Nahtoderfahrungen, Sterbebettvisionen … – zeitunabhängig?Lesezeit: 18 Min.

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Gab es im Lauf der Zeit inhaltliche Veränderungen bei Nahtoderfahrungen, Sterbebettvisionen und Nachtodkontakten? Falls ja, was wäre daraus zu folgern?

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Was geschieht mit mir wenn ich sterbe - Gestaltung: privat

Dieser Beitrag ist Teil der Serie „Was geschieht mit mir wenn ich sterbe?
Grobes Inhaltsverzeichnis

Anekdotische Schilderungen von Phänomenen, insbesondere Nahtoderfahrungen, Sterbebettvisionen und Nachtodkontakte, zeichnen ein überwiegend positives Bild von Jenseitserfahrungen. Würde dieses positive Bild tatsächlich der Realität entsprechen, wäre es durchaus naheliegend, sein diesseitiges Leben durch Suizid zu beenden. Es könnte schließlich alles nur besser werden. Es gäbe keine Existenzsorgen mehr, keine Ängste mehr vor dem morgigen Tag und was auch immer das diesseitige Leben im intrauniversalen Existenzraum, im Diesseits, beschweren mag. Doch Vorsicht ist angesagt! Es stellt sich die Frage, ob dieses positive Bild generell zutrifft.

Um einer Antwort näherzukommen, liegt es nahe zu prüfen, ob die anekdotischen Schilderungen der jüngeren Vergangenheit und der Gegenwart mit den älteren und ältesten konzeptionell übereinstimmen. Wäre eine Übereinstimmung gegeben, würde dies die Glaubwürdigkeit von Schilderungen jüngeren Datums unterstützen. Sie befänden sich auf einer Linie mit den frühesten und könnten als plausibel angesehen werden. Würden jedoch Diskrepanzen offensichtlich, zöge dies unweigerlich die Frage nach sich, wie sich diese Diskrepanzen begründen lassen.

Die jeweils älteste anekdotische Schilderung bildet einen Referenzpunkt für den Vergleich mit jenen der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart. Aus dem zugegebenermaßen groben Vergleich lassen sich dennoch vorsichtige Schlüsse ableiten.

Nahtoderfahrungen

Menschen, die eine Nahtoderfahrung erlebten, berichteten vielfach von wohltuenden Begegnungen mit bereits Verstorbenen oder gar mit Jesus Christus, von wunderschönen Landschaften, von wunderschöner Musik und manchem mehr. Den meisten von ihnen fiel die Rückkehr in ihren physischen Körper schwer. Im Allgemeinen wollten sie gerne an dem „paradiesischen“ Ort bleiben, an den sie in ihrer außerkörperlichen Erfahrung gelangten, wurden aber gewissermaßen zurückgeschickt. „Du bist zu früh dran“, „Deine Zeit ist noch nicht gekommen“ oder ähnliches wurden ihnen vermittelt.

Nahtoderfahrungen in der Vergangenheit

In Platons Dialogen findet sich die wohl älteste Überlieferung einer Nahtoderfahrung. Der griechische Philosoph Platon (428/427–348/347 v. Chr.) schildert in Politeia 613e – 621d die Nahtoderfahrung des pamphylischen Soldaten Er, die er als Erfahrungsbericht bezeichnet: „Ich will dir aber keine Erzählung des Alkinoos mitteilen, sondern von einem gestandenen Mann, nämlich ER, dem Sohn des Armenios, der Abstammung nach ein Pamphylier; dieser war einst im Krieg gefallen, und als die Toten  nach zehn Tagen schon verwest aufgenommen wurden, wurde er unversehrt aufgenommen und nach Hause gebracht, um bestattet zu werden. Als er aber am zwölften Tag auf dem Scheiterhaufen lag, lebte er wieder auf und berichtete sodann, was er dort gesehen hatte. Er sagte aber, seine Seele sei, nachdem sie ihn verlassen hatte, mit vielen andern dahingezogen und sie wären an einen wunderbaren Ort gekommen, wo in der Erde zwei aneinandergrenzende Spalten gewesen und am Himmel gleichfalls zwei andere ihnen gegenüber.

