„Es gibt keinen Augenblick in unserem Leben, in dem wir nicht einen neuen Weg einschlagen könnten.“
Charles de Foucauld
Charles de Foucauld (1858 -1916) war ein französischer Forscher, Offizier, Priester, Mönch und Eremit. In eine der reichsten Familien Frankreichs geboren, führte er bereits während der Schulzeit einen ausschweifenden Lebenswandel. Aus der Armee, in die er später eintrat, wurde er unehrenhaft entlassen.
Nach seiner Wiederhinwendung zum christlichen Glauben wurde er Priester und Mönch. In Algerien errichtete er eine Einsiedelei. Gleichwohl pflegte er Kontakt zur einheimischen Bevölkerung und galt als Freund der Tuareg, einem Volksstamm. Bei einem Überfall von Aufständischen wurde er ermordet.
Einen neuen Weg einschlagen – einmalig oder immer wieder?
Als Schüler glänzte Charles de Foucauld keineswegs. Aus disziplinarischen Gründen, wegen „Faulheit und asozialem Benehmen“, wurde er vom Jesuitengymnasium verwiesen und legte an einem staatlichen Gymnasium das Abitur ab. Auch während seiner darauffolgenden Offiziersausbildung fiel er unangenehm auf. Innerhalb der zweijährigen Ausbildungszeit erhielt er 45 Strafen wegen Ungehorsams, Faulheit und Nachlässigkeit.
Seine Soldatenzeit, während der er mit seinem Regiment nach Algerien verlegt wurde, endete vorzeitig. 1881 wurde er wegen anstößigen Benehmens und Ungehorsams unehrenhaft aus der Armee entlassen.
Finanziell war er durchaus gut gestellt. Von seinem Großvater – seine Eltern waren schon verstorben – erbte Charles de Foucauld 1878 rund 840.000 Goldfranken, nach heutigem Wert ein Millionenvermögen. Er lebt damit in Saus und Braus und vergeudete es innerhalb weniger Jahre.
Nach seiner vorzeitig beendeten Soldatenzeit unternahm er mit seiner damaligen Geliebten eine dreimonatige Rundreise durch Algerien. Die Berührung mit der arabischen Welt und dem Islam weckte in ihm den Entschluss, die nordafrikanischen Staaten Tunesien, Algerien und Marokko, beginnend mit Marokko, näher zu erforschen. Nach der Trennung von seiner Geliebten setzte er sein Vorhaben durchaus kreativ in die Tat um. Da damals die Einreise nach Marokko für Christen verboten war, gab er sich als russischer Jude aus.
Eine existenzielle Frage
1884, nach elfmonatiger Reise durch Marokko, kehrte Charles de Foucauld nach Paris zurück. Mit Unterstützung des renommierten Saharareisenden Henri Duveyrier verfasste er das Werk „Forschungsreise durch Marokko“. Dieses Werk brachte ihm nicht nur in Frankreich große Anerkennung ein.
Die Berührung mit der arabischen Welt und dem Islam weckte in Charles de Foucauld, der sich schon im Jugendalter von Gott und Kirche abgewandt hatte, wieder neu die Frage nach Gott. Diese Frage ließ ihn fortan nicht mehr los. Immer wieder suchte er in Paris eine Kirche auf und wiederholte denselben Satz: „Mein Gott, wenn es dich gibt, dann lass mich Dich erkennen.“.
Nach einigen Monaten begegnete er in dieser Kirche einem Priester, der ihn gewissermaßen als Vermittler in eine neue Beziehung zu Gott brachte. Charles de Foucauld erkannte für sich, dass Gott in Jesus Christus Mensch wurde. Für ihn war die Frage, ob es Gott gibt, beantwortet. Diese Erkenntnis hatte für sein weiteres Leben entscheidende und weitreichende Konsequenzen. Er wurde Priester und Mönch.
Jahre später kehrte er wieder nach Algerien zurück und errichtete eine Einsiedelei. Er wirkte auch als Seelsorger für die dort stationierten französischen Soldaten und pflegte Kontakt zur einheimischen Bevölkerung. Zudem erlernte er die Sprache der Tuareg, ein zu den Berbern zählendes Volk in Afrika, und erstellte ein 2.000 Seiten umfassendes Wörterbuch dieser Sprache.
Im Lauf der Zeit gelang es Charles de Foucauld, ein Vertrauensverhältnis zur einheimischen Bevölkerung aufzubauen. Während einer langanhaltenden Dürre verteilte er alle Vorräte, bis sie schließlich aufgebraucht waren. Nun war er selbst auf Hilfe angewiesen, zumal er erkrankte. Die Tuareg retteten ihm schließlich das Leben, indem sie, obwohl selbst in Not, etwas an ihn abgaben.
