„Das Glück der Menschen liegt nicht in Geld und Gut, sondern es liegt in einem Herzen, das eine wahrhafte Liebe und Zufriedenheit hat.“
Adolph Kolping
Adolph Kolping (1813-1865) war ein deutscher katholischer Priester, der sich während der Zeit der industriellen Revolution insbesondere mit der sozialen Frage auseinandersetzte. Er gilt als Sozialreformer und war der Begründer des Kolpingwerkes.
Kann ein todkranker Junge glücklich sein?
„Bist du glücklich?“, so etwa lautete die Frage an einen etwa 14-jährigen Jungen, die ihm in einem Fernsehbeitrag gestellt wurde. Die knappe Antwort lautete: „Ja!“. Verwunderlich? Nein, wenn es sich um einen völlig „normalen“ Jungen gehandelt hätte. Der Junge war aber nicht „normal“, sondern saß in einem elektrischen Rollstuhl. Er litt an einer unheilbaren Erkrankung, die ihn zu einer verkrümmten Körperhaltung zwang und die seine Lebenserwartung begrenzte. Immerhin konnte er den Rollstuhl mit Fingerbewegungen steuern.
Ein todgeweihter Junge, der auf die Frage, ob er glücklich sei, glaubhaft mit „Ja“ antworten kann. Wie kann das gehen? Kann es auch dann noch Glück geben, wenn alles fehlt und man lediglich noch existiert? Der Gesichtsausdruck des Jungen sprach Bände. Es war nicht ein einfach dahingesagtes „Ja“, sondern es war so gemeint – das war spürbar. Der Junge strahlte etwas aus. Es schien als gäbe es keine Defizite. Erlebte der todgeweihte Junge etwas, was viele körperlich kerngesunde Menschen nicht erleben?
Liebe, Glück und Zufriedenheit – ein unerreichbarer Zustand?
Wohl jeder Mensch empfindet in seinem Leben Defizite. Es ist nicht so, wie es sein sollte. Vielleicht erfüllt einen der Beruf nicht. Man arbeitet, weil man es eben muss. Den Feierabend sehnt man förmlich herbei. Morgens hat man keine Lust, sich auf den Weg zur Arbeitsstelle zu machen. Und dann nerven auch noch die Kollegen. Wie soll man da glücklich und zufrieden sein? Vielleicht ist man auch mit seiner finanziellen Situation unzufrieden. Leider kann man sich nicht das leisten, was man gerne hätte. Gründe für Unzufriedenheit müssen meist nicht lange gesucht werden.
Auch Adolph Kolping empfand in seinem Leben Defizite, vor allem in materieller Hinsicht. Sein Vater war Lohnschäfer. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass Adolph Kolping – er hatte noch vier Geschwister – in bescheidenen Verhältnissen aufwuchs. Doch trotz der familiären Armut beschrieb er seine Kindheit als glücklich. Es muss etwas gegeben haben, das die materiellen Defizite in den Hintergrund rücken ließ. Sicherlich waren es die Liebe und Geborgenheit in der Familie. Später erwuchs daraus seine Motivation, Menschen in schwieriger sozialer Lage Geborgenheit und Heimat zu geben sowie Bildung zu vermitteln.
Sind also Liebe, Glück und Zufriedenheit doch nicht so unerreichbar, wie es auf den ersten Blick scheint? Doch was Liebe, Glück und Zufriedenheit für einen persönlich bedeuten, lässt sich nur individuell klären. Wie kann man zur individuellen Klärung gelangen?
Für die persönliche Klärung kann ein Gedankenexperiment hilfreich sein. Dazu versetzt man sich in die Zukunft, in das Jahr eines runden Geburtstags. Ob man sich den nächsten oder übernächsten runden Geburtstag vorstellt, spielt keine wichtige Rolle. Der zeitliche Abstand sollte aber mindestens zehn Jahre betragen.
Aus Anlass des runden Geburtstags hat man alle Menschen eingeladen, die einem wichtig sind. Es sind auch alle der Einladung gefolgt, die man um sich haben möchte. Man sitzt fröhlich zusammen und unterhält sich angeregt.
Jetzt erhebt man sich und klopft mit einem Messer einige Male an ein Glas, denn man möchte eine Rede halten. Das fröhliche Geplauder verebbt langsam und schließlich verstummt es ganz. Man nimmt die erwartungsvollen Blicke der Gäste wahr.
