichtliche Sachverhalte darzulegen. Wie bereits angedeutet, stand eine Art ethische Botschaft im Vordergrund, die sich auch mit dem Sinn einer Schöpfung oder eines Werdens vereinbaren lässt.
Das im Buch Genesis zu findende biblische Schöpfungsnarrativ lässt den Schluss zu, dass Gott das beobachtbare Universum ursprünglich als einen Lebensraum von Menschen und allen weiteren Lebewesen ansah, in dem auch Gott präsent war. Gott übergab den geschaffenen Lebensraum den Menschen zur Entwicklung und Pflege. Gott als Schöpfer und Herrscher und die geschaffenen Wesen bildeten eine Art Urgemeinschaft.
Im Judentum wie im Christentum ist das Konzept der „Gottebenbildlichkeit“ von zentraler Bedeutung. Nach dem im Tanach, der hebräischen Bibel, im Hinblick auf den Menschen geschilderten Schöpfungsgeschehen Gottes (Genesis 1,27), wird der Mensch als Ebenbild Gottes gesehen. Diese Vorstellung gilt auch für das Christentum. Im Islam wird dem Menschen die Gottebenbildlichkeit hingegen nicht zugesprochen.
In der Bibelwissenschaft bestehen unterschiedliche Auffassungen zur Semantik des Begriffs „Gottebenbildlichkeit“. Was ist wirklich gemeint? Ist das Wesen im Verhältnis von Gott und Mensch gemeint? Ist die Gott-Mensch-Beziehung gemeint? Oder geht es um eine funktionale Aussage? Zu den vielerlei Deutungsansätzen zählt beispielsweise die, dass die Gottebenbildlichkeit dem Menschen die Fähigkeit zur Erkenntnis von Gut und Böse sowie die Möglichkeit zum ethischen Leben verleiht. Ein weiterer Ansatz sieht die Gottebenbildlichkeit als theologische Begründung der Menschenwürde. Schließlich ist auch eine funktional orientierte Deutung verbreitet, die den Menschen als Repräsentanten Gottes und seinen ihm verantwortlichen Stellvertreter in der geschaffenen Welt sieht. Die Deutungen des Begriffs veränderten sich im Lauf der Geschichte immer wieder.
Nach den Erkenntnissen der Evolutionsbiologie sind die DNA-Sequenzen von Mensch und Schimpanse (gemeiner Schimpanse (Pan troglodytes) und Bonobo (Pan paniscus), dem engsten lebenden Verwandten des Menschen, zu etwa 98,8 % identisch. Allerdings unterscheiden sich Mensch und Schimpanse hinsichtlich dreier neuronaler Netzwerke, die auf wesentliche Aspekte menschlicher Kreativität und Innovationsfähigkeit wirken. Bei zwei dieser neuronalen Netzwerke (Selbstkontrolle und Selbstbewusstsein) ist die genetische Basis bei Schimpansen kaum vorhanden.
Ist die Fähigkeit zur Selbstkontrolle einschließlich der Fähigkeit zum bewussten und zielstrebigen Planen und Problemlösen ein ausschlaggebendes Kriterium für die Gottebenbildlichkeit? Sind die Fähigkeiten zu Selbsterkenntnis und Selbstbewusstsein ein weiteres ausschlaggebendes Kriterium? Wäre dies der Fall, wäre evolutionsbiologisch gesehen der Zustand der Gottebenbildlichkeit erreicht. Allerdings träte ein eklatanter Widerspruch zutage. Da die Evolutionsbiologie keine Intervention eines Gottes erfordert und auch das Konzept „Gott“ nicht kennt, kann die Evolutionsbiologie auch kein Konzept der „Gottebenbildlichkeit“ kennen. Das schöpferische Handeln eines Gottes, der Gottebenbildlichkeit im Menschen anlegt, steht im Widerspruch zur non-deterministischen evolutionären Entwicklung.