Über seine Beziehungen zu den Tuareg schrieb er: „Die Tuareg, die hier im Umkreis wohnen, schenken mir mehr und mehr Vertrauen. Ich mache mich nützlich soweit ich kann, und versuche ihnen zu zeigen, dass ich sie gernhabe. Mein Apostolat soll ein Apostolat der Güte sein. Wenn die Leute mich sehen, sollen sie sagen können: Wenn dieser Mensch gut ist, muss auch seine Religion gut sein. Ich möchte so gut sein, dass man sich sagt: Wenn der Knecht so gut ist, wie gut wird dann erst sein Meister [Anmerkung: gemeint ist Jesus Christus] sein.“.
Einen neuen Weg einschlagen – keine einmalige Angelegenheit
Für Charles de Foucauld war es eine ganz praktische Lebenserfahrung, neue Wege einzuschlagen, auch radikal neue Wege. Im Grunde schlug er nicht nur einmalig einen neuen Weg ein, sondern traf immer wieder Entscheidungen, die für ihn einen jeweils neuen Weg bedeuteten. Der drastische Wandel vom Lebemann zum Priester und Mönch in der algerischen Wüste, der mit Einheimischen Lebensnotwendiges teilt, vollzog sich nicht über Nacht, sondern über verschiedene Lebensstationen und über mehrere Jahre hinweg.
Charles de Foucauld ist nicht alleine, wenn es um eine radikale Neuorientierung im Leben geht. Viele Menschen haben schon in ihrem Leben einen neuen Weg eingeschlagen und viele sind gerade jetzt dabei, es zu tun. Dabei begibt man sich auf neues Terrain, lässt Altes und Vertrautes zurück. Die Konsequenzen, die der neue Weg mit sich bringt, lassen sich oft nicht schon am Anfang des Wegs in ihrer ganzen Tragweite überschauen. Es ist in gewisser Weise eine Reise ins Ungewisse, die einem bevorsteht.
Man setzt auf dem neuen Weg, bildlich gesprochen, einen Schritt vor den anderen. Immer wieder steht man vor neuen Wegkreuzungen, an denen man sich entscheiden muss. An jeder Wegkreuzung beginnt gewissermaßen wieder ein neuer Weg.
Muss es eine radikale Richtungsänderung sein?
Die Erfahrungen, Erkenntnisse und Entscheidungen Charles de Foucaulds sind einzigartig und nicht wiederholbar. Wie jeder Mensch ist bzw. war er ein Unikat und jeder Mensch schrieb eine einzigartige Lebensgeschichte bzw. ist gerade dabei, sie zu schreiben.
Die Frage stellt sich jedoch, ob das Einschlagen eines neuen Wegs auch immer eine radikale Richtungsänderung im Leben bedeuten muss. Vielleicht sagt man sich gerade: „Ich halte es nicht mehr aus!“ und möchte sein Leben vollkommen umkrempeln. Dabei überseht man vielleicht andere Möglichkeiten, die ein völliges Umkrempeln unnötig machen. Andererseits mag es sein, dass man sich eine relativ kleine Veränderung im Leben wünscht, die dann jedoch möglicherweise ungeahnte Dimensionen gewinnt. Einige Fragen, die man sich selbst stellt, helfen dabei, den Anfang eines neuen Wegs für sich zu finden.
Bin ich mit meinem Leben zufrieden?
In vielen Menschen entsteht im Lauf des Lebens der Wunsch, etwas zu verändern, einen neuen Weg einzuschlagen. Am Anfang steht vielleicht ein diffuses Gefühl der Unzufriedenheit. Wenn man sich selbst fragt: „Bin ich mit meinem Leben, privat und/oder beruflich, so wie es jetzt ist, zufrieden? Und wenn ich nicht zufrieden bin, woran genau liegt es?“ gewinnt man einen Einstiegspunkt für weitergehende Fragen.
Wo stehe ich gerade?
Ob aus eigenem Antrieb heraus oder durch Umstände erzwungen: wer sich mit einem neuen Weg beschäftigt, muss auch intensiv über die aktuelle Lebenssituation nachdenken. Die Frage: „Wo stehe ich gerade?“ ergänzt die zuvor gestellte Frage: „Woran liegt es?“. Das Gesamtbild wird konkreter und macht Defizite im Kontext klarer.
Möchte ich etwas ändern?