Zwischen diesen hätten Richter gesessen, die nach ihrem Urteil den Gerechten befohlen hätten, nach rechts oben durch den Himmel wegzugehen, nachdem sie ihnen vorn Zeichen für das, wofür sie gerichtet worden waren, umgehängt hatten, den Ungerechten aber nach links unten; und auch diese hätten hinten Zeichen für all ihre Taten gehabt.

Als nun auch er hingekommen war, hätten sie ihm gesagt, er müsse den Menschen ein Verkünder des Dortigen sein, und hätten ihm geboten, alles an diesem Orte zu hören und zu schauen. Er habe nun dort gesehen, wie durch je einen Spalt im Himmel und in der Erde die Seelen nach ihrer Aburteilung weggegangen seien, durch die andern beiden aber seien aus der Erde Seelen voller Schmutz und Staub aufgestiegen, aus dem anderen hingegen seien andere rein aus dem Himmel herabgestiegen. Die jeweils ankommenden schienen, wie von einer langen Reise, gern auf die Wiese zu kommen, sich wie zu einer Festversammlung zu lagern, sich einander zu begrüßen, soweit sie sich kannten, und zu befragen: die aus der Erde kamen, die andern nach dem dort, und die aus dem Himmel nach dem bei jenen. Und so hätten sie einander erzählt, die einen jammernd und weinend, indem sie daran dachten, wie viel Schlimmes sie erlitten und gesehen hatten auf ihrer unterirdischen Reise; die Reise aber dauere tausend Jahre. Die aus dem Himmel hingegen hätten von ihrem Glück erzählt und einem unvorstellbar schönen Anblick.

Das meiste nun, Glaukon, zu erzählen kostete viel Zeit; die Hauptsache aber sei, sagte er, dass jeder für alles Unrecht, das er jemals – gleich wie vielen – angetan, einzeln gebüßt hat, zehnfach für jedes, nämlich immer wieder nach hundert Jahren, denn so lange sei das menschliche Leben, damit sie so zehnfach für das Unrecht büßten. So mussten einige, wenn sie vielfältigen Todes schuldig waren, weil sie Städte oder Heere verraten und in die Knechtschaft gestürzt oder sonst großes Elend mitverschuldet hatten, für jedes davon zehnfache Pein erdulden; hatten sie sich aber wiederum wohltätig gezeigt und gerecht und heilig, so empfingen sie auch dafür nach demselben Maßstabe den gerechten Lohn. Über die aber, die nach ihrer Geburt nur kurz leben, sagte er anderes, das hier nicht zu erwähnen lohnt.

Die Erzählung wird noch fortgesetzt. In Zentrum dieser Schilderung steht die Belohnung oder Bestrafung der während des Erdenlebens vollbrachten Handlungen und Taten nach dem physischen Tod. Die Seelen der Toten werden zu einem Ort geführt, an dem je zwei Öffnungen hinunter in die Erde und hinauf in den Himmel führen. Mehrere Richter sprechen ein Urteil und scheiden die Gerechten von den Ungerechten.

Die Gerechten bewegen sich durch eine der Öffnungen hinauf in den Himmel, der für tausend Jahre ihr Aufenthaltsort sein wird. Die Ungerechten müssen hingegen ebenfalls durch eine Öffnung hinunter unter die Erde und dort tausend Jahre verbringen. Durch die jeweils zweite Öffnung kehren die Seelen von ihrem Aufenthalt zurück. Sie berichten entweder von den wunderschönen Eindrücken in der Himmelsregion oder von den Strafen, die sie in der Unterwelt für ihre früheren Vergehen verbüßen mussten.

Der Anthropologie Platons zufolge ist die Seele unsterblich und „bewohnt“ nur vorübergehend einen sterblichen physischen Körper. Beim physischen Tod verlässt die Seele den Körper und reinkarniert sich nach einer Phase der Läuterung wieder.

