Naturwissenschaften und Offenbarungsreligionen – unvereinbar?Lesezeit: 9 Min.

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Naturwissenschaften und Offenbarungsreligionen – besteht ein Gegensatz mit der Folge der Unvereinbarkeit? Oder ergänzen sie sich sogar? Spannende Fragen!

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Dieser Beitrag ist Teil der Serie „Was geschieht mit mir wenn ich sterbe?
Grobes Inhaltsverzeichnis

Naturwissenschaften und Offenbarungsreligionen repräsentieren zwei unterschiedliche Erkenntnisräume, die sich teilweise überlappen. Während die Naturwissenschaften, wie bereits erwähnt, über das nicht beobachtbare Universum keine Aussagen treffen können, sind im Schrifttum der Offenbarungsreligionen Aussagen zum beobachtbaren wie auch zum nicht beobachtbaren Universum zu finden. Mit anderen Worten: den Naturwissenschaften sind Aussagen nur über das Diesseits, nicht aber über das Jenseits möglich, während das Schrifttum der Offenbarungsreligionen Aussagen zum Diesseits und Jenseits enthält.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die Aussagen der Offenbarungsreligionen zum Diesseits zu bewerten sind. Zwei sich gegenseitig ausschließende Möglichkeiten sind denkbar:

  • Naturwissenschaften und Offenbarungsreligionen stehen in einem unauflösbaren Konflikt (Konfliktszenario),
  • Naturwissenschaften und Offenbarungsreligionen stehen nicht miteinander in Konflikt, sondern ergänzen einander (Komplementärszenario).

Beide Möglichkeiten müssen berücksichtigen, dass Folgerungen stets nur vorläufigen Charakter haben. Die Naturwissenschaften befinden sich im Fluss. Kontinuierlich werden neue Erkenntnisse gewonnen. Dies kann dazu führen, dass bisherige Erkenntnisse falsifiziert und verworfen werden müssen. Auch im Hinblick auf das Schrifttum der Offenbarungsreligionen kann nicht von endgültiger Erkenntnis gesprochen werden. Zwar sind die Schriften (Altes und Neues Testament der Bibel, Koran) schon längst redaktionell abgeschlossen, jedoch können die Bibel- bzw. die Koranwissenschaft jederzeit neue Erkenntnisse (beispielsweise Datierung, Semantik) hervorbringen, was ebenfalls zur Falsifizierung bisheriger Erkenntnisse führen kann.

Das Konfliktszenario

Das Konfliktszenario entsteht, wenn die Aussagen im Schrifttum der Offenbarungsreligionen wortwörtlich verstanden werden. Wortwörtliches Verständnis setzt wortwörtliches Diktat durch Gott selbst und/oder von Gott autorisierte Personen als Offenbarungsquelle voraus. Für Altes und Neues Testament der Bibel, als Beispiel, hätte dies zur Folge, dass diese Schriften Personen entweder verbal diktiert oder Personen (beispielsweise Propheten) durch den Heiligen Geist eingegeben wurden.

Im Alten Testament der Bibel wird die direkte Kommunikation zwischen Gott und Mose (ca.1526–1406 v. Chr.), einem herausragenden Führer des Volkes Israel, geschildert: „Der Herr und Mose redeten miteinander Auge in Auge, wie Menschen miteinander reden.“ (Exodus 33, 11). Im Neuen Testament der Bibel beruft sich Paulus auf persönliche Offenbarung: „Ich erkläre euch, Brüder: Das Evangelium, das ich verkündigt habe, stammt nicht von Menschen; ich habe es ja nicht von einem Menschen übernommen oder gelernt, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi empfangen.“ (Galaterbrief Kap. 1, 11-12).

In weiterer Konsequenz gibt die Bibel in ihrer Gesamtheit in der Vergangenheit Geschehenes präzise wieder. Historische Schilderungen, naturwissenschaftliche Beschreibungen und übernatürliche Phänomene (beispielsweise Wunder) sind demnach Tatsachen. Sofern Erkenntnisse der Naturwissenschaften dem entgegenstehen, haben Aussagen der Bibel Vorrang.

