Folgt das Konzept der Reinkarnation einer irrigen Vorstellung oder erweist es sich bei kritischer Überprüfung als plausibel? Als plausibel erscheint das Konzept dann, wenn es sich als widerspruchsfrei, schlüssig, überzeugend und nachvollziehbar erweist.
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Dieser Beitrag ist Teil der Serie „Was geschieht mit mir wenn ich sterbe?“
Grobes Inhaltsverzeichnis
Die in diesem Beitrag verwendeten Akronyme werden im vorhergehenden Beitrag definiert und erläutert.
Einflussfaktoren
Auf den Reinkarnationsprozess wirken einige Einflussfaktoren, die bei dessen Betrachtung keinesfalls unberücksichtigt bleiben dürfen. Insbesondere die Genetik, die frühkindliche Entwicklung und die weltweite demografische Entwicklung spielen wichtige Rollen.
Genetik
Bei der Zeugung wird bekanntermaßen der Bauplan des Lebens, der in den Chromosomen liegt, von den Eltern weitergegeben. Die Chromosomen sind die Strukturen in den Zellen, die die Gene enthalten. Menschen „besitzen“ 46 Chromosomen, die sich in zwei Paare mit jeweils 23 Chromosomen aufspalten. Jedes Elternteil gibt 23 Chromosomen an das entstehende Kind mit, wobei sich jedes Chromosom aus einem langen DNS-Faden zusammensetzt (DNS steht für Desoxyribonukleinsäure und ist die deutschsprachige Bezeichnung für deoxyribonucleic acid (DNA)), der in Form eines Doppelstrangs (Doppelhelix) fein verdrillt im Zellkern liegt.
Das menschliche Genom, d.h. die Gesamtheit der materiellen Träger der vererbbaren Informationen einer Zelle, umfasst um die 20 000 Gene. Bei vielen dieser Gene ist derzeit noch unbekannt, welche Funktion sie haben.
Wie ein entstehendes Kind beschaffen sein wird, liegt in den Genen, vereinfacht als Merkmalsanlagen bezeichnet. Jedes Gen übernimmt als Träger der Erbinformationen eine bestimmte Funktion, beispielsweise die Ausprägung der Haarfarbe. Als gesichert kann gelten, dass Gene nicht nur rein körperliche Anlagen, sondern auch zu einem wesentlichen Teil die Persönlichkeit bestimmen. Dem Hirnforscher Gerhard Roth zufolge bestimmen die Gene zwischen 20 und 50 Prozent der Persönlichkeit eines Menschen.
Eltern vererben somit nicht nur körperliche, sondern auch seelische Anlagen an ihr Kind. Wie die Erkenntnisse der Psychoneuroimmunologie zeigen, werden von den Eltern auch Veranlagungen ihrer eigenen Vorgängergenerationen an eine oder mehrere nachfolgende Generationen weitergegeben. Ein heranwachsendes Kind trägt somit auch in gewisser Weise die Erlebnisse der Vorgängergenerationen mit, ohne dass ihm dies bewusst ist. Seinerseits gibt es seine Erlebnisse an seine Nachkommen weiter.
Dass seelische Dispositionen epigenetisch vererbt werden können, zeigen durchgeführte Untersuchungen. So zeigten beispielsweise die Enkel von Juden, die während des Holocaust in die USA geflohen waren, eine höhere Anfälligkeit gegenüber Angstneurosen als die Enkel der damals bereits in den USA lebenden Juden.
In der Konsequenz ist ein „IIS“ eine modifizierte Ausprägung des „ZIS“. Die Modifikation erfolgt durch die Erbanlagen der Eltern, die jedoch für die Bewerkstelligung der Reinkarnation unverzichtbar sind.