Nahtoderfahrungen in der Gegenwart

Heutige Nahtoderfahrungen werden völlig anders erlebt als in der von Platon überlieferten Schilderung der Nahtoderfahrung des Soldaten Er. Auch zu vielen weiteren anekdotischen Schilderungen aus der Antike und dem Mittelalter zeigen sich deutliche Unterschiede. Einer der Gründe dafür mag darin liegen, dass es häufig Kleriker waren, die Nahtoderfahrungen überlieferten oder diese ihrem Weltbild entsprechend „anreicherten“. Anekdotische Schilderungen von Personen, die den Querschnitt der Bevölkerung repräsentieren, liegen in nur sehr geringer Zahl vor. Schließlich konnte beispielsweise zu Beginn des Frühmittelalters (etwa 500-1050 n. Chr.) nur der Klerus lesen und schreiben. Um das Jahr 1800 n. Chr. konnten, grob geschätzt, nur etwa 25 % der Erwachsenen lesen und schreiben, wobei sich der Alphabetisierungsgrad zwischen Stadt- und Landbevölkerung deutlich unterschied.

Zur besseren Einordnung, ob es sich bei einer tiefgreifenden persönlichen Erfahrung in Todesnähe tatsächlich um eine Nahtoderfahrung handelt, wird heute häufig auf die sogenannte „Greyson-Skala“ zurückgegriffen. Dabei handelt es sich im Grunde um einen vom US-Psychiater und Neurologen Bruce Greyson in den 1980-er Jahren entwickelten Fragenkatalog. Mit dessen Hilfe werden 16 typische Elemente einer Nahtoderfahrung abgefragt. Zu den typischen Merkmalen einer Nahtoderfahrung zählen das Verlassen des eigenen Körpers, ein dunkler Tunnel mit einem hellen Licht am Ende, eine Lebensrückschau mit Szenen aus dem eigenen Leben sowie Begegnungen mit bereits Verstorbenen.

In den letzten Jahren wurden mehrere Studien zu Nahtoderfahrungen durchgeführt und anekdotische Schilderungen zu diesem Phänomen gesammelt. Beispielhaft sei eine Auswertung des Psychiaters Michael Schröter-Kunhardt genannt, der auf von ihm gesammelte 230 Schilderungen zurückgreifen konnte. Seine Auswertung ergab Folgendes (prozentualer Anteil einer bestimmten Wahrnehmung):

  • 89 %: Gefühl der Ruhe, des Friedens oder des Wohlbefindens,
  • 77 %: visuelle Wahrnehmung eines hellen Lichts,
  • 61 %: Gefühl, außerhalb des Körpers zu sein und diesen zum Beispiel von oben zu sehen,
  • 47 %: Gefühl, sich durch einen Tunnel zu bewegen,
  • 30 %: Wahrnehmung einer Lebensrückschau (Ereignisse der Vergangenheit laufen wie einem Film vor einem ab).

Negative Erlebnisse während einer Nahtoderfahrung werden eher selten erwähnt. Der niederländische Kardiologe und Wissenschaftler Pim van Lommel berichtet in „Endloses Bewusstsein“, dass lediglich etwa 1-2 % aller Menschen, die eine Nahtoderfahrung erleben, von einer furchteinflößenden Erfahrung berichteten. Bei dieser Erfahrung dominieren negative Gefühle, meist gefolgt von tiefen Schuldgefühlen. Diese Erfahrung wird auch als „Höllenerfahrung“ bezeichnet. Diese Art von „Höllenerfahrung“ korrespondiert jedoch in keiner Weise mit der von Platon geschilderten Erfahrung, der zufolge Ungerechte für ihre Handlungen und Taten tausend Jahre lang unter der Erde büßen müssen.

Sterbebettvisionen

Eine Sterbebettvision, eine unerwartete Begegnung mit einem oder mehreren bereits Verstorbenen oder auch mit Geistwesen (z. B. Engeln), wird typischerweise wenige Wochen oder Tage vor dem biologischen Tod erlebt. Eine Sterbebettvision kann sich durchaus mehrmals wiederholen. Sie wird meist im Wachzustand erlebt und erfolgt außerhalb der Kontrolle des Sterbenden. Für anwesende Personen ist es in beschränktem Umfang möglich, Zeuge einer Sterbebettvision zu werden. Allerdings können Anwesende nicht das wahrnehmen, was der Sterbende sieht, hört oder anderweitig wahrnimmt.

