Eudaimonia als Schlüssel zum Glück?Lesezeit: 8 Min.

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Eudaimonia als Schlüssel zum Glück? Die meisten Menschen können mit dem Begriff „Eudaimonia“ nichts anfangen, Philosophen aber schon. Seit einigen Jahren beschäftigen sich auch Psychologen, Psychoneuroimmunologen und Neurobiologen damit. Aber was hat ein philosophischer Begriff überhaupt mit dem realen, oft harten Leben zu tun?

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Symbolbild - Foto: Vlad Deep, Unsplash
Foto: Vlad Deep, Unsplash

Eudaimonia ist ein Begriff aus der griechischen Philosophie und geht auf Aristoteles (384-322 v. Chr.) zurück. Eine direkte Übersetzung des Begriffs in die deutsche Sprache ist nicht möglich. Der Begriffsinhalt lässt sich aber in etwa so wiedergeben: „in Übereinstimmung mit meinem wahren Selbst leben und mein Potenzial erfüllen“. Es geht um einen Daseinszustand, nicht um bestimmte Ereignisse. Diesen Zustand beschreibt Aristoteles als das Ergebnis der Verwirklichung des eigenen Potenzials.

Damit bildet Eudaimonia einen Gegensatz zum sogenannten „hedonischen Wohlbefinden“. Dieses ist stark auf Ereignisse hin angelegt, z.B. ein wunderschöner Strandspaziergang, ein gutes Abendessen, der Sieg der Lieblingsfußballmannschaft, ein bewegender, unterhaltsamer Film oder ein tolles Konzert. Derartige Ereignisse bzw. Erlebnisse sind eher kurzlebig und flüchtig.

Aktivitäten, die in einem Menschen das langfristig stärkste Gefühl von Selbstverwirklichung und Lebensinhalt wecken, sind häufig nicht auf kurzfristiges Wohlbefinden ausgelegt. So ist beispielsweise die berufliche wie private Arbeit nicht immer angenehm. Sie wird als herausfordernd empfunden, gilt gleichzeitig aber auch als wertvoll an sich. Auch das Studium, die Kindererziehung oder eine ehrenamtliche Tätigkeit machen nicht immer Spaß, befriedigen nicht immer. Diese Aktivitäten vermitteln aber insbesondere auf lange Sicht betrachtet ein Gefühl der Erfüllung, ein Gefühl, das Beste aus sich gemacht zu haben.

Was aber sind die konkreten Auswirkungen, wenn Eudaimonia im Leben erreicht wird? Psychologen untersuchten in jüngerer Zeit die typischen Auswirkungen der eudaimonischen und hedonischen Arten von Wohlbefinden auf die physische und psychische Gesundheit.

Konkrete Auswirkungen

David Bennett, Direktor des Alzheimer’s Disease Research Center am Rush Medical Center in Chicago, und seine Kollegen konnten zeigen, dass sich eudaimonisches Wohlbefinden im Hinblick auf Alzheimer real auswirkte. Die 950 Studienteilnehmer waren bei Studienbeginn im Durchschnitt 80 Jahre alt. Über einen Zeitraum von 7 Jahren hinweg zeigte sich, dass bei den Teilnehmern, für die der Lebenssinn eine größere Rolle spielte, die Wahrscheinlichkeit, an Alzheimer zu erkranken, um über 50 Prozent geringer war. In einer separaten Analyse stellte sich für dieselbe Personengruppe heraus, dass die Wahrscheinlichkeit, in den nächsten fünf Jahren zu sterben, um etwa 57 Prozent niedriger lag. Darüber hinaus waren diese Personen im Hinblick auf ihre Lebensführung und Mobilität (z.B. Führen des Haushalts, Umgang mit Geld, Treppensteigen) weniger eingeschränkt als die Personen der Vergleichsgruppe (Menschen, für die der Lebenssinn eine geringere Rolle spielte).

Dr. Carol Ryff, Direktorin des Instituts für Altersforschung an der Universität von Wisconsin, führte mit ihrem Team eine Studie mit etwa 7.000 Personen durch. Gegenstand war die Untersuchung von Faktoren, die die Gesundheit und das Wohlbefinden vom mittleren bis zum hohen Lebensalter beeinflussen. Studienteilnehmer mit niedrigem Bildungsniveau und höherem eudaimonischem Wohlbefinden wiesen niedrigere Werte von Interleukin-6 auf, einem Entzündungsmarker, der mit Herz-Kreislauf-Problemen, Osteoporose und Alzheimer in Beziehung steht. Die Vergleichsgruppe bestand aus Personen mit geringerem eudaimonischen Wohlbefinden.

