Das Evakuierungsszenario – ist es plausibel?Lesezeit: 9 Min.

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Das Evakuierungsszenario geht davon aus, dass spätestens mit dem biologischen Tod das individuelle Selbst aus dem physischen Körper evakuiert wird. Doch ist dieses Szenario plausibel?

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Dieses Szenario basiert auf der Prämisse, dass das individuelle Selbst genau im Augenblick des biologischen Todes den physischen Körper verlässt und vom intrauniversalen Existenzraum, dem Diesseits, in den extrauniversalen Existenzraum, das Jenseits, migriert. Das individuelle Selbst ist in diesem Szenario näherungsweise gleichbedeutend mit der Seele des Menschen.

Würde das individuelle Selbst den physischen Körper bereits vor dem biologischen Tod verlassen, wäre der Mensch während des Zeitraums zwischen dem Verlassen und dem biologischen Tod gewissermaßen seelenlos. In der Konsequenz wäre er temporär eine reine „Biomaschine“. Würde andererseits das individuelle Selbst den physischen Körper erst nach dem biologischen Tod verlassen, hätte dies zwingend zur Folge, dass das individuelle Selbst noch auf unbestimmte Zeit an den nun der Verwesung preisgegebenen physischen Körper gebunden wäre. Würde das individuelle Selbst aus Materie bestehen, müsste es mit dem biologischen Todverlöschen.

Besteht das individuelle Selbst aus Materie, muss zwingend eine Umwandlung in eine immaterielle Repräsentation erfolgen. Erst diese immaterielle Repräsentation wäre dann gewissermaßen evakuierungsfähig. Besteht demgegenüber das individuelle Selbst nicht aus Materie, kann es sich ohne Umwandlung vom physischen Körper lösen und diesen verlassen. Es benötigt sodann einen Bestimmungsort, an den es sich begibt oder geführt wird. An dieser Stelle wird, wie schon angedeutet, der extrauniversale Existenzraum, das Jenseits, als Bestimmungsort angenommen.

Für die weitere Betrachtung dieses Szenarios wird davon ausgegangen, dass die Loslösung des individuellen Selbst vom physischen Körper exakt im Augenblick des biologischen Todes geschieht. Der Mensch ist somit zu keinem Zeitpunkt seelenlos.

Selbstinitiierte Evakuierung

Die selbstinitiierte Evakuierung setzt voraus, dass das individuelle Selbst den exakten Zeitpunkt kennt, an dem die Vitalfunktionen des Körpers irreversibel erlöschen. Im Augenblick des biologischen Todes muss es seine Evakuierung bewerkstelligen.

Das individuelle Selbst muss jedoch nicht nur den exakten Zeitpunkt für die Loslösung kennen, sondern es muss auch wissen, wohin es sich bewegen soll. Bildlich ausgedrückt: ein Ziel muss in das individuelle Selbst bereits „einprogrammiert“ sein. Ansonsten würde es sich mehr oder weniger orientierungslos in einem Existenzraum bewegen.

Das Konzept der Wiedergeburt (Reinkarnation), wie von Hinduismus und Buddhismus propagiert, ist ohne eigeninitiierte Loslösung und Evakuierung des individuellen Selbst nicht vorstellbar. In beiden Religionen ist kein Wesen bekannt, das den exakten Todeszeitpunkt des sterbenden Menschen kennt.

Fremdinitiierte Evakuierung

Die fremdinitiierte Evakuierung basiert auf der Prämisse, dass das individuelle Selbst die Evakuierungsanweisung von einem bestimmten extrauniversalen Geistwesen (z. B. Gott) erhält. Dieses Konzept der „Abberufung“ findet sich auch in monotheistischen Religionen wieder. Das Christentum vertritt die Überzeugung, dass Gott einen Menschen abberuft. In manchen Traueranzeigen wird dies beispielsweise so ausgedrückt: „Gott der Herr hat … aus diesem Leben in seine Ewigkeit abberufen“. Im Islam, in dem der Tod als Abberufung bezeichnet wird, ist es der „Engel des Todes“ (Izra‘il), der im Auftrag Allahs diese Abberufung, die Trennung von Körper und Seele, zu vollziehen hat.

Das individuelle Selbst würde, technisch betrachtet, auf einer bekannten Frequenz eine Abberufungsanweisung empfangen. Der „Sender“ sendet eine Anweisung an das individuelle Selbst über eine definierte Schnittstelle und ein definiertes Protokoll. Die Schnittstelle repräsentiert Syntax (definiert, wie in einer Sprache Buchstaben und Zeichen zu Worten sowie Wörter zu Wortgruppen (Phrasen) und schließlich zu einem vollständigen Satz zusammengesetzt werden). Das Protokoll repräsentiert Semantik (Bedeutung eines bestimmten Wortes, Satzes oder Textes).

