„Alles ist miteinander verbunden, und hat einen Sinn. Obwohl dieser Sinn meist verborgen bleibt, wissen wir, dass wir unserer wahren Mission auf Erden nah sind, wenn unser Tun von der Energie der Begeisterung durchdrungen ist.“
Paulo Coelho
Paulo Coelho de Souza (geb. 1947) ist ein brasilianischer Schriftsteller und Bestsellerautor. Seine Bücher verkauften sich bisher weit über 200 Millionen Mal.
Nachdem ihn Anfang der 1970er Jahre eine zweijährige Reise durch mehrere Kontinente führte, schrieb er, wieder in Brasilien, Theaterstücke und verfasste provokative Songtexte. Mehrere Gefängnisaufenthalte unter der in den siebziger Jahren herrschenden Militärdiktatur waren die Folge. Coelho war Zeit seines Lebens politisch engagiert und setzte sich für mehr Freiheit und Selbstbestimmung ein.
Sein Engagement für die weniger privilegierten Menschen brachte ihm ebenso hochrangige Auszeichnungen ein wie sein literarisches Werk. So wurde er unter anderem 1996 zum UNESCO-Sonderbotschafter und 2007 zum UN-Friedensbotschafter ernannt.
Ist wirklich alles miteinander verbunden und hat einen Sinn?
Dieses Zitat stammt aus Paulo Coelhos im Jahr 2005 erschienenen Buch „Der Zahir“. Das Buch erzählt die Geschichte eines erfolgreichen Schriftstellers, dessen Frau, eine Kriegskorrespondentin, ohne ein Wort zu sagen verschwindet. Die Suche nach den Gründen – und schließlich auch nach seiner Frau – wird für ihn zu einer Besessenheit, einer Obsession, zu einem Zahir. Paulo Coelho beschreibt einen Zahir so: „Ein Zahir ist etwas, das man, hat man es einmal berührt oder gesehen, nie wieder vergisst und das unser ganzes Denken bis zum Wahnsinn besetzt.”.
Wie kann man es herausfinden?
Wenn man für sich wissen möchte, ob im Leben tatsächlich alles miteinander verbunden ist und einen Sinn hat, muss man versuchen, sein Leben aus der Vogelperspektive zu betrachten. Dieses Betrachten aus der Vogelperspektive ist jedoch nur möglich, wenn man schon eine gewisse Wegstrecke im Leben zurückgelegt hat. Dann erschließt sich, ob und wie Entscheidungen und Ereignisse der Vergangenheit (beispielsweise Begegnungen mit bestimmten Menschen, Wechsel der Arbeitsstelle, Wahl des Studienortes usw.) in ein Sinngefüge eingeordnet werden können.
Vielleicht stellt man auch fest, dass einzelne Abschnitte des Lebenswegs Sackgassen waren. Man ging einen Weg, musste dann aber wieder umkehren und eine andere Richtung einschlagen. Aber auch dies passte in einen größeren Sinnzusammenhang – oder auch nicht.
Wenn ein Rückblick nicht möglich ist?
Wichtige Lebensentscheidungen müssen schon relativ frühzeitig im Leben getroffen werden. Welchen Beruf möchte man ergreifen? Will man erst eine Berufsausbildung absolvieren und dann studieren? Oder will man erst studieren und dann in das Berufsleben einsteigen? Oder möchte man auf ein Studium gänzlich verzichten? Viele Fragen stellen sich und warten auf Antworten. Die Vogelperspektive hilft nur bedingt weiter. Das Leben liegt schließlich noch vor einem. Es muss vorwärts gelebt werden. Wie könnte man dann dafür sorgen, dass sich alles auf dem noch vor einem liegenden Lebensweg in ein Sinngefüge einordnen lässt?
Energie der Begeisterung – kurz- oder langlebig?
Wie steht es um die eigene „Mission auf Erden“? Dieser Begriff Paulo Coelhos ließe sich auch mit „Lebensaufgabe“ oder „Lebensanliegen“ (ein Anliegen, welches sich durch das ganze Leben zieht und weit über Erfolg hinausgreift) bezeichnen. Hat man (schon) eine Lebensaufgabe?
Eine Lebensaufgabe ist, wie der Begriff schon nahelegt, eine Aufgabe, der man aus freiem Willen heraus seine kostbare Lebenszeit widmen möchte. Doch kann man sich einer Lebensaufgabe widmen, ohne sich dafür zu begeistern? Die Geschichtsbücher sind voll von Lebensgeschichten von Menschen, die sich eine bestimmte Aufgabe vornahmen. Stellvertretend für viele seien lediglich Marie Curie, Albert Schweitzer und Henri Dunant genannt. Sie alle widmeten sich ihrer jeweiligen Lebensaufgabe mit einer Begeisterung, die individuell ganz unterschiedlich ausgeprägt war.
