Ich wollte mich einer Norm anpassen, ich wollte Forderungen …Lesezeit: 8 Min.

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„Ich wollte mich einer Norm anpassen, ich wollte Forderungen erfüllen, die gar niemand an mich stellte, ich wollte etwas sein oder spielen, was ich gar nicht war. Und so war es mir wieder einmal geschehen, dass ich mich selbst und das ganze Leben vergewaltigt hatte.“

Hermann Hesse
Ich wollte mich einer Norm anpassen, H. Hesse - Gestaltung: privat
Gestaltung: privat

Hermann Karl Hesse (1877-1962) war ein deutsch-schweizerischer Schriftsteller, Dichter und Maler. Sein umfangreiches dichterisches Werk brachte ihm 1946 den Nobelpreis ein. Er zählt in Deutschland zu den bekanntesten Schriftstellern. Seine Werke wurden in mehr als 50 Sprachen übersetzt.

Authentisch sein – eine Herausforderung?

Angenommen, man stellt sich selbst ganz spontan die Frage: „Bin ich wirklich authentisch – gegenüber anderen, aber auch mir selbst gegenüber?“. Wie fällt die ganz persönliche Antwort aus?

Auf diese Frage stößt man – so oder ähnlich formuliert – im Lauf des Lebens immer wieder einmal. Vielleicht wird sie ausgelöst durch eine persönliche Krise. Oder vielleicht ist ein Ereignis, ein Zusammentreffen mit bestimmten Menschen, Auslöser der Frage. Man sieht sich (vermeintlichen) Forderungen ausgesetzt, die man eigentlich überhaupt nicht erfüllen möchte, aber man erfüllt sie doch. Man empfindet, dass man Rollen spielt, die man nicht spielen möchte. Und man fühlt sich unwohl dabei und hat den Eindruck, nicht mehr „bei sich zu Hause zu sein“.

Diese Problematik griff Hermann Hesse in seinem Buch „Kurgast: Aufzeichnungen von einer Badener Kur“ auf, dem dieses Zitat entstammt. Hermann Hesse verfasste dieses Werk mit autobiographischem Charakter im Oktober 1923 und reflektierte darin seine Erlebnisse aus zwei Badekuren in den Thermalbädern von Baden (bei Zürich) im Frühling und im Herbst 1923.

In der Auseinandersetzung mit sich selbst konstatierte er (dem Zitat vorangestellt): „Ich war allzu moralisch, allzu vernünftig, allzu bürgerlich gewesen! Ein alter, ewiger Fehler, den ich hundertmal begangen und bitter bereut habe, ist mir auch diesmal wieder passiert.“. Diese Auseinandersetzung führte letztlich dazu, dass er wieder zu seinem Selbst zurückfand. Dies geschah jedoch nicht durch Anpassung des Verhaltens.

Hermann Hesse ging während seines Lebens durch mehrere Krisenzeiten. Immer wieder stellte sich in der einen oder anderen Form die Frage der Authentizität. Etwa zwei Jahre zuvor, im Jahr 1921, erlebte er eine Krise mit rund achtzehnmonatiger Unproduktivität. Er wurde ein Klient von Carl Gustav Jung, Schweizer Psychiater und Begründer der analytischen Psychologie, der ihn bei seiner persönlichen Klärung unterstützte und dem er nach eigenem Bekunden viel verdankte.

Die Frage der Authentizität stellt sich im Leben immer wieder. Und die Frage für sich zu klären, eine persönliche Antwort darauf zu finden, kann jedes Mal aufs Neue eine Herausforderung darstellen.

Wie kann man zu einer persönlichen Klärung finden?

Immer strahlt man etwas aus, ob man nun authentisch ist oder nicht. Wenn man authentisch ist, kennt man seine Stärken und Schwächen, seine Überzeugungen, Motive und Werte, und man steht zu sich. Andere Menschen empfinden einen als wahrhaftig und ungekünstelt. Sie empfinden einen andererseits als unecht und gekünstelt, wenn es an Authentizität mangelt.

Um zu einer persönlichen Klärung zu finden, kann man sich selbst zur Orientierung einige Fragen stellen, beispielsweise folgende:

  • Welchen Normen möchte ich mich anpassen?
  • Welche Ansprüche und Erwartungen möchte ich erfüllen?
  • Welche Rollen möchte ich spielen?

Welchen Normen anpassen?

