„Dankbarkeit beinhaltet Demut – eine Erkenntnis, dass wir ohne die Unterstützung anderer nicht sein könnten, was wir sind oder wo wir im Leben stehen.“
Robert Emmons
Robert Emmons (geb. 1958) ist ein US-amerikanischer Psychologe und Professor. Er forscht auf den Gebieten der Persönlichkeitspsychologie, Emotionspsychologie und Religionspsychologie. Ein Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit ist der Erforschung der Dankbarkeit und der Fragestellung gewidmet, in welcher psychologischen Beziehung sie zu Glück, Gesundheit und Persönlichkeitsbildung steht.
Wenn sie/er nicht gewesen wäre, dann …
Unzählige Menschen haben im Lauf der Geschichte davon berichtet, dass andere Menschen in ihrem Leben entscheidende positive Impulse gegeben haben. Damit anerkannten sie, dass sie nicht ohne den Einfluss oder den wie auch immer gearteten Beitrag anderer Menschen zu dem geworden wären, zu dem sie schließlich wurden.
In dieser Anerkennung, in der auch Wertschätzung mitschwingt, hat Demut den Anklang von Bescheidenheit. Demut mit Unterlegenheit, menschlicher Schwäche oder gar Selbstverleugnung zu assoziieren, wäre in diesem Zusammenhang irreführend. Demut reflektiert vielmehr auch das Bewusstsein eigener Stärken, Schwächen und Grenzen. Leistungen und Erfolge werden nicht (mehr) allein auf das eigene Konto gebucht. Vor dem Hintergrund, dass andere Menschen ihre Anteile daran haben, wird die eigene Wichtigkeit nicht überschätzt. Matthieu Ricard, buddhistischer Mönch und Molekularbiologe, drückte es so aus: „Demut besteht nicht darin, sich geringer als die anderen zu fühlen, sondern sich von der Anmaßung der eigenen Wichtigkeit zu befreien.“.
Vielleicht machten Menschen Mut, etwas zu wagen, an die eigenen Fähigkeiten und Potenziale zu glauben. Beispielsweise scheuten viele Künstler, die in ihrem Leben Bemerkenswertes erreichen konnten, nicht zurück, die Anteile anderer Menschen an ihrem Erfolg zu würdigen. Die britische Sängerin Bonnie Tyler erwähnte, dass sie ihre Musikkarriere ihrer Mutter zu verdanken habe: „Ich glaube nicht, dass ich Sängerin geworden wäre, wenn sie nicht gewesen wäre.“ Ähnlich äußerte sich auch der Schauspieler Manfred Krug. Er erwähnte, dass seine Oma Lisa an ihn geglaubt habe: „Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte es den Schauspieler Krug nicht gegeben.“
Vielleicht unterstützten andere Menschen dabei, das eigene Leben in andere Bahnen zu lenken. Alleine hätte man es möglicherweise nicht geschafft, seinem Leben eine Wendung zu geben. Klaus Katzmayr, verstorbenes Gründungsmitglied der „Tölzer Coaches“ (eine Gruppe sozial engagierter Bürger aus Bad Tölz, die sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich und honorarfrei für junge Menschen aus Bad Tölz, Lenggries und Umgebung. engagiert), war es ein Anliegen, dass Jugendliche ihren Weg im Leben finden. Ein türkischer Jugendlicher sagte über ihn: „Ich wäre entweder tot oder im Gefängnis, wenn er nicht gewesen wäre.“
Die Unterstützung anderer Menschen kann auf die unterschiedlichsten Arten und Weisen geschehen. Beispielhaft werden Episoden aus dem Leben zweier bekannter Personen kurz skizziert: Albert Einstein und Martin Luther.
Albert Einstein
Der berühmte Physiker Albert Einstein (1879-1955) entwickelte seine bahnbrechende Allgemeine Relativitätstheorie nicht alleine im „stillen Kämmerlein“, sondern mit Unterstützung anderer Wissenschaftler. Weniger bekannt ist etwa, dass er bei der Formulierung des mathematischen Teils seiner Theorie tatkräftig von seinem damaligen Freund Marcel Grossmann unterstützt wurde. Wenn heute von der Allgemeinen Relativitätstheorie gesprochen wird, fällt stets der Name Albert Einstein. Doch zu Recht gilt Grossmann als deren Mitentdecker.
