Bleibt das Gedächtnis im Jenseits erhalten oder gehen mit dem physischen Tod alle Erinnerungen an das zurückliegende Leben unumkehrbar verloren? Eine spannende Frage.
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Dieser Beitrag ist Teil der Serie „Was geschieht mit mir wenn ich sterbe?“
Grobes Inhaltsverzeichnis
Zuweilen wird das Gehirn mit einem herkömmlichen Computer verglichen. Doch dieser Vergleich ist völlig abwegig, da das Gehirn Informationen völlig anders als ein Computer verarbeitet. Zum einen wächst es organisch, während ein Computer mit einer bestimmten Rechen- und Speicherkapazität hergestellt wird, wobei diese Kapazitäten meist in Inkrementen erweiterbar sind. Zum anderen sind im Gehirn nicht die einzelnen Nervenzellen (Neurone) entscheidend, denn die eigentliche Information wird in den Synapsen, den Verbindungen zwischen Nervenzellen, weitergegeben oder auch gespeichert. Eine einzelne Nervenzelle kann zwischen 1 000 und 10 000 Verbindungen zu anderen Nervenzellen aufweisen. Insgesamt können in einem normal entwickelten Gehirn eines erwachsenen Menschen schätzungsweise mindestens 100 Billionen Synapsen vorhanden sein. Davon abgesehen ist das menschliche Gehirn ein Leben lang lernfähig und gleicht somit einer ständigen Baustelle.
Selbstorganisation des menschlichen Gehirns
Im Gehirn lassen sich – im Gegensatz zu einem herkömmlichen Computer – „Prozessorleistung“ und Speicherkapazität nicht klar voneinander abgrenzen. Darüber hinaus organisieren sich „Prozessor“ und „Speicher“ selbst.
Arbeits- und Langzeitgedächtnis werden in der Großhirnrinde, die schätzungsweise 20 Milliarden Nervenzellen enthält, verortet. Das Arbeitsgedächtnis, zuweilen fälschlicherweise auch mit dem Kurzzeitgedächtnis gleichgesetzt, speichert Informationen etwa zwischen 20-45 Sekunden lang und befindet sich im Frontallappen der Großhirnrinde. Das Langzeitgedächtnis durchzieht die gesamte Großhirnrinde.
Es stellt sich die durchaus interessante Frage, wie viele Informationen im Lauf eines Lebens im Langzeitgedächtnis gespeichert werden können. Während eines durchschnittlich langen Lebens macht ein Mensch vielerlei Erfahrungen, erlebt vieles und muss auch davon abgesehen vieles im Gedächtnis behalten.
Angefangen mit wichtigem Schulstoff, wie beispielsweise der Methode zum Lösen von Additions- oder Multiplikationsaufgaben, bis hin zu spezialisiertem Prozesswissen, wie beispielsweise dem Erarbeiten eines Projektplans im Rahmen beruflicher Tätigkeit, muss vieles im Langzeitgedächtnis dauerhaft gespeichert werden. Schließlich soll nicht jedes Mal wieder neu erlernt werden, wie beispielsweise die Zahlen 898 und 1523 zu addieren sind.
Wie viel an Langzeit-Speicherkapazität des Gehirns bzw. der Großhirnrinde wird von einem bestimmten Ereignis bzw. Erlebnis belegt? Diese Frage lässt sich nicht exakt beantworten. Lediglich Mutmaßungen lassen sich anstellen. Immerhin laufen Mutmaßungen darauf hinaus, dass es sich um enorme Mengen an Information handeln muss.
Sehr wahrscheinlich wird man sich an eindrückliche Erlebnisse auch nach Jahren noch gut erinnern. Man hat den zukünftigen Lebenspartner kennengelernt, man hat geheiratet, man hat sich selbstständig gemacht und den ersten größeren Auftrag erhalten oder man hat an einem besonderen Ort einen runden Geburtstag mit Freunden gefeiert. Die Aufzählung eindrücklicher Erlebnisse ließe sich beliebig fortsetzen.
Angenommen, man erinnert sich an den Tag der Hochzeit, die schon viele Jahre zurückliegt. Sehr wahrscheinlich kann man sich noch immer an sehr vieles erinnern, denn es war ein eindrücklicher Tag. Vielleicht meint man sogar, man hätte es erst gestern erlebt. Aus dem Gedächtnis lassen sich viele Bilder abrufen und auch noch in ihre zeitliche Reihenfolge bringen. Natürlich weiß man noch, welche Kleidung man selbst trug und welche die Braut bzw. der Bräutigam. Die Stelle, an der die Bilder der Hochzeitsgesellschaft gemacht wurden, würde man auch nach Jahren sofort wiederfinden. Die wichtigsten Personen, die zugegen oder nicht zugegen waren, kann man sicher noch benennen. Auch wie das Wetter war ist bestimmt noch in Erinnerung. Möglicherweise erinnert man sich auch an Gerüche oder wie etwas geschmeckt hat. Wenn es so manche Peinlichkeit oder Grund für einen Lacher gab, ist auch dies noch ohne Weiteres im Gedächtnis präsent. Falls jemand „über die Stränge schlug“, kann man sich noch gut erinnern, wer es war. Und natürlich erinnert man sich auch an Ereignisse, die an diesem Tag Ärger verursachten. Vielleicht war das Essen nicht rechtzeitig fertig oder das Service-Personal war teilweise unaufmerksam.