Beispielsweise folgt der Satz „Bitte bringe mir ein Glas Wasser“ den bekannten Regeln der Satzlehre. Sender und Empfänger müssen ein gemeinsames Verständnis von Syntax und auch Semantik haben. Beide müssen beispielsweise unter „Wasser“ dasselbe verstehen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, wird die Bitte vom Empfänger problemlos verstanden.

Selbst „Wasser bitte Glas ein mir bringe“ kann noch verstanden werden, da das menschliche Gehirn in der Lage ist, auch mit gravierenden Fehlern im Satzbau umzugehen, solange die Semantik der Wörter bekannt ist. Das Gehirn kann den Satz in die syntaktisch korrekte Form transformieren, zumindest bei einfachen Sätzen. Gleichwohl wird das Gehirn zur Interpretation der Bitte etwas mehr Zeit benötigen.

Wenn das individuelle Selbst in der Lage sein soll, eine Anweisung zu empfangen und sie auch zu verstehen, müssen Schnittstelle und Protokoll im individuellen Selbst bereits „implementiert“ sein. Wie diese Implementierung beschaffen sein könnte, ist nicht bekannt. Auf der körperlichen Ebene, im menschlichen Genom, lassen sich Schnittstelle und Protokoll bisher jedenfalls nicht nachweisen. Dies ist jedoch bei einer Funktion des individuellen Selbst auch nicht erforderlich.

Ein Kind erlernt die verbale Kommunikation mittels Sprache in einem Zeitraum von mehreren Jahren. Wie diverse Untersuchungen zeigen konnten, beginnt es damit sogar schon im Mutterleib. Wenn es auf der Welt ist, weitet es seine sprachlichen Kompetenzen immer weiter aus. Auch wenn aus einem Kind längst ein Erwachsener geworden ist, ist der Erweiterung der sprachlichen Kompetenzen keine Grenze gesetzt. Eine an das individuelle Selbst gerichtete Abberufungsanweisung kann jedoch nicht erlernt werden, da niemand Syntax und Semantik kennt. Was nicht bekannt ist, kann auch nicht an die nächste Generation weitergegeben werden.

In der Konsequenz muss dem individuellen Selbst die Abberufungsanweisung zumindest schon im Mutterleib bekannt, aber nicht unbedingt bewusst sein. Im späteren Leben ist die Abberufungsanweisung keinem Menschen bewusst. Wäre sie bewusst, könnte man sich theoretisch selbst abberufen.

Als weitere Anforderung muss das individuelle Selbst stets empfangsbereit sein. Es muss kontinuierlich „hören“. Schließlich ist unbekannt, wann die Anweisung erfolgt. Sie könnte jederzeit gesendet werden.

Einschränkung der Gehirnfunktionen

Wenn Gehirnfunktionen eingeschränkt sind, beispielsweise durch fortgeschrittene demenzielle Erkrankung, hat dies zwingend zur Folge, dass eine eingeschränkte psychische Welt, ein eingeschränktes individuelles Selbst, evakuiert wird. Im extrauniversellen Existenzraum, dem Jenseits, würden die im intrauniversalen Existenzraum, dem Diesseits, maßgeblichen Einschränkungen weiterhin fortbestehen.

Transzendenzerfahrungen

Transzendenzerfahrungen spielen im Evakuierungsszenario eine untergeordnete Rolle. Schließlich erfolgt eine Evakuierung nur dann, wenn der physische Tod tatsächlich eintritt. Dennoch lohnt sich eine kurze Betrachtung.

Nahtoderfahrungen

Eine Nahtoderfahrung (siehe „Was sind Nahtoderfahrungen? Wie werden sie erlebt?“) wird nur erlebt, wenn das Überleben gefährdet ist, der physische Tod jedoch letztlich nicht eintritt. Einige der Menschen mit einer Nahtoderfahrung als Transzendenzerfahrung berichteten von einem Rückkehrerlebnis der Seele in den Körper, nachdem sie sich für einige Zeit außerhalb ihres physischen Körpers erlebt hatten. Während dieses Zeitraums konnten sie sehen und hören, wobei sich die Augen des Körpers und die der Seele – und sinngemäß auch die Ohren – an unterschiedlichen Orten befanden. Somit konnten sie später zutreffend davon berichten, wie das medizinische Fachpersonal während der Wiederbelebungsmaßnahmen gehandelt hatte und was besprochen wurde.

Bei selbstinitiierter Evakuierung muss das individuelle Selbst sicher „wissen“, dass der physische Tod nicht eintreten wird und somit die Zeit für die Evakuierung noch nicht gekommen ist. Es darf sich also nicht zu früh vom physischen Körper lösen. In der Konsequenz stellt sich die Frage, wie das individuelle Selbst zu diesem Wissen gelangt bzw. gelangen kann.

