Bedingungslose Würde bewusstmachenLesezeit: 10 Min.

Dieser Beitrag ist Teil 2 von 13 der Reihe Der Weg zur gesunden Selbstwertschätzung
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Bedingungslose Würde – Wie wirkt sich das Bewusstsein bedingungsloser Würde auf das Selbstwertgefühl und die Selbstwertschätzung aus?

Inhalte:

Worum geht es bei der Würde?

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“. So heißt es im ersten der insgesamt 30 Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) der Vereinten Nationen von 1945. Sie garantiert jedem Menschen die gleichen Rechte – unabhängig von ihren Unterscheidungsmerkmalen wie Herkunft, Staatsangehörigkeit, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, sexueller Orientierung oder Status.

Menschenrechte stehen jedem Menschen zu, alleine schon im Menschsein begründet, weil er ein Mensch ist. Sie haben ihre Wurzel in der Würde eines jeden Menschen.

Die Gleichheit der Menschen hat außerdem eine Wurzel in den Offenbarungsreligionen des Judentums und des Christentums. Im Buch Genesis, dem ersten Buch der Bibel, heißt es (Kap. 1, 27): „Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn.“ (Einheitsübersetzung 2016). Wenn Gott den Menschen als sein Bild schuf, sind folglich alle Menschen gleich.

Von diesem Konzept ausgehend lässt sich eine inhärente Menschenwürde ableiten, eine Würde, die dem Menschen innewohnt, die er sich nicht verdienen muss und die er auch nicht verwirken kann. Diese Würde ist demnach jedem Menschen angeboren. Sie bleibt auch über alle Generationen hinweg erhalten, ist gewissermaßen ewig.

Der deutsche Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) hat einen bedeutenden Beitrag dazu geleistet, den Begriff der Würde des Menschen klar zu fassen. Der Mensch ist einzigartig, nicht austauschbar, und hat im krassen Unterschied zu Sachwerten keinen Preis, sondern Würde. Dies bedeutet auch: Er darf nicht zum Objekt gemacht werden.

Dieses Verständnis von Würde, die dem Menschen immer zu eigen ist, ist im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert. In Artikel 1 ist festgehalten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Auch in der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft befasst sich ein Artikel (Artikel 7) mit der Menschenwürde: „Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen.“ In der Republik Österreich ist die Menschenwürde (noch) nicht explizit in der Verfassungsurkunde verankert.

Wie auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte betont das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, dass die Menschenwürde dem Menschen durch seine bloße Existenz gegeben und zu eigen ist. Aus diesem Grund kann dem Menschen die Würde zu keinem Zeitpunkt genommen werden. Auf seine Fähigkeiten und Begabungen, seinen körperlichen oder geistigen Zustand, seine Leistungen oder seinen sozialen Status kommt es nicht an. Würde ist von allem Äußeren unabhängig.

Befinden sich Wissen und Gefühl in Einklang?

Erklärungen zur Würde des Menschen und die reale Situation auf der Erde klaffen weit auseinander. Es gibt keinen einzigen Zeitpunkt an dem nicht irgendwo auf der Erde die Menschenwürde durch physische und/oder psychische Gewalt in ihren vielfältigen Ausprägungen (z. B. Erniedrigung, Missachtung, Mobbing) mit Füßen getreten wird. Doch selbst wenn die Würde des Menschen in der Praxis vielerorts nicht beachtet und verletzt wird, bedeutet dies keineswegs, dass das Konzept der Menschenwürde irrelevant ist. Diese offensichtliche Diskrepanz ist jedoch Anlass, die gesellschaftliche Realität immer wieder zu kritisieren.

Diese Diskrepanz zwischen deklarierter Realität einerseits und wahrgenommener Realität andererseits muss ausgehalten werden. Das eine schließt das andere nicht aus. Die wahrgenommene Realität zeigt: Die Würde des Menschen ist nicht abdingbar, jedoch verletzbar.

Wenn man sich verstandesmäßig seiner Würde bewusst ist, kann man aus der Ich-Perspektive zu sich selbst sagen: „Ich habe Würde und kann meine Würde niemals verlieren!“

„Ich habe Würde und kann meine Würde niemals verlieren!“

Dies bedeutet jedoch noch lange nicht, dass man seine Würde auch gefühlsmäßig erlebt und ausstrahlt. Angenommen, man stellt sich selbst an einem Ort, an dem man alleine und unbeobachtet ist, vor einen Spiegel. Dann versucht man, Würde auszudrücken. Welche Gefühle würde man währenddessen bei sich wahrnehmen? Und wie würden sich die Gefühle auf die äußere Erscheinung auswirken?