Einflüsse während der frühen Kindheit
Nicht nur von den Eltern vererbte Anlagen bestimmen wesentlich darüber mit, wie ein Kind sein Erdenleben beginnt. Auch die Beziehung des Kindes zu seinen Eltern während seiner ersten Lebensjahre hat einen wesentlichen Einfluss auf seine Entwicklung. In seinem Buch „Das Gedächtnis des Körpers“ fasst Joachim Bauer die wissenschaftlichen Erkenntnisse kurz zusammen (S. 177): „Wir wissen aufgrund gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse, dass Erfahrungen der frühen Kinderjahre spätere seelische und körperliche Abläufe »bahnen«, das heißt auf ein bestimmtes »Gleis« bringen. […] In der Kindheit und Jugend werden im Gehirn die Nervenzell-Netzwerke angelegt, die später darüber entscheiden, wie eine Person ihre Umwelt einschätzt und interpretiert, wie sie Beziehungen gestaltet und wie sie mit den Herausforderungen umgeht, die das Leben bereithält. Die »Konstruktion« dieser Nervenzell-Netzwerke hängt von den Erfahrungen ab, die das Kind in seinen Beziehungen während der ersten Lebensjahre macht.“
Zumindest in der frühen Kindheit kann sich ein Kind nicht wehren. Alles was es erlebt erscheint für das Kind als „normal“. Wie sollte ein Kind beispielsweise wissen, dass der Alkoholismus des Vaters nicht „normal“ ist? Schließlich hat es keine Vergleichsmöglichkeiten. Wie sollte es wissen, dass körperliche Gewalt nicht „normal“ ist?
Verhalten und Handlungen der Eltern oder naher Angehöriger können Ursache seelischer Gesundheitsstörungen sein. In seinem bereits erwähnten Buch verweist Joachim Bauer auf eine bei über 2 000 Jugendlichen in Deutschland durchgeführte Untersuchung (S. 191). Diese ergab, dass in Deutschland – je nach Region – zwischen 10 % und 15 % der Mädchen und knapp 6 % der Jungen in der Kindheit sexuell missbraucht wurden bzw. werden. Bekanntermaßen geschehen die meisten Missbrauchsfälle in der Familie bzw. in der Verwandtschaft oder Bekanntschaft.
Seelische Gesundheitsstörungen gleich welcher Art in der frühen Kindheit widersprechen ebenfalls dem Konzept, eine neue Inkarnation unbelastet zu beginnen. Da sich ein Kind, wie bereits erwähnt, nicht wehren kann, entwickelt sich eine Belastung ohne seinen Willen. Allerdings ließe sich von Befürwortern der Reinkarnationslehre argumentieren, dass diese Belastungen von einer „BI“ vorgeplant seien und die Bewältigung der Belastung(en) bereits zum Lernziel der aktuellen Inkarnation gehöre. Eine derartige Argumentation kann sich jedoch nur auf Vermutungen stützen und erscheint – insbesondere bei erlebten Fällen sexuellen Missbrauchs – durchaus zynisch.
Demografische Entwicklung
Das Population Reference Bureau geht in seinen Modellrechnungen davon aus, dass um das Jahr Null rund 300 Millionen Menschen auf der Erde lebten. Im Lauf der Jahrhunderte stieg die Weltbevölkerung immer stärker an, obwohl Katastrophen- und Kriegsereignisse, Epidemien usw. die Bevölkerung in manchen Teilen der Welt immer wieder dezimierten.
Bevölkerungswachstum und ‑rückgang
Zu Beginn der 1950-er Jahre lebten rund 2,7 Milliarden Menschen auf der Erde. Im Jahr 2020 waren es bereits rund 7,8 Milliarden Menschen. Die UN-Bevölkerungsprojektion geht davon aus, dass im Jahr 2100 rund 10,9 Milliarden Menschen auf der Erde leben werden.
Eine alternative Prognose geht davon aus, dass die Bevölkerungszahl der Erde im Jahr 2064 einen Höhepunkt erreicht und ab diesem Zeitpunkt bis auf rund 8,8 Milliarden Menschen im Jahr 2100 sinken wird. Diese Prognose geht von einer deutlich geringeren Geburtenrate pro Frau aus. Zur Begründung wird angenommen, dass vor allem Frauen in Entwicklungsländern einen besseren Zugang zu Bildung erhalten und in höherem Maß selbst über Nachwuchs entscheiden können.
Für das Bevölkerungswachstum ist die Geburtenrate pro Frau entscheidend. Bei etwa zwei Kindern pro Frau wäre die sogenannte „Erhaltungsrate“ erreicht. Die Bevölkerungszahl der Erde würde stagnieren. Liegt die Geburtenrate unter diesem Wert, sinkt die Bevölkerungszahl.