Es gibt Hinweise, dass Menschen mit hohem eudaimonischem Wohlbefinden emotionale Information anders verarbeiten als Menschen mit niedrigem eudaimonischem Wohlbefinden. Laut Cariem van Reekum, Forscherin am Zentrum für Integrative Neurowissenschaft und Neurodynamik an der Universität Reading, England, legen bildgebende Untersuchungen des Gehirns nahe, dass Menschen mit hohem eudaimonischem Wohlbefinden dazu tendieren, die präfrontale Hirnrinde stärker zu nutzen als Menschen mit niedrigem eudaimonischem Wohlbefinden. Die präfrontale Hirnrinde wird mit Handlungsplanung und -initiierung in Verbindung gebracht. Sie ist wichtig für das abstrakte Denken, einschließlich Zielsetzung, Sprache und Gedächtnis. Außerdem scheinen grundlegende Merkmale der Persönlichkeit hier lokalisiert zu sein.

Es lässt sich also durchaus ableiten, dass eudaimonisches Wohlbefinden nicht nur auf die Seele, sondern auch auf den Körper positive Auswirkungen hat. Mit anderen Worten: Eudaimonisches Wohlbefinden bedeutet im Grunde genommen eine gesundheitsfördernde Einstellung.

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Psychologisches Wohlbefinden in 6 Dimensionen

Wie lässt sich konkret ein möglichst hoher Grad des „wahren Selbst“ realisieren? Laut Ryff lassen sich sechs Dimensionen des psychologischen Wohlbefindens ableiten. Jede Dimension beschreibt Einstellungen und Verhaltensweisen, die die Grundlage für eine gut gelingende Lebensweise bilden. Das Idealbild ist gewissermaßen erreicht, wenn zu einer Person Folgendes ausgesagt werden kann (siehe auch: Therapieziel Wohlbefinden – Ressourcen aktivieren in der Psychotherapie, herausgegeben von Renate Frank, Springer-Verlag, S. 65 f.):

  • Positive Sozialbeziehungen: unterhält mit anderen Menschen bedeutsame Beziehungen, die wechselseitige Empathie, Vertrautheit und Zuneigung umfassen; wird als freigiebige Person beschrieben, die bereit und willens ist, Zeit mit anderen zu verbringen;
  • Autonomie: ist selbstbestimmt und unabhängig; beurteilt sich nach persönlichen Maßstäben; kann sozialem Druck widerstehen, in einer bestimmten Art und Weise denken oder handeln zu müssen;
  • Alltagsbewältigung: hat den Eindruck, das Empfinden, Anforderungen kompetent bewältigen zu können; ist in der Lage, Bedingungen herzustellen bzw. sich zu verschaffen, die den eigenen Bedürfnissen und Werten entsprechen; hat viele seiner Lebensbereiche unter Kontrolle;
  • Persönliches Wachstum: hat den Eindruck, das eigene Potenzial realisieren zu können; ist an neuen Erfahrungen interessiert; hat das Gefühl, sich fortwährend weiterzuentwickeln;
  • Sinnhaftigkeit des Lebens: hat eine starke Zielorientierung; ist davon überzeugt, dass das Leben Sinn und Bedeutung hat;
  • Selbstakzeptanz: hat eine positive Haltung zu seinem bzw. ihrem Leben; mag die meisten Aspekte seiner Persönlichkeit.

Es ist wichtig, festzuhalten, dass eudaimonisches Wohlbefinden nicht als statischer Zustand, sondern als lebenslanger Entwicklungsprozess zu verstehen ist. Negative Erlebnisse und Erfahrungen werden nicht ausgeklammert. Wenn negative Erlebnisse und Erfahrungen in einer guten und stimmigen Weise bewältigt werden können, dann gehört dies zum eudaimonischen Wohlbefinden dazu. Schließlich lässt sich persönliches Wachstum ohne Bewältigung negativer Erlebnisse und Erfahrungen nicht denken.

Die mit dem eudaimonischen Wohlbefinden verknüpfte gesundheitsfördernde Einstellung schlägt sich, wie schon angedeutet, auf der Zellebene nieder. Wenn sich die Psyche verändert, dann verändert sich auch der Körper auf Zellebene mit. Barbara Frederickson, Professorin für Psychologie an der University of North Carolina, konnte dies zeigen. Demzufolge reagiert der menschliche Körper besser auf ein Wohlbefinden, das sich auf persönliche Authentizität gründet, das auf persönliches Wachstum ausgerichtet ist und ein sinnerfülltes Leben anstrebt.