Aus dem Blickwinkel der Phänomenologie und des beobachtbaren Verhaltens der Menschen im Rückblick auf die erschließbare Menschheitsgeschichte mit ihrer evolutionsbiologischen Komponente kann der Versuch eines Rückschlusses unternommen werden. Auf Basis der dem Menschen zugeschriebenen Gottebenbildlichkeit, so der Ansatz, ließe sich auf Gott, sein Wesen und sein Verhalten, rückschließen. Die durchaus blutige Menschheitsgeschichte und das oft irrationale Handeln des Menschen in Vergangenheit und Gegenwart lassen jedoch den Versuch eines derartigen Rückschlusses von vornherein als aberwitzig erscheinen. Wohl niemand würde sich Gott als lediglich „etwas bessere“ Version des Menschen vorstellen wollen.
Die Frage der Plausibilität der Gottebenbildlichkeit erscheint aus der Perspektive des Menschen nicht beantwortbar. Die Gottebenbildlichkeit als Konzept, mit welcher Semantik auch immer, kann nicht einfach negiert werden. Schließlich ist sie im Schrifttum des Juden- und Christentums verankert. Wird das Konzept auf beobachtbare Verhaltensweisen der Menschen angelegt, erscheint es allerdings implausibel.
Der „Sündenfall“ – mit oder ohne Konsequenzen
Der ebenfalls im biblischen Buch Genesis erzählte „Sündenfall“ (Kap. 3), wonach Adam und Eva gegen ein göttliches Gebot verstießen, führte zur Vertreibung beider aus dem Paradies, verbunden mit dem Verlust der Urgemeinschaft und der direkten Wahrnehmbarkeit der Präsenz Gottes. Es lässt sich nur spekulieren, wie sich die Geschichte der Lebewesen weiterentwickelt hätte, hätte ein Sündenfall nie stattgefunden. Adam, Eva und ihre Nachkommen hätten vermutlich weiterhin in liebevoller Beziehung und vertrauensvoller Gemeinschaft gelebt und hätten die Präsenz Gottes wahrgenommen. Die Menschheit hätte sich entlang der Linie dieser Urgemeinschaft entwickelt.
Nach dem Narrativ des Buches Genesis hatte der Sündenfall, der Verstoß gegen Gottes Gebot, die Vertreibung aus dem Paradies und den Verlust der Präsenz Gottes zur Folge. Eine Rückkehr in das Paradies war nicht mehr möglich. Der Mensch war von Gott getrennt. Um diese Trennung wieder aufzuheben, muss die „Sünde“ von Gott entweder sofort oder später vergeben werden. Wenn sie nicht sofort vergeben wird, stellt sich die Frage, ob Schuld, der „Unheilszustand“ des Menschen vererbbar ist. Das Judentum kennt keine „vererbbare“ Schuld, während das Christentum deren Vererbbarkeit postuliert.
Auch der Islam kennt einen „Sündenfall“, für den Adam und Eva gleichermaßen verantwortlich gemacht werden, da sie beide das göttliche Gebot übertraten. Gott verzieh jedoch nach der Überlieferung des Koran den Menschen. Deshalb wird jeder Mensch aufgrund dieses Verzeihens frei von Schuld gegen Gott (Sünde) geboren.
Nach christlichem Verständnis ist ein „Erlöser“ erforderlich, um die Trennung von Gott wieder aufzuheben und den Zugang zum Paradies und der Welt Gottes wieder zu ermöglichen. Im Christentum ist Jesus Christus der Messias, der Gesalbte Gottes, der als Sohn Gottes und Versöhner zwischen Gott und den Menschen und als Erlöser der ganzen Welt gilt. Jesus Christus stellt den Zugang zu Gott wieder her und ermöglicht nach christlichem Verständnis den an ihn Gläubigen und von ihm Erlösten eine Weiterexistenz nach dem physischen Tod im Paradies.