Wenn angenommen wird, dass die Erdbevölkerung irgendwann in der näheren Zukunft einen Höhepunkt erreicht und dann wieder abnimmt, könnte sich mindestens ein Mensch nie reinkarnieren. In der Konsequenz wäre eine Inkarnation von Menschen- zu Menschenwelt nicht mehr möglich. Somit müsste zwingend eine Inkarnation in einer anderen „Welt“, beispielsweise der Tierwelt, erfolgen. Dies käme jedoch einem Rückfall in eine niedrigere Evolutionsstufe gleich. Wäre eine Reinkarnation nur innerhalb der Menschenwelt möglich, müsste der Reinkarnationsprozess zwangsweise gehemmt werden. Ein oder mehrere „ZIS“ würden in ihrem aktuell erreichten Entwicklungsstand verbleiben.
Bevölkerungsverteilung nach Weltregionen
Nach Berechnungen der „Deutsche Stiftung Weltbevölkerung“ (DSW) kamen im Jahr 2020, wenn die Welt ein Dorf mit nur 100 Einwohnern wäre, 59 davon aus Asien, 17 aus Afrika, zehn aus Europa, acht aus Lateinamerika, fünf aus Nordamerika und einer aus Ozeanien. Im Jahr 2050 werden sich die Anteile aufgrund unterschiedlich hoher Geburtenraten in den verschiedenen Teilen der Erde verschoben haben. Nur noch etwas mehr als die Hälfte der Dorfbewohner kommen aus Asien. Ein Viertel der Dorfbewohner sind Afrikaner. Die beiden amerikanischen Kontinente haben kaum Zuwachs bekommen. Die Zahl der Europäer und Ozeanier ist in etwa gleichgeblieben.
Verläuft die Entwicklung der Weltbevölkerung in etwa in den prognostizierten Bahnen, ergibt sich die Frage, ob ein „ZIS“ hinsichtlich des Ortes seiner Reinkarnation eingeschränkt ist. Der Reinkarnationslehre zufolge hat jede Inkarnation ihr Lernziel, das mithilfe von Lektionen und Lernaufgaben zu erreichen ist. Aufgrund der erwähnten Bevölkerungsverschiebungen hätte beispielsweise ein „ZIS“ möglicherweise keine Gelegenheit, sich erneut in Asien zu reinkarnieren. Es müsste möglicherweise nach Afrika ausweichen.
Notwendige Bedingungen
Eine „BI“ muss zwangsläufig in einem extrauniversalen Existenzraum beheimatet sein, in dem Zeit kein Faktor ist. Ferner muss eine „BI“ zum Einblick in den intrauniversalen Existenzraum, in das Diesseits, in der Lage sein. Schließlich muss für ein „ZIS“ ein oder mehrere geeignete Wirtselternpaare gesucht und gefunden werden, aus denen eines – so zumindest das Reinkarnationskonzept der Esoterik – für die Reinkarnation ausgesucht wird.
Geeignete Wirtseltern
Der Findungsprozess eines Wirtselternpaars erfordert im Prinzip einen Einblick in die Lebensverhältnisse von mehreren Milliarden aktuell auf der Erde lebender Paare. Aus einem etwas anderen Blickwinkel betrachtet lautet die Aufgabe: aus mehreren Milliarden Paaren eines oder einige wenige herausfinden, die als mögliche Kandidaten infrage kommen.
Es stellt sich die ganz praktische Frage, ob und in welchem Umfang die weitere Entwicklung geeigneter Paare in die Vorauswahl mit einbezogen wird. Dies würde zusätzlich einen Blick in die Zukunft erfordern. Wie verhielte es sich beispielsweise, wenn ein als „Wirtseltern“ geeignetes Paar vorhätte, ein gerade gezeugtes Kind aus Gründen wirtschaftlicher Not während der ersten Schwangerschaftswochen abzutreiben und damit zu töten? Wäre diese Absicht während des Findungsprozesses bereits bekannt? Alternativ wäre zumindest denkbar, dass es dem bereits inkarnierten „IIS“ als „Lernziel“ aufgetragen ist, einen frühzeitigen Tod durch Abtreibung zu erleben. Eine derartige Vorstellung erscheint jedoch absurd und menschenverachtend, zumindest für in der westlichen Hemisphäre lebende Menschen.