Lebensaufgabe ohne Begeisterung – ist das möglich?
Kann man sich rein verstandesmäßig einer bestimmten Lebensaufgabe widmen? Man könnte sich beispielsweise mit der Flüchtlingsproblematik weltweit oder in einzelnen Ländern beschäftigen und dringenden Handlungsbedarf erkennen. Der Verstand würde sagen: „Es muss etwas getan werden!“. Diesen Handlungsbedarf könnte man für sich übersetzen in: „Ich muss etwas tun!“.
Der rein verstandesmäßigen Wahl einer Lebensaufgabe fehlt jedoch die Begeisterung. Ohne Begeisterung wird man scheitern, wenn Durststrecken, Rückschläge, Enttäuschungen usw. zu verkraften sind. Doch wie kann man sich für eine Lebensaufgabe wirklich begeistern?
Die Antwort lautet: Die Gefühle müssen beteiligt sein! Man empfindet Gefühle für jemand oder etwas. Wie stark sind sie? Sind sie so stark, dass sie die Lebensaufgabe gewissermaßen untermauern und tragen können?
Wenn Verstand und Gefühle zusammenwirken
Der Arzt Dr. Klaus-Dieter John drückte in seinem Buch „Ich habe Gott gesehen: Diospi Suyana – Hospital der Hoffnung“ die Bedeutung der Gefühle sehr treffend aus. Er schrieb in der Erinnerung an einen Besuch in einem Indianerdorf in den Ausläufern der Anden in Peru: „Noch viele Jahre später sah ich sie vor mir, diese ausgestreckten Hände. Und ich hörte ihre dankbaren Rufe zum Abschied. Meine Entscheidung des Vorjahres, als Missionsarzt für Indianer zu arbeiten, war eine rein verstandesmäßige Entscheidung im Sinne von Richtig und Falsch gewesen. Der Besuch in Cascajal hatte nun endlich mein Gefühl geweckt. Diesen Menschen wollte ich einmal ein Krankenhaus bauen. […] Ihrem Hilferuf würde ich mich nicht entziehen, denn auf eine seltsame Weise hatte ich diese Berglandindios richtig liebgewonnen.“.
Klaus-Dieter John hatte mit seiner Ehefrau, einer Kinderärztin, die Vision, mitten in den Anden Perus ein modernes Krankenhaus für die einheimische Bevölkerung zu bauen. Für diese Menschen war medizinische Versorgung bis dahin nahezu unerreichbar, nicht nur geografisch, sondern auch finanziell. Eine ärztliche Behandlung blieb für die meisten unerschwinglich.
Die Vision war da, aber die finanziellen Mittel nicht. Doch die Vision war so stark, dass das Vorhaben zusammen mit vielen Unterstützern und unter vielen Mühen verwirklicht werden konnte. Am 22. Oktober 2007 öffnete das Krankenhaus „Diospi Suyana“ seine Pforten.
Verstand und Gefühl kamen zusammen. Die Flamme der Begeisterung erlosch trotz der vielerlei Schwierigkeiten in technischer, finanzieller und kultureller Hinsicht nicht. Sie brannte bei den ersten Anfängen Ende der 1990-er Jahre, als das Krankenhaus lediglich in den Köpfen des Ehepaars John existierte. Und sie brennt immer noch, jetzt da das Krankenhaus längst überregionale Bedeutung erlangt hat.
Wirkt die Lebensaufgabe wie ein Autopilot?
Eine von Begeisterung getragene Lebensaufgabe gibt dem Leben einen Sinn, ein Ziel und eine Struktur. Alles was man im Leben denkt und unternimmt kreist irgendwie immer um die Lebensaufgabe. Wirkt dann die Lebensaufgabe nicht wie ein Autopilot, der das Leben auf Kurs hält?
Unter einem Autopiloten wird eine automatische, typischerweise computergestützte und programmierbare Steuerungsanlage verstanden, die, solange sie aktiv ist, Fortbewegungsmittel (Autos, Schiffe, Flugzeuge usw.) ohne menschlichen Eingriff lenken kann. Heute verfügt jedes Verkehrsflugzeug über einen Autopiloten. Aber auch in anderen Fortbewegungsmitteln, wie beispielsweise Autos, werden Elemente eines Autopiloten (z. B. Abstandsregeltempomat, Spurhalteassistent) zunehmend zum Standard.
