Was sind Sterbebettvisionen und wie werden sie erlebt? Erlauben sie einen Blick hinter den Vorhang des Diesseits, in das Jenseits?
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Dieser Beitrag ist Teil der Serie „Was geschieht mit mir wenn ich sterbe?“
Grobes Inhaltsverzeichnis
Was sind Sterbebettvisionen?
Sterbebettvisionen, oft auch als Sterbevisionen bezeichnet, sind Erfahrungen von Menschen, die in absehbarer Zeit die Schwelle des biologischen Todes überschreiten. Der Begriff „absehbare Zeit“ ist abhängig von den Umständen zu interpretieren. Manche Menschen leiden an einer unheilbaren und lebensverkürzenden Krankheit und wissen um ihr bevorstehendes Lebensende. Sie verbringen ihre letzten Wochen oder Tage in einer Pflegeeinrichtung, beispielsweise einem Hospiz, wo sie palliativ versorgt werden. Anderen wiederum ist ihr bevorstehendes Lebensende nicht bewusst. Sie befinden sich beispielsweise in einem Krankenhaus, wo es möglicherweise Komplikationen nach einer Operation gab oder Vitalfunktionen zunehmend versagen. Sie versterben oft innerhalb weniger Stunden.
Im Vergleich zu den schon erwähnten Nahtoderfahrungen, nach deren Erleben Menschen wieder, bildlich ausgedrückt, ins Leben zurückkehren, besteht ein fundamentaler Unterschied. Sterbebettvisionen können wiederholt auftreten. Der Hospizarzt Christopher Kerr nahm wahr, dass bei Hospizpatienten Sterbebettvisionen im Allgemeinen etwa zwei Wochen vor dem Tod beginnen und in immer kürzeren Abständen auftreten, je näher der Patient seinem Tod kommt. Demgegenüber geschehen in einem Krankenhaus oder auch zu Hause beobachtete Sterbebettvisionen relativ kurz (Minuten, Stunden oder auch wenige Tage) vor dem Tod. Etwa 90 % der Menschen, die dort eine Sterbebettvision erleben, sterben innerhalb einer Stunde.
In manchen Fällen ereignen sich die Sterbebettvisionen mehrere Tage vor dem physischen Tod und dann bis zum Zeitpunkt des Todes nicht mehr. Dies ist insbesondere dann zu beobachten, wenn der Sterbende Phasen der Bewusstlosigkeit erlebt. Nach der Vision fällt der Sterbende (wieder) in Bewusstlosigkeit, aus der er bis zum Tod nicht mehr erwacht.
Zudem kann bei Menschen, die unter schwerwiegenden Beeinträchtigungen, wie beispielsweise Demenz, leiden, eine Phase der Geistesklarheit einsetzen. Diese plötzliche terminale Geistesklarheit bzw. Luzidität (siehe Beitrag „Terminale Geistesklarheit – Was verbirgt sich dahinter?“) ist rational umso weniger erklärbar, je länger dieser Beeinträchtigungszustand bereits andauert.
Begriffsklärung
Der Begriff „Vision“ wird normalerweise in der Bedeutung einer optischen Halluzination, eines Trugbildes oder auch einer Sinnestäuschung verwendet. Menschen, die eine Sterbebettvision erleben, erleben diese jedoch nicht während des Schlafes, wie einen Traum. Sie empfinden sich nach Christopher Kerrs Erkenntnissen, gestützt auf weit über 1000 Patientenbefragungen, vielmehr im Wachzustand und erleben Klarträume (luzide Träume). Der Psychologe und Traumforscher Paul Tholey erarbeitete folgende Definition: „Klarträume sind solche Träume, in denen man völlige Klarheit darüber besitzt, dass man träumt und nach eigenem Entschluss handeln kann.“
Implizit wird vorausgesetzt, dass das Bewusstsein nicht durch Medikamente oder Drogen getrübt oder verwirrt ist. Sterbebettvisionen werden im Zustand geistiger Klarheit und nicht in einer Art Dämmerzustand erlebt. Darüber hinaus können sich Menschen bei ungetrübtem Bewusstsein auch gut an ihre Sterbebettvisionen erinnern.
Wahrnehmungen von Erlebenden
Was nehmen Menschen wahr, die eine Sterbebettvision erleben? Wie häufig treten Sterbebettvisionen auf? Diesen und weiteren Fragen widmete sich Christopher Kerr in mehreren wissenschaftlich fundierten Untersuchungen. Hospizpatienten wurden systematisch und täglich befragt.
Fast 90 % der Patienten im Hospiz gaben an, mindestens eine Sterbebettvision erlebt zu haben. Wie bereits angedeutet, erlebten Patienten ihre Sterbebettvisionen umso häufiger je kürzer ihre noch verbleibende Lebenszeit war. Etwa 60 % der Patienten schrieben einer Sterbebettvision Attribute wie „beruhigend“ oder „tröstlich“ zu, während knapp 20 % sie im Sinne von schmerzlich oder erschreckend erlebten.
