Gibt es ein Lebens-Logbuch als Lebensprotokoll?Lesezeit: 10 Min.

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Gibt es ein Lebens-Logbuch, in dem die während des Lebens geschehenen Handlungen und Taten verzeichnet werden? Ein solches Lebens-Logbuch ist schließlich nur dann sinnvoll, wenn es einen Zweck zu erfüllen hat. Dem religiösen Schrifttum zufolge besteht der Zweck darin, als Grundlage für die Beurteilung eines zurückliegenden Lebens durch eine göttliche Instanz zu dienen.

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Was geschieht mit mir wenn ich sterbe - Gestaltung: privat

Dieser Beitrag ist Teil der Serie „Was geschieht mit mir wenn ich sterbe?
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Aufzeichnung in Büchern

Die Betrachtung eines zurückliegenden Lebens durch einen übernatürlichen Richter, einen Gott, erfolgt im Vergleich zu einem weltlichen Gericht unter völlig anderen Voraussetzungen. Ein göttlicher Richter besitzt nach den Schriften der verschiedenen Weltreligionen einen gewissen Einblick in das zu beurteilende individuelle Leben. Doch worauf gründet sich dieser Einblick und wie weit reicht er? Gibt es eine Art „Logbuch des Lebens“?

Damit alles, was im Leben von Menschen geschieht, aufgezeichnet werden kann, bedarf es entweder eines gigantischen Gedächtnisses oder die Aufzeichnung muss auf Speichermedien erfolgen. Während der Entstehungszeit des Schrifttums der Weltreligionen war lediglich das Buch als analoges Speichermedium, das sich auch über längere Zeit aufbewahren ließ, bekannt. Weitere bekannte Medien, zum Beispiel Tontafeln, konnten nicht die benötigte Kapazität bieten. Heute bekannte Speichermedien lagen noch völlig außerhalb jeglicher Vorstellungskraft. Erst seit dem 20. Jahrhundert sind Speichermedien verfügbar, die das Fassungsvolumen des Buches bei weitem übertreffen.

Zum einen existiert dem religiösen Schrifttum zufolge im extrauniversalen Existenzraum ein „Buch des Lebens“ (Judentum, Christentum) als eine Art göttliches Verzeichnis, das die Namen aller Gott wohlgefälligen Menschen enthält, die je gelebt haben. Zum anderen existieren dort Bücher, in denen die Taten der Menschen verzeichnet sind. Diese dienen als Grundlage für die Beurteilung des Lebens der Menschen. Global betrachtet, enthalten die Bücher eine Art Weltgedächtnis. Implizit wird damit auch konzediert, dass es Gott oder Geistwesen nicht möglich ist, alles im Gedächtnis behalten zu können.

Das Konzept der Aufzeichnung in Büchern scheint aus geschichtlicher Perspektive naheliegend und nachvollziehbar. Dazu bedarf es eines Schriftsystems. Die ersten allgemein anerkannten Schriftsysteme entwickelten sich, wie bereits erwähnt, ab dem 4. Jahrtausend v. Chr., wohl vor allem von rechnerisch-buchhalterischen Überlegungen motiviert. Für damals lebende Menschen war es deshalb wohl durchaus nachvollziehbar, im Lauf des Lebens erfolgte Handlungen und Taten gewissermaßen zu protokollieren.

In den Büchern, in denen nach Vorstellung von Religionen die Taten der Menschen verzeichnet sind, ist in der Konsequenz für jeden Menschen Raum für ein persönliches Lebens-Logbuch. Angenommen, dieses Logbuch des Lebens existiert für jeden Menschen, der jemals auf der Erde gelebt hat, jetzt lebt und zukünftig lebt. Wenn dieser Annahme gefolgt wird, ergeben sich eine ganze Reihe weiterer Fragen, insbesondere:

  • Wer führt das Logbuch?
  • Wie detailliert wird das Logbuch geführt?
  • Wer hat Einblick?

Davon abgesehen stellt sich auch die Frage, ob das Lebens-Logbuch tatsächlich nur in Buchform vorstellbar ist – das einizige damals bekannte Medium mit größerem Aufzeichnungsvermögen – oder ob auch andere Speicherformen denkbar sind.