Würde man seinen Körper als zusammengesunken und seinen Gesichtsausdruck als traurig wahrnehmen? Sicherlich nicht! Sehr wahrscheinlich wäre der Rücken gerade, der Kopf nicht gesenkt, sondern waagerecht. Der Gesichtsausdruck würde etwas ausstrahlen, in dem sich innere Reife, Souveränität, Gelassenheit, Offenheit und Zuversicht widerspiegeln.

Einem Menschen ist abzuspüren, ob er sich seiner Würde bewusst ist. Wer sich seiner Würde bewusst ist, strahlt diese Würde auch aus. Diese Ausstrahlung mag in ihrer Intensität variieren, aber sie ist vorhanden. Darüber hinaus verhält sich ein seiner Würde bewusster Mensch ganz anders als ein Mensch, der sich für völlig würdelos hält.

Was spricht dagegen, bewusste Würde und gefühlte Würde miteinander in Einklang zu bringen? Absolut nichts!

Zitat des Tages

Dankbarkeit beinhaltet Demut, R. Emmons - Gestaltung: privat
Gestaltung: privat

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Was bedeutet es, die Würde von Mitmenschen zu respektieren?

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – diese Aussage (siehe Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland) hat konkrete Auswirkungen auf den Umgang der Menschen miteinander in der Gesellschaft. Demnach ist es unter keinen Umständen zulässig, einem Mitmenschen die Würde abzusprechen und ihn würdelos zu behandeln. Jegliche Form derartiger Behandlung bedeutet nicht nur einen Eingriff in die Würde anderer, sondern auch in deren Freiheit.

Darüber hinaus wirkt es auf die eigene Person zurück, wenn man die Würde eines Mitmenschen nicht respektiert und ihn würdelos behandelt. Richard von Weizsäcker (1920-2015), sechster Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, drückte dies so aus: „Seiner eigenen Würde gibt Ausdruck, wer die Würde anderer Menschen respektiert.“ (dieses Zitat findet sich auch auf einer Sonderbriefmarke, die im April 2020 anlässlich seines 100. Geburtstages von der Deutschen Post herausgegeben wurde).

„Seiner eigenen Würde gibt Ausdruck, wer die Würde anderer Menschen respektiert.“

Richard von Weizsäcker

In der Konsequenz verletzt man seine eigene Würde, wenn man die Würde eines Mitmenschen verletzt. Man ist selbst Täter und Opfer zugleich.

Was bedeutet es, die eigene Würde zu respektieren?

Ernst Reinhardt, Schweizer Verleger, Publizist, nahm eine etwas andere Perspektive ein und formulierte so: „Die Menschenwürde verlieren zuerst jene, die sie anderen nehmen.“. Da Menschenwürde nicht genommen bzw. entzogen werden kann, meinte er wohl: Die Menschenwürde verlieren zuerst jene, die die Würde ihrer Mitmenschen verletzen.

In der Konsequenz respektiert und schützt man die eigene Würde, indem man alles unterlässt, was die Würde anderer Menschen verletzt. Verletzungen der Würde können auf vielfältige Art und Weise geschehen. Beispiele sind: jemanden durch Spott herabsetzen, jemanden ausgrenzen, jemanden zu etwas zwingen, das er nicht will, jemanden das Gefühl geben, weniger wert zu sein als man selbst, oder jemanden beleidigen.

Nur wenn man die eigene Würde respektiert, lebt man würdevoll. Mit anderen Worten: nur wenn man die eigene Würde respektiert, kann man auch die Würde anderer respektieren. Dies äußert sich insbesondere darin, dass man seinen Mitmenschen mit Achtung und Toleranz begegnet, selbst dann, wenn „die Chemie nicht stimmt“. Man begegnet seinen Mitmenschen auf Augenhöhe, lässt ihnen die Freiheit ihrer Ansichten und Überzeugungen, selbst wenn sie den eigenen diametral gegenüberstehen. Dies bedeutet keinesfalls, dass man seine eigenen Ansichten und Überzeugungen zurückstellt oder sachlichen Diskussionen aus dem Weg geht, denn sonst würde man sich selbst nicht mehr auf Augenhöhe wahrnehmen.

Welcher Zusammenhang besteht zwischen Würde und Selbstwertgefühl?

Ohne Zweifel wirkt das Bewusstsein bedingungsloser Würde positiv auf das Selbstwertgefühl. Dieses Bewusstsein wirkt innerlich aufrichtend, stärkend und auch schützend. Es berührt die Seele zutiefst und stärkt das Selbstwertgefühl. Würde und Selbstwertgefühl stehen so in einem engen Zusammenhang. In der Konsequenz können Würde und Selbstwertgefühl nicht als voneinander unabhängige „Stellschrauben“ betrachtet werden.