Sterbebettvisionen in der Vergangenheit

Die frühesten anekdotischen Schilderungen von Sterbebettvisionen datieren ungefähr auf den Beginn des 19. Jahrhunderts. In „Wenn die Dunkelheit ein Ende findet“ wird eine Sterbebettvision des französischen Kaisers Napoleon I. wiedergegeben (S. 196): „Ende April des Jahres 1821 lag Napoleon in seinem Exil auf der Insel St. Helena im Sterben. […] Zwei getreue Gefolgsleute, die Generäle Bertrand und Montholon, dokumentierten in umfangreichen Tagebüchern praktisch jedes Wort und jede Geste des leidenden Kaisers. Zehn Tage vor seinem Tod wachte Montholon in der Nacht am Bett seines Idols. Er schrieb: »Der Kaiser war während der Nacht bis vier Uhr morgens relativ ruhig. Dann sagte er mit außergewöhnlicher Emotionalität zu mir: ‚Ich habe gerade meine gute Josephine gesehen [Napoleons erste Frau, die bereits sieben Jahre zuvor gestorben war]. Sie hat mich aber nicht umarmt. Gerade, als ich sie in die Arme nehmen wollte, ist sie verschwunden. Sie saß hier, und ich glaube, ich habe sie gestern Abend auch schon gesehen. Sie hat sich nicht verändert, ist immer noch die alte – voller Verehrung für mich. Sie sagte, wir würden uns bald wiedersehen, um uns nie mehr zu verlieren. Sie versicherte mir das. Hast du sie auch gesehen.‘« Napoleon schien sich sicher zu sein, nicht einfach geträumt zu haben, obwohl er durchaus an den Offenbarungsgehalt mancher Träume glaubte. […] Nach einiger Zeit fiel Napoleon in Schlaf, doch als er wieder aufgewacht war, sprach er von neuem über diese nächtliche Erscheinung. Er war dabei nach wie vor bei klarem Verstand und diktierte später eine Reihe von Geschäftsbriefen. Der zunehmend geschwächte Kaiser starb am 5. Mai, zehn Tage nach diesem Erlebnis. Seine letzten Worte waren: »Frankreich. Armee. Anführer der Armee. Josephine.« War dies der Moment der Wiedervereinigung mit ihr?

Napoleon selbst schien die Begegnung mit Josephine als real zu erleben. Für den Anwesenden war die Sterbebettvision lediglich als Beobachter durch die Emotionalität Napoleons wahrnehmbar. Aus medizinischer Sicht handelt es sich um eine Halluzination, da sich die Sterbebettvision nicht objektiv verifizieren lässt. Eine Verifizierung wäre dann möglich, wenn ein Sterbender von etwas berichtet, beispielsweise dem Tod eines Menschen, von dem er keine Kenntnis haben konnte.

Sterbebettvisionen in der Gegenwart

Wie bereits erwähnt (siehe Beitrag „Was sind Sterbebettvisionen? Wie werden sie erlebt?“), sind Sterbebettvisionen durchaus kein selten auftretendes Phänomen. Der Hospizarzt Christopher Kerr führt in den USA mit einem Team systematisch breiter angelegte Befragungen und Untersuchungen zu Sterbebettvisionen durch, etwas allgemeiner auch als Lebensendeerfahrungen (end-of-life experiences) bezeichnet. Hervorzuheben ist, dass Patienten direkt befragt werden und nicht, wie in manchen anderen Studien, Familienangehörige oder medizinisches und pflegerisches Fachpersonal.

Naturgemäß können die in Hospizen erlebten Sterbebettvisionen nicht repräsentativ für alle Sterbenden sein. In einem Hospiz ist die verbleibende Lebenszeit bei allen Patienten nur noch sehr kurz. Dennoch lassen sich einige allgemeine Hinweise ableiten, zumal die Patienten gewissermaßen unter fachlich qualifizierter „Beobachtung“ standen bzw. stehen. In einem häuslichen Umfeld wäre dies nicht möglich.

Fast 90 % der Patienten im Hospiz gaben an, mindestens eine Sterbebettvision erlebt zu haben. Demgegenüber muss unbekannt bleiben, wie viele Menschen, die ihre letzte Lebenszeit nicht in einer Pflegeeinrichtung verbringen, eine Sterbebettvision erleben.