Wer führt das Logbuch?

Da kein Mensch selbst ein lückenloses Logbuch seines Lebens führt und auch kein menschliches Wesen (z. B. ein enger Freund) ein lückenloses Logbuch führen kann, muss zwangsläufig ein extrauniversales Wesen diese Aufgabe übernehmen. Außer einem extrauniversalen Wesen käme dafür niemand infrage.

Ein extrauniversales Wesen muss zwangsläufig Einblick in den intrauniversalen Existenzraum, das Diesseits, und außerdem das Leben des Individuums haben, dessen Leben es gewissermaßen lückenlos protokolliert. Es muss in der Lage sein, dessen Leben aus der Beobachterperspektive unablässig, jedoch zumindest während der Aktiv- bzw. Wachzeiten des zu Beobachtenden, mitzuverfolgen. Insofern käme (ein) Gott oder beauftragte Geistwesen als einzige Möglichkeit in Betracht. Im Hinduismus, als Beispiel, wird dem Totengott Yama dabei die Unterstützung Chitraguptas zuteil, der als sein Gehilfe ein „Logbuch“ des Lebens führt.

Die Antwort auf die Frage, wer das Logbuch des individuellen Lebens führt, ist einzig und allein mit der religiösen Überzeugung verknüpft. Ein Hindu wird die Frage anders beantworten als etwa ein Christ. Ein Atheist wird hingegen die Existenz eines Logbuchs verneinen, während ein Agnostiker sich nicht festlegen wird.

Wie detailliert wird das Logbuch geführt?

Die Frage, wie detailliert das Logbuch geführt und was alles in diesem Logbuch verzeichnet wird, ist eng mit dem Zweck des Logbuchs verknüpft. Dient das Logbuch einzig und allein dazu, die „guten“ gegen die „bösen“ Taten abzuwägen und einen Saldo zu ermitteln? Oder ist der Zweck des Logbuchs breiter angelegt und bezieht auch die Gedankenwelt mit ein? In diesem Fall müsste der Protokollant Einblick in die Gedankenwelt des Beobachteten haben.

Auch aus Einstellungen (Gedanken) können in gewissem Sinn Handlungen erwachsen. Als Beispiel sei eine negative Grundeinstellung gegenüber einem Mitmenschen genannt. Es mag sein, dass der Mitmensch um etwas bittet. Man könnte der Bitte problemlos entsprechen, aber man schlägt sie aufgrund der negativen Einstellung diesem Menschen gegenüber ab. Eine Einstellung führt zu einer „Nichthandlung“, die aber dennoch den Charakter einer Handlung (das Abschlagen der Bitte) hat.

Handlungen wie Nichthandlungen sind mit Motiven verknüpft. Gerade die Motive sind es jedoch, die diese Handlungen und Nichthandlungen erklärbar machen. Schließlich gibt es auch „böse“ Motive, wie beispielsweise Rachegedanken, die nicht unbedingt eine Tat nach sich ziehen, wie beispielsweise einen Angriff auf das Eigentum anderer Menschen, aber dennoch nicht folgenlos bleiben. Sie können zwischenmenschliche Beziehungen längerfristig vergiften.

Handlungen und Motive sind in einen Kontext eingebettet. Um Motive und Handlungen verstehen und beurteilen zu können, ist die Kenntnis von Situation und Zusammenhängen unerlässlich. Beispielsweise kann die Tötung eines Menschen, die Handlung bzw. Tat, sehr unterschiedlich motiviert sein. Einerseits kann es sich um vorsätzlichen und kaltblütigen Mord aus niedrigen Beweggründen handeln, andererseits um eine Handlung, um Schlimmeres abzuwenden. Es könnte sich beispielsweise um die Tötung eines Amokläufers handeln, um ihn daran zu hindern, weitere Menschen umzubringen. Eine „böse“ Tat wäre unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs und der Motivation in Wirklichkeit eine „gute“ Tat. Dies wird aber erst durch Kenntnis des Kontextes offenkundig.