Frederickson vergleicht das hedonische Wohlbefinden mit seiner stärkeren Betonung der „Spaßorientierung“ mit „leeren Kalorien“. Entsprechend war auch kein Nachweis zu führen, dass eine hedonische Lebensweise das Immunsystem stärkt.

In seinem Buch „Authentizität: Die neue Wissenschaft vom geglückten Leben“ (Kailash Verlag, 2017) berichtet Stephen Jones vom Langzeiteffekt des eudaimonischen Wohlbefindens. Im Rahmen einer Studie wurden im Lebensalter von Mitte fünfzig und Mitte sechzig rund 5.600 Personen nach ihrem eudaimonischen Wohlbefinden befragt. Es wurde festgestellt, dass die Personen, die Mitte 50 ein geringes eudaimonisches Wohlbefinden angaben, zehn Jahre später mit einer um das Siebenfache erhöhten Wahrscheinlichkeit an Depressionen litten.

Eudaimonia steht in unserer heutigen Konsumgesellschaft und ‑kultur nicht gerade hoch im Kurs. Der auf „wohlfühlbezogenes Glück“ ausgerichtete hedonische Lebensstil wird quasi auf sämtlichen Kanälen propagiert. Die Werbung für Erlebnisse, die den ganz besonderen Reiz versprechen, läuft auf Hochtouren. Dabei zeigen zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen, dass die bloße Jagd nach Vergnügungen unser Leben nicht mit Sinn erfüllt, wenn die eigene innere Entwicklung keine Rolle spielt. Das Streben nach eudaimonischem Wohlbefinden (dem „wertebezogenen Glück“) gleicht gewissermaßen einem Schwimmen gegen den Strom.

Jeder ist seines Glückes Schmied

In der Gesamtschau betrachtet deuten die Ergebnisse der Vielzahl durchgeführter Untersuchungen und Studien klar darauf hin, dass die Gesundheit von Körper, Seele und Geist gezielt unterstützt und gefördert werden kann. Der Mensch ist beileibe kein rein triebgesteuertes Wesen, das seinen Instinkten und Trieben blind folgen muss. Ganz im Gegenteil: der Mensch ist ein selbststeuerndes Wesen. Die bekannte Volksweisheit „Jeder ist seines Glückes Schmied“ bringt dies treffend auf den Punkt: jeder ist selbst für sich und sein Lebensglück verantwortlich, kann durch seine Handlungen sein Schicksal beeinflussen. Jeder ist selbst dafür verantwortlich, was er aus seinem Leben macht.

Glück - Foto: Ethan Hoover, Unsplash
Foto: Ethan Hoover, Unsplash

Das Wissen um die gesunden Einstellungen und Verhaltensweisen, die Umsetzung in eine Lebensplanung und in das tägliche Leben helfen, einen Zustand des eudaimonischen Wohlbefindens, des erfüllten Lebens, zu erreichen. Natürlich spricht auch nichts dagegen, das Leben mit hedonischen Erlebnissen und Ereignissen anzureichern.

Gutes und Sinnvolles tun – ganz praktisch

Geschenk mit Text - Gestaltung: privat
Gestaltung: privat

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Weiter so wie bisher?

Eudaimonia ist, wie deutlich wurde, beileibe kein weltfremdes theoretisches Konzept. Eudaimonia steht mit für das Leben relevanten Faktoren wie Lebenssinn, Selbstakzeptanz, Autonomie und persönliches Wachstum, in enger Beziehung. Wenn der Mensch im Einklang mit seinem inneren Selbst lebt, erfährt er in der Summe Wohlbefinden und Zufriedenheit.

Nun stellt sich die Frage: Soll es im Leben so weitergehen wie bisher? Oder gibt es den Impuls und dann die Motivation, dem Leben eine neue Richtung zu geben? Falls ja, stellt sich die Frage, wie man den Einstieg in die Richtungsänderung finden kann. Der Beitrag „Dem Leben eine neue Richtung geben“ bietet dazu Anregungen.

Ich bin Dieter Jenz, Begleiter, Berater und Coach mit Leidenschaft. Über viele Jahre hinweg habe ich einen reichen Schatz an Kompetenz und Erfahrung erworben. Meine Themen sind die "4L": Lebensaufgabe, Lebensplanung, Lebensnavigation und Lebensqualität.