In Judentum und Christentum entwickelten sich völlig unterschiedliche Konzepte. Auch das Judentum kennt einen Messias als Gesalbten Gottes und endzeitlichen Heilsbringer und wartet noch heute auf diese Rettergestalt. Dieses Warten auf den Messias ist jedoch nicht mit der Erwartung einer Erlösung verknüpft. Wenn der Messias erscheint, ist dies das Zeichen für den Beginn der „Kommenden Welt“. Alle Juden werden dieser Erwartung zufolge von den „vier Enden der Erde“ gesammelt.
Während die Schöpfungsnarrative der Offenbarungsreligionen in ihren kurzen Schilderungen eine große Ähnlichkeit aufweisen, unterscheiden sich die Interpretationen fundamental. Judentum und Islam kennen den Begriff einer „Erbsünde“ nicht. Nach dem Verständnis des Christentums konnte Gott die Schuld des Verstoßes gegen Gottes Gebot anlässlich des Sündenfalls nicht direkt und sofort vergeben. Zur Vergebung dieser vererbten Schuld bedarf es eines Erlösers, wobei dieser Erlöser kein Mensch sein kann, sondern ein göttliches Wesen sein muss. Jesus Christus erfüllt als Sohn Gottes diese Anforderung und stellte durch seinen Tod am Kreuz die Möglichkeit der Gemeinschaft von Gott und Menschen wieder her.
In der Konsequenz entscheidet nach christlichem Verständnis der Mensch selbst über seinen Zugang zum Paradies, indem er die Erlösungstat durch Jesus Christus für sich in Anspruch nimmt. Im Islam entscheidet letzten Endes Allah im Wesentlichen auf Grundlage der „Taten“, ob der Zugang zum Paradies gewährt wird.
Offenbarungen kontra Wissenschaft
Bibel und Koran sind, wie bereits angedeutet, als Offenbarungen, jedoch nicht als Geschichtsbücher zu verstehen. Sie transportieren in erster Linie eine ethische Botschaft. Dennoch enthalten sie Aussagen zu Ereignissen, Personen und Ortsangaben, die von der Wissenschaft als widerlegt gelten können. In der Konsequenz befinden sich Juden, Christen und Muslime in einem Dilemma. Kann dem jeweiligen Schöpfungsnarrativ größeres Vertrauen zugemessen werden als den Erkenntnissen verschiedenster wissenschaftlichen Disziplinen?
Für das Christentum ergibt sich eine weitere Komplikation. Im Neuen Testament der Bibel (2. Tim. 3,16) werden biblische Schriften als direkt von Gott „eingehaucht“ bezeichnet: „Jede Schrift ist, als von Gott eingegeben, auch nützlich zur Belehrung, zur Widerlegung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit“. Der im griechischen Text verwendete Begriff „theopneustos“ hat die Bedeutung „von Gott eingehaucht“. Die Frage stellt sich jedoch, auf welche biblischen Schriften sich diese Aussage bezieht. Der 2. Timotheusbrief entstand wahrscheinlich zwischen den Jahren 62 und 64 n. Chr. Zu dieser Zeit lag der Kanon des Alten Testaments (hebräischer Tanach mit Tora, Propheten, Schriften) vor. Es liegt nahe, aus dem Kontext herzuleiten, dass die im hebräischen Tanach enthaltene Schöpfungsgeschichte als von Gott eingehaucht anzusehen ist. Aufgrund mangelnder Hinweise lässt sich ebenfalls annehmen, dass das „Für-wahr-halten“ oder „Nicht-für-wahr-halten“ des biblischen Schöpfungsnarrativs nicht als heilsentscheidend und auch – im Negativfall – nicht als „Sünde“ einzustufen ist.
