Wenn es darauf hinausläuft, einen Rat zu geben, dann tue es …Lesezeit: 4 Min.

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„Wenn es darauf hinausläuft, einen Rat zu geben, dann tue es niemals, es sei denn, du hast zuerst eine von einem Anwalt unterzeichnete schriftliche Aufforderung dazu erhalten.“

Marshall B. Rosenberg
Wenn es darauf hinausläuft, M. Rosenberg - Gestaltung: privat
Gestaltung: privat

Marshall B. Rosenberg (1934-2015) war ein US-amerikanischer Psychologe. Er entwickelte das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation (GFK), englisch: Nonviolent Communication (NVC). Dieses soll Menschen ermöglichen, dergestalt miteinander umzugehen, dass der Kommunikationsfluss auf Grundlage wertschätzender Beziehung zu mehr Vertrauen und Freude am Leben führt. 1984 gründete Rosenberg das gemeinnützige Center for Nonviolent Communication. Als Mediator war er international tätig.

Kann ein Ratschlag wirklich gefährlich sein?

Michaela (nicht der richtige Name) war schwanger. Eigentlich wollte sie ein Kind, aber als dann eine Schwangerschaft bestätigt wurde, kamen ihr Bedenken, ob sie das alles schaffen würde. Sie schwankte hin und her, ob sie das Kind austragen oder ob sie sich doch gegen das Kind entscheiden sollte. Um Klarheit zu finden, wandte sie sich an Menschen in ihrem Umfeld, mit denen sie darüber sprechen konnte. Sie wünschte sich einen Rat.

Manchmal überschaut man eine Situation nicht und es wogt und tobt in einem hin und her. Man steht vor einer weichenstellenden Entscheidung, die sich vielleicht über viele Jahre hinweg oder sogar auf das gesamte restliche Leben auswirkt. Dann wünscht man sich oft einen Rat, was zu tun wäre. Aber ist dieser Wunsch realistisch?

Wenn man sich an jemand um einen Rat wendet, schwingt manchmal unterschwellig der Wunsch mit, Verantwortung abzugeben. Wenn einem dann jemand einen Rat gibt und man beschließt, diesem Rat zu folgen, wird man die Verantwortung jedoch nicht wirklich los. Die Entscheidung, den Rat anzunehmen oder abzulehnen, fällt schließlich in die eigene Verantwortung.

Was wäre geschehen, wenn beispielsweise eine Freundin Michaela dazu geraten hätte, das Kind auszutragen? Wenn Michaela sich in ihrer Mutterrolle wohlgefühlt hätte, wäre sie wohl für den Rat und die Bestärkung durch ihre Freundin dankbar gewesen. Wenn sie jedoch mit ihrer Mutterrolle nicht zurechtgekommen wäre, hätte sie ihrer Freundin, zumindest unausgesprochen, Vorwürfe gemacht. Und sie hätte auch sich selbst vorgeworfen, auf den Rat ihrer Freundin gehört zu haben.

Auch die Freundin würde sich selbst Vorwürfe machen. „Warum nur habe ich ihr zugeraten, das Kind zu bekommen, wo ich doch sehe, dass sie es nicht packt?“, so oder ähnlich würde sie mit sich selbst zu Gericht gehen. Und auch die Freundschaft mit Michaela würde leiden oder vielleicht sogar ganz zerbrechen.

Rosenbergs etwas ironisch anmutende Aufforderung, einen Rat nur dann zu geben, wenn man durch einen Anwalt gezwungen wird und es unabwendbar ist, hat vieles für sich. Ein Rat kann gefährlich sein, sowohl für den Ratsuchenden als auch den Ratgeber.

Sehr viel hilfreicher ist es, mögliche Entscheidungsalternativen und Konsequenzen aufzuzeigen. Man hilft dabei, die Gedanken zu sortieren und das Für und Wider abzuwägen. Die Verantwortung für die Entscheidung wird jedoch klar und eindeutig bei der ratsuchenden Person belassen. Und es ist auch ein Zeichen des Respekts, wenn man die Entscheidung der Person überlässt, die sie zu treffen und zu verantworten hat.

Michaela hat sich schließlich dazu entschieden, das Kind nicht auszutragen. Später haderte sie mit ihrer Entscheidung und hatte Schuldgefühle. Wenn sie sich aufgrund des Rats ihrer Freundin dazu entschlossen hätte und die Freundin wüsste dies, hätte sehr wahrscheinlich auch die Freundin Schuldgefühle. Dann gäbe es zwei Leidende.

Und wenn die Sache völlig klar zu sein scheint?

Manchmal steht man in der Versuchung, einen Rat zu geben, weil einem die Sachlage als mehr oder weniger Außenstehendem ziemlich klar erscheint. Man denkt, dass es der ratsuchenden Person eigentlich selbst klar sein müsste. Aber anscheinend ist es nicht so. Dann hat man Sorge, dass sich die ratsuchende Person sprichwörtlich verrennt und einen großen Fehler begeht. Man meint, es nicht (mehr) mitansehen zu können.

Man ist vielleicht schnell dabei, zu sagen: „Du bringst dich todsicher ins Unglück!“. Das kann jedoch auch eine Art Trotzreaktion auslösen. Auch für einen selbst ist es hilfreicher, eine „Ich-Botschaft“ zu senden, etwa so: „Ich schätze es so ein, dass du auf einem Weg bist, auf dem du dir selbst schadest … Aber es ist deine Entscheidung.“.

Kann ein Ratschlag frei von Eigeninteressen sein?

Ist ein Ratgeber frei von Eigeninteressen? Oft wendet sich eine ratsuchende Person an einen Menschen, zu dem ein Vertrauensverhältnis besteht. Mit wem konnte beispielsweise Michaela, außer mit ihrem Partner, über ihre Situation sprechen?

Wie waren die unausgesprochenen Eigeninteressen der Menschen gelagert, mit denen sie gesprochen hat? Vielleicht gab es Eigeninteressen. Ein Ratschlag wäre dann möglicherweise einer gewesen, der sich an den Interessen der ratgebenden Person orientiert hätte. Die Botschaft wäre dann, hart ausgedrückt, gewesen: „Ich möchte, dass du das tust, was meinen Interessen dient.“.

Die Verantwortung beim Ratsuchenden belassen

Rosenbergs kategorische Aufforderung entfaltet eine Schutzwirkung. Sie schützt einerseits einen potenziellen Ratgeber davor, Mitverantwortung für eine Entscheidung der ratsuchenden Person zu übernehmen. Und sie schützt andererseits die ratsuchende Person vor möglichen Eigeninteressen eines Ratgebers.

Manchmal haben Entscheidungen weitreichende Konsequenzen. Michaelas schwierige Entscheidungssituation ist dafür ein Beispiel. Die Entscheidung musste sie letztlich ganz alleine treffen und dafür auch die volle Verantwortung übernehmen.

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Ich bin Dieter Jenz, Begleiter, Berater und Coach mit Leidenschaft. Über viele Jahre hinweg habe ich einen reichen Schatz an Kompetenz und Erfahrung erworben. Meine Themen sind die "4L": Lebensaufgabe, Lebensplanung, Lebensnavigation und Lebensqualität.