In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage der Übersetzung aus der verschriftlichten Offenbarung. Wie bereits erwähnt, entstanden die Bücher des Alten Testaments im Wesentlichen im ersten Jahrtausend v. Chr. Mündliche Vorstufen (Überlieferungen) greifen noch weiter zurück. Die ältesten Texte wurden in althebräischer Sprache verfasst. Wird Althebräisch in Deutsch übersetzt, stellt sich das Problem der Semantik von Begriffen. Es gilt, in der deutschen Sprache Begriffe zu finden, die den in den Quelltexten verwendeten in ihrer Bedeutung exakt entsprechen. Wenn dies nicht möglich ist, ist eine Übersetzung in Deutsch – und auch sinnentsprechend in andere Sprachen – abzulehnen, da sie unweigerlich eine Interpretation beinhalten würde. Die wortwörtliche Inspiration würde zwangsläufig verfälscht.

Auch in der traditionellen islamischen Theologie wird eine Übersetzung des Koran, der nach Überzeugung des Islam die wörtliche Offenbarung Gottes (Allah) an den Propheten Mohammed enthält, als unmöglich erachtet. Jede Übersetzung würde eine Interpretation beinhalten. Folglich wird empfohlen, den Koran im arabischen Originaltext zu lesen.

Wäre eine religiöse Schrift nicht wortwörtlich von Gott diktiert oder eingegeben und würde dennoch der Anspruch des wortwörtlichen Verständnisses erhoben, wäre in der Konsequenz jede Offenbarung lediglich „Menschenwort“. Es wäre das „Menschenwort“, das wortwörtlich verstanden würde, im besten Fall interpretiertes „Gotteswort“.

Herausragende weltgeschichtliche Ereignisse

Das Konfliktszenario lässt sich anhand von zwei herausragenden weltgeschichtlichen Ereignissen illustrieren: der Schöpfung (siehe auch: Schöpfung – plausibel oder nicht?)  und der Sintflut (siehe auch: Sintflut – plausibel oder nicht?). Beide Ereignisse werden sowohl im Alten Testament der Bibel als auch im Koran berichtet, wobei sich die Berichte zwischen Bibel und Koran durchaus unterscheiden.

Gemäß dem biblischen Schöpfungsbericht, als Beispiel, ist das beobachtbare Universum das Ergebnis eines souveränen Schöpfungsaktes Gottes. Berechnungen anhand von biblischen Geschlechterregistern lassen den Schluss zu, dass das beobachtbare Universum etwa um das Jahr 4000 v. Chr. entstanden ist. Dem biblischen Schöpfungsbericht zufolge geschah dies innerhalb von sechs Tagen.

Den Erkenntnissen der Naturwissenschaften zufolge waren um das Jahr 4000 v. Chr. jedoch schon weite Teile der Erde bevölkert. Stellvertretend genannt seien die Dadiwan-Kultur (China, etwa 5800 bis 3000 v. Chr.), die Ghassulien-Kultur (Israel, etwa 4500 bis 3500 v. Chr.) und die Michelsberger Kultur (Mitteleuropa, etwa 4400 bis 3500 v. Chr.).

Erkenntnisse der Naturwissenschaften und Aussagen der Offenbarungsreligionen (zumindest die Berichte im Alten Testament der Bibel) unterscheiden sich grundlegend. Der Logik des wortwörtlichen Verständnisses folgend stünden sämtliche diesbezüglichen Erkenntnisse der Naturwissenschaften im Widerspruch zur Offenbarung und wären somit falsch.

Ähnlich verhält es sich mit dem biblischen Bericht zur Sintflut. Auf biblischen Geschlechterregistern basierende Berechnungen führen zu einer Datierung der Sintflut in einem Zeitraum zwischen etwa 2500-2400 v. Chr. Zu dieser Zeit war die Cheops-Pyramide (Ägypten) jedoch schon erbaut. An der Pyramide müssten sich Spuren der Sintflut nachweisen lassen. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Wenn wiederum wortwörtliches Verständnis unterstellt würde, müsste die Cheops-Pyramide erst später erbaut worden sein. Die wissenschaftlichen Datierungmethoden wären falsch.

