„Die Fähigkeit, das Wort Nein auszusprechen, ist der erste Schritt zur Freiheit.“
Nicolas Chamfort
Nicolas Chamfort, geboren als Sébastien-Roch Nicolas (1741-1794) war ein französischer Schriftsteller in der Zeit der Aufklärung und der Französischen Revolution. Er beteiligte sich zu Beginn der Französischen Revolution am Sturm auf die Bastille. Als er gegen Ende der Revolution erneut festgenommen werden sollte, unternahm er einen Suizidversuch, an dessen Folgen er verstarb.
Freiheit – die Wahl zwischen „Ja“ und „Nein“
Der Begriff „Freiheit“ ist sehr vielschichtig. Im Lauf der Geschichte wurde der Begriff „Freiheit“ immer wieder mit anderen Bedeutungsinhalten belegt. Andere Zeiten, andere Bedeutungsinhalte.
Heute wird unter „Freiheit“ in der Regel die Möglichkeit verstanden, ohne irgendwelchen Zwang zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten auswählen und entscheiden zu können. Beispielsweise kann man sich in einer Demokratie bei Wahlen ohne äußeren Zwang für oder gegen zur Wahl stehende Kandidatinnen und/oder Kandidaten entscheiden.
In unserem Jahrhundert wird der Begriff „Freiheit“ jedoch auch in gewisser Hinsicht verengt. Der positive Aspekt der Wahlfreiheit wird hervorgehoben, während der negative Aspekt der Einschränkung ausgeblendet wird. Marketing- und Werbefachleute haben daran einen nicht unerheblichen Anteil.
Wenn in Werbebotschaften beispielsweise suggeriert wird, dass ein Kredit finanzielle Freiheit bedeutet, wird gleichzeitig ausgeblendet, dass ein Kredit eben auch zurückbezahlt werden muss. In Wirklichkeit nimmt ein Kreditnehmer in Kauf, dass er eine Zeitlang an anderer Stelle sparen muss, um die Kreditraten nebst Zinsen zu bedienen (es sei denn, er kann gleichzeitig sein Einkommen erhöhen). Seine finanzielle Dispositionsfreiheit wird eingeschränkt. Da er Zinsen zahlen muss, kostet diese Art von „Freiheit“ in Wirklichkeit mehr Geld. Hätte der Kreditnehmer Geld angespart, hätte er keinen oder zumindest einen wesentlich niedrigeren Kredit benötigt. Und die Kreditzinsen, die schließlich immer deutlich höher als die Guthabenzinsen sind, wären nicht oder in deutlich geringerem Maß angefallen. Kurzum: Freiheit bedeutet in diesem Fall eben auch Abhängigkeit vom Kreditinstitut.
Wie steht es nun um die eigene individuelle Freiheit? Jeder Mensch definiert faktisch für sich selbst, was für ihn Freiheit bedeutet. Für den einen bedeutet Freiheit, einfach nach Lust und Laune und dem Augenblick folgend das tun zu können, was man will. Für den anderen bedeutet sie, das tun zu können, was er aus seinem Inneren heraus wirklich möchte. Und für einen Dritten bedeutet sie wieder etwas anderes. Stets steht man jedoch situationsbezogen vor einer Wahl zwischen „Ja“ oder „Nein“.
Mit einem „Nein“ Grenzen und Freiheit bewahren
Jeder Mensch hat seine ganz individuelle „Komfortzone“. Innerhalb dieser Zone, die ihre selbstgesteckten Grenzen hat, fühlt man sich wohl. Würde man gezwungen oder sich gar selbst dazu zwingen, seine Komfortzone zu verlassen und damit auch seine Grenzen zu überschreiten, würde man aus einem inneren Gleichgewicht geraten.
Wer kennt die eigene Komfortzone? Außer einem selbst sind es vor allem die Menschen, mit denen man enger verbunden ist, insbesondere Ehepartner, Lebenspartner, enge Freunde, gute Bekannte. Je weniger ein anderer Mensch einen kennt, desto weniger kann dieser beispielsweise etwas über die Werte (z. B. Ehrlichkeit, Toleranz, Freundlichkeit) wissen, die einem persönlich wichtig sind. Ein „Nein“ hat für andere Menschen deshalb immer auch die Funktion, Grenzen wahrnehmbar zu setzen. Für sich selbst hat man seine Grenzen schon gesetzt und jetzt geht es darum, sie zu bewahren. Anderen gegenüber, die diese Grenzen (noch) nicht kennen, setzt man Grenzen.
Angenommen, ein Kollege würde versuchen, einen dafür zu gewinnen, sich am Mobbing gegen einen anderen Kollegen zu beteiligen. Wenn man das seelische Verletzen eines anderen Menschen nicht gutheißt und sich deshalb auch nicht beteiligt, drückt man durch das „Nein“ aus, dass man seine eigenen Grenzen bewahren möchte. Und man bewahrt gleichzeitig auch seine Freiheit, denn man hat nicht nachgegeben und sich nicht selbst „verbogen“.
