„Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen vergessen, was du gesagt und was du getan hast. Sie vergessen aber nie, wie sie sich bei dir gefühlt haben.“
Maya Angelou
Maya Angelou (1928-2014) war eine US-amerikanische Schriftstellerin, Professorin und Bürgerrechtlerin. Sie gilt als wichtige Persönlichkeit der Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner in den USA.
Was bleibt von Begegnungen?
Maya Angelou machte im Lauf ihres äußerst wechselvollen Lebens ganz vielfältige Erfahrungen, überaus negative aber auch überaus positive. Schon als Dreijährige wurde sie von ihren Eltern nach deren Scheidung zusammen mit ihrem älteren Bruder zu ihrer Großmutter väterlicherseits geschickt. Später, nach vierjähriger Trennung, kehrte sie auf Veranlassung des Vaters wieder zu ihrer Mutter zurück.
Ein einschneidendes Erlebnis
Im Alter von etwa 8 Jahren wurde sie von einem Freund der Mutter vergewaltigt. Der Täter drohte ihr damit, ihren Bruder umzubringen, falls die Vergewaltigung bekannt würde. Sie vertraute sich jedoch ihrem Bruder an und offenbarte den Namen des Täters. Ihr Bruder schwieg nicht und zeigte die Tat bei der Polizei an. Der Vergewaltiger wurde, bevor er seine einjährige Gefängnisstrafe antreten konnte, erschlagen. Als Täter dafür kamen die Onkel von Maya Angelou infrage. Sie wollten wohl Rache für die Vergewaltigung üben.
Als Folge dieses so schwerwiegenden Ereignisses wurde Maya Angelou stumm. Ihr wurde bewusst, welche Auswirkungen entstanden waren, nachdem sie sich ihrem Bruder anvertraut hatte. Rund vier Jahre blieb sie stumm, bis eine Lehrerin über ihre Liebe zur Poesie ihr Innerstes erreichen und sie dazu bewegen konnte, wieder zu sprechen.
Das weitere Leben Maya Angelous verlief zuweilen sehr turbulent. In den 1960-er Jahren engagierte sie sich leidenschaftlich in der Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner in den USA und war u. a. mit Martin Luther King Jr. eng befreundet. International bekannt wurde sie vor allem als Schriftstellerin. Von ihr wurden insgesamt 36 Bücher veröffentlicht.
Ihr Leben beeindruckte
Nach ihrem Tod im Jahr 2014 würdigte sie der damalige US-Präsident Barack Obama als eine herausragende Frau. Sie habe die Fähigkeit gehabt, daran zu erinnern, dass wir alle etwas haben, das wir geben können.
Dieses „Geben“ bezog sich bei Maya Angelou auch darauf, welche Gefühle sie bei Begegnungen in Mitmenschen hervorrief. Sie drückte es so aus: „I’ve learned that people will forget what you said, people will forget what you did, but people will never forget how you made them feel.” (englischsprachiges Originalzitat). Meist wird der Anfang so übersetzt: „Ich habe gelernt, dass Menschen vergessen …“. Sicherlich meinte sie jedoch weniger das Lernen, sondern vielmehr die gemachte Erfahrung,
Alles wirkliche Leben ist Begegnung
Dieser Satz stammt von dem jüdischen Religionsphilosophen, Pädagogen und Schriftsteller Martin Buber. Und so lautet auch der Titel eines seiner Bücher.
Rein „technisch“ betrachtet, werden zu einer Begegnung mindestens zwei Menschen benötigt. Welche weiteren Voraussetzungen könnte es für zwischenmenschliche Begegnung geben? Muss man dieselbe Sprache sprechen? Muss man überhaupt sprechen können?
Wohl jeder Mensch hat schon die Erfahrung gemacht, dass Sprache bei einer Begegnung keine notwendige Bedingung ist. Vielleicht war man schon einmal im fremdsprachigen Ausland im Urlaub und konnte feststellen, dass man sich auch ganz gut „mit Händen und Füßen“ verständigen kann. Man kann sich begegnen und sich wortlos über die Körpersprache (Mimik, Gestik, Körperhaltung und ‑bewegung, Berührungen) verständigen. In den allermeisten Fällen gelingt die nonverbale Kommunikation. So stellt man erleichtert fest, dass ein Dialog auch ohne Worte möglich ist.
