Beziehungen aufbauen – in Qualitätsbeziehungen investierenLesezeit: 4 Min.

Dieser Beitrag ist Teil 5 von 9 der Reihe Vorbeugung für die Seele

Erfüllende, von Vertrauen getragene, lange andauernde zwischenmenschliche Beziehungen – wer wünscht sie sich nicht? Wer wünscht sich nicht Menschen an seiner Seite, mit denen er/sie buchstäblich durch „dick und dünn“ gehen kann?

In der Realität zeigt sich ein völlig anderes Bild. Viele Menschen erleben lediglich oberflächliche Beziehungen, die oft an einen bestimmten Zweck gebunden sind (z. B. Beziehungen am Arbeitsplatz, gemeinsamer Sport im Verein usw.). Nicht selten ist auch ein Vorteilsdenken das Motiv, wenn jemand etwa von einer Beziehung in einer bestimmten Weise profitiere.

Die Seele möchte mehr. Sie möchte Beziehungen „mit Tiefgang“. Bei seelischen Erkrankungen, wie beispielsweise einer Depression, ist es aber kaum noch möglich, Beziehungen aufzubauen. Und es fällt schwer, Beziehungen aufrecht zu erhalten. Deshalb lohnt es sich, über Vorbeugung für die Seele nachzudenken.

Dass menschliche Beziehungen seelischen Erkrankungen wirksam vorbeugen können, ist hinlänglich bekannt. Beispielsweise können Depressionen in ihrer einfachsten Ausprägung, gerade am Anfang einer sich entwickelnden Depression, durch gute Gespräche mit vertrauensvollen Bezugspersonen (z. B. Freundinnen, Freunde) gut „behandelt“ werden. Das Fortschreiten einer Depression lässt sich im günstigen Fall verhindern.

Beziehungsnetze sind bedroht

Wenn eine Depression weiter fortschreitet, leiden die vorhandenen Beziehungen. Der depressive Mensch neigt dazu, sich zurückzuziehen. Die Antriebskraft, Beziehungen am Leben zu erhalten, schwindet. Auch nahestehende Menschen ziehen sich ihrerseits zurück, oft aus Unsicherheit, wie sie mit einem depressiven Menschen umgehen sollen. Als Folge wird das Beziehungsnetz immer löchriger, bis es eines Tages möglicherweise völlig verschwunden ist.

In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nannte der Psychiater Prof. Andreas Reif* eine erschreckende Zahl: in Deutschland gebe es 4 Millionen Depressive, von denen lediglich zehn Prozent richtig behandelt würden. Demnach sind die Beziehungsnetze von 4 Millionen Menschen akut gefährdet oder schon nicht mehr vorhanden.

Es ist deshalb keineswegs weit hergeholt, menschlichen Beziehungen eine überaus wichtige Bedeutung beizumessen. Je intensiver menschliche Beziehungen sind, je weniger sie an Vorteilsdenken (die Beziehung zu xy bringt mir etwas, weil…) gehaftet sind, desto besser. Gesunde Beziehungen tragen zum seelischen Wohlbefinden bei, das dann sogar auf den körperlichen Bereich ausstrahlen kann. Untersuchungen haben gezeigt, dass Personen in ihrem körperlichen Zustand zufriedener sind, wenn sie in den letzten Wochen zufriedenstellende soziale Kontakte hatten. Gesunde Beziehungen können sogar bei der Vorbeugung vor seelischen Erkrankungen helfen. Eine seelische Erkrankung ist dadurch zwar nicht ausgeschlossen, aber das Risiko ist deutlich vermindert.

In Qualitätsbeziehungen investieren

„Qualitätsbeziehungen“ fallen mir im Allgemeinen nicht einfach so zu. Ich muss etwas unternehmen, um Menschen zu finden, die für eine solche „Qualitätsbeziehung“ in Frage kommen. Was wäre unter einer Qualitätsbeziehung zu verstehen? Der Versuch einer Definition am Beispiel eines Freundes könnte so aussehen: „Ein Freund ist ein Mensch, den ich morgens um 3 Uhr anrufen kann, wenn ich in Schwierigkeiten stecke, der mir dann zuhört, sich sogar dann Zeit für mich nimmt und mich ernst nimmt. Er fackelt nicht lange und macht sich auf den vielleicht mehrere hundert Kilometer weiten Weg, wenn es nicht anders geht. Und er behält alles, was ich ihm sage, für sich.“ Dies schließt nicht aus, dass mir ein Freund auch einmal sprichwörtlich „den Kopf wäscht“. Eine Qualitätsbeziehung gründet auf Offenheit, Aufrichtigkeit und Vertrauen, und sie hält klare Worte aus.

Beziehungen sind goldwerte Ressourcen für mich, auf die ich mich stützen kann, wenn es mir, allgemein gesprochen, „nicht so gut“ geht. Deshalb lohnt es sich, in Beziehungen zu investieren. Beziehungen sind Investitionen, vor allem Investitionen in Zeit. Beziehungen benötigen wie eine Pflanze Zeit, um wachsen zu können. Gegenseitiges Vertrauen lässt sich nicht im „Schnellverfahren“ herstellen, es muss sich entwickeln können.

Der Aufbau von Beziehungen zählt zu den Vorbeugemaßnahmen für meine Seele. Damit muss ich unbedingt in guten Zeiten beginnen. Wenn ich oder andere Anzeichen einer Depression bei mir erkennen (z. B. negatives und pessimistisches Denken, Konzentrationsstörungen, Antriebslosigkeit, chronische Müdigkeit, Schlafprobleme) ist es dafür schon zu spät. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, doch noch gute Beziehungen aufbauen zu können, sehr gering. Weshalb also nicht heute beginnen, in Qualitätsbeziehungen zu investieren?

* Prof. Andreas Reif ist Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt.

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Ich bin Dieter Jenz, Begleiter, Berater und Coach mit Leidenschaft. Über viele Jahre hinweg habe ich einen reichen Schatz an Kompetenz und Erfahrung erworben. Meine Themen sind die "4L": Lebensaufgabe, Lebensplanung, Lebensnavigation und Lebensqualität.