Vermittlung der Lernziele
Der Reinkarnationsprozess ist auf eine Höherentwicklung eines individuellen Selbst ausgelegt. Wie bereits erwähnt, soll in jeder Inkarnation ein individuelles Lernziel erreicht werden. Damit ein Mensch in seinem Leben daran arbeiten kann, dieses Lernziel zu erreichen, muss es ihm bekannt sein. Doch wie erfährt ein Mensch von seinem Lernziel?
Leider fehlt zu dieser doch entscheidend wichtigen Frage eine konkrete Antwort. Denkbar wäre, dass diese Information über Träume vermittelt wird. Dazu wäre erforderlich, dass eine „BI“ mit dem „IIS“ Kontakt aufnimmt und kommuniziert. Eine „BI“, die auch als eine Art „Begleitengel“ betrachtet werden könnte, muss das Lernziel zumindest einmalig vermitteln und dies auch zu einem Zeitpunkt, zu dem ein „IIS“ die geistigen Fähigkeiten besitzt, die Semantik des Lernziels zu erfassen. Im Säuglings- und Kleinkindalter dürfte dies noch nicht möglich sein.
Alternativ wäre denkbar, dass das Lernziel bereits bei der Empfängnis vermittelt wird. Dann müsste das Lernziel im späteren Leben derart in Erinnerung gerufen werden, dass es von einem „IIS“ auch explizit als Lernziel verstanden wird.
Anekdotische Schilderungen, wie Menschen über ihr Lernziel für die aktuelle Inkarnation konkret informiert wurden, fehlen. Wie soll unter diesem Vorzeichen ein Lernziel erreicht werden, wenn es nicht bekannt und klar bewusst ist?
Erinnerung an vergangene Inkarnationen
In der jüngeren Vergangenheit wurden mehrere Fälle berichtet, in denen Menschen sich, teilweise unter Hypnose, an eine oder mehrere frühere Inkarnationen erinnern konnten. Wenn eine derartige Rückerinnerung, vielleicht sogar über mehr als zehn zurückliegende Inkarnationen bzw. Erdenleben hinweg, möglich sein soll, stellt sich die Frage, wo dieses Gedächtnis lokalisiert ist. Befindet sich dieses aggregierte Gedächtnis im Gehirn des aktuell auf der Erde lebenden Menschen oder befindet es sich außerhalb des menschlichen Gehirns?
Argumente gegen ein lokales Gedächtnis
Unter der Annahme, dass das aggregierte Gedächtnis im Gehirn des aktuell lebenden Menschen lokalisiert ist, wäre ein im Verlauf der Menschheitsgeschichte tendenziell anwachsendes Gehirnvolumen anzunehmen. Die Gedächtnisinhalte müssen schließlich, vereinfacht ausgedrückt, in Nervenzellen gespeichert werden.
Ein Forschungsteam untersuchte im Rahmen einer Analyse von fast tausend fossilen Schädeln moderner Menschen Veränderungen im menschlichen Gehirn. Im Ergebnis wurde ermittelt, dass das menschliche Gehirn vor etwa 3 000 Jahren an Masse zu verlieren begann. In ihrem Beitrag “When and Why Did Human Brains Decrease in Size? A New Change-Point Analysis and Insights From Brain Evolution in Ants” im Fachmagazin „Frontiers in Ecology and Evolution“ legen die Forschenden den Schluss nahe, dass evolutionäre Prozesse bestrebt sind, den Energieumsatz des Gehirns zu senken. Das Gehirn macht etwa 2 % des Körpergewichts eines Menschen aus, benötigt jedoch etwa 20 % des Energieumsatzes. Wenn unterstellt wird, dass kollektive Intelligenz, das Zusammenwirken bei der Erfüllung von Aufgaben, Arbeitsteilung und die Möglichkeit des Rückgriffs auf Informationsquellen es ermöglichen, sich weniger merken zu müssen, könnte der Energieumsatz des Gehirns tatsächlich gesenkt werden.
