Das Erlöschungsszenario – ist es plausibel?Lesezeit: 8 Min.

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Das Erlöschungsszenario geht davon aus, dass mit dem Sterben des Gehirns auch das individuelle Selbst erlischt. Doch ist dieses Szenario plausibel?

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Was geschieht mit mir wenn ich sterbe - Gestaltung: privat

Dieser Beitrag ist Teil der Serie „Was geschieht mit mir wenn ich sterbe?
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Vom rein materialistischen Standpunkt aus betrachtet, kann das individuelle Selbst nicht eigenständig existieren. Wenn das Gehirn stirbt, stirbt folgerichtig auch das bei dieser Sichtweise auf neurobiologische Interaktionen angewiesene individuelle Selbst. Es kann ohne das Gehirn in seiner Funktion als Sauerstoff- und Nährstoffversorger nicht existieren

Materialismus bezeichnet eine erkenntnistheoretische Position, die alle Dinge, Vorgänge und Phänomene im beobachtbaren Universum auf Materie und deren Gesetzmäßigkeiten und Verhältnisse zurückführt. Da alle Dinge aus Materie bestehen, sind auch Geist, Bewusstsein und Seele als Elemente des individuellen Selbst das Ergebnis materieller Interaktionen. Bewusstseinsphänomene, als Beispiel, werden durch physische Vorgänge im Gehirn erklärt. Der Materialismus ist auf den intrauniversalen Existenzraum, das Diesseits, bezogen und kann deshalb keinerlei Aussagen über einen extrauniversalen Existenzraum, ein Jenseits, treffen.

Der Naturalismus, eine weitere erkenntnistheoretische Position, geht explizit davon aus, dass alles natürliche Ursachen hat und dass es nichts Übernatürliches gibt. Für das Verständnis des beobachtbaren Universums und des Menschen sind die Annahme eines transzendenten Gottes und ein Glaubenssystem nicht erforderlich.

Diesen Denkrichtungen folgend „produziert“ gewissermaßen das Gehirn eine psychische Welt. Ich-Gefühl, Selbstbewusstsein und fokussierte Aufmerksamkeit sind Beispiele für Zustände in dieser subjektiv erlebten psychischen Welt.

Einschränkung der Gehirnfunktionen

Wenn das Gehirn seine Funktionsfähigkeit ganz oder teilweise einbüßt, beispielsweise durch einen Unfall oder einen Schlaganfall, hat dies unweigerlich Auswirkungen auf die „Produktionsfähigkeit“ des Gehirns und in der Folge auch auf das individuelle Selbst (siehe auch „Funktionsstörungen im Gehirn – was geht verloren?“). Es ist zu erwarten, dass sich das individuelle Selbst in den von der Funktionsfähigkeit des Gehirns gesetzten Grenzen entwickeln kann.

Das Phänomen der terminalen Geistesklarheit gibt in diesem Zusammenhang Rätsel auf. Betroffene Personen, die unter schwerwiegenden Beeinträchtigungen leiden, wie beispielsweise Demenz oder psychische Störungen, gelangen urplötzlich relativ kurze Zeit vor dem Tod wieder zu geistiger Klarheit.

Zu den Krankheitsbildern, bei denen zuweilen eine terminale Geistesklarheit (siehe „Terminale Geistesklarheit – Was verbirgt sich dahinter?“) beobachtet wird, zählt u. a. die Demenz. Bedingt durch das Absterben von Nervenzellen im Gehirn können Fähigkeiten, wie beispielsweise Lernen, Planen, Sprache, Erkennen, Orientierung und Gedächtnis – allesamt kognitive Fähigkeiten – im Verlauf der Erkrankung zunehmend beeinträchtigt sein. Gleiches gilt auch für emotionale und soziale Fähigkeiten. Zu Beginn der Erkrankung sind häufig Kurzzeitgedächtnis und Merkfähigkeit gestört. Später gehen auch bereits eingeprägte Inhalte des Langzeitgedächtnisses verloren.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie es möglich sein kann, dass Betroffene eine Phase terminaler Geistesklarheit erleben können. Obwohl Nervenzellen im Gehirn bereits irreversibel abgestorben sind, werden kognitive, emotionale und soziale Fähigkeiten für eine gewisse Zeit wiederlangt. Auch das Gedächtnis scheint intakt. Anschließend fallen Betroffene wieder in den vorherigen Zustand zurück und sterben in der Regel bald danach.

Wenn postuliert wird, dass das Gehirn das individuelle Selbst „produziert“, muss davon ausgegangen werden, dass die Funktionsfähigkeit des Gehirns letztlich keine absolute Begrenzung darstellt. Wie kann es dann beispielsweise dazu kommen, dass selbst bei schwerer Demenz geistige Klarheit plötzlich wieder hergestellt ist und der Wunsch besteht, sich bei Medizinern und Pflegepersonal zu bedanken?