Interessanterweise finden sich in den Schilderungen Christopher Kerrs keine Schilderungen von Sterbebettvisionen in den letzten Stunden vor dem Tod. Demgegenüber ereigneten sich die meisten von Menschen in einem Krankenhaus oder einer häuslichen Umgebung erlebten Sterbebettvisionen in relativer Nähe des Todeszeitpunkts.

Ein vorherrschendes „Thema“ der Sterbebettvisionen lässt sich nur durch systematische Befragung herausfinden. Dies ist nur in einer Umgebung möglich, in denen Menschen eine mehr oder weniger lange Zeit vor ihrem Tod verbringen.

Aus den Schilderungen Christopher Kerrs lässt sich erkennen, dass bei Menschen in ihrer letzten Lebensphase vor allem ein Anliegen im Vordergrund steht: Frieden finden. „Bei diesen Erfahrungen geht es weniger um Kognitives als um Erinnern, Fühlen, Spüren, Atmen und Lächeln. Sie drehen sich um Kommunikation und Verbundenheit und spielen sich in Gefilden ab, die sich vielleicht am besten mit Begriffen wie »metaphysisch«, »übersinnlich« oder »transzendent« beschreiben lassen. Im Einklang mit der Bedeutung des Wortes »transzendieren« – »übersteigen, über etwas hinausgehen« – finden sie auf einer Ebene statt, die sich radikal von allen Aspekten des Lebens und Träumens unterscheiden, die wir als »normal«, »alltäglich« und definitiv auch »endlich« bezeichnen würden.“ („Die Träume der Sterbenden“, S. 254).

Die Inhalte der Sterbebettvisionen haben eine untergeordnete Bedeutung. „Im Fokus bleibt stets, was sie fühlen, sehen, und dass sie wie durch ein Wunder in eine Situation gelangen, die von beispielloser Liebe und Unterstützung geprägt ist. Auf Inhalte kommt es dabei längst nicht so an wie auf die Wiederherstellung früherer Beziehungen und die Befriedigung ganz spezieller Bedürfnisse.“ (S. 255).

Ein Vergleich zwischen in der Vergangenheit und der Gegenwart erlebten Sterbebettvisionen erscheint zum einen als nicht sinnvoll und zum anderen auch als unmöglich. Einen gemeinsamen Nenner scheint es zu geben: Frieden finden.

Nachtodkontakte

Ein spontaner Nachtodkontakt, eine unerwartete Begegnung mit einem bereits Verstorbenen, hat primär den Charakter einer Mitteilung an eine lebende Person. Der Nachtodkontakt, meist im Schlafzustand erlebt, wird vom Verstorbenen initiiert und auch wieder beendet.

Nachtodkontakte in der Vergangenheit

Die wohl älteste anekdotische Schilderung eines Nachtodkontakts findet sich im Text „Über die Weissagung“ von Marcus Tullius Cicero (106-43 v. Chr.), römischer Politiker, Anwalt, Schriftsteller und Philosoph. Dieser Text wird auch als Kampfschrift gegen den Aberglauben verstanden. Seinerzeit war die Wahrsagekunst, beispielsweise durch Deutung des Vogelflugs, fest in das religiöse und politische Leben integriert.