Funktionsstörungen im Gehirn
Im Verlauf des Lebens kann es zu Funktionsstörungen im Gehirn kommen, die die Gedächtnisleistung mehr oder weniger stark beeinträchtigen können. Zu denken wäre insbesondere an diverse Ausprägungen von Demenzerkrankungen oder an eine schwere Hirnverletzung, die zu einer irreversiblen globalen Amnesie führt. Von einer globalen Amnesie Betroffene können Erinnerungen an Jahre oder Jahrzehnte zurückliegende Ereignisse, Erlebnisse und Erfahrungen nicht mehr aus dem Gedächtnis abrufen. Auch neue Inhalte können nicht mehr im Gedächtnis gespeichert werden.
Befände sich das aggregierte Gedächtnis im lokalen Gehirn und es käme zu einem irreversiblen Gedächtnisverlust, gingen dadurch mit einem Schlag auch Erinnerungen an sämtliche zurückliegende Inkarnationen verloren. In diesem Fall bedarf es nach der Migration in den extrauniversalen Existenzraum als Folge des physischen Todes einer Synchronisation mit dem „ZIS“. In der darauffolgenden Inkarnation wäre dann wieder der Zugriff auf das „Gesamtgedächtnis“ möglich, allerdings mit Ausnahme des vom Gedächtnisverlust betroffenen Zeitraums. Möglicherweise wäre dies sogar der gesamte Zeitraum einer Inkarnation, eines Erdenlebens.
Zugang zum Bewusstsein
Wie bereits erwähnt, finden sich anekdotische Schilderungen zu Erlebnissen im Mutterleib. Darüber hinaus wurde sogar berichtet, dass Zeugung und Empfängnis bewusst miterlebt werden konnten. Kinder, die eine Nahtoderfahrung erlebten, berichteten davon, aber auch Erwachsene, die in Hypnose versetzt und von Hypnotherapeuten in ihre Vergangenheit rückgeführt wurden.
Bei einem Fötus sind Gehirnaktivitäten erst zwischen der 20. bis 24. Schwangerschaftswoche messbar. Zunächst muss sich die Grundstruktur des Gehirns mit dem Thalamus, der größten Struktur des Zwischenhirns, und seinen Verbindungen zum Großhirn bereits relativ weit entwickelt haben. Der Thalamus gilt als „Tor zum Bewusstsein“.
Bei diesen Gegebenheiten ist unerheblich, ab welchem Zeitpunkt in seiner Entwicklung einem Menschen ein Bewusstsein zugesprochen werden kann. Jedenfalls ist es nach dem aktuellen Erkenntnisstand der Neurowissenschaften völlig unmöglich, dass sich ein Mensch an seine Empfängnis erinnern kann.
Konzept des aggregierten nichtlokalen Gedächtnisses
Eine lückenlose Erinnerung an vergangene Inkarnationen ist nur dann möglich, wenn das Gedächtnis nicht ausschließlich im Gehirn des sterblichen, krankheits- und verletzungsanfälligen Menschen lokalisiert ist. Wie bereits angedeutet, bestünde die Gefahr des Gedächtnisverlusts, verbunden mit dem möglichen Verlust von Erinnerungen an frühere Inkarnationen.
Vorstellbar wäre, dass das Gedächtnis gespiegelt ist. Die lokale Instanz des Gedächtnisses spiegelt in Realzeit kontinuierlich sämtliche Ereignisse, Erlebnisse und Erfahrungen im Gedächtnisanteil des „ZIS“. Das Verfahren gleicht, vereinfacht dargestellt, konzeptionell dem Spiegeln einer Festplatte in einem Computer. Immer wenn auf der lokalen Festplatte etwas gespeichert wird, wird die gespeicherte Information sofort an eine zweite Festplatte übertragen und dort zusätzlich gespeichert. Fällt die lokale Festplatte aufgrund eines Defekts aus, kann die zweite Festplatte eingesetzt werden. Ein Informationsverlust ist nicht eingetreten.
Da eine Individualität im Regelfall mehrere Reinkarnationen durchläuft, ist das Konzept etwas zu modifizieren. Die Gesamtheit der Gedächtnisinhalte aller Inkarnationen bildet, bildlich gesprochen, gewissermaßen eine gigantische Festplatte. Alle während einer Inkarnation anfallenden Informationen und alle zwischen Inkarnationen anfallenden Informationen werden in diesem nichtlokalen Gedächtnis festgehalten. Dieses nichtlokale Gedächtnis ist Teil des „ZIS“ im extrauniversalen Existenzraum.