Überlappende Kompetenzbereiche

Im Konfliktszenario erheben die Offenbarungsreligionen implizit den Anspruch, die „Wahrheit“ über Ereignisse im Diesseits zu offenbaren. Damit erklären sie sowohl das beobachtbare als auch das nicht beobachtbare Universum zu ihren Kompetenzbereichen.

In der Konsequenz überlappen sich die Kompetenzbereiche. Wenn eine Offenbarungsreligion für sich den Vorrangstatus reklamiert, wird den Naturwissenschaften in der Konsequenz ihr Kompetenzbereich entzogen. Wie die Geschichte leider zeigt, hatte diese Vorrangbehauptung Folgen, die nicht wenige Menschen (z. B. Giordano Bruno) sogar das Leben kostete.

Das Komplementärszenario

Dieses Szenario geht davon aus, dass Naturwissenschaften und Offenbarungsreligionen aus unterschiedlichen Perspektiven auf ein und dieselbe Realität schauen. Jeweilige Erklärungen stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern ergänzen sich.

In gewisser Weise lässt sich eine Analogie zum Welle-Teilchen-Dualismus herstellen. Der Welle-Teilchen-Dualismus, ein klassischer Erklärungsansatz der Quantenmechanik, besagt, dass den Objekten der Quantenwelt gleichermaßen die Eigenschaften von klassischen Wellen wie die von klassischen Teilchen zugeschrieben werden müssen. Licht, als Beispiel, hat sowohl Wellen- als auch Teilcheneigenschaften. Photonen sind quantenmechanische Objekte.

Im Komplementärszenario werden sowohl Naturwissenschaft als auch Offenbarungsreligion ernst genommen. Weder Naturwissenschaft noch Offenbarungsreligion erheben eine Art Alleinvertretungsanspruch im jeweils fremden Kompetenzbereich. Es wird anerkannt, dass die Realität vielschichtig ist und dass es Überdeckungen und Unvereinbarkeiten gibt, die sich nicht auflösen lassen. Aussagen im jeweils fremden Kompetenzbereich werden als ergänzende, jedoch nicht autoritative, Darstellung aus anderer Perspektive verstanden.

In der Konsequenz kann der Anspruch des wortwörtlichen Verständnisses religiöser Schriften nicht aufrechterhalten werden, wenn sich dieses Verständnis auf die Beschreibung des beobachtbaren Universums, des Diesseits, bezieht. Offenbarungsreligionen beschreiben, wie bereits erwähnt, Zustände, Ereignisse usw. aus dem Blickwinkel der Schöpfer-Schöpfung-Beziehung. Die Vermittlung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und Geschichtsschreibung sind nicht die primären Anliegen.

Davon abgesehen wird das Prinzip des wortwörtlichen Verständnisses auch in den Offenbarungsreligionen nicht gefordert. Beispielhaft sei eine Aussage Jesu Christi im Kontext des Glaubens an Gott genannt: „Amen, das sage ich euch: Wenn jemand zu diesem Berg sagt: Heb dich empor und stürz dich ins Meer!, und wenn er in seinem Herzen nicht zweifelt, sondern glaubt, dass geschieht, was er sagt, dann wird es geschehen.“ (Markus-Evangelium Kap. 11, 23). Wohl niemand erwartet im wortwörtlichen Sinn, dass Menschen in der Lage sind, kraft ihres Glaubens und Wortes einen Berg ins Meer zu befördern. Wäre dies tatsächlich möglich, wäre ein heilloses Chaos zu erwarten. Womöglich würde Berge sekündlich ihren Ort verändern.