Cicero erlebte den Nachtodkontakt sehr wahrscheinlich nicht selbst, sondern bezog sich auf etwas ihm Mitgeteiltes. Er gab folgende Begebenheit wieder: „Als zwei verwandte Arkadier [Arkadien bezeichnet eine Landschaft im Zentrum der Peloponnes, heutiges Griechenland, Anm. des Autors], die zusammenreisten, nach Megara kamen, nahm der eine in einem Wirtshaus Quartier, der andere bei einem Gastfreund. Als sie nun nach der Abendmahlzeit zur Ruhe gegangen waren, soll dem, der bei seinem Gastfreund schlief, der andere im Traum erschienen sein und ihn gebeten haben, ihm zu Hilfe zu kommen, weil sein Wirt ihn umbringen wolle. Jener fuhr vor Schreck aus dem Schlaf empor, schlief jedoch, nachdem er munter geworden war und erkannt hatte, dass es sich nur um einen Traum handle, wieder ein. Da erschien ihm jener Andere nochmals und bat ihn, wenn er ihm lebend nicht mehr habe zu Hilfe kommen können, wenigstens seinen Tod zu rächen. Sein Leichnam sei von dem Wirt auf einen Wagen geworfen und mit Mist bedeckt worden. Er bat ihn, früh am Tor zu sein, bevor der Wagen die Stadt verlasse. Hierdurch im Schlaf gestört, war er früh am Tor und fragte den Gastwirt, was er im Wagen habe. Der Gastwirt erschrak und floh, der Tote wurde herausgeholt, und der Mörder büßte seine Schuld, nachdem er entdeckt worden war.“

Die geschilderte Begebenheit nimmt auf zwei unterschiedliche Begegnungen Bezug: auf eine vor dem Tod des Verwandten und auf eine nach dessen Tod (Nachtodkontakt). Der bei seinem Gastfreund Übernachtende konnte vier Dinge erfahren, die er zuvor nicht wissen konnte: dass sein Verwandter ermordet wurde, wer das Verbrechen begangen hatte, wo sich der Leichnam befand und wann dieser gefunden werden konnte.

Nachtodkontakte in der Gegenwart

Wie aus dem von Cicero geschilderten Nachtodkontakt erkennbar ist, begegnen sich im Nachtodkontakt zwei Menschen, die zu ihren Lebzeiten miteinander in einer engen Beziehung standen. Auch aus den Schilderungen der jüngeren Vergangenheit ist erkennbar, dass Lebende vornehmlich Nachtodkontakte bzw. ‑begegnungen mit Individuen erleben, zu denen schon während des irdischen Lebens eine Beziehung bestand. Nachtodkontakte mit gänzlich unbekannten Individuen werden nur vereinzelt berichtet.

Zusammengefasste Ergebnisse (siehe „Phänomenologie und Auswirkungen von spontanen Nachtod-Kontakten (NTK) – Forschungsergebnisse und Fallstudien“) einer auf etwas mehr als tausend ausgefüllten Fragebögen basierenden Studie zeigen, dass Nachtodkontakte ganz überwiegend im Familien- und engen Beziehungsumfeld auftreten. Freunde, Bekannte und Kollegen spielen eine deutlich untergeordnete Rolle. Allgemein lässt sich festhalten, dass eine starke emotionale Bindung ein wichtiger Faktor für das Zustandekommen und Erleben eines Nachtodkontakts darstellt.

Der kurz skizzierte älteste Nachtodkontakt hatte eine spezifische Mitteilung zum Inhalt, um die Bestrafung eines Mörders zu ermöglichen. Spezifische Mitteilungen sind nach wie vor Gegenstand von Nachtodkontakten. Im Wesentlichen möchte ein Verstorbener die Beziehung bestätigen und die Zuneigung bekräftigen, den Erlebenden beruhigen („es geht mir gut“, mache dir keine Sorgen um mich“, o. ä.) oder auch den Erlebenden durch eine ganz bestimmte Information (z B. wo ein äußerst wichtiges Dokument zu finden ist) unterstützen.

Die Bindung an eine bestimmte Glaubensüberzeugung oder Religion spielt keine wesentliche Rolle. Bei einem Nachtodkontakt handelt es sich schließlich nicht um eine religiöse Erfahrung, sondern um die Erfahrung einer Wiederbegegnung (zumindest in den meisten Fällen) mit nahestehenden verstorbenen Menschen.

Folgerungen

Insbesondere bei Nahtoderfahrungen zeigten sich im Lauf der Jahrhunderte deutliche Veränderungen hinsichtlich der geschilderten Wahrnehmungen. Schwierigkeiten beim Vergleich antiker und mittelalterlicher Texte mit Schilderungen aus jüngerer Vergangenheit und Gegenwart liegen zu einem bedeutenden Teil im Weltbild und den religiösen Überzeugungen der damals Schildernden begründet. Darüber hinaus repräsentieren ältere Schilderungen – im Gegensatz zu heute – nicht den Querschnitt der Gesellschaft. Wie bereits erwähnt, waren bis weit in Neuzeit hinein die meisten Menschen des Lesens und Schreibens unkundig. Sie konnten ihre Schilderungen in den meisten Fällen nicht selbst verfassen. Aufzeichnungen durch Dritte bergen die Möglichkeit einer Verfälschung der eigentlich beabsichtigten Aussagen.