Wenn das Gedächtnis gespiegelt wird, erfordert dies eine ständige Kommunikationsverbindung zwischen „IIS“ im intrauniversalen Existenzraum und „ZIS“ im extrauniversalen Existenzraum. Informationen über frühere Inkarnationen werden dann in Wirklichkeit vom „ZIS“ abgerufen. Wenn Menschen mit oder ohne Hypnose von früheren Inkarnationen oder von der ersten Zeit im Mutterleib berichten, können diese Informationen folglich nicht vom lokalen Gedächtnis stammen.
Höherentwicklung? – ein Realitätscheck
Das Reinkarnationskonzept verfolgt das Ziel einer fortschreitenden Höherentwicklung. Diese Höherentwicklung erfolgt in erster Linie auf der individuellen Ebene. Macht ein Individuum in seiner Höherentwicklung Fortschritte, strahlt dies unweigerlich auch in die Umgebung aus. Folglich wäre zu erwarten, dass sich auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene Auswirkungen zeigen, die allen lebenden Menschen zugutekommen. Frieden statt Krieg, Gemeinwohl statt kompromissloser Durchsetzung eigener Ziele, Verzicht auf Ausbeutung und Verzicht auf Machtstreben wären einige der erstrebenswerten Auswirkungen. Im Optimalzustand würden Menschen gleich welcher Herkunft und Hautfarbe in einem irdischen Paradies in Frieden und Eintracht miteinander leben.
Nicht nur Anhänger des Hinduismus oder Buddhismus oder auch der Esoterik sind einer fortwährenden Reinkarnation unterworfen, sondern sie muss sich in der Konsequenz auf die gesamte Weltbevölkerung erstrecken. Positive Auswirkungen müssten sich jedoch in erster Linie in den Ländern zeigen, in denen Hinduismus und Buddhismus stark verbreitet sind und die entsprechenden Lehren auch in der Gesellschaft bekannt und verankert sind.
Gesellschaftliche Entwicklung
Dass ein irdisches Paradies nicht existiert ist dem unterschiedlichen Entwicklungsstand der Individuen geschuldet. Schon eine nur sehr oberflächliche Betrachtung des Verlaufs der Weltgeschichte zeigt, dass eine Höherentwicklung der Gesellschaft auf globaler Ebene nicht erkennbar ist.
Nach wie vor prägen kriegerische Auseinandersetzungen das Bild auf dem Erdball. Konflikte beschränken sich bei weitem nicht nur auf Regionen, in denen der Hinduismus nicht verbreitet ist. Auch in den Ländern, in denen Hinduismus und Buddhismus in der Gesellschaft stark verwurzelt sind, wird immer wieder von Spannungen und Konflikten berichtet.
Auch die gesellschaftliche Entwicklung gilt als ein Indikator, insbesondere dann, wenn eine Religion eine wichtige Rolle einnimmt. Beispielhaft sei Indien herausgegriffen. In diesem Land, der bevölkerungsreichsten Demokratie der Welt, ist der Hinduismus die am weitesten verbreitete Religion. Über 80 % der Inder gehören dieser Religionsgruppe an.
Beim Ländervergleich des Index der menschlichen Entwicklung lag Indien im Jahr 2021 auf Rang 132 von 191 weltweit. Wirtschaftlich zählt Indien zur Gruppe der Schwellenländer. Große Teile der Bevölkerung müssen ihr Leben in bitterer Armut fristen, ohne Aussicht auf signifikante Verbesserungen. Dem Bericht zur menschlichen Entwicklung der Vereinten Nationen von 2013 zufolge leben in Indien 28,6 Prozent der Bevölkerung in extremer Armut und weitere 16,4 Prozent sind armutsgefährdet.