Soziale bzw. gesellschaftliche Normen spielen zeitlebens als Verhaltensnormen eine wichtige Rolle. Sie dienen dazu, ein für möglichst viele Menschen akzeptables soziales Miteinander zu ermöglichen. Zu den sozialen Normen zählt beispielsweise, dass man während des Essens nicht laut rülpst und nicht schmatzt. Derartige Normen unterliegen dem gesellschaftlichen Wandel und unterscheiden sich zwischen den Kulturen.

Darüber hinaus gibt es „Meinungsnormen“, die aus dem Rahmen der sozialen Normen herausfallen. Eine gesellschaftlich relevante Gruppe gibt eine Meinung mit einem bestimmten Sinngehalt vor, beispielsweise was als politisch korrekt zu gelten hat. Naturgemäß sind auch Meinungsnormen dem sozialen und dem politischen Wandel unterworfen. Beispielsweise galten während der Zeit der NS-Diktatur im ehemaligen Deutschen Reich oder auch während der Zeit der SED-Herrschaft in der ehemaligen DDR bestimmte Meinungsnormen, die mit deren jeweiligem Ende ihre Akzeptanz verloren.

Der Wandel von Normen kann sich schneller gestalten als die Veränderung der eigenen Einstellungen, Überzeugungen und Werte. Welchen aus der Vielfalt der sich teilweise sogar widersprechenden Normen möchte man sich anpassen?

Welche Ansprüche und Erwartungen erfüllen?

Hat man überhaupt eine Wahl, Ansprüchen und Erwartungen anderer zu entsprechen? Schließlich ist man in ein soziales Gefüge eingebunden. Man ist anderen gegenüber verpflichtet: dem Arbeitgeber, der Familie oder anderen Personen, Organisationen usw.

Bestimmte Ansprüche und Erwartungen müssen erfüllt werden. Beispielsweise erwartet man von einem Facharzt, dass er in der Lage ist, eine sichere Diagnose zu stellen und zielführende Therapiemaßnahmen zu bestimmen. Von einem Heizungsfachmann erwartet man, dass er eine Heizungsanlage fachgerecht planen, installieren, in Betrieb nehmen und warten kann. Von einem Lehrer erwartet man, dass er den Stoff beherrscht, den er vermittelt, und dass er auch die Vermittlungskompetenz besitzt.

Jedoch ist bei weitem nicht alles im Leben mit Ansprüchen und Erwartungen belegt. Manchmal konstruiert man sogar Ansprüche und Erwartungen, die in Wirklichkeit überhaupt nicht bestehen. Da ist beispielsweise Florian (Name geändert). Er ist bei seinem Freund zu Besuch. Florian ist so „gepolt“, dass er sich immer nützlich machen möchte. Er denkt, dass dies von ihm erwartet wird (und in seiner Kindheit hatte er es so erfahren). Deshalb schaut er sich im Garten um, was dort möglicherweise getan werden könnte. Sein Freund hat aber überhaupt nicht die Erwartung, dass sich Florian nützlich macht. Er möchte mit Florian einfach nur gemeinsam Zeit verbringen.

Welche Ansprüche und Erwartungen müssen erfüllt werden? Und welche konstruiert man selbst?

Zitat des Tages

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Gestaltung: privat

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Welche Rollen spielen?

Jeder Mensch spielt eine oder mehrere soziale Rollen, beispielsweise die des Vaters, des Ehemanns, des Vorgesetzten, des Schriftführers im Verein usw. Manche Rollen hat man freiwillig übernommen, manche wurden einem zugewiesen, beispielsweise die Rolle des Bürgers.

Mit jeder Rolle sind bestimmte Erwartungen verbunden. Diese sind zumindest im Groben bewusst, wenn man sich dafür entscheidet, eine Rolle zu übernehmen. Und wenn man eine Rolle übernimmt – zumindest dann, wenn man sie aus freiem Willen übernimmt – möchte man sie auch gut ausfüllen.

Davon abgesehen können Menschen Verhaltensmuster entwickeln, die einer Rolle gleichkommen. Da gibt es beispielsweise den „Ja-Sager“, der darauf bedacht ist, offene Konflikte zu meiden. Oder da gibt es den notorischen Bedenkenträger, der ständig das sprichwörtliche „Haar in der Suppe“ sucht und oft auch findet. Oder da gibt es den Menschen, der sich immer fröhlich gibt, manchmal sogar „clownhaft“, aber in Wirklichkeit seelischen Schmerz überspielt.