Gemessen an der Anzahl vorliegender anekdotischer Schilderungen dominieren jene aus jüngerer Vergangenheit und Gegenwart überaus deutlich. Die Popularisierung der Nahtoderfahrung durch Veröffentlichungen von Elisabeth Kübler-Ross und Raymond Moody senkte die Hemmschwelle, über individuelle Transzendenzerfahrungen zu berichten.

Je höher die Anzahl anekdotischer Schilderungen, desto besser lassen sich Erfahrungsschwerpunkte erkennen. Je mehr Schilderungen von Nahtoderfahrungen, Sterbebettvisionen und Nachtodkontakte in breit angelegte Studien einfließen, desto besser lässt sich ein kohärentes Gesamtbild gewinnen. Manche Erkenntnisse ließen sich sogar schon vorausschauend zur Wirkung bringen, beispielsweise um Ängste vor dem Auftreten bestimmter Phänomene zu nehmen. Insbesondere Sterbebettvisionen sind angesprochen, denn diese zählen heute sogar schon zu den erwartbaren Phänomenen, zumindest beim Pflegepersonal in Hospizen.

In Schilderungen von Nahtoderfahrungen werden Begegnungen mit Geistwesen (z. B. Engel) oder auch Gott bzw. Jesus Christus deutlich häufiger berichtet als bei Sterbebettvisionen. Letzteres Phänomen ist noch stärker auf Verstorbene bezogen, zu denen eine emotionale Begegnung bestand. Während Begegnungen mit Geistwesen bei Sterbebettvisionen in einer Rolle als „Abholer“ durchaus nachvollziehbar sind, treten sie bei Nachtodkontakten völlig in den Hintergrund. Nachtodkontakte können per definitionem nur mit bereits Verstorbenen erfolgen.

Im Hinblick auf die von den Offenbarungsreligionen dargelegten Unterscheidungen in Orte der Verdammnis (Hölle) und des Paradieses (Himmel) als Bestimmungsorte nach dem physischen Tod lassen sich in den Schilderungen der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart wenig konkrete Anhaltspunkte finden. Der prozentuale Anteil von geschilderten „Höllenerfahrungen“ erscheint sehr gering.

Möglicherweise kommen „Höllenerfahrungen“ durchaus häufiger vor als aus bisher durchgeführten Untersuchungen und Studien erkennbar. Ein Grund könnte in der Befürchtung liegen, dass negative Erfahrungen Rückschlüsse auf mögliche Charakterschwächen, Versagen hinsichtlich der Lebensgestaltung (ein „verpfuschtes“ Leben) o. ä. zulassen. Dass vor diesem Hintergrund Erfahrungen möglicherweise beschönigt wiedergegeben werden, erscheint verständlich.

In der Gesamtschau scheint bei der Interpretation von Befragungsergebnissen eine gewisse Vorsicht geboten zu sein. Was individuell erlebt wurde, wurde nicht unbedingt und uneingeschränkt erfahrungsgetreu wiedergegeben.

Dieser äußerst kurz gehaltene Abriss bedarf noch einer ergänzenden Betrachtung kultureller Unterschiede. Die bisherigen Betrachtungen beziehen sich auf den westlichen Kulturkreis. Es stellt sich die Frage, wie sich kulturelle Unterschiede zwischen den verschiedenen geografischen Regionen der Erde sowie Unterschiede in den spirituellen oder religiösen Überzeugungen niederschlagen.

Ich bin Dieter Jenz, Begleiter, Berater und Coach mit Leidenschaft. Über viele Jahre hinweg habe ich einen reichen Schatz an Kompetenz und Erfahrung erworben. Meine Themen sind die "4L": Lebensaufgabe, Lebensplanung, Lebensnavigation und Lebensqualität.