Transzendenzerfahrungen

Im Lauf der Geschichte teilten viele Menschen erlebte Transzendenzerfahrungen zum größeren Teil mündlich und zum kleineren Teil schriftlich mit. Teilweise wurden auch andere Personen, insbesondere nahe Angehörige und Freunde, aber auch medizinische und pflegerische Fachpersonen, Zeugen von Transzendenzerfahrungen.

Erlebte Transzendenzerfahrungen werden aus verständlichen Gründen in erster Linie Personen mitgeteilt, zu denen ein hinreichendes Vertrauensverhältnis besteht. Schließlich besteht die Gefahr, auf Unverständnis zu stoßen und Zweifel am eigenen Geisteszustand auszulösen.

In den letzten Jahrzehnten, einhergehend mit einem wachsenden Forschungsinteresse, und auf gezielte Nachfrage hin, wurden viele Transzendenzerfahrungen medizinischen und psychologischen Fachpersonen mitgeteilt. Dies geschah im persönlichen Gespräch, aber auch durch Fragebögen.

Im Einklang mit der Taxonomie (siehe „Taxonomie der Transzendenzerfahrungen„) werden vier Arten im Hinblick auf das Erlöschen des individuellen Selbst beim biologischen Tod kurz diskutiert: Nahtoderfahrungen, Sterbebettvisionen, Nachtodkontakte und Geistwesenkontakte.

Nahtoderfahrungen

Erkenntnisse aus der Untersuchung von Nahtoderfahrungen (siehe „Was sind Nahtoderfahrungen? Wie werden sie erlebt?“) zeigen, dass das Bewusstsein auch dann noch aktiv sein kann, wenn keine Hirnströme mehr messbar sind (sog. Null-Linien-EEG). Eigentlich müsste das Bewusstsein in diesem Zustand völlig „außer Betrieb“ sein. Doch dies ist nicht der Fall. In der Konsequenz stellt sich die Frage, wie dies möglich sein kann. Wäre das Bewusstsein nur im Gehirn lokalisiert und gewissermaßen ein Produkt des Gehirns, könnte es Nahtoderfahrungen nicht geben: keine Hirnströme, keine Wahrnehmungen.

Nahtoderfahrungen lassen vor dem Hintergrund einer materialistischen Denkweise durchaus Traumerlebnisse oder Halluzinationen als mögliche Erklärung zu. Weder Nahtoderfahrungen noch Träume können absichtlich herbeigeführt werden und sind deshalb auch nicht vorplanbar. Das Traumgeschehen handelt häufig von Dingen und Ereignissen, die theoretisch unmöglich oder im Wachzustand unwahrscheinlich sind. Insofern ist denkbar, dass beispielsweise wahrgenommene Begegnungen mit bereits Verstorbenen ein Traumgeschehen widerspiegeln.

Diese Vorstellung lässt sich jedoch nicht mehr aufrechterhalten, wenn sich eine Nahtoderfahrung später verifizieren lässt. Eine verifizierbare Nahtoderfahrung liegt dann vor, wenn die erlebende Person objektiv zu jenem Zeitpunkt von einem bestimmten Ereignis, keine Kenntnis haben konnte. Manche Personen können beispielsweise exakt und detailliert wiedergeben, was Ärzte während ihrer Wiederbelebung unternahmen, wie sie sich verhielten oder was sie miteinander besprachen. In derartigen Fällen lässt sich ein Traumgeschehen ausschließen.

Eine zufällige Koinzidenz ließe sich durchaus unterstellen, wenn beispielsweise eine erlebende Person während ihrer Nahtoderfahrung einer verstorbenen Person begegnet und mit ihr kommuniziert, von deren Tod sie objektiv keine Kenntnis haben konnte. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Tod dieser Person geträumt wird, ist zwar sehr gering, aber dennoch größer als Null.

Sterbebettvisionen

Sterbebettvisionen (siehe „Was sind Sterbebettvisionen und wie werden sie erlebt?“) werden relativ kurz vor dem Tod erlebt. Beobachtungen zufolge treten Sterbebettvisionen im Allgemeinen erstmals etwa vier Wochen vor dem Tod auf. Eine Regel lässt sich jedoch keinesfalls bilden. Manchmal treten sie auch erst Stunden vor dem Tod auf. Eine Person kann in der letzten Zeit vor ihrem Tod durchaus auch mehrere Sterbebettvisionen erleben.

In der Konsequenz muss das Gehirn zum einen „wissen“, dass der Tod bald bevorsteht und zum anderen, wann der Tod eintreten wird. Vor diesem Hintergrund stellt sich unweigerlich die Frage, wie dies möglich sein kann.

Während einer Sterbebettvision kann eine erlebende Person Kenntnis von Ereignissen oder Zuständen erlangen, die ihr selbst und auch anwesenden Personen objektiv nicht bekannt sein können. Eine erlebende Person, als Beispiel, „unterhält“ sich hörbar mit einem Familienmitglied, das nur für die erlebende Person sichtbar ist, nicht jedoch für Anwesende. Kurz danach stellt sich heraus, dass die gesehene Person kürzlich verstorben ist. Die Position des Materialismus verlangt, dass für derart verifizierbares „Wissen“ eine plausible Erklärung gefunden wird.