Auch der größere zeitliche Kontext ist in Erinnerung geblieben. Aus dem Gedächtnis ist abrufbar, welche Ereignisse vorausgingen. Vielleicht hat die Freundin, die man so gerne dabeigehabt hätte, am Tag vorher mitgeteilt, dass sie aus dringendem Grund leider nicht zur Feier kommen kann. Und man erinnert sich auch daran, wie man den Tag nach der Feier verbrachte. Wenn zeitgleich ein wichtiges zeitgeschichtliches Ereignis Aufmerksamkeit erregte, wie beispielsweise ein schreckliches Unglück, ist auch dieses in Erinnerung geblieben.
Wie viel Speicherbedarf würde man bei einem konventionellen Computersystem grob veranschlagen, wenn man alle Bilder, sensorischen Eindrücke u. v. m. eines einzigen Tages miteinander verknüpfen und speichern wollte? Wäre ein Terabyte ausreichend? Ein Terabyte entspricht in etwa dem Speicherbedarf für 250 000 Fotos, die mit einer 12 MP-Kamera aufgenommen werden, oder 500 Stunden HD-Videos. Ein Terabyte mag vordergründig zu hoch gegriffen sein, doch das Gehirn registriert schließlich nicht nur Bilder, sondern auch noch vieles mehr, wie beispielsweise Geruchs- und Geschmacksempfindungen.
Angenommen, der tägliche Speicherbedarf des Gehirns läge tatsächlich bei einem Terabyte. Weiterhin angenommen, das Gehirn würde 70 Jahre lang Erlebnisse, Ereignisse und Eindrücke aufzeichnen. Über diese Zeitdauer gerechnet kämen rund 25,5 Petabyte zusammen (ein Petabyte entspricht 1.000.000.000.000.000 Bytes). Wie bereits erwähnt, lassen sich menschliches Gehirn und Computer aufgrund der fundamentalen Unterschiede nicht miteinander vergleichen. Dennoch lässt sich ermessen, dass das Gehirn eine enorme Speicherleistung zu erbringen hat.
Physisch bedingte Funktionsstörungen des Gehirns
Die Speicherkapazität des Gehirns kann durch physisch bedingte Funktionsstörungen oder durch operative Eingriffe in die Gehirnsubstanz beeinträchtigt sein. Ein Beispiel für Letzteres ist die Hemisphärektomie, bei der eine Gehirnhälfte operativ entfernt wird. Mit anderen Worten: Das Gehirn weist nur noch die Hälfte seiner Größe auf und breitet sich nach dem operativen Eingriff auch nicht mehr in die nunmehr leere Schädelhälfte aus.
Als Funktionsstörung bekannt ist des Weiteren das Hydrocephalus-Syndrom (sog. Wasserkopf-Syndrom), bei dem es sich um eine krankhafte Erweiterung der mit Liquor gefüllten Flüssigkeitsräume im Gehirn handelt. Fälle von Menschen mit Hydrocephalus-Syndrom wurden berichtet, bei denen bis zu 95 % der Gehirnmasse fehlten.
Darüber hinaus gibt es viele weitere Arten von Gehirnschädigungen, wie beispielsweise durch krankhafte Eiweißablagerungen verursachte Demenzerkrankungen. Da die Kommunikation zwischen den Neuronen nicht mehr richtig funktioniert, können Informationen nicht mehr störungsfrei verarbeitet und weitergeleitet werden. Im Verlauf der Erkrankung kommt es zum Absterben von Nervenzellen und dadurch bedingt zu einem fortschreitenden Abbau geistiger Fähigkeiten. Betroffene leiden zunehmend an Gedächtnisverlust und Orientierungslosigkeit.
Psychisch bedingte Gedächtnisstörungen
Neben rein organischen Befunden gibt es durchaus auch Konstellationen im Grenzbereich oder mit psychischen Ursachen verbundene Beeinträchtigungen der Informationsspeicherung im Gehirn.