In den bei klarem Bewusstsein erlebten Sterbebettvisionen wurden besonders häufig Begegnungen mit bereits Verstorbenen erfahren, zu denen zu deren Lebzeiten positive emotionale Beziehungen bestanden. Je näher der Todeszeitpunkt rückte, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, dass zu Lebzeiten geliebte Verstorbene gesehen wurden.
Gerade diese Sterbebettvisionen wurden gleichzeitig am stärksten als beruhigend oder tröstlich erlebt. Begegnungen mit verstorbenen Personen, mit denen die Beziehung zu deren Lebzeiten gestört war, wurden hingegen kaum erlebt. Als schmerzlich oder erschreckend empfundene Sterbebettvisionen standen zudem nicht notwendigerweise in einem Zusammenhang mit Personen.
Manche Sterbende nehmen während des Sterbevorgangs ein oder mehrere Wesen wahr, die den Sinnen Anwesender verborgen bleiben. Das wahrgenommene Wesen oder gar „Begrüßungskomitee“ im bzw. aus dem Jenseits hat offenkundig Kenntnis vom bevorstehenden Tod dieses Menschen und kommt gewissermaßen an die Grenze zwischen den Existenzräumen, zwischen Diesseits und Jenseits, um den Sterbenden zu empfangen.
Die Begegnung mit Geistwesen (z. B. Engel) wird nur relativ selten erlebt. Möglicherweise liegt ein Grund darin, dass sich diese Geistwesen scheinbar etwas anders verhalten als dem Sterbenden vertraute Personen. Sie werden meist erst relativ kurz vor dem Tod als vor das Fenster oder zur Tür kommend oder auch als hereinkommend wahrgenommen. Kulturelle Unterschiede mögen ein Grund dafür sein, weshalb im sogenannten Bibel-Gürtel (eine Gegend in den USA, in der evangelikaler Protestantismus ein integraler Bestandteil der Kultur ist) der Anteil der Engel-Wahrnehmungen deutlich höher liegt als in Europa.
Die Literaturrecherche zeigt, dass kein Sterbender davon spricht, dass er tot sein werde. Dies erscheint auffällig. Vielmehr wird von „abholen“, „weggehen“ oder „verreisen“ gesprochen. In der Konsequenz bedeutet dies, dass der Tod nicht als endgültig gesehen wird.
Wahrnehmungen von Zeugen
Sterbebettvisionen ereignen sich zuweilen in Gegenwart von einem oder mehreren Zeugen (Angehörige, Seelsorger, Klinikpersonal usw.). Sie nehmen eine Beobachterperspektive ein, können verbale Äußerungen, Mimik und Gestik des Erlebenden wahrnehmen. Sterbebettvisionen von Menschen, die alleine sterben, müssen naturgemäß unbeobachtet bleiben, es sei denn eine Kamera würde die Zeugenfunktion übernehmen.
Anwesende berichten auch davon, dass der Sterbende in manchen Momenten seinen Blick auf ein bestimmtes Ziel richtet. Dies mag beispielsweise eine obere Zimmerecke sein. Ebenfalls wird davon berichtet, dass der Sterbende eine oder mehrere für den Beobachter unsichtbare Personen im Raum sieht und ihren Bewegungen mit seinen Augen folgt.
Die Wahrnehmungsfähigkeit für übersinnliche Phänomene scheint beim Sterbenden deutlich verstärkt zu sein. Bereits früher verstorbene Menschen, insbesondere Angehörige und Freunde, werden vom Sterbenden wiedererkannt und in manchen Fällen verbal begrüßt. Wenn es sich um ein freudiges Wiedersehen handelt, wird dies auch mit Mimik, Gestik und Namensnennung ausgedrückt.
Sterbende scheinen ihre Sterbebettvisionen mit den „Augen der Seele“ zu erleben. Erblindete Menschen sind sogar gänzlich auf „Augen der Seele“ angewiesen. Parallelen zu Menschen, die eine Nahtoderfahrung erleben, sind auffällig. Im Zustand der Bewusstlosigkeit können diese ebenfalls lediglich mit den „Augen der Seele“ sehen. Sie können sich beispielsweise von oben „sehen“ (von der Decke aus, über einem Unfallort o. ä.), sich und ggf. auch andere Personen oder Dinge erkennen und später das Gesehene wirklichkeitsgetreu wiedergeben.
Personen, die noch über ihre Sehkraft verfügen, scheinen zwischen ihren leiblichen Augen und ihren „Augen der Seele“ umschalten zu können. Sie kommunizieren mit Anwesenden, gleichzeitig aber auch verbal oder nonverbal mit Personen oder Wesen, die von Anwesenden nicht wahrgenommen werden können. Die Grenzen zwischen Diesseits und Jenseits erscheinen für die Zeitdauer der Sterbebettvision nicht existent. Entsprechend äußern sie sich, sofern ihnen dies möglich ist.