Auch in einem derartigen Szenario ließe sich durchaus eine zufällige Koinzidenz nicht ausschließen. Die Wahrscheinlichkeit eines „Zufallstreffers“ wäre jedoch äußerst gering.

Nachtodkontakte

Wenn davon ausgegangen wird, dass das individuelle Selbst mit dem biologischen Tod erlischt, sind Nachtodkontakte (siehe „Können Verstorbene wieder erscheinen?“) prinzipiell unmöglich. Wenn Menschen dennoch Nachtodkontakte erleben, muss es sich in der Konsequenz um ein Traumgeschehen oder um eine Halluzination handeln.

Andererseits liegt eine Vielzahl anekdotischer Schilderungen zu Nachtodkontakten vor. Manche dieser Nachtodkontakte führten bei der jeweils erlebenden Person zu Erkenntnissen, die diese ohne Nachtodkontakt nicht erlangen konnte und die sich bei Überprüfung als zutreffend herausstellten. Wird an der Position des Materialismus festgehalten, muss eine plausible Erklärung für verifizierbare Nachtodkontakte gefunden werden.

Geistwesenkontakte

Geistwesenkontakte (siehe „Können sich Geistwesen materialisieren?“) sind mit der Position des Naturalismus unvereinbar, da es nichts Übernatürliches gibt. Wenn das individuelle Selbst beim biologischen Tod erlischt, aber dennoch Geistwesenkontakte erlebt werden, bleibt auch hier nur ein Traumgeschehen oder eine Halluzination als naheliegende Erklärung.

Bei einem Geistwesenkontakt muss es sich nicht um eine visuelle Wahrnehmung handeln. Eingebungen im weiteren Sinne, wie beispielsweise eine vor einer Gefahr warnende innere Stimme, setzen ein intelligentes Geistwesen als Kommunikationsquelle voraus. Ansonsten müsste die gewarnte Person über die Fähigkeit zur Präkognition verfügen. Wird an der Position des Naturalismus festgehalten, muss eine plausible Erklärung für verifizierbare Geistwesenkontakte gefunden werden.

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Folgerungen

Wenn mit dem biologischen Tod auch das individuelle Selbst erlischt, ist das Leben und damit die Existenz eines jeden Menschen in Raum und Zeit exakt begrenzt. Bedingt durch die einmalige Existenz stellt sich die Frage einer möglichen Reinkarnation nicht – sie ist nicht möglich. Auch das in den Offenbarungsreligionen (Judentum, Christentum, Islam) bekannte Konzept der Weiterexistenz nach dem biologischen Tod ist unter diesem Vorzeichen falsifiziert. Eine Auferstehung kann nur in einem Replikat resultieren. Etwas nicht mehr Existentes lässt sich nicht mehr exakt wiederherstellen, lediglich nachbilden.

Wird an den erkenntnistheoretischen Positionen des Materialismus oder auch des Naturalismus festgehalten, müssen zwangsläufig alle Transzendenzerfahrungen, die sich mit diesen Positionen nicht vereinbaren lassen, als Traumgeschehen oder Halluzinationen eingestuft werden. Eine Halluzination scheidet jedoch als Erklärungsmöglichkeit aus, wenn mehrere Personen Zeuge einer Transzendenzerfahrung wurden, da eine Halluzination nur subjektiv und nicht kollektiv erlebt werden kann. Die vielen verifizierten Transzendenzerfahrungen sprechen jedenfalls eindeutig gegen die These, dass das individuelle Selbst beim biologischen Tod erlischt.

Bei den erkenntnistheoretischen Positionen des Materialismus und auch des Naturalismus handelt es sich letztlich um nicht beweisbare Thesen. Es lässt sich nicht beweisen, dass das individuelle Selbst ausschließlich das Ergebnis materieller Interaktionen ist. Unumstößliche Beweise lassen sich nur insoweit erbringen als dass beim biologischen Tod alle Vitalfunktionen des Körpers zum Stillstand gekommen sind.

Unter ethisch-moralischen Gesichtspunkten bleibt festzuhalten, dass Menschen, die anderen Menschen geschadet haben, für ihre Vergehen nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden können. Ob es sich um relativ geringfügige Vergehen (z. B. Lüge zum Nachteil eines Mitmenschen) oder, als Gegenpol, um besonders schwere Vergehen (beispielsweise Mord, Totschlag oder Raub) handelt, ist für das Prinzip unerheblich.

Ich bin Dieter Jenz, Begleiter, Berater und Coach mit Leidenschaft. Über viele Jahre hinweg habe ich einen reichen Schatz an Kompetenz und Erfahrung erworben. Meine Themen sind die "4L": Lebensaufgabe, Lebensplanung, Lebensnavigation und Lebensqualität.