Das Karma, die Art, wie man gelebt hat, bedingt auf der individuellen Ebene einen Ursache-Wirkung-Zusammenhang. Wie man gelebt hat, wirkt sich auf die nächste Inkarnation aus, es sei denn, das Stadium der Vollkommenheit bzw. Erlösung wurde erreicht. Was für das Individuum gilt, strahlt unweigerlich auch auf das Zusammenleben in einer Gesellschaft aus. Wenn, wie von Krishna (eine hinduistische Form des Göttlichen und eine der populärsten Gottheiten des Hinduismus) propagiert, das Handeln aus Liebe und Verbundenheit heraus geschieht, müsste sich auch die Gesellschaft immer höher entwickeln.
Mahatma Gandhi, indischer Rechtsanwalt, Publizist, Morallehrer, Asket und Pazifist, der zum geistigen und politischen Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung wurde, formulierte so: „Das wahre Maß einer jeden Gesellschaft lässt sich daran finden, wie sie mit ihren schutzbedürftigsten Gliedern umgeht“ („The true measure of any society can be found in how it treats its most vulnerable members“). Wenn an diesem Maßstab gemessen wird, besteht in der indischen Gesellschaft erkennbar noch „Luft nach oben“.
Natürlich mag eingewendet werden, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht alle Individuen einen fortgeschrittenen Entwicklungsstand erreicht haben können. Dem mag entgegengehalten werden, dass die Geschichte der Menschheit schon vor langer Zeit begann und während dieses Zeitraums durchaus eine Höherentwicklung hätte beobachtbar sein müssen.
Wertigkeit des Lebens
Wenn eine Inkarnation lediglich eine einzelne Episode in einer Vielzahl von Reinkarnationen darstellt, besteht in der Konsequenz nur ein relativ geringer Anreiz, das Leben zu schützen. In seinem Buch „Das Buch der Mitte“ nimmt Vishal Mangalwadi Bezug auf die Bhagavad Gita, eine der zentralen Schriften des Hinduismus. In dem vermutlich zwischen dem 5. und dem 2. Jahrhundert v. Chr. entstandenen Text bildet sich ein Zwiegespräch zwischen Krishna, einer irdischen Erscheinungsform von Vishnu, dem Lehrer, und Arjuna, dem Schüler, ab. Arjuna ist eine der wichtigsten Heldengestalten im indischen Epos Mahabharata, dem bekanntesten indischen Epos. Mangalwadi schreibt (S. 104 f.): „In den bekannten hinduistischen Schriften, der Bhagavad Gita, ermutigt der Gott Krishna den Arjuna, seine Cousins und Lehrer zu töten, da der Tod der Seele angesichts der Reinkarnation nur einem Kleiderwechsel gleichkäme. »Wie ein Mensch ein altes Gewand ablegt und ein neues anzieht, verlässt der Geist seinen sterblichen Körper und bekleidet sich mit einem neuen.«
Meister Krishna wies Arjuna an, kein Mitleid für die zu empfinden, die er töten sollte, da die Seele ohnehin nie geboren worden sei und niemals sterbe. »Du empfindest Mitleid, wo Mitleid keinen Platz hat. Weise Männer empfinden kein Mitleid für das Sterbende und auch nicht für das Lebende. Es gab keinen Zeitpunkt, an dem du oder ich wie auch alle diese Fürsten nicht existierten – und solch einen Tag, an dem wir alle aufhören zu sein, wird es auch in Zukunft nicht geben.«“
Folgerungen
Reinkarnation als globales Konzept muss – sofern es sich als plausibel erweist – zwangsläufig für alle Menschen gelten, unabhängig davon, ob sie sich zum Hinduismus, Buddhismus oder zur Esoterik bekennen. Es wäre beispielsweise schwer vorstellbar, dass Atheisten, Agnostiker, Juden, Christen und Moslems der Reinkarnation lediglich aufgrund ihres Glaubens oder Nichtglaubens nicht unterworfen sind. Wären manche Menschen der Reinkarnation tatsächlich nicht unterworfen, ergäbe sich zwangsläufig eine Spaltung der Menschheit in zwei Gruppen: der Reinkarnation unterworfene und der Reinkarnation nicht unterworfene Menschen.
In der Fortsetzung dieses Gedankens wäre auch die Frage zu klären, welche Auswirkung ein Religionswechsel hätte. Wie verhielte es sich beispielsweise konkret, wenn ein Hindu zum Christentum konvertiert oder – umgekehrt – ein Christ zum Hinduismus?