Auch heute arbeitet kein Wissenschaftler einsam in seinem Labor vor sich hin, erlebt irgendwann den großen Durchbruch, veröffentlicht seine Forschungsergebnisse und kommt schließlich zu Ruhm und Ehren. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse sind stets das Ergebnis des mehrjährigen intensiven Zusammenwirkens mehrerer Wissenschaftler, oft über die Grenzen von Ländern und Kontinenten hinweg. Alle Beteiligten profitieren von der Zusammenarbeit, manche an prominenter Stelle, manche, wie Marcel Grossmann vor über hundert Jahren, mehr im Verborgenen.
Albert Einstein waren seine eigenen Grenzen sehr wohl bewusst. Deshalb erinnerte er sich während eines jeden Tages bewusst daran, dass und was andere zu seiner Arbeit beitrugen. Mit seiner Dankbarkeit drückte er auch Wertschätzung aus. Er empfand es keineswegs als selbstverständlich, dass andere etwas von ihrer kostbaren Lebenszeit dafür investierten, ihn zu unterstützen. Er kleidete es in folgende Worte: „Jeden Tag erinnere ich mich hundert Mal daran, dass mein inneres und äußeres Leben von der Arbeit anderer, lebender und bereits verstorbener Menschen abhängt und dass ich mich bemühen muss, im gleichen Maße zu geben, wie ich empfangen habe und immer noch empfange.“.
Wäre Albert Einstein ohne die Unterstützung seines Freundes nicht weitergekommen? Hätte ein anderer Wissenschaftler irgendwann später die Allgemeine Relativitätstheorie formuliert? Diese Fragen müssen unbeantwortet bleiben. Sicher ist jedoch, dass Albert Einstein seinem Freund viel zu verdanken hatte.
Martin Luther
Martin Luther (1483-1546), Augustinermönch und Theologieprofessor, wurde zum Urheber der Reformation in Deutschland und darüber hinaus. Sein Lebensweg hätte anders verlaufen können, hätte nicht Ursula Cotta den etwa 15-jährigen Martin Luther bei sich aufgenommen.
Zur Vorbereitung auf das Studium zog Martin Luther 1498 zu Verwandten seiner Mutter in die Kleinstadt Eisenach und wohnte dort für kurze Zeit bei seinem Großonkel Konrad Hutter. Die Familie Hutter war arm. Deshalb musste Martin Luther als Kurrendensänger seinen Unterhalt bestreiten. Eine Kurrende war ein aus bedürftigen Schülern gebildeter Chor, der vor Häusern gegen Geldspenden sang. Die Sänger zogen von Kirche zu Kirche sowie vor die Bürgerhäuser und baten „um Brot um Gottes Willen“. Dabei begegnete er Ursula Cotta. Sie bot ihm Unterkunft in ihrem Haus an und förderte ihn.
Vielleicht wäre Martin Luthers Lebensweg völlig anders verlaufen, wenn er Ursula Cotta nicht begegnet wäre und über sie Zugang zu Kreisen gefunden hätte, die für seine weitere Entwicklung sehr förderlich waren. Möglicherweise hätte es den Reformator Martin Luther nicht gegeben. Martin Luther hatte Ursula Cotta jedenfalls viel zu verdanken.
Dankbarkeit, Anerkennung und Wertschätzung
Gibt es überhaupt jemand, der in seinem bisherigen Leben nie in der einen oder anderen Form Unterstützung durch andere Menschen erfahren hat? Eigentlich eine rhetorische Frage. Die Unterstützung beginnt schon bei der Geburt. Eine Hebamme hilft bei der Entbindung.
Auf all die Unterstützung anderer Menschen ist Dankbarkeit die angemessene Antwort. Dankbarkeit ist eine beziehungsstärkende Gemütsregung. Dadurch ist man unausgesprochen aufgefordert, bewusst und nicht nur beiläufig wahrzunehmen, wie einem bei oder in etwas geholfen wurde. Und ebenso schwingt dabei die Anerkennung mit, dass man von anderen auch wertgeschätzt wurde. Sonst wäre einem nicht geholfen worden.