Ein Autopilot muss explizit aktiviert werden, damit er die automatische Steuerung übernehmen kann. Die computergestützte Steuerung wertet sodann ständig Umgebungsinformationen (z. B. Windrichtung, Windstärke) aus und ermittelt, wie das jeweilige Fortbewegungsmittel gesteuert werden soll. Sie kann auch bei Störeinflüssen aktiv bleiben. Beim Flugzeug etwa kann der Autopilot auch mit Turbulenzen, beispielsweise durch Böen und Aufwinde, umgehen. Er schaltet sich selbst erst aus, wenn Schwellenwerte über- oder unterschritten werden, die eine automatische Steuerung unmöglich machen.
Kann man im Leben, bildlich gesprochen, den Autopiloten einschalten? Man nimmt sich ein Lebensziel fest vor, programmiert sich gewissermaßen auf dieses Ziel hin. Man bestimmt die aktuelle Position, wo man jetzt gerade im Leben steht. Daraus würde gewissermaßen die „Route“ festgelegt werden können. Doch was ist die „Route“? Man kennt sie nicht. Man kann sie noch gar nicht kennen, denn man weiß nicht, was das Leben in der näheren und ferneren Zukunft für einen bringen wird.
Vielleicht kann der Autopilot des Lebens nur ganz kurz aktiv bleiben und muss abgeschaltet werden, weil das Leben in schwere Turbulenzen gerät. Die Lebensaufgabe bleibt jedoch und sie gibt dem Leben nach wie vor Sinn und Struktur. Und wie steht es um die Begeisterung? Sie bleibt auch. Sie ist nicht Teil des Autopiloten, sondern, wiederum bildlich gesprochen, Treibstoff.
Im Leben unterwegs – hat alles einen (verborgenen) Sinn?
Manchmal gleicht das Leben einem Blindflug. Es passieren Dinge, die keinen Sinn zu machen scheinen. In der aktuellen Sicht passt einfach nichts zusammen. Aber im Rückblick, manchmal erst Jahre später, ist nicht selten erkennbar, dass doch manches, wenn nicht sogar alles, irgendwie einen Sinn hatte. Vielleicht ist man an und in Schwierigkeiten gewachsen und sie haben einen weitergebracht. Sie haben einen vielleicht von etwas Schlimmerem abgehalten. Man hätte sich nicht so entwickeln können, wenn sie einem erspart geblieben wären.
Klaus-Dieter John schildert in seinem Buch eine Begebenheit, die zunächst entmutigte. Bei einer Einreise nach Peru wurde sein Beamer beschlagnahmt. Trotz intensiver Bemühungen wurde der Beamer nicht zurückgegeben. Für ihn war es ein herber Verlust. Einige Wochen später, beim Kauf eines neuen Beamers in einem Ladengeschäft in Lima, begegnete John zufällig dem Präsidenten eines bedeutenden Telekommunikationsunternehmens. Das Unternehmen spendete in der Folge eine Satellitenschüssel und übernahm die Installation. Der Wert dieser Spende überstieg den des Beamers bei weitem. Wäre der Beamer nicht beschlagnahmt worden, wäre es vermutlich nie zu dieser Begegnung gekommen.
Wie sind Ereignisse und Wege im Leben miteinander verbunden? Eine offene Frage, auf die es keine allgemeine Antwort geben kann. Vielleicht braucht man einiges an Zeit zum Nachdenken, bis sich eine individuelle Antwort andeutet und man vielleicht Muster erkennen kann.
Mit einer Lebensaufgabe gestaltet man sein Leben aktiv und lässt sich nicht treiben. Doch die Lebensaufgabe verändert einen auch und man lässt sich durch sie verändern. Der Psychiater und Philosoph Karl Jaspers drückte es so aus: „Der Mensch wird, was er wird, durch die Sache, die er zu der seinen macht.“. Und man steigert die Wahrscheinlichkeit, dass alles Tun einen Sinn hat und, irgendwann aus der Vogelperspektive betrachtet, in ein Sinngefüge passt.
Der Treibstoff der Begeisterung ist ein ganz besonderer Treibstoff. Er fließt immer. Deshalb ist Begeisterung nicht mit einem Strohfeuer zu vergleichen. Zeiten der Entmutigung sind nicht ausgeschlossen, aber die Begeisterung bleibt trotzdem. Sie kommt von innen.
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