Wenn beispielsweise das Buch Genesis, wie von der Bibelwissenschaft postuliert, nicht von einem einzigen Autor (Mose) verfasst und auch später ergänzt wurde, stellt sich die Frage, ob alle beteiligten Autoren bzw. Redakteure vom Geist Gottes beseelt waren, um „von Gott eingehauchten“ Inhalt zu erstellen. Nach gegenwärtigem Forschungsstand wird davon ausgegangen, dass der Pentateuch (die fünf Bücher Mose: Genesis, Exodus, Levicticus, Numeri, Deuteronomium) erst um das Jahr 400 v. Chr. in der Endfassung vorlag. Noch gibt es eine Reihe ungelöster Fragen, die durchaus kontrovers diskutiert werden.
Hat das „eingehaucht sein“ zur Folge, dass wissenschaftliche Erkenntnisse gewissermaßen automatisch invalidiert werden, wenn sie Aussagen oder dem Verständnis religiöser Überlieferungen entgegenstehen? Die Konsequenzen einer derartigen Folgerung lassen sich aus der Geschichte erkennen. Stellvertretend genannt sei Galileo Galilei, der von der katholischen Kirche verurteilt und unter Hausarrest gestellt wurde, weil einige seiner Theorien (er vertrat u. a. das kopernikanische Weltbild) der damaligen kirchlichen Weltsicht widersprachen. Glücklicherweise endet heutzutage auch niemand mehr auf einem Scheiterhaufen (wie etwa Giordano Bruno), wenn Ansichten nicht im Einklang mit der Interpretation religiöser Überlieferungen stehen.
Galileo Galilei und auch Giordano Bruno wurde schweres Unrecht zugefügt, weil ein bestimmtes Verständnis religiöser Überlieferungen als unveränderlich und für alle Zeiten gültig unterstellt wurde. Wie sich herausstellte, war dieses Verständnis vonseiten der katholischen Kirche rundweg falsch. Wer kann sicher sein, dass ein Verständnis bestimmter religiöser Überlieferungen für immer konstant bleibt? Inhalte biblischer Schriften mögen von Gott „eingehaucht“ sein, doch ist auch der menschliche Geist entsprechend „erleuchtet“, um den Gehalt richtig zu interpretieren?
Konsequenzen im Hinblick auf Schöpfung- und Sintflut-Narrative
Wenn sich Narrative der Offenbarungsreligionen nicht mit den Erkenntnissen der modernen Wissenschaft vereinbaren lassen, stellt sich die Frage, wie auf der persönlichen Ebene mit diesen Konflikten und Widersprüchen umgegangen werden kann. Schließlich steht viel auf dem Spiel. Wenn die Schöpfung durch Gott, den Schöpfer, keine geschichtliche Tatsache ist, ist den Offenbarungsreligionen das Fundament entzogen. Sämtliche daraus hergeleiteten Konzepte, vor allem das der Gottebenbildlichkeit und – spezifisch für das Christentum – der Erlösungsbedürftigkeit, verlieren ihren Anker. Das religiöse Schrifttum von Judentum, Christentum und Islam hätte den Charakter einer Fiktion.
Im Wesentlichen bieten sich zwei Möglichkeiten an: die Historizität der Narrative wird nicht infrage gestellt oder sie wird infrage gestellt. Wird sie nicht infrage gestellt, bedeutet dies, den religiösen Erzählungen das Primat einzuräumen. Wenn wissenschaftliche Erkenntnisse entgegenstehen, werden diese gewissermaßen ausgeblendet. Die zweite Alternative führt zu einer Integration von religiösen Erzählungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Narrative der Offenbarungsreligionen werden vornehmlich als ethische Botschaft verstanden. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden als Fakten akzeptiert und entsprechend gewichtet.
Historizität der Narrative
Angenommen, der Begriff „theopneustos“ („von Gott eingehaucht“) wird eng ausgelegt und es wird sogar davon ausgegangen, dass der Tanach wörtlich inspiriert wurde. Dann lässt sich die Erschaffung des Universums und aller Lebewesen auf ungefähr auf das Jahr 4000 v. Chr. datieren. Mit anderen Worten: der biblische Schöpfungsbericht und auch die Sintflutgeschichte werden wörtlich verstanden. Diese, als Kreationismus bezeichnete religiöse Auffassung, postuliert, dass das Universum, das pflanzliche und tierische Leben und der Mensch buchstäblich so entstanden sind, wie es in den Heiligen Schriften der Offenbarungsreligionen und insbesondere im alttestamentlichen Buch Genesis geschildert wird.