Mit einem „Nein“ gleichzeitig „Ja“ zu sich selbst sagen
Mit einem „Nein“ anerkennt man seine eigenen Bedürfnisse als schützens- und verteidigungswert. Schließlich sind die eigenen Bedürfnisse nicht weniger wert als die von anderen Menschen. Wenn man „Nein“ sagen kann, lebt man in der Konsequenz im Einklang mit den eigenen Bedürfnissen.
Wer kennt die eigenen Bedürfnisse? Wie die eigene Komfortzone, so sind sinnentsprechend auch die eigenen Bedürfnisse (z. B. respektvoll behandelt zu werden, wertgeschätzt zu werden, Geborgenheit zu erfahren) nur den Menschen wirklich bekannt, mit denen man in einer engeren Beziehung steht. Ein „Nein“ macht diese persönlichen Bedürfnisse für andere erkennbar und man sagt gleichzeitig „Ja“ zu sich selbst.
Angenommen, man hat das Bedürfnis, respektvoll behandelt zu werden. Wenn es beispielsweise im Bekanntenkreis zu einer Auseinandersetzung kommt und man dabei „unter der Gürtellinie“ beschimpft wird, kann man seine Bedürfnisse deutlich machen, beispielsweise so: „Ich möchte nicht, dass du so mit mir redest. Ich möchte von dir respektvoll behandelt werden.“. Damit drückt man aus: Nein, so nicht!
Mit einem „Nein“ vor Vereinnahmung schützen
Immer wieder versuchen Menschen, andere für ihre ganz persönlichen Absichten, Vorhaben, Pläne und Ziele zu vereinnahmen und vielleicht auch zu instrumentalisieren. Manchmal steckt auch ganz einfach Bequemlichkeit dahinter. Man könnte es selbst durchführen oder erreichen, aber es ist einfach bequemer, andere dafür einzuspannen. Manchmal kann dahinter auch eine weniger lautere Absicht verborgen sein. Man soll gewissermaßen vorgeschickt werden, um im Fall eines Misserfolgs „feindliche Pfeile“ auf sich zu ziehen.
Angenommen, ein Kollege bittet einen, sich beim Chef für ein bestimmtes, jedoch nicht widerspruchsfreies Anliegen einzusetzen. Dieses Anliegen, beispielweise eine Neuordnung eines Aufgabengebiets, würde dem betreffenden Kollegen und auch einigen anderen Vorteile bringen, anderen Kollegen jedoch auch klare Nachteile. Lässt man sich auf die Bitte ein, fällt man beim Chef möglicherweise in Ungnade, wenn sich dieser entrüstet gegen das Anliegen ausspricht. Der bittende Kollege behält seine „weiße Weste“, man selbst muss jedoch die Konsequenzen des verunglückten Vorstoßes tragen.
Möchte man sich von anderen vereinnahmen lassen? Wenn man ein klares „Nein“ ausdrückt, bewahrt man seine Freiheit.
„Nein“ sagen – ein Lernprozess?
Leider empfindet man es oft alles andere als leicht, „Nein“ zu sagen. Insbesondere wenn man Angst vor Konflikten, Zurückweisung oder gar Liebesentzug hat, neigt man dazu, ein „Nein“ zu vermeiden. Man hat mehr oder weniger große Hemmungen, klar und deutlich „Nein“ zu sagen.
Was sind die Motive, die einen immer wieder dazu verleiten, „Ja“ zu sagen, obwohl man es nicht möchte? Erwartet man, durch „Ja“-Sagen Bestätigung zu bekommen? Möchte man sich dadurch seiner Bedeutung vergewissern? Es lohnt sich, seinen Motiven auf die Spur zu kommen.
„Nein“ sagen muss man vielleicht erst üben, insbesondere dann, wenn man bisher wenig auf sich selbst geachtet hat, sich oft vorschnell zu einem „Ja“ hat hinreißen lassen. Wenn man sich auf den Lernprozess einlässt, wird man feststellen, dass man mit der Zeit immer sicherer wird und immer besser für sich selbst sorgen kann.
Wenn man „Ja“ sagt, aber „Nein“ sagen sollte und dies im Innersten auch möchte, verleugnet man sich selbst. Und man bleibt nicht mehr bei sich selbst. Wie könnte man dann auf eine Bitte reagieren, die man ablehnen möchte – oder sich zumindest im Moment noch unsicher ist? Zeit gewinnen, klar kommunizieren und Alternativen anbieten repräsentieren die wohl wichtigsten aus dem Spektrum der Möglichkeiten.
Zeit gewinnen
Meist wird nicht eine sofortige Antwort auf eine Bitte verlangt. Dadurch gewinnt man Zeit zum Nachdenken und die Gefahr, sich überrumpeln zu lassen, wird viel geringer.