Nach einigen launigen Begrüßungsworten kommt man zum Kern und spricht darüber, was man im bisherigen Leben an wahrhafter Liebe, an Glück und Zufriedenheit wahrgenommen und erlebt hat. Was bekommen die Gäste zu hören?
Nur relativ wenige Menschen können eine solche Rede aus dem Stegreif halten. Und da man zu den Menschen zählt, die nicht frei reden können oder wollen, hat man seine Rede vorbereitet. Dabei hat man intensiv über das bisherige Leben nachgedacht. Was hat man zu Papier gebracht?
Wenn man sich auf das Experiment einlässt und sich gedanklich damit beschäftigt, wie man in den zurückliegenden Jahren Liebe, Glück und Zufriedenheit erlebt hat – die Jetztzeit mit eingeschlossen -, nimmt man Gefühle wahr. In dieser Art schriftlicher Dialog mit sich selbst fühlt man, bildlich gesprochen, mit dem Herzen. Und durch dieses Fühlen mit dem Herzen kommt es auch zu einer individuellen Klärung.
Das Gedankenexperiment mag seelischen Schmerz auslösen. Vielleicht nimmt man beim Rückblick auf das bisherige Leben viele Defizite wahr. Möglicherweise klagt man sich selbst an, weil man erkennt, dass man manches selbst „vermasselt“ hat. Doch beim Schmerz soll und darf es nicht bleiben! Das Leben ist noch nicht zu Ende und es besteht die Möglichkeit, sich zu ändern – auch wenn es vielleicht harte „Arbeit“ werden mag.
Weshalb liegt das Glück nicht in „Geld und Gut“?
Wenn Glück mit Reichtum (Geld und Gut) verknüpft wäre, müssten alle Menschen, die mehr als genug zum Leben haben, glücklich sein. Dies trifft jedoch nicht zu. Viele der Länder mit hohen Selbstmordraten zählen zu den lebenswertesten der Welt. Warum liegt etwa in der verhältnismäßig wohlhabenden Schweiz die Selbstmordrate deutlich über dem internationalen Durchschnitt?
Rafael Badziag, globaler Unternehmer, Wegbereiter des europäischen E-Commerce und Bestsellerautor, interviewte 21 Milliardäre für sein Buch „The Billion Dollar Secret“. Nach seinen Erkenntnissen sind Milliardäre durchaus glücklicher als der Durchschnittsmensch. Aber es ist nicht der Reichtum, der glücklich macht. Er stellte die These auf, dass glückliche Menschen noch glücklicher und unglückliche Menschen noch unglücklicher werden, wenn sie reich werden. Geld gibt Möglichkeiten, aber keine wirkliche Freude.
In Badziags Buch heißt es: „Milliardäre sind Experten der menschlichen Psychologie, diese Fähigkeit ermöglicht es ihnen, harmonische langfristige Beziehungen aufzubauen, die zu ihrem Glück beitragen.“. Demnach ist es weniger der Reichtum, der zum Glück beiträgt, sondern es sind die zwischenmenschlichen Beziehungen.
Liebe und Zufriedenheit – langlebige und stabile Gefühle
Liegt das Glück des Menschen wirklich „in einem Herzen, das eine wahrhafte Liebe und Zufriedenheit hat“? Hat Adolph Kolping recht? Falls ja, warum ist dies so?
Als sozialen Wesen ist uns Menschen das „in-Beziehung-sein“ mit anderen gewissermaßen als Grundbedürfnis mit in die Wiege gelegt. Viele Studien konnten zeigen, wie wichtig gute und tiefe Beziehungen zu Mitmenschen sind, angefangen vom Partner über Familienmitglieder, Freunde und Kollegen bis hin zu den Menschen, die man weniger häufig sieht (z. B. Nachbarn).
Erfüllte zwischenmenschliche Beziehungen zeigen sich beispielsweise darin, dass man mindestens zwei Menschen kennt, die man im Notfall auch mitten in der Nacht anrufen kann. Dies wäre auch ein Kriterium dafür, ob man wahre Freunde hat. Marlene Dietrich, Schauspielerin und Sängerin, drückte es so aus: „Die wahren Freunde sind die, die man morgens um vier Uhr anrufen kann.“.