Ein Anhaltspunkt ergibt sich durch von manchen Betroffenen während einer Nahtoderfahrung erlebten Zurückweisung an der sprichwörtlichen Grenze zwischen Diesseits und Jenseits. Wenn Geistwesen zum Ausdruck bringen, dass die Zeit für den Übertritt über die Grenze noch nicht gekommen sei, wird der selbstinitiierten Evakuierung ein Riegel vorgeschoben.

Bei fremdinitiierter Evakuierung wäre davon auszugehen, dass das abberufende Geistwesen den exakten Todeszeitpunkt kennt. Es kann deshalb sicher wissen, dass die Zeit für die Evakuierung noch nicht gekommen ist. Es würde erst und nur dann eine Evakuierung initiieren, wenn dies wirklich erforderlich ist. In der Konsequenz wird Irrtumslosigkeit unterstellt.

Sterbebettvisionen, Nachtod- und Geistwesenkontakte

Menschen, die eine Sterbebettvision erleben, stehen zwar am Ende ihres Lebens, jedoch tritt während einer Sterbebettvision in der Regel nicht der physische Tod ein. Nachtod- und Geistwesenkontakte werden im Allgemeinen nicht in zeitlicher Todesnähe erlebt. Insofern stellt sich die Frage der Evakuierung nicht.

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Folgerungen

Das Evakuierungsszenario ist mit den erkenntnistheoretischen Positionen des Materialismus und auch des Naturalismus unvereinbar. Es setzt voraus, dass das individuelle Selbst in den extrauniversalen Existenzraum, das Jenseits, migrieren kann. In der Konsequenz ist es nicht Teil des physischen Körpers.

Die selbstinitiierte Evakuierung setzt, wie bereits erwähnt, voraus, dass sich das individuelle Selbst im genau richtigen Moment evakuieren kann. Das Gehirn muss noch funktionsfähig sein, um die Evakuierung zu bewerkstelligen. Nahtoderfahrungen lassen sich so interpretieren, dass dies tatsächlich so geschehen könnte. Mit dem Wiederlangen von Gehirnaktivität und dem Ende der Nahtoderfahrung kehrt das individuelle Selbst wieder in den physischen Körper zurück, d. h. es findet in gewisser Weise eine Rückabwicklung statt.

Der genaue Auslöser für die Evakuierung des individuellen Selbst lässt sich nicht erschließen. Die Frage lässt sich aus technischer Sicht so formulieren: Wie kann das Gehirn erkennen, dass die Gehirnaktivität eingestellt wird, um dann das Signal für die selbstinitiierte Evakuierung des individuellen Selbst zu geben? Eine Art Sensor müsste vorhanden sein, der das Signal auslöst.

Das Gehirn muss darüber hinaus über Informationen verfügen, wie die Evakuierung des individuellen Selbst zu bewerkstelligen ist und wie der Evakuierungsprozess im Einzelnen abläuft. Der Evakuierungsprozess kann während des Lebens nicht erlernt werden. Da auch Föten und Embryos im Mutterleib sterben können, muss dieser Prozess demnach bereits im Erbgut angelegt sein.

Auch die Frage, woher das individuelle Selbst den Bestimmungsort kennt, zu dem es emigriert, muss offenbleiben. Aus Sicht der Evolutionstheorie ergeben sich keinerlei Hinweise. Der Bestimmungsort muss gewissermaßen bereits „einprogrammiert“ sein. Im menschlichen Erbgut lassen sich bislang keine Hinweise auf eine derartige Codierung finden.

Die fremdinitiierte Evakuierung impliziert eine Art „Empfangsmodul“ mit voreingestellter Frequenz, auf der die Evakuierungsanweisung empfangen werden kann. Dieses Empfangsmodul müsste, bildlich ausgedrückt, bereits im werdenden Menschen vorhanden sein. Während des Lebens lässt sich ein derartiges Empfangsmodul nicht mehr „nachrüsten“. Im menschlichen Erbgut lassen sich keine Hinweise auf eine Art „Empfangsmodul“ finden.

In der Gesamtschau lassen sich keine gewichtigen Gründe finden, die für das Evakuierungsszenario sprechen. Im Erbgut des Menschen lassen sich keine Indizien dafür finden, dass dieses Szenario „technisch“ gesehen möglich ist. Gleichwohl lässt sich dieses Szenario nicht völlig ausschließen, da es durchaus möglich ist, dass die Codierungen im Erbgut vorhanden sind, jedoch noch nicht entdeckt wurden. Davon abgesehen wären in die Evakuierung des individuellen Selbst auch alle psychischen Belastungen und Einschränkungen (z. B. demenzielle Erkrankungen) eingeschlossen.

Ich bin Dieter Jenz, Begleiter, Berater und Coach mit Leidenschaft. Über viele Jahre hinweg habe ich einen reichen Schatz an Kompetenz und Erfahrung erworben. Meine Themen sind die "4L": Lebensaufgabe, Lebensplanung, Lebensnavigation und Lebensqualität.