Welche Rollen möchte man wirklich spielen? Welche Rollen passen zu einem so, dass man sich in seiner Haut wohlfühlt und „bei sich zu Hause“ sein kann?

Täuschung und Selbsttäuschung

Die Fragen, welchen Normen man sich anpassen möchte, welche Ansprüche und Erwartungen man erfüllen möchte, und welche Rollen man spielen möchte, stehen im Zusammenhang mit Täuschung und Selbsttäuschung. Weshalb ist da so?

Angenommen, man möchte sich einer Verhaltens- oder Meinungsnorm anpassen, der man innerlich jedoch keineswegs oder nur bedingt zustimmt. Die Motivation dafür ist wohl der Versuch, Beziehung mit anderen aufnehmen zu wollen, zu einer Gruppe zu gehören. Dieser Versuch, Beziehung aufzunehmen, ist aber gleichzeitig auch der Versuch, andere zu täuschen. Doch dabei bleibt es nicht. Man täuscht darüber hinaus auch sich selbst. Man glaubt, was man glauben will, weil es nützlich zu sein scheint oder weil es ganz einfach bequem ist und den Weg des geringsten Widerstands bedeutet.

Ganz ähnlich verhält es sich, wenn man bestimmten Ansprüchen und Erwartungen entsprechen oder Rollen spielen möchte. Dahinter steckt wohl der starke Wunsch, dass andere in einer bestimmten Art und Weise über einen denken und in einer bestimmten Weise mit einem umgehen. Um dies zu erreichen, versucht man, ein bestimmtes Bild von sich in anderen zu verankern. Doch dadurch täuscht man die anderen und gleichzeitig auch sich selbst.

Gutes und Sinnvolles tun – ganz praktisch

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Authentisch(er) leben

Täuschung und Selbsttäuschung sind, realistisch betrachtet, zutiefst menschliches Verhalten. Der Wunsch, dazugehören zu wollen, Anerkennung zu erfahren, gemocht zu werden, ist stark. Die Frage ist jedoch, wie weit man gehen möchte. Will man es allen recht machen? Will man andere mit Aussagen gewinnen, von denen man meint, dass sie sie hören wollen? Und will man die eigenen Bedürfnisse und Ziele verleugnen, letztlich sich selbst verleugnen?

Je mehr man sich von sich selbst wegbewegt, desto unwohler wird man sich fühlen. So erging es wohl auch Hermann Hesse, als er seine Erlebnisse aus zwei Badekuren reflektierte. Er ging sogar so weit, drastisch auszudrücken, sich selbst vergewaltigt zu haben.

Wenn man sich selbst täuscht, sich also selbst etwas vormacht, schadet man darüber hinaus auch seinem Selbstwertgefühl. Welches Fundament sollte denn das Selbstwertgefühl haben, wenn man seinen Wert als Mensch nicht in sich selbst erkennen kann? Wenn man seinen Wert durch andere Menschen bemessen lässt und damit Macht über sich abgibt, bindet man sein Selbstwertgefühl an andere.

Was hindert daran, wenigstens zu versuchen, sich selbst treu zu bleiben, sich selbst zuzugestehen, das Original zu sein, das man ist? Je besser dies gelingt, desto wohler wird man sich in der eigenen Haut fühlen. Dann kann man leichter bei sich bleiben und sich auf das fokussieren, was einen selbst antreibt und erfüllt. Und man wird authentischer und strahlt es auch aus.

Wenn man authentischer wird, mag es sein, dass Ecken und Kanten hervortreten, dass man für andere Menschen nicht mehr so „geschmeidig“ ist. Man mag sogar den Eindruck haben, dass man nicht in die Welt passt. Dafür findet man aber mehr zu sich selbst, erkennt und wertschätzt sich als Original. Hermann Hesse drückte es so aus: „Wer nicht in die Welt passt, der ist immer nahe dran, sich selbst zu finden.“.

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Ich bin Dieter Jenz, Begleiter, Berater und Coach mit Leidenschaft. Über viele Jahre hinweg habe ich einen reichen Schatz an Kompetenz und Erfahrung erworben. Meine Themen sind die "4L": Lebensaufgabe, Lebensplanung, Lebensnavigation und Lebensqualität.