Dem Einwand, dass die Schöpfung zu einem derartigen Zeitpunkt unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten gesehen keinesfalls stattgefunden haben kann, wird zuweilen entgegnet, der Schöpfer habe das Universum „alt“ erschaffen. Zum besseren Verständnis dieses Konzepts ist eine Analogie hilfreich.
Angenommen, ein Konstrukteur hätte „Schöpfungspotenz“ und wäre in der Lage, eine komplexe Maschine aus seinen Gedanken heraus zu erschaffen. Er könnte sich abends, nachdem alle Mitarbeiter den Betrieb verlassen haben, an seinen Schreibtisch setzen, gewissermaßen mit „dem Finger schnippen“ und seine in Gedanken bereits vorhandene Konstruktion in Materie umsetzen. Die Maschine könnte aus neuen Teilen bestehen, aber auch aus älteren Teilen, die im Betrieb bereits auf Lager vorhanden sind. Am anderen Morgen fänden die Mitarbeiter eine Maschine vor, die am Vortag noch nicht da war. Ein neuer Mitarbeiter, der an seinem ersten Arbeitstag diese Maschine erblickt, wüsste hingegen nichts von diesem „Schöpfungsakt“. Für ihn würde die Maschine einfach dazugehören und wäre gewissermaßen schon immer dagewesen.
Die Annahme, dass das Universum „alt“ erschaffen wurde, wirft einige Fragen auf. Weshalb sollte Gott beispielsweise Skelette niemals existierender Tiere oder Höhlenmalereien von niemals lebenden Menschen erschaffen? Dies erschiene widersinnig und würde in der Konsequenz lediglich dem Ziel dienen, die Menschen zu verwirren und einen falschen Anschein zu erwecken. Gott würde sich selbst zum Lügner degradieren.
Wird dem Kreationismus gefolgt, sind die in den verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen gesammelten Erkenntnisse allesamt falsch, insofern sie sich nicht mit den biblischen Narrativen vereinbaren lassen. Insbesondere werden die Untersuchungsmethoden der Archäogenetik, der Archäologie, der Paläontologie und vielen weiteren wissenschaftlichen Disziplinen quasi ex cathedra und pauschal für ungeeignet erklärt.
Der Kreationismus kann und darf sich jedoch nicht nur gegen Erkenntnisse der Wissenschaft aussprechen, sondern muss auch seinerseits in der Lage sein, eine Vielzahl von Fragen vollkommen plausibel (d. h. einleuchtend, nachvollziehbar, glaubwürdig, schlüssig, unwiderlegbar) beantworten zu können. Stellvertretend seien lediglich und in aller Kürze drei genannt:
- Frühe Besiedelungsspuren abseits des Alten Orient: Indien zählt zu den frühen Hochkulturen dieser Erde und beherbergt historische Relikte, die teilweise über 7 000 Jahre alt sind. Wie kann dies sein, wenn das Universum erst später entstand?
- Tropische Pflanzen in der Grube Messel bei Darmstadt: Die Grube wurde 1995 aufgrund der Vielzahl dort entdeckter Fossilien zum UNESCO-Weltnaturerbe ernannt. Dort existierten Tiere (z. B. Krokodile) und Pflanzen (z. B. Lianen) im tropischen Regenwald. In den vergangenen 6 000 Jahren gehörte Deutschland bekanntlich nicht zur tropischen Klimazone. Wie konnten diese Tiere und Pflanzen dorthin gelangen?