Wertschätzung verbindet Unterstützenden und Unterstützten, denn beide empfinden Wertschätzung. Der Unterstützende schätzt den Unterstützten wert, denn ohne Wertschätzung würde er keinen Anlass für Unterstützung sehen, es sei denn die Unterstützung muss aus einem Zwang heraus geleistet werden. Wenn sie freiwillig geschieht, drückt sie immer Wertschätzung aus. Andererseits drückt der Unterstützte durch seine Dankbarkeit gegenüber dem Unterstützenden seine Wertschätzung aus. Der Unterstützende gibt schließlich freiwillig etwas aus seinem Vermögen, sei es Zeit oder etwas Materielles.
Dankbarkeit in Demut
In der Gesamtschau betrachtet erkennt man durch Dankbarkeit an, dass man nicht alles Gute im Leben nur sich selbst zu verdanken hat. Allen Erfolg im Leben, wie auch immer man diesen beschreibt, bucht man nicht nur auf das eigene Konto. Man anerkennt, dass auch andere ihren Anteil daran haben. Vielleicht denkt man zuerst an das eigene Familienumfeld, in dem man aufgewachsen sind. „Meine Eltern haben mir diese Möglichkeiten geboten.“ oder „Meine Großmutter hat mich immer wieder getröstet, wenn ich mit einer schlechten Note nach Hause kam, und mir geholfen, nicht aufzugeben“, so oder so ähnlich mag man vielleicht in der Rückschau empfinden.
Doch da waren mit Sicherheit noch viele weitere Personen, die im Lauf des Lebens Gutes für einen getan haben: Lehrer, Arbeitskollegen, Freunde, um nur einige zu nennen. Sie haben einem ihr Vertrauen geschenkt, haben „ein Ohr“ für einen gehabt, haben einem in ganz praktischen Dingen geholfen. Kurzum: Sie alle haben das Leben auf ihre ganz eigene Art und Weise bereichert.
Vielleicht hängt man an dem Gedanken, dass man im Leben das bekommt, was man verdient hat. Dankbarkeit macht einem jedoch bewusst, dass man im Leben weitaus mehr bekommt als man verdient hat. Der Theologe Dietrich Bonhoeffer ging sogar so weit, alles als Geschenk zu betrachten: „Dem Dankbaren wird alles zum Geschenk, weil er weiß, dass es für ihn überhaupt kein verdientes Gut gibt. Er unterscheidet darum nicht zwischen Verdientem und Unverdientem, zwischen Erworbenem und Empfangenem, weil in seinen Augen auch das Erworbene Empfangenes, das Verdiente Unverdientes ist.“
Der Empfangende kann selbst zum Geber werden
Wenn man sich als dankbaren Beschenkten betrachtet, fällt es einem auch leichter, von sich selbst etwas zu geben. Geben ist Ausdruck von Vermögen. Wenn man etwas von sich gibt, dann geschieht das Geben zutiefst freiwillig und ist kein Müssen, sondern Können. Geben fordert keine Gegenleistung. Sonst hätte es den Charakter eines Tauschgeschäfts.
Das Geben erweckt auch im Mitmenschen etwas, das wieder zurückstrahlt. Der Beschenkte wird selbst zum Geber. So berichten beispielsweise auffallend viele Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, dass sie sich nicht nur als einseitig Gebende fühlen. Sie empfinden, etwas zurück zu bekommen, können oft jedoch nicht genau benennen, was sie selbst empfangen.
Dass man nicht nur etwas von sich selbst geben kann, sondern auch empfängt, vermittelt ebenfalls ein Gefühl der Dankbarkeit. Man ist dankbar, dass man überhaupt Schenkender sein kann. Und man ist dankbar, dass man im Geben etwas Sinnstiftendes vollbringt.
Menschen brauchen einander in den wechselseitigen Rollen von Gebendem und Empfangendem. Vielleicht muss man sich, wie auch der weltberühmte Physiker Albert Einstein, hundert Mal am Tag daran erinnern, wie sehr man von Mitmenschen abhängig ist. Gegenseitige Dankbarkeit und Wertschätzung erzeugen jedenfalls Herzenswärme und bereichern zwischenmenschliche Beziehungen.
Verwundert es dann, dass sich dankbare Menschen weniger als einsam und isoliert empfinden? Doch damit erschöpfen sich die positiven Auswirkungen von Dankbarkeit noch lange nicht. Untersuchungen zufolge sind dankbare Menschen kontaktfreudiger, eher bereit zu vergeben, hilfsbereiter, großzügiger und einfühlsamer. Alle diese Eigenschaften erleichtern das soziale Miteinander.
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