Beziehungen aufbauen – in Qualitätsbeziehungen investierenLesezeit: 10 Min.

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Nicht nur Beziehungen, sondern Qualitätsbeziehungen – erfüllende, von Vertrauen getragene, lange andauernde zwischenmenschliche Beziehungen – wer wünscht sie sich nicht? Wer wünscht sich nicht Menschen an seiner Seite, mit denen man buchstäblich durch „dick und dünn“ gehen kann?

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Zwischen Wunsch und Wirklichkeit besteht leider oft ein himmelweiter Unterschied. Viele Menschen erleben lediglich oberflächliche Beziehungen, die oft an einen bestimmten Zweck gebunden sind (z. B. Beziehungen am Arbeitsplatz, gemeinsamer Sport im Verein usw.). Nicht selten ist auch ein Vorteilsdenken das Motiv, wenn jemand etwa von einer Beziehung in einer bestimmten Weise profitiert.

Kann es gelingen, die riesige Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit verschwinden und den Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen? Ja, lautet die kurze Antwort!

Weshalb sind Qualitätsbeziehungen so wichtig?

Im Jahr 1938 begann an der Harvard University unter dem Titel „Harvard Study of Adult Development“ eine Langzeitstudie. Forschende begleiten seit Anfang knapp 2000 Menschen aus drei Generationen auf dem Weg des Strebens nach Glück. Im Jahr 2023 formulierten die derzeitigen Studienleiter Robert Waldinger und Marc Schulz in ihrem Buch „The Good Life“ ihre wichtigste Erkenntnis: „Wenn wir alle vierundachtzig Jahre der Harvard-Studie nehmen und sie zu einem einzigen Lebensprinzip zusammenfassen, wäre es dieses: Gute Beziehungen machen uns gesünder und glücklicher.“

Besonders interessant ist das Befragen der ältesten Teilnehmer an der Studie, die im Jahr 2023 in ihren Neunzigern waren. Auf die Frage, worauf sie in ihrem Leben mit Stolz und Zufriedenheit zurückschauen, benannten alle einen Aspekt des Lebens: ihre sozialen Beziehungen.

Gute Beziehungen – Qualitätsbeziehungen – haben dieser Studie zufolge einen starken Einfluss auf die Gesundheit. Sie sind der Schlüssel zu mehr Glück, Zufriedenheit, Wohlbefinden und letzten Endes auch für ein langes Leben. Materielle Dinge, Geld oder Erfolg im Beruf – so die auf den ersten Blick etwas überraschende Erkenntnis – seien hingegen unbedeutsam.

Eine weitere Erkenntnis lautet: Qualität steht vor Quantität. Die Qualität der Beziehungen ist entscheidend, nicht deren Anzahl.

Bekanntschaft oder Freundschaft – oder etwas dazwischen?

Jeder Mensch ist in ein mehr oder weniger weit verzweigtes Beziehungsgeflecht eingebunden. Da gibt es die familiären Beziehungen, die gewissermaßen von Kindesbeinen an prägen. Und da gibt es die vielerlei Beziehungen, die sich im Lauf des Lebens ergeben. Zwei grundsätzliche Beziehungstypen seien kurz charakterisiert.

Bekanntschaft

Eine Bekanntschaft bezeichnet einen persönlichen Kontakt zwischen zwei Menschen. Gleichwohl handelt es sich um die unverbindlichste Form einer zwischenmenschlichen Beziehung. Man redet gewissermaßen über das Wetter, über das, was für das Zusammenleben oder ‑wirken notwendig ist, aber nicht über „Eingemachtes“.

Oft kommt eine Bekanntschaft durch eine Zweckbeziehung zustande, d. h. ein gemeinsamer Zweck führt Menschen zusammen. Beispiele für eine Zweckbeziehung sind die berufliche Zusammenarbeit, das gemeinsame Training in einem Verein oder das Engagement für eine gemeinsame Sache, beispielsweise in einem Ehrenamt.