Auch die Antwort auf die Frage nach der Detaillierung im Logbuch ist an die religiöse Überzeugung gebunden. Jede Religion kennt ihre jeweils spezifische Antwort, wobei die maßgeblichen Schriften (z. B. Tanach (jüdische Bibel), Koran, Altes und Neues Testament der Bibel) überwiegend vage bleiben.

Wer hat Einblick in das Logbuch?

Angenommen, das Logbuch des individuellen Lebens existiert und es ermöglicht, das Leben eines Menschen lückenlos nachzuvollziehen. Weiterhin angenommen: Das Logbuch macht den jeweiligen Kontext einer jeden Handlung transparent, wodurch Handlungsmotive und schließlich jede Handlung (besser) verständlich werden.

Einem göttlichen Richter wäre es auf Basis dieses Logbuchs möglich, alle Handlungen nach den von ihm erlassenen Verhaltens- und Handlungsmaximen (beispielsweise den Zehn Geboten der Bibel) festgehaltenen Regeln zu bewerten und schließlich zu einem zusammenfassenden Urteil zu gelangen. Doch hat nur Gott Einblick in ein individuelles Logbuch des Lebens?

Wenn nur Gott Einblick hat, ist für den Menschen dann nachvollziehbar, wie Gott zu seinem Urteil gelangte? Es liegt schließlich nahe, dass der Mensch sich bei weitem nicht mehr an alle seine im Lauf eines möglicherweise langen Lebens erfolgten Handlungen erinnern kann. Möglicherweise ist eine Erinnerung aufgrund neurologischer Gegebenheiten (z. B. dauerhafte Amnesie, Schlaganfall, Demenz) auch überhaupt nicht mehr möglich – ein Rückgriff auf das Gedächtnis scheitert. Für den Menschen wäre eine „Urteilsbegründung“ Gottes zumindest teilweise nicht nachvollziehbar.

Selbst wenn einem Menschen Einblick in das Logbuch gewährt würde, ergeben sich einige „technische“ Fragen: In welcher Sprache und mit welchem Schriftsystem ist das Logbuch verfasst? Könnte ein Mensch den Inhalt des beispielsweise von einem Engel im Auftrag Gottes verfassten Logbuchs überhaupt verstehen?

„Gott hat mich verurteilt, aber ich weiß nicht warum“ – um eine derartige Aussage auszuschließen, müsste ein Mensch vor einem göttlichen Gericht wieder vollen Zugriff auf sein Gedächtnis erlangen. Bei einem Gedächtnisverlust, sei er neurologisch bedingt oder nicht (insbesondere bei einer dissoziativen Amnesie), müsste das Gedächtnis wieder vollständig hergestellt werden. Doch wie sollte dies beispielsweise bei einer dauerhaften anterograden (vorwärtswirkenden) Amnesie geschehen können, bei der das Langzeitgedächtnis nach einem bestimmten Ereignis nichts mehr speichern kann?

Die verschiedenen Religionen bleiben hinsichtlich des Einblicks in das Logbuch im Allgemeinen sehr vage. Sie setzen ein Grundvertrauen in die Gerechtigkeit Gottes voraus und nähren die Erwartung, dass Gott ein gerechtes Urteil sprechen wird. Ob der Mensch reiner Urteilsempfänger ist oder nicht und ob – wie bei einem weltlichen Gericht – überhaupt eine „Urteilsbegründung“ erwartet werden kann, bleibt weitestgehend offen.

Nichtlokales individuelles Selbst

Als Denkalternative zur „Logbuch“-Hypothese bietet sich das Konzept des nichtlokalen individuellen Selbst an. Dieses Konzept gründet auf der Hypothese, dass das individuelle Selbst primär außerhalb des menschlichen Körpers existiert, jedoch das menschliche Gehirn als eine Art „Dienstleister“ oder „Erfüllungsgehilfe“ nutzt. Diese Hypothese führt zu tiefgreifenden Konsequenzen.