„Soll es bis zu meinem Lebensende so bleiben, wie es jetzt gerade ist?“ ist keine überflüssige Frage, wie es zunächst vielleicht scheinen mag. Viele Menschen sind mit ihrem Leben zwar unzufrieden, aber sie wollen auch nicht wirklich etwas ändern. Sie erahnen, dass sie mit einem neuen Weg auch neues Terrain erkunden, aber das wollen sie nicht. Die Anstrengung erscheint zu groß.
Vielleicht gibt es auch langfristige Verpflichtungen, wie beispielsweise den Kredit für die Immobilie. Die Zins- und Tilgungsraten müssen geleistet werden. Man möchte sich von seiner Immobilie nicht trennen, denn man wohnt gerne im eigenen Haus. Oder man findet andere Gründe, die für einen neuen Weg ein Hindernis sind. Alles so zu belassen wie es ist, erscheint letztlich als das kleinere Übel.
Wohin soll der neue Weg führen?
Man ist mit seinem Leben, so wie es bisher verlaufen ist, nicht zufrieden. Und man hat sich fest dazu entschlossen, einen neuen Weg einzuschlagen. Man hat den Eindruck, ist vielleicht sogar felsenfest davon überzeugt, dass man aus seinem Leben wesentlich mehr machen könnte. Hinzu kommt das Bewusstsein, dass das Leben nicht unendlich währt und man mit seiner Lebenszeit sorgsam umgehen muss.
Wohin soll der neue Weg führen? Welche Vorstellung hat man vom Ziel dieses neuen Wegs? Möchte man beruflich einen neuen Weg gehen? Oder möchte man seine Einstellung zum Leben und seine Lebensziele neu ausrichten? Das Spektrum dessen, wohin man sein Leben lenken könnte, ist äußerst breit.
Was möchte ich ändern?
Wenn die Frage nach dem „wohin“ geklärt ist, lässt sich auch klarer fassen, was im Leben zu ändern wäre, wenn man den neuen Weg wirklich einschlagen möchte. Was genau müsste man nun in seinem Leben ändern, um das angestrebte Ziel zu erreichen? Der Frage nach dem „Was“ sollte man sehr viel Zeit widmen und so konkret wie möglich werden.
Wenn klar geworden ist, welche Konsequenzen der neue Weg mit sich bringt (was zu tun ist), stellt sich die Frage, ob man die anstehenden Veränderungen im Leben auch wirklich umsetzen möchte. Ist der Preis zu hoch und man lässt doch alles lieber beim Alten oder begnügt sich mit ein paar kleineren Veränderungen? Oder ist der erwartete Lohn jede Anstrengung wert?
Wann ist der richtige Zeitpunkt gekommen?
Wann soll man sich auf einen neuen Weg machen? Sicherlich besorgt diese Frage jeden Menschen, der einen neuen Weg einschlagen will. Immer scheint es Gründe zu geben, noch zu warten. Und immer gibt es Risiken.
„Du musst erst noch mehr finanziellen Rücklagen haben“, „Du musst dich erst noch mehr mit der Materie beschäftigen“, oder „Deine Freunde werden dich für verrückt erklären, wenn du das jetzt schon angehst“, stehen für die vielerlei Einwände, die einen dazu bringen wollen, sich selbst in Gedanken ein „Noch nicht!“ zuzurufen. Lässt man sich zurückhalten?
Gibt es wirklich den richtigen Zeitpunkt, an dem sich alles nahtlos zusammenfügt? Man gleitet gewissermaßen, bildlich gesprochen, ganz bequem auf den neuen Weg. Dies dürfte jedoch die absolute Ausnahme sein. Meistens gibt es den einen richtigen Zeitpunkt nicht. Man muss den Sprung wagen.
Manchmal ist es jedoch gar kein Wunsch, sondern ein durch Umstände auferlegter Zwang, einen neuen Weg einzuschlagen. Es mögen beispielsweise wirtschaftliche Zwänge oder gesundheitliche Einschränkungen sein, die zu einem neuen Weg zwingen und keine andere Wahl mehr lassen. Dann stellt sich die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt nicht (mehr).
Man mag durch Umstände zu einem neuen Weg gezwungen werden. Wäre es ein Argument, angesichts dessen lieber selbstbestimmt die Initiative zu ergreifen und Gelegenheiten zu nutzen, wenn und solange man die Möglichkeit dazu hat? Sich möglicherweise irgendwann von der Macht des Faktischen dirigieren lassen zu müssen, ist schließlich keine attraktive Perspektive.
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