In einer zwischenmenschlichen Beziehung, die sich als Bekanntschaft charakterisieren lässt, wissen die Personen relativ wenig voneinander. Meist ist nur das für den sozialen Umgang miteinander Erforderliche bekannt.

Freundschaft

Eine Freundschaft bezeichnet eine auf gegenseitiger Zuneigung beruhende Beziehung zwischen Menschen. Der französische Philosoph und Schriftsteller Voltaire verglich die Freundschaft sogar mit einer Ehe: „Freundschaft ist die Ehe der Seelen.“

Freundschaft verlangt, dass sich Menschen wirklich kennenlernen, auch mit ihren Schattenseiten. Sie sind einander von Herzen zugeneigt, nehmen sich von Herzen vorbehaltlos an, teilen ihr Leben miteinander. Da sie viel voneinander wissen, machen sie sich auch gegenseitig verletzlich. Im Grunde beruht auch jede Liebesbeziehung auf einer Freundschaft.

Zwischentöne

Zwischen den beiden Polen – lose Bekanntschaft und enge Freundschaft – gibt es viele Zwischentöne. Die Beziehung ist mehr als eine Bekanntschaft, aber man würde sie nicht gerade als Freundschaft bezeichnen. Ein Beispiel dafür sind gewachsene nachbarschaftliche Beziehungen. Man kennt sich gut, hilft einander im Bedarfsfall gerne aus, trifft sich vielleicht auch gelegentlich zum Kaffeetrinken oder ähnlichem. Doch über wirklich vertrauliche Dinge wird nicht geredet.

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Wahre Liebe ist die uneigennützige Aufgabe, J. Bucay - Gestaltung: privat
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Was zeichnet eine Qualitätsbeziehung aus?

Es gibt keine formale Definition dafür, welche Merkmale eine Qualitätsbeziehung aufweist. Somit definiert jeder Mensch für sich, was für ihn eine Qualitätsbeziehung ausmacht.

Keine wirkliche Qualitätsbeziehung kommt ohne die folgenden drei Kernmerkmale aus:

  • Gegenseitige Wertschätzung,
  • Vertrauen,
  • Loyalität.

Aus diesen drei Kernmerkmalen lässt sich erschließen, dass eine Qualitätsbeziehung eher hin zu einer Freundschaft tendiert. Eine unverbindliche Beziehung kann niemals die mit einer Qualitätsbeziehung verbundenen Erwartungen erfüllen.

Gegenseitige Wertschätzung

In einer Qualitätsbeziehung begegnen sich beide mit großer Achtung, mit Wertschätzung. Sie schätzen sich gegenseitig als wertvoll für das eigene Leben ein. Die gegenseitige Wertschätzung gilt jeweils der Person, nicht einer Rolle, die diese Person übernimmt. Dies hat auch zur Folge, dass sich beide auf Augenhöhe begegnen.

Ein emotionales oder wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis wäre mit dem Begegnen auf Augenhöhe unvereinbar. Wenn sich beispielsweise eine Person bei der anderen immer nur „ausheult“ und erwartet, dass sie emotional immer wieder aufgefangen wird, ist es im Grunde eine Art Therapeut-Klient-Beziehung. Die Wertschätzung gilt mehr der Rolle als der Person.

Vertrauen

Es kann nicht ausbleiben, dass sich beide im Lauf der Zeit sehr private Gedanken anvertrauen, die keinesfalls für fremde Ohren bestimmt sind. Beide machen sich dadurch auch gegenseitig verletzlich. Die Bereitschaft, sich verletzlich zu machen und zu riskieren, bei einem Vertrauensbruch möglicherweise erhebliche persönliche Nachteile zu erleiden, setzt Vertrauen voraus.

Loyalität

Loyalität bezeichnet die beiderseitige Entscheidung für Verbindlichkeit, Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit auf Basis gemeinsamer Werte, Ziele und Interessen. Beide verhalten sich gegenüber dem Anderen fair, unterstützen einander und handeln mit Anstand. Auch in schwierigen Situationen wenden sie sich nicht einseitig von gemeinsamen Werten und Zielen ab.