Auch wenn man mit Worten kommunizieren kann, sind Begegnungen ohne Körpersprache nicht denkbar. Die Erkenntnis ist nicht mehr neu, dass rund 95 Prozent des ersten Eindrucks von einem Menschen nicht von dem bestimmt werden, was diese Person mit Worten sagt. Vielmehr sind es insbesondere Mimik, Gestik, Körperhaltung und ‑bewegung, Distanzverhalten, Stimmlage, Betonung, Sprechgeschwindigkeit, Dialekt, Kleidung und Aussehen.
Menschen achten in der Regel mehr auf das, was sie sagen, als auf ihre Körpersprache. Dabei ist es die Körpersprache, die die wirklichen Gefühle (z. B. Ärger, Angst, Trauer, Freude, Verachtung, Scham, Schuld), Einstellungen (z. B. Selbstwert, Vorurteile, Sympathie, Antipathie) und Gedanken sichtbar ausdrückt. Sie gilt als authentischer, da sie schwerer zu kontrollieren ist.
Wie wirken andere Menschen auf einen?
Ein Kind macht von Geburt an Erfahrungen mit seinen Mitmenschen, zuallererst mit den Eltern, Geschwistern und Großeltern. Schon in den ersten Wochen seines Lebens kann es Stimmen und Sprachmelodien unterscheiden. Diese Fähigkeit verfeinert es immer weiter. Das Sprachverständnis entwickelt sich etwas später. Im Alter von etwa acht Monaten kann ein Kind erste Worte verstehen. Gegen Ende seines ersten Lebensjahres sind es etwa 50 bis 100. Um diese Zeit oder etwas später beginnt das Kind damit, selbst die ersten Wörter zu plappern. Meist sind es die Worte „Mama“ und „Papa“.
Die ersten Bezugspersonen prägen
Mutter, Vater, Geschwister, Großeltern – sie alle wirken auf das Kind. Sie sprechen mit ihm, hören ihm zu, tun etwas für und mit dem Kind. Und sie hinterlassen ihre ganz individuellen Spuren in der Seele des Kindes. Noch viele Jahre später erinnert sich das Kind daran, wie es sich in der Gegenwart seiner Bezugspersonen gefühlt hat.
Wenn Dieter beispielsweise an seine Großeltern zurückdenkt, wird ihm sprichwörtlich „warm ums Herz“. Er fühlte sich angenommen und geliebt. Er musste nichts leisten. Beispielsweise interessierten sich die Großeltern nicht besonders für seine Zeugnisse. Ob er gute oder weniger gute Noten hatte, war ihnen ziemlich gleichgültig. Er durfte so sein wie er war. Mittlerweile sind die Großeltern schon lange tot, aber wie er sich bei ihnen fühlte, ist nach wie vor lebendig.
Natürlich erinnert sich Dieter auch an manche Begebenheiten und Erlebnisse mit seinen Großeltern. Aber es sind mehr oder weniger Inselerlebnisse. Was er im Alltag mit ihnen erlebte, kann er nicht mehr rekonstruieren. Auch was sie getan haben, ist ihm nach den Jahrzehnten nur noch bruchstückhaft in Erinnerung. Aber die Gefühlserinnerung überdauerte die Jahrzehnte.
Manuela (Name geändert) hat leider überhaupt keine guten Erinnerungen an ihre Mutter. Sie spürte Ablehnung. Ihre Mutter machte ihr gegenüber auch klar, dass sie nicht gewollt war. Sie hätte abtreiben sollen – so etwa drückte sie sich aus. Auch bei Manuela überdauerte die Gefühlserinnerung die Jahrzehnte. Wen wundert es, dass Manuela ein gestörtes Verhältnis zu ihrer Mutter hatte?
Die Gefühlserinnerung bleibt lebendig
Auch viele weitere Menschen hinterlassen in der Kindheit wie auch im späteren Leben ihre ganz individuellen Spuren. Man erinnert sich an Fakten und an Gefühle, wobei die Faktenerinnerung eher verblasst, während die Gefühlserinnerung lebendig bleibt. Man vergisst vielleicht, was jemand gesagt hat, aber man vergisst nicht so leicht, wie jemand etwas sagte.
Angenommen, man beging an seiner Arbeitsstelle einen schwerwiegenden Fehler. Vielleicht konnte ein dem Kunden zugesagter Liefertermin nicht eingehalten werden. Weil man etwas vergaß, war der Versand an diesem Tag nicht mehr möglich. Der Chef war ungehalten und wurde beleidigend. Schließlich ging es um einen der wichtigsten Kunden.