Wird dieser Zusammenhang nicht beachtet und, als Beispiel, das Selbstwertgefühl als eine isolierte „Stellschraube“ betrachtet, muss nur, bildlich ausgedrückt, an dieser „Stellschraube Selbstwertgefühl“ gedreht werden, um das Selbstwertgefühl zu stärken. Werden jedoch gleichzeitig die Würde der Mitmenschen und/oder die eigene Würde verletzt, führt dies auch zu einer Verletzung des Selbstwertgefühls.

Eine fiktive Geschichte mit frei erfundenen Namen illustriert den Zusammenhang. Gina und Tim arbeiten in derselben Firma. Er ist Abteilungsleiter, sie eine seiner Mitarbeiterinnen. Die beiden haben eine Affäre miteinander. Gina beendet die Affäre, weil sie ihren „Mann fürs Leben“ kennengelernt hat. Tim mag sich damit nicht abfinden und beginnt damit, Gina zu mobben. Tim fühlt sich gekränkt und sein Selbstwertgefühl leidet. Jetzt versucht Tim, sich selbst aufzuwerten, indem er Gina abwertet. Dies geschieht durch mehr oder weniger subtile Demütigungen, beispielsweise durch herabsetzende Bemerkungen oder Nachäffen vor anderen. Tim gewinnt dadurch ein Gefühl der Macht und Überlegenheit. Sein Selbstwertgefühl wird jedoch nicht gestärkt. Wie sollte dies auch geschehen? Schließlich verletzt er nicht nur Ginas Würde, sondern auch seine eigene. Vor vielen Jahrhunderten brachte der Philosoph und Dichter Seneca diesen Zusammenhang so auf den Punkt: „Jeder, der einen anderen schlechter macht, wird es dadurch selbst.“

Angenommen, Tim würde jetzt versuchen, sein Selbstwertgefühl wieder zu stärken. Würde ihm dies wirklich gelingen? Sehr wahrscheinlich nicht. Tim empfindet für Gina keine Empathie, denn sonst würde er das Mobbing sein lassen. Er verletzt weiterhin Ginas Würde und nimmt in Kauf, dass es ihr schlecht geht.

Wahrscheinlich ist Tim überhaupt nicht bewusst, dass er sich mit seinem Verhalten auch selbst Schaden zufügt. Dies geschieht aber. Indem er Ginas Würde verletzt, verletzt er auch seine eigene. Er könnte wesentlich mehr aus sich machen. Der Neurobiologe Gerald Hüther drückte es so aus: „Kein Mensch kann die in ihm angelegten Potentiale entfalten, wenn er in seiner Würde von anderen verletzt wird oder er gar selbst seine eigene Würde verletzt.

„Kein Mensch kann die in ihm angelegten Potentiale entfalten, wenn er in seiner Würde von anderen verletzt wird oder er gar selbst seine eigene Würde verletzt.“

Gerald Hüther

Tims Versuch, das Selbstwertgefühl und damit verbunden auch die Selbstwertschätzung isoliert vom Würdebewusstsein zu stärken, erbringt höchstwahrscheinlich nicht den gewünschten Erfolg. Wer seine eigene Würde verletzt, der verletzt auch sein Selbstwertgefühl. Wer sein Selbstwertgefühl wirklich stärken will, muss sich auch wieder auf seine Würde besinnen.

In der Konsequenz sorgt man gut für sich selbst, wenn man sein Selbstwertgefühl auf sein Würdebewusstsein gründet. Wer sich seiner ihm zugesprochenen Würde bewusst ist und die Würde seiner Mitmenschen ebenso wie seine eigene schützt, wird auch ein gesundes Selbstwertgefühl haben und sich selbst wertschätzen.

Gutes und Sinnvolles tun – ganz praktisch

Geschenk mit Text - Gestaltung: privat
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Weiterführende Fragen

  • Gibt es für mich einen Grund, meine Würde infrage zu stellen? Falls ja, welcher ist es?
  • Wenn mir bedingungslose Würde zugesprochen wird, habe ich dann überhaupt das Recht, meine Würde infrage zu stellen?
  • Wie wirke ich auf andere, wenn ich meine Würde ausstrahle?
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Ich bin Dieter Jenz, Begleiter, Berater und Coach mit Leidenschaft. Über viele Jahre hinweg habe ich einen reichen Schatz an Kompetenz und Erfahrung erworben. Meine Themen sind die "4L": Lebensaufgabe, Lebensplanung, Lebensnavigation und Lebensqualität.