Angenommen, ein Hindu konvertiert zum Christentum. Mit diesem Schritt würde er entweder eine totale Unkenntnis der Inhalte der Reinkarnationslehre, eine Gleichgültigkeit diesen gegenüber oder eine bewusste Ablehnung dieser Inhalte und gleichzeitig eine Abkehr von der Reinkarnationslehre dokumentieren. Würde er damit auch aus dem Zyklus der Reinkarnationen ausbrechen? Würde andererseits ein Christ, der zum Hinduismus konvertiert, in diesen Zyklus eintreten?
Angehörige der Offenbarungsreligionen, Atheisten und auch Agnostiker würden nach ihrem physischen Tod eine Art böses Erwachen erleben. Ihnen würden anstelle der erwarteten zeitlich unbegrenzten Existenz im extrauniversalen Existenzraum, idealerweise im Paradies bei Gott, eine neue Inkarnation bevorstehen. Gleichzeitig würde dadurch untermauert, dass sie keine Kenntnis über eine frühere Inkarnation haben. Hätten sie diese, wäre ihnen die Inkompatibilität ihrer bisherigen Überzeugung mit der Reinkarnationslehre bewusst. Könnte sich andererseits ein Mensch an eine frühere Inkarnation erinnern, würde er beispielsweise nicht zum Christentum konvertieren wollen, da die Inkompatibilität bewusst ist.
In der Konsequenz müsste sich die Reinkarnationslehre auch im Rechtssystem niederschlagen. Angenommen, ein Mensch wird betrogen. Entspräche es seinem Karma, betrogen zu werden? Falls ja, liegt es nicht fern, anzunehmen, dass er in seiner vorhergehenden Inkarnation selbst ein Betrüger war und die Rolle des Betrugsopfers die Kompensation darstellt. Würde dies nahelegen, dass dem Täter mildernde Umstände zu gewähren sind, weil er dazu beiträgt, das Karma des Betrogenen zu „erfüllen“? Derartige Gedanken erscheinen allerdings absurd.
Um zu einer Höherentwicklung in Richtung Vollkommenheit gelangen zu können, müsste das individuelle „Lernziel“ einer Inkarnation leicht erschließbar sein. Es gibt jedoch verschwindend wenige anekdotische Berichte von Menschen, wie ein Lernziel für eine Inkarnation erkannt, bewusst und verstanden wurde. Wenn das „Lernziel“ eine derart überragende Bedeutung für eine Inkarnation hat, wäre zu erwarten, dass es sich eindeutig und ohne Gefahr einer Täuschung oder eines Missverständnisses erkennen, bewusstmachen und verstehen lässt.
Nicht zuletzt wecken „harte“ Fakten im Hinblick auf Genetik und Demografie erhebliche Zweifel an dem Konzept, eine Inkarnation gewissermaßen unbelastet beginnen zu können. Wie bereits erwähnt, bestimmen die Gene die Persönlichkeit eines Menschen in nicht unerheblichem Maß mit. Das individuelle Selbst eines Menschen entwickelt sich somit keinesfalls im wertfreien Raum.
In der Summe bestehen erhebliche Zweifel an der Plausibilität des Konzepts der zyklischen Existenz. Allerdings sind durchaus einige wenige Fälle zu berücksichtigen, bei denen sich Menschen unter Hypnose an vorhergehende Reinkarnationen erinnern konnten – im Widerspruch zum Prinzip, eine Inkarnation „unbelastet“, bildlich gesprochen auf einem leeren Blatt, beginnen zu können. Aus einer früheren Inkarnation berichtete Fakten ließen sich nachprüfen und bestätigen. Für dieses Phänomen gibt es keine stichhaltige Erklärung.
Anekdotische Schilderungen von Reinkarnationserfahrungen weisen auffallend oft den Charakter besonderer Todesumstände auf. Die meisten Menschen sterben jedoch eines gewöhnlichen Todes. Aussagen wie beispielsweise „… dann bin ich gestorben, weil mein Herz aufgehört hat zu schlagen“ finden sich in einschlägigen anekdotischen Schilderungen so gut wie nie.