Wie und wo findet man Menschen für eine Qualitätsbeziehung?

Wie und wo kann man Menschen finden, die sich für den Aufbau einer Qualitätsbeziehung am ehesten infragekommen? Würde man ein Jahrhundert früher leben, wären die Möglichkeiten sehr beschränkt, andere Menschen kennenzulernen. Damals waren die meisten Menschen, insbesondere Dorfbewohner, ziemlich ortsgebunden. Zeitungen und Zeitschriften waren die wichtigsten Kommunikationsmedien. Nur wenige Privathaushalte besaßen schon ein Telefon. Auch die Geschichte öffentlicher Radiosendungen begann erst im Jahr 1923, wobei damals nur wenige Hörer die erste Stunde des Rundfunks mitverfolgen konnten. An öffentliches Fernsehen war noch nicht zu denken.

Demgegenüber besteht heute an Kommunikationsmedien keinerlei Mangel. Druckmedien (Printmedien), Telefon, Radio, Fernsehen und Internet bieten für Menschen nahezu alle Möglichkeiten, um miteinander in Kontakt zu kommen. Man kann sich auf einfache Art und Weise für persönliche Treffen verabreden, sich Gruppen anschließen oder auch gewissermaßen vom Sofa aus über das Internet Personen auswählen, mit denen man in Kontakt kommen möchte.

Die Fragen nach der Echtheit und Vertrauenswürdigkeit spielen eine ganz wesentliche Rolle. Mit anderen Worten: Wie kann man sicher sein, dass eine Person auch in Wirklichkeit so ist, wie sie zu sein vorgibt? Kennt man beispielsweise nur die Selbstdarstellung einer Person im Internet oder kennt man sie persönlich?

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“, so der Religionsphilosoph, Pädagoge und Schriftsteller Martin Buber. Ausgehend von diesem Gedanken erscheint es als zielführend, einen Menschen, mit dem man eine Qualitätsbeziehung anstrebt, zunächst im persönlichen Umfeld zu suchen (beispielsweise im Verein, an der Arbeitsstelle …). Man kann erst einmal beobachten und sich ein persönliches Bild machen. Wie verhält sich der Mensch? Wie redet er über andere? Welche Werte scheint er zu haben? … Möchte man die Beziehung intensivieren, kann man versuchen, sich zu verabreden.

Erst wenn die Möglichkeiten im persönlichen Umfeld ausgeschöpft sind ergibt sich der Anlass, „die Fühler weiter auszustrecken“ und weitere Medien mit einzubeziehen. Auch dann kann jedoch nichts die persönliche Begegnung ersetzen.

Qualitätsbeziehungen gab und gibt es zu allen Zeiten. Moderne Medien bieten weitaus mehr Möglichkeiten, doch die entscheidende Rolle spielen sie nicht.

Was muss man selbst investieren?

Mit dem Begriff „investieren“ wird landläufig das Investieren von Geld im Sinne einer Kapitalanlage verknüpft. Die Kapitalanlage hat im Allgemeinen zum Ziel, ein Vermögen zu vermehren.

Was ist notwendig, um sinnentsprechend in „Beziehungsvermehrung“ und – dem Qualitätsgedanken folgend – in „Beziehungsvertiefung“ zu investieren? Sicherlich ist es vor allem der Faktor Zeit.

Es verwundert nicht, dass eine Qualitätsbeziehung viel Zeit braucht, um zu reifen und sich zur Tiefe hin zu entwickeln. Gegenseitige Wertschätzung, Vertrauen und Loyalität entwickeln sich nicht von heute auf morgen, sondern brauchen – wie ein zartes Pflänzchen – Zeit zum Wachsen und Gedeihen. Vor allem das Vertrauen wird immer wieder auf die Probe gestellt. Je mehr das gegenseitige Vertrauen bestätigt wird, desto freier fühlen sich zwei Menschen, einander auch sehr private Gedanken anzuvertrauen.