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Folgerungen

Die Frage, ob zwischen Naturwissenschaften und Offenbarungsreligionen tatsächlich ein Konflikt besteht, beantwortet sich nicht nur durch sorgfältige Abwägung von Argumenten, sondern auch auf Basis persönlicher Überzeugung. Diese Überzeugung bezieht sich zum einen auf die Frage des wortwörtlichen Verständnisses der Schriften der Offenbarungsreligionen und zum anderen auf die Frage, welche der Offenbarungsreligionen die „Wahrheit“ darlegt.

Abwägung der Szenarien

Die sich aus dem Konfliktszenario ergebenden Konsequenzen führen dazu, dass ein wortwörtliches Verständnis göttlicher Offenbarungen alle Erkenntnisse der Naturwissenschaften über das beobachtbare Universum überlagert. Naturwissenschaften werden von Menschen betrieben, während Offenbarung göttlichen Ursprungs und somit absolut ist. Verbindlich wären ausschließlich die Aussagen in den Schriften der Offenbarungsreligionen.

In Anbetracht des Entstehungszeitraums der Schriften der Offenbarungsreligionen und den seinerzeit vorhandenen Ressourcen (z. B. Tontafeln, Papyrus, Pergament als Informationsträger) wird verständlich, dass Informationen knappgehalten werden mussten. Vor diesem Hintergrund ist keine präzise und umfassende Darstellung weltgeschichtlicher Ereignisse zu erwarten. Der biblische Schöpfungsbericht, als Beispiel, umfasst nur wenige hundert Wörter. Im Vergleich dazu umfasst beispielsweise das Buch „Einstieg in das Universum: Das kleine Buch der Astronomie: Urknall, Entstehung, Alter, Größe und Geheimnisse des Weltalls verstehen – Sterne und Planeten unseres Sonnensystems kennen lernen“ in der Print-Ausgabe weit über 200 Seiten.

In der Gesamtschau erscheint das Komplementärszenario plausibler. Das Kernanliegen der Offenbarungsreligionen, die Schöpfer-Schöpfung-Beziehung mit ihren Konsequenzen für den Menschen darzulegen, wird gewahrt. Den Naturwissenschaften bleibt Raum, kontinuierlich neue Erkenntnisse hervorbringen zu können. Sie stellen ihrerseits – bis zum Beweis des Gegenteils – die Schöpfer-Schöpfung-Beziehung nicht infrage. Naturwissenschaften und Offenbarungsreligionen nehmen unterschiedliche Perspektiven ein und ergänzen sich.

Unterschiede zwischen Offenbarungsreligionen

Die Offenbarungsreligionen, einerseits Judentum und Christentum, andererseits Islam, unterscheiden sich in wesentlichen Punkten voneinander, widersprechen sich teilweise. Dies führt zu der logischen Folgerung, dass nur eine dieser Offenbarungsreligionen sich tatsächlich auf Offenbarungen berufen kann.

Neben diesen genannten Offenbarungsreligionen gibt es noch einige weitere, wie beispielsweise die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (auch als Mormonen bezeichnet), die allerdings relativ unbedeutend sind. Das Buch Mormon wird von dieser Kirche als ein Band heiliger Schrift, der Bibel vergleichbar, betrachtet. Es enthält nach dem Verständnis dieser Kirche Schilderungen zu Gottes Umgang mit früheren Bewohnern Amerikas und die Fülle des immerwährenden Evangeliums.

Die Frage, ob Naturwissenschaften und Offenbarungsreligion miteinander vereinbar sind, bezieht sich somit stets auf eine bestimmte Offenbarungsreligion. Insofern lautet die erste konkrete Frage: Welche der Offenbarungsreligionen legt die „Wahrheit“ dar? Die zweite konkrete Frage lautet dann: sind die Aussagen von Naturwissenschaften und der bestimmten Offenbarungsreligion miteinander vereinbar?

Ich bin Dieter Jenz, Begleiter, Berater und Coach mit Leidenschaft. Über viele Jahre hinweg habe ich einen reichen Schatz an Kompetenz und Erfahrung erworben. Meine Themen sind die "4L": Lebensaufgabe, Lebensplanung, Lebensnavigation und Lebensqualität.