Jahre später wird man sich wahrscheinlich nicht mehr daran erinnern, was genau der Chef in seinem Zorn brüllte. Aber man wird sich noch daran erinnern, welche Gefühle man damals hatte.
Wie wirkt man selbst auf andere Menschen?
Auch man selbst hinterlässt Spuren im Leben seiner Mitmenschen. Immer wenn Begegnung geschieht, in welcher Form auch immer, wird das Buch der Begegnungsgeschichte fortgeschrieben.
Welche Spuren hinterlässt man? Zum einen sind es wieder die Ereignisse und Erlebnisse, die mehr oder weniger intensiv als Fakten in Erinnerung bleiben werden. Man hat beispielsweise etwas für jemanden getan. Oder man hat etwas gemeinsam erlebt, beispielsweise das Angeln am See oder das Wandern im Hochgebirge in strömendem Regen. Vielleicht hatte man auch eine lautstarke Auseinandersetzung. Zum anderen sind es auch die Gefühle, die in Erinnerung bleiben werden.
Was hinterlässt man bei einer Begegnung?
Wie hat sich jemand gefühlt? Hat man beim Anderen eher Schrammen oder gar Verletzungen hinterlassen? Wie verlief beispielsweise die lautstarke Auseinandersetzung? Konnte man wirklich Argumente austauschen und dabei sachlich bleiben? War es für beide trotz unterschiedlicher Ansichten, Überzeugungen und Meinungen eine gute Erfahrung? Oder wurde eine Grenze überschritten und die Diskussion driftete ins Unsachliche ab, garniert mit Beleidigungen oder ähnlichem?
Die „langlebige“ Gefühlserinnerung wird von vielerlei Gefühlseindrücken gespeist. Stellvertretend seien die Folgenden genannt:
- Akzeptiert bzw. nicht akzeptiert werden,
- Respektiert bzw. nicht respektiert werden,
- Ernstgenommen bzw. nicht ernstgenommen werden,
- Auf Augenhöhe bzw. nicht auf Augenhöhe behandelt werden,
- Als Individuum gewürdigt bzw. als Mittel zum Zweck angesehen werden.
Um welche Qualität von Gefühlseindrücken geht es?
Muss nicht jedem dieser Gefühlseindrücke das Attribut „bedingungslos“ vorangestellt werden? Beispielsweise hat „bedingungslos akzeptiert“ eine völlig andere Qualität als „akzeptiert“. Ein reines „akzeptiert“ könnte auch für ein „notgedrungen akzeptiert“ stehen. Aber ein gefühlsmäßiges „notgedrungen akzeptiert“ reicht nicht aus, um bei Mitmenschen ein positives Gefühl zu erzeugen.
Wird ein Mitmensch nach einer Begegnung gerne an einen zurückdenken – auch wenn man nicht auf einer Linie war, wenn man etwas abgelehnt hat oder sonst Erwartungen enttäuscht hat? Man kann selbst entscheiden, hat es selbst in der Hand, welche Langzeitwirkung man bei Mitmenschen auslösen will.
Jeder kann geben
Jeder kann seinen Mitmenschen etwas geben. Bei jeder Begegnung kann man positive Gefühle hervorrufen. Dies war wohl auch die Erfahrung von Maya Angelou. Das Zitat lässt sich auch so übersetzen: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen vergessen, was du gesagt und was du getan hast. Sie vergessen aber nie, welche Gefühle du in ihnen hervorgerufen hast.“.
Positive Gefühle hervorrufen bedeutet beispielsweise nicht, bei Auseinandersetzungen nachzugeben, nur damit der Andere zufrieden ist und auf diese Weise ein positives Gefühl erlebt. Die positiven Gefühle stellen sich beim Anderem von alleine ein: wenn er sich bedingungslos akzeptiert, respektiert, ernstgenommen, auf Augenhöhe behandelt, als Individuum gewürdigt fühlt. Wenn man beispielsweise in einer Diskussion anderer Meinung ist, könnte man seinen Standpunkt etwa so vertreten: „Ich akzeptiere und respektiere deinen Standpunkt, aber ich kann dir hier nicht zustimmen. Ich sehe die Sachlage anders.“.
Man kann es in das Langzeitgedächtnis negativer oder positiver Erinnerungen von Mitmenschen schaffen. Man kann frei entscheiden.
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