Geld spielt keine Rolle. Eine Qualitätsbeziehung lässt sich mit keinem Geld der Welt kaufen. Sie muss aus freiem Willen beider wachsen und reifen. Damit dies geschehen kann, muss die Beziehung gepflegt werden – und das braucht Zeit. Voltaire, Philosoph und Schriftsteller, drückte es im Hinblick auf die Freundschaft so aus: „Das erste Gesetz der Freundschaft lautet, dass sie gepflegt werden muss. Das zweite lautet: Sei nachsichtig, wenn das erste verletzt wurde.

Überfordert man sich am Ende selbst, wenn man viel Zeit investiert? Zeit investieren schließt nicht aus, gut für sich selbst zu sorgen. Zeit ist in der Tat ein limitierender Faktor. Mehr als zwei oder drei enge Qualitätsbeziehungen wird man kaum gleichzeitig aufrechterhalten können.

Gutes und Sinnvolles tun – ganz praktisch

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Wann muss man investieren?

Wie die bereits erwähnte Langzeitstudie der Harvard University zeigen kann, machen uns gute Beziehungen gesünder und glücklicher. Qualitätsbeziehungen helfen auch dabei, schwierige Lebensphasen besser zu überstehen. Wie wäre es, wenn man sagen könnte: „Christian/Christine (oder irgendein anderer Name) kann ich morgens um 3 Uhr anrufen, wenn ich in ernsten Schwierigkeiten stecke. Er/sie hört mir zu, nimmt sich sogar um diese Uhrzeit Zeit für mich und nimmt mich ernst. Wenn es nicht anders geht, fackelt er/sie nicht lange und macht sich auf den vielleicht mehrere hundert Kilometer weiten Weg. Und er/sie behält alles, was ich im Vertrauen sage, für sich.“?

Dass gute menschliche Beziehungen auch seelischen Erkrankungen wirksam vorbeugen können, ist hinlänglich bekannt. Beispielsweise können Depressionen in ihrer einfachsten Ausprägung, gerade am Anfang einer sich entwickelnden Depression, durch gute Gespräche mit vertrauensvollen Bezugspersonen gut „behandelt“ werden. Das Fortschreiten einer Depression lässt sich im günstigen Fall verhindern.

Für Menschen, die eine Qualitätsbeziehung erleben – selbst wenn sie diese nicht als Freundschaft bezeichnen -, wirkt diese Beziehung wie eine Art Schutzfaktor. Solche Menschen bleiben länger körperlich gesund und auch geistig fit. Es lässt sich sogar beispielsweise prognostizieren, dass ein Mensch im Alter von 80 Jahren umso gesünder ist, je glücklicher er in seinen sozialen Beziehungen im Alter von 50 Jahren ist.

Qualitätsbeziehungen sind zu jedem Zeitpunkt im Leben wertvoll. Man muss nicht erst in eine schwere Lebens- oder Sinnkrise geraten, um ihren Wert zu erkennen. Da sie zum Wachstum viel Zeit benötigen, lohnt es sich in jedem Fall, sich so früh und so intensiv wie möglich um Qualitätsbeziehungen zu kümmern und frühzeitig in sie zu investieren.

Es wäre fatal, wenn man in eine schwierige Situation geraten würde und dann feststellen müsste: „Ich habe niemand, mit dem ich reden kann.“ Dann ist es eindeutig zu spät, sich um den Aufbau von Qualitätsbeziehungen zu bemühen. Doch selbst dann gibt es Möglichkeiten, mit einem verständnisvollen Gesprächspartner in Kontakt zu kommen, beispielsweise bei der Telefonseelsorge, um aktuell wichtige Fragestellungen zu besprechen.

Ich bin Dieter Jenz, Begleiter, Berater und Coach mit Leidenschaft. Über viele Jahre hinweg habe ich einen reichen Schatz an Kompetenz und Erfahrung erworben. Meine Themen sind die "4L": Lebensaufgabe, Lebensplanung, Lebensnavigation und Lebensqualität.