Ein Beispiel für eine psychisch bedingte Gedächtnisstörung ist die dissoziative Amnesie. Dabei handelt es sich um einen durch Traumata oder Stress ausgelösten Gedächtnisverlust. Es ist nicht mehr möglich, sich an persönliche Informationen zu erinnern. Die Gedächtnislücken können sich von wenigen Minuten bis hin zu Jahrzehnten erstrecken.
Meist stehen die nicht mehr zugänglichen Informationen mit einem traumatischen oder stark belastenden Ereignis im Zusammenhang. Zu diesen außergewöhnlichen Ereignissen zählen u. a. Erlebnisse körperlicher und/oder seelischer Gewalt in der Kindheit (beispielsweise durch einen nach Alkoholkonsum gewalttätigen Vater, durch sexuellen Missbrauch oder durch Miterleben einer Gewalttat) oder auch im Erwachsenenalter.
Obwohl sich Betroffene nicht mehr erinnern können, kann es zu einem Vermeidungsverhalten kommen. Beispielsweise vermeidet eine von Vergewaltigung betroffene Frau das Gebiet, in dem sie vergewaltigt wurde, und geht einen Umweg. Sie kann jedoch keine Verbindung zwischen ihrem Vermeidungsverhalten und der Ursache herstellen.
Eine dissoziative Amnesie tritt nicht unmittelbar nach dem belastenden oder traumatischen Ereignis auf. Auch erst nach einigen Tagen kann es zum Gedächtnisverlust kommen. Das Erinnerungsvermögen bleibt normalerweise nicht dauerhaft gestört, sondern wird wiedererlangt. Allerdings ist die Zeitspanne, die zwischen Gedächtnisverlust und Erinnerungswiederkehr verstreicht, nicht vorhersehbar. Das Erinnerungsvermögen kann spontan wiederkehren.
Das Gedächtnis als Element des individuellen Selbst
Wenn von einem lokalen individuellen Selbst ausgegangen wird, geht in der Konsequenz mit dem physischen Tod das Gedächtnis unumkehrbar verloren, da das Gehirn nicht mehr mit dem funktionsnotwendigen Sauerstoff versorgt wird. Wird jedoch andererseits von einem nichtlokalen individuellen Selbst ausgegangen, bedingt dies in der Konsequenz auch ein nichtlokales Gedächtnis. Das Gedächtnis nutzt dann zwar das Gehirn als „Dienstleister“, befindet sich jedoch außerhalb des menschlichen Gehirns. Wo sich das nichtlokale Gedächtnis befinden könnte, lässt sich nicht erschließen.
Ein funktionierendes Gedächtnis ist nach dem Übergang in den extrauniversalen Existenzraum, das Jenseits, entscheidend wichtig. Ginge das Gedächtnis verloren, wäre ein Wiedererkennen von Personen, zu denen im Diesseits eine Beziehung bestand, nicht möglich. Wie könnte beispielsweise die frühere Ehefrau oder der frühere Ehemann als besonders nahestehende Person erkannt werden, wenn kein Zugriff auf das Gedächtnis mehr möglich wäre? Nahtoderfahrungen legen jedoch nahe, dass dieses Wiedererkennen möglich ist.
Außerdem wäre, wie bereits erwähnt, eine von den Erfahrungs- wie Offenbarungsreligionen postulierte Lebensbeurteilung nicht möglich. Eine Lebensbeurteilung würde konsequenterweise mehr oder weniger lange Zeiträume im diesseitigen Leben ausschließen. Möglicherweise sind es jedoch gerade für eine Beurteilung entscheidende Zeiträume. Wären solche Zeiträume ausgeblendet, hätte eine beurteilende Instanz (z. B. ein Gott) keinen Gesamtüberblick. Möglicherweise hätte dies eine Fehlbeurteilung zur Folge. So würde möglicherweise einem Beurteilten eine schwere Verfehlung nicht angelastet.
Auch für einen Beurteilten ergäben sich möglicherweise Konsequenzen. Hätte eine beurteilende Instanz den Gesamtüberblick, ein Beurteilter jedoch nicht, wäre das Urteil für den Beurteilten nicht nachvollziehbar. Für ihn muss es als willkürlich erscheinen. Hätte beispielsweise ein Beurteilter zu seinen Lebzeiten einen heimtückischen und vorsätzlichen Mord begangen, könnte sich daran aber wegen eines demenzbedingten Gedächtnisverlusts nicht mehr daran erinnern, würde er sich verständlicherweise als ungerecht beurteilt fühlen.
In der Gesamtschau lässt sich festhalten, dass ein nichtlokales Gedächtnis eine unabdingbare Voraussetzung für die von den großen Weltreligionen postulierte Lebensbeurteilung darstellt. Dies gilt zumindest dann, wenn ein Beurteilter in der Lage sein soll, eine Lebensbeurteilung verstehen und nachvollziehen zu können.