- Genetische Untersuchungen: Diese auf Basis des Y-Chromosoms durchgeführten Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Vorfahren der heutigen Amerikaner den Kontinent frühestens vor nicht mehr als 15 000 Jahren erreicht haben. Wie kann dies sein, zumal es vor 6 000 Jahren zwischen Sibirien und Alaska keine Landbrücke mehr gab?
Die Wissenschaft hat recht
Wenn vor dem Hintergrund, dass sich manche wissenschaftlichen Erkenntnisse und biblischen Narrative nicht zur Deckung bringen lassen, der Wissenschaft jedoch zugebilligt wird, die zumindest bisher wissenschaftlich geklärten Grundfragen korrekt zu beantworten, sind konsequenterweise die biblischen Narrative falsch. Ihnen kann keine Historizität zugeschrieben werden. Dem Glaubensgebäude der Offenbarungsreligionen wäre der Boden entzogen, zumindest wenn die Auffassung des Kreationismus bejaht wird.
Eine persönliche Entscheidung
Anhänger der Offenbarungsreligionen betrachten den Tanach (Judentum), das Alte Testament (Christentum) bzw. den Koran (Islam) als göttliche Offenbarung. Jesus Christus, im Christentum der Sohn Gottes, nimmt auf Noah Bezug und bestätigt damit dessen Historizität. Da, wie schon angedeutet, im Neuen Testament der Bibel alle Schrift als von Gott eingehaucht angesehen wird, ergibt sich ein Dilemma. Alle Erkenntnisse der modernen Wissenschaft sind konsequenterweise null und nichtig, sofern sie den Aussagen der göttlichen Offenbarungsquellen widersprechen. Dies würde sodann, etwas salopp ausgedrückt, in so manchen Fällen allerdings bedeuten, zu akzeptieren, dass „2 mal 2 = 5“ ist.
Eine weitere Komplikation ergibt sich dadurch, dass Schriftquellen im Tanach durchaus nicht eindeutig interpretiert werden. Es gibt beispielsweise unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Echtheit von Quellen, deren Datierung, deren Autorenschaft, deren theologische Aussage usw. So ist etwa die Antwort auf die Frage, wann die Endredaktion des Buches Genesis erfolgte, sehr umstritten und wird folglich auch sehr unterschiedlich beantwortet.
Die Frage, welche Lösung in diesem Dilemma gefunden werden kann, lässt sich nur individuell beantworten. Bisherige wissenschaftliche Erkenntnisse, sowohl in den Naturwissenschaften als auch in der Bibelwissenschaft, sind nicht „in Stein gemeißelt“. Sie gelten immer nur vorläufig. So kann beispielsweise ein neuer Skelettfund einen bisherigen Erkenntnisstand infrage stellen und zu völlig neuen Erkenntnissen führen. Ebenso mag es sein, dass der Fund eines bisher unbekannten Schriftzeugnisses ein völlig anderes Licht auf Erkenntnisse der Bibelwissenschaft wirft. Lehrmeinungen mussten im Verlauf der Geschichte immer wieder revidiert werden. Es ist davon auszugehen, dass dies auch zukünftig so sein wird.
Die Frage, wie plausibel und glaubhaft die Narrative über die Erschaffung des Universums und des Lebens eingeschätzt werden, strahlt auf die Zukunft aus. Sie verbindet sich mit der Frage, für wie plausibel und glaubhaft die Aussagen in den religiösen Überlieferungen zu einer Weiterexistenz des individuellen Selbst nach dem physischen Tod erachtet werden.
Angenommen, die Narrative über die Erschaffung des Universums und des Lebens werden als unglaubwürdig eingeschätzt. In der Konsequenz gäbe es keinen Anlass, den Aussagen zu einer zukünftigen Weiterexistenz des individuellen Selbst zu vertrauen. Wird jedoch der Anfang als glaubwürdig erachtet, fällt es leichter, den Aussagen zum „Ende“ bzw. „Nicht-Ende“ zu vertrauen.