Einstellung und Haltung gegenüber Mitmenschen wirken sehr stark auf das Glücksempfinden. Alfred Adler, Arzt und Psychotherapeut, formulierte es so: „Und da ein wahres Glück untrennbar verbunden ist mit dem Gefühl des Gebens, so ist es klar, dass der Mitmensch dem Glück viel nähersteht als der isoliert nach Überlegenheit strebende Mensch.“. Der „isoliert nach Überlegenheit strebende Mensch“ bleibt allein, schneidet sich von wahrem Glück ab, selbstgewählt.
Auch Martin Seligman, Begründer der Positiven Psychologie, sieht eine „Glückswirkung“ darin, wenn man andere glücklich macht. Wenn es einem einmal wirklich schlecht geht, so seine Überzeugung, hilft es einem selbst, wenn man „einfach“ nach draußen geht und einem Fremden hilft. Es gebe nichts, was zum eigenen Glück so sehr beitrage, wie andere glücklich zu machen. In der Konsequenz ist Nächstenliebe ein Glücksfaktor, sowohl im Hinblick auf das kurzzeitige als auch das lange anhaltende Glücksgefühl.
Glück kann den Charakter eines flüchtigen Zustands aufweisen. Beispielsweise fällt ein Lottogewinn typischerweise in diese Kategorie (man hat Glück gehabt). Es gibt aber auch ein Glücksempfinden, das nicht von außen, sondern von innen kommt und gewissermaßen auf das Wesen des Menschen zurückweist. Letztere Art von Glücksempfinden ist langlebiger und bildet, bildlich gesprochen, eine Klammer zwischen Liebe und Zufriedenheit.
Zufriedenheit – innerer Friede
Der Begriff „Zufriedenheit“ enthält das Wort „Friede“, womit ein innerer Friede gemeint ist. Insofern bezeichnet Zufriedenheit einen inneren Seelenfrieden, der tief reicht. In der Konsequenz ist Zufriedenheit im Leben gewissermaßen als positive Grundstimmung verankert. Es ist kein Gefühlszustand, der sich in Überschwänglichkeit und Impulsivität ausdrückt, wie dies beispielsweise bei Freude (z. B. Freude über die Kleinigkeiten des Alltags, über den Sieg der Lieblingsmannschaft usw.) und Glück oft der Fall ist. Zufriedenheit ist zurückhaltender und ließe sich auch als eine Art „Hintergrundgefühl“ bezeichnen. Des Weiteren ist Zufriedenheit stärker an das Nachdenken gebunden und kann deshalb als das stabilste gute Gefühl gelten.
Das Gefühl der Zufriedenheit bestätigt sich immer wieder im Vergleichen. Damit ist jedoch nicht der Vergleich mit anderen hinsichtlich materieller Güter gemeint, etwa nach dem Motto: „Wer hat mehr“? Diese Art des Vergleichens kann schnell zu Unterlegenheits- und Neidgefühlen führen und gewissermaßen selbstvergiftend wirken. Vielmehr geht es um ein Vergleichen, das die positiven Aspekte des Lebens in den Blick nimmt, wie beispielsweise: „Ich würde viel vermissen, wenn ich meine Partnerin nicht hätte“.
Liebe – Liebe zu allen Menschen
Auch die Nächstenliebe als Liebe zu allen menschlichen Wesen ist eine grundlegende Haltung. In seinem Buch „Die Kunst des Liebens“ schrieb Erich Fromm: Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe: Wenn sich in mir die Fähigkeit zu lieben entwickelt hat, kann ich gar nicht umhin, meinen Nächsten zu lieben. Die Nächstenliebe enthält die Erfahrung der Einheit mit allen Menschen, der menschlichen Solidarität, des menschlichen Einswerdens.“. Und im Geben erlebt der Mensch Glück.
Glücklich sein – und bleiben
In der Gesamtbetrachtung lässt sich festhalten, dass es sich für das Leben überaus positiv auswirkt, wenn man sich auf Langanhaltendes konzentriert: Liebe und Zufriedenheit. Zudem sind Liebe und Zufriedenheit nicht von äußeren Ereignissen abhängig, die sich oft nicht beeinflussen lassen.
Adolph Kolping wird durch die Erkenntnisse der Psychologie bestätigt. Wer liebt und zufrieden ist, ist glücklich und wird es auch bleiben.
* Sie können nach Text suchen, der in Zitaten vorkommt (Beispiele: „Glück“, „hoff“)