Es ist nachvollziehbar, dass Anwesende in der Beobachterrolle verunsichert sind und nach einer naheliegenden rationalen Erklärung suchen. Die Vermutung, dass beim Sterbenden ein Delir (eine Bewusstseinsstörung, die unter anderem durch zeitliche und räumliche Desorientiertheit, Verwirrtheit und Halluzinationen gekennzeichnet ist) vorliegt, liegt nahe. Diese Vermutung ist jedoch in den allermeisten Fällen mit dem medizinischen Zustand des Sterbenden nicht zu begründen. Die Sterbenden erscheinen vielmehr geistig klar zu sein oder zumindest scheint das Bewusstsein kaum getrübt zu sein.
Es lässt sich durchaus beobachten, dass Sterbebettvisionen völlig unabhängig von den persönlichen Einstellungen und Überzeugungen des Sterbenden erlebt werden. Bei einem Menschen, der davon überzeugt ist, dass es eine Weiterexistenz nach dem physischen Tod nicht gibt, kann ebenso ein Sterbebettvision wahrgenommen werden wie bei einem Menschen, der sich selbst als tief gläubig bezeichnen würde.
Lebensendeerfahrungen
Wenn eine Sterbebettvision erlebt wird und der Erlebende ein oder mehrere bereits Verstorbene wahrnimmt, handelt es sich um einen Nachtodkontakt. Sinnentsprechend wird ein Geistwesenkontakt erlebt, wenn ein Geistwesen mit dem Sterbenden Kontakt aufnimmt. Nachtodkontakte scheinen, wie bereits erwähnt, weitaus häufiger erlebt zu werden als Geistwesenkontakte.
Der Hospizarzt Christopher Kerr und der Psychiater Peter Fenwick, die beide das Phänomen der Sterbebettvisionen systematisch untersuchten, konnten beobachten, dass Sterbende im Allgemeinen die Empfindung hatten, im Sterbeprozess nicht alleine zu sein. Wenn bereits Verstorbene Kontakt mit dem Sterbenden aufnehmen und diese Kontakte wiederholt erfolgen, könnte sich eine Art fortgesetzter Dialog entwickeln. Dies muss jedoch Vermutung bleiben, da für einen Beobachter das tatsächliche Erleben nicht zugänglich ist. Beobachter sind auf das angewiesen, was berichtet wird.
Darüber hinaus vermitteln wiederholte Kontakte mit bereits Verstorbenen ein hohes Maß an Zutrauen, dass der biologische Tod nicht das unwiderrufliche Ende der Existenz bedeutet. Ansonsten wäre kein einziger Nachtodkontakt möglich.
Vieles spricht dafür, dass sich Sterbende, die wiederholt Nachtodkontakte erleben, in einer Art „Warteraum“ empfinden. Möglicherweise wird dieser Warteraum zu Beginn einer Sterbebettvision betreten und bei deren Ende wieder verlassen.
Vor dem Hintergrund wiederholt auftretender Sterbebettvisionen kann eher von Lebensendeerfahrungen gesprochen werden. Mit diesem Begriff kommt auch zum Ausdruck, dass es sich nicht um Träume im herkömmlichen Verständnis handelt. Träume am Lebensende unterscheiden sich den Aussagen von Erlebenden zufolge von allen Träumen, die sie je zuvor hatten. Sie werden als sinnlicher, intensiver, gefühls- und lebensechter wahrgenommen.
Beobachtungen lassen den Schluss zu, dass Sterbebettvisionen für den Erlebenden eine Möglichkeit bieten, sich spirituell auf den bald bevorstehenden Tod vorzubereiten. Nachtod- und Geistwesenkontakte unterstützen im Sterbeprozess und helfen durch ihn hindurch. Darin scheint auch das Motiv derartiger Kontakte zu liegen: Tröstliche Präsenz und Unterstützung.
Nicht zuletzt fällt auf, dass sich Sterbebettvisionen rechtzeitig, oft zum letztmöglichen Zeitpunkt geistiger Klarheit, ereignen. Manche Sterbebettvisionen werden Tage vor dem physischen Tod erlebt, wobei der Sterbende nach der Vision in eine Bewusstlosigkeit fällt und aus dieser nicht mehr erwacht. Unweigerlich stellt sich die Frage: Wer kann den spätestmöglichen Zeitpunkt erkennen, um eine Sterbebettvision auszulösen?
Diese Frage bleibt zunächst unbeantwortet. Im Teil „Queranalyse“ wird der Versuch unternommen, in einer Gesamtschau Antworten zu finden.