Beim Nachdenken kann man die Kosten eines „Ja“ überschlagen. Was würde ein „Ja“ bedeuten? Mit welchem Aufwand müsste man rechnen? Wie viel seiner kostbaren Zeit müsste man investieren? Schließlich ist die eigene Zeit wertvoll, denn man hat sie nicht unbegrenzt.
Innerhalb kurzer Zeit kann man zu einer persönlichen Entscheidung gelangen, ob man wirklich „Ja“ oder doch „Nein“ sagen möchte. Ein Bittender wird verstehen, dass man eine kurze Bedenkzeit möchte, es sei denn, er will einen unter Druck setzen. Sollte dies der Fall sein, liegt eine unlautere Absicht nahe, was wiederum die Entscheidung erleichtert.
Klar kommunizieren
Soll man zu einer Notlüge greifen, wenn man Nein“ sagen möchte, es einem jedoch schwerfällt? Schließlich möchte man es sich mit dem Anderen nicht verderben. Eine Notlüge erscheint als rettender Ausweg.
Bei Notlügen kann man sich leicht verstricken. Man braucht ein gutes Gedächtnis, um sich bei Bedarf daran erinnern zu können, wem man was gesagt hat. Und wenn man nicht schon notorischer Lügner ist, hat man ein schlechtes Gewissen. Wenn man von Vornherein bei der Wahrheit bleibt, hat man kein schlechtes Gewissen und muss sich auch nicht merken, was man gesagt hat. Außerdem schützt man sich vor Vertrauensverlust, der garantiert eintritt, wenn eine Notlüge als solche entlarvt wird.
Letzten Endes ist es weniger aufwändig, ein „Nein“ klar und deutlich zu kommunizieren. Und wenn es angebracht ist, kann man ergänzen, dass ein „Nein“ ein „diesmal nicht“ aber nicht „nie“ bedeutet. Man lässt sich in Zukunft gerne wieder ansprechen. Vielleicht passt es dann und aus dem situationsbedingten „Nein“ wird ein „Ja“.
Alternativen anbieten
Manchmal erkennt man intuitiv eine Alternative, die man dem Bittenden anbieten kann. Damit nimmt man sich selbst Druck und bietet zusätzlich eine Lösungsmöglichkeit an. Möglicherweise kam diese dem Bittenden selbst noch nicht in den Sinn.
Angenommen, man wird von einem Kollegen um Unterstützung bei der Ausarbeitung eines Angebots gebeten. Dies würde Überstunden bedeuten. Man hat aber schon etwas vor. Man könnte etwa so reagieren: „Ich verstehe, dass Sie zeitlich unter Druck sind. Leider kann ich Sie heute nicht unterstützen. Aber ich erinnere mich, dass das Projekt große Ähnlichkeit mit dem Projekt … hat, das wir vor etwa einem Jahr durchgeführt haben. Dort könnten Sie sich einige Informationen holen und so Zeit sparen. Vielleicht hat aber auch Kollege … etwas Zeit.“.
Widerstand gegen ein „Nein“? – Damit ist zu rechnen!
Wenn man bisher meistens oder sogar immer „Ja“ gesagt hat, fällt es einem anderen verständlicherweise schwer, sich auf einmal mit einem „Nein“ abzufinden. Man darf sich dann auch nicht wundern, wenn man Widerstand begegnet und als Egoist bezeichnet wird. Es ist vollkommen nachvollziehbar, dass andere dann versuchen, bei einem verschiedene „Knöpfe“ zu drücken und auszuprobieren, wie man darauf reagiert. Besonders beliebt ist der Versuch, einem ein schlechtes Gewissen zu machen. Schließlich möchte man auch weiterhin das bekommen, was man bisher schon ohne größere Mühe bekommen hat.
Muss man Sorge haben, dass einem Sympathie entzogen wird? Wenn es so wäre, also die Sympathie eines Anderen an ein „Ja“ gebunden ist, dann ist man für ihn nicht wirklich als Mensch wichtig. Für ihn ist im Grunde nur wichtig, was er bekommt. Man selbst wird als Mensch nicht gesehen, nur in einer Funktion, beispielsweise als (kostenloser) Dienstleister.
Andere Menschen möchten oft gerne ein „Ja“, aber wollen und können keine Verantwortung für mögliche Konsequenzen übernehmen. Was würde geschehen, wenn man sich zu viel auflädt, schließlich unter der Last zusammenbricht und psychisch erkrankt? Andere würden eine Schuld dafür kategorisch von sich weisen. Man muss schon selbst für sich und seine Grenzen Verantwortung übernehmen.
Man hat jedes Recht, auf seine Grenzen zu achten und seine Freiheit zu bewahren. Im Stillen könnte man zu sich selbst sagen: „Ich bin nicht auf der Welt, um so zu sein, wie du mich gerne hättest oder um das zu tun, was du von mir möchtest.“.
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