Die wohl wichtigste Konsequenz besteht darin, dass das individuelle Selbst auch nach dem physischen Tod weiterexistieren kann. Es verliert lediglich einen „Dienstleister“. Sofern das individuelle Selbst auch einen „Bauplan“ eines vergangenen physischen Körpers umfasst, ließe sich zumindest ein „geistiger“ Körper, ein Geistleib, rekonstruieren. Die Voraussetzungen für eine Auferstehung bzw. Auferweckung oder eine Erschaffung eines „geistigen“ Körpers bzw. Geistleibs wären gegeben. Dies würde bedeuten, dass sogar eine Weiterexistenz als ganzheitliche Person möglich wäre.

In weiterer Konsequenz erscheint auch das Konzept eines göttlichen Urteils über das individuelle Leben eines Menschen, wie von manchen Religionen postuliert, möglich. Das nichtlokale individuelle Selbst ist nicht nur für den Menschen, sondern auch für einen Gott zugänglich. Der gemeinsame Zugang auf das Langzeitgedächtnis als ein Element des individuellen Selbst ermöglicht Transparenz bei der Betrachtung einer Lebensgeschichte und macht auch eine „Urteilsbegründung“ besser nachvollziehbar.

In der Schilderung ihrer Nahtoderfahrung („7 Botschaften des Himmels“) geht Mary C. Neal auch darauf ein, wie sie ihren Lebensrückblick wahrnahm. Sie erlebte sich dabei in der Gegenwart von Jesus Christus. „Vor uns wurden Szenen meines Lebens sichtbar, projiziert gleichsam auf eine dreidimensionale und multisensorische Leinwand. […] Während mein Leben ablief, fühlte ich mich tief geliebt und wusste irgendwie, dass seine Liebe nicht nur mir galt, sondern allen Menschen. Die Szenen zogen schnell vorbei, von rechts nach links in fortlaufender Reihenfolge. Es war etwa so als würde man auf einem Smartphone alle gespeicherten Fotos durchgehen. Diese Bewegung verlangsamte sich manchmal, wenn Jesus die Hand ausstreckte, um eine Szene aus meinem Leben herauszugreifen. Statt sie nur zu sehen, erlebte ich das Geschehen sofort noch einmal aus jedem Blickwinkel und mit absolutem Verständnis.“ (S. 36).

Folgerungen

Die Vorstellung eines Gerichts über die Toten ist bereits in der ägyptischen Mythologie nachweisbar, lange vor der Entstehung der monotheistischen Offenbarungsreligionen. In den Offenbarungsreligionen übernehmen Gott (Judentum), Jesus Christus (Christentum) bzw. Allah (Islam) die Rolle des Richters.

Um zu einem Urteil gelangen zu können, bedarf es der Protokollierung des Verhaltens der Menschen zu ihren Lebzeiten, in welcher Detaillierung auch immer. Dies ist mit erheblichem Aufwand verbunden. In besonderer Weise galt dies in den Zeiten, als diese Protokollierungstätigkeit nur handschriftlich geschehen konnte. Dass dieser Aufwand offenkundig als gerechtfertigt angesehen wurde, weist nach, dass es keineswegs als unbedeutend empfunden wurde, wie ein Leben gelebt wurde. Der Lebensführung wurde und wird in den Offenbarungsreligionen erhebliche Relevanz zugewiesen.

Während der Entstehung des Schrifttums der Offenbarungsreligionen lag der Gedanke eines nichtlokalen individuellen Selbst noch außerhalb jeglicher Vorstellungskraft. Wird davon ausgegangen, dass das individuelle Selbst nach dem physischen Tod weiterhin existiert und damit auch die Erinnerung an das zurückliegende Erdenleben möglich ist, ist das Buch als Protokollierungsmedium nicht erforderlich. Wenn eine göttliche Instanz in der Lage ist, sich mit dem Gedächtnis eines Individuums zu verbinden, ist eine gemeinsame Beurteilung des zurückliegenden Lebens möglich, wie auch von Mary C. Neal geschildert.

Ich bin Dieter Jenz, Begleiter, Berater und Coach mit Leidenschaft. Über viele Jahre hinweg habe ich einen reichen Schatz an Kompetenz und Erfahrung erworben. Meine Themen sind die "4L": Lebensaufgabe, Lebensplanung, Lebensnavigation und Lebensqualität.