Man kann ja ohne sehr viel leben … nicht ohne Hoffnung lebenLesezeit: 8 Min.

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„Man kann ja ohne sehr viel leben. Man kann leben, ohne etwas zu haben. Aber man kann nicht leben, ohne etwas vor sich zu haben. Man kann nicht ohne Hoffnung leben.“

Ilse Aichinger
Man kann ja ohne sehr viel leben, I. Aichinger - Gestaltung privat
Gestaltung privat

Ilse Aichinger (1921-2016) war eine österreichische Schriftstellerin. Während der NS-Zeit wurde sie verfolgt. Als Tochter einer jüdischen Mutter bekam sie keinen Studienplatz und wurde dienstverpflichtet. Nach dem Krieg studierte sie zunächst Medizin, brach das Studium jedoch ab und wandte sich der Schriftstellerei zu. Heute gilt sie gilt als bedeutende Repräsentantin der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur.

Hoffnung setzt Kräfte frei

Der 25. Mai 2005 ist wohl den meisten Anhängern des FC Liverpool noch in bester Erinnerung. Im Atatürk-Stadion in Istanbul fand an diesem Tag das Champions-League-Finale statt. Der FC Liverpool und der AC Mailand standen sich gegenüber. Der AC Mailand war klar favorisiert. Dies drückte sich auch im Marktwert der Spieler bzw. Mannschaften aus, die in der Startaufstellung auf dem Platz standen. Der Marktwert der Mannschaft des AC Mailand betrug etwa 196 Mio. Euro, der des FC Liverpool etwa 121 Mio. Euro. Dass der FC Liverpool als Außenseiter nach Istanbul reiste, war also klar.

Der AC Mailand dominierte die Partie und lag zur Halbzeit klar mit 3:0 vorne. Der FC Liverpool, auch bekannt als The Reds, wirkte chancenlos, doch anscheinend fand der Trainer in der Halbzeitpause die richtigen Worte und die richtige Taktik. Nach dem Anschlusstreffer zum 3:1 bald nach Wiederanpfiff keimte Hoffnung auf. Innerhalb weniger Minuten folgten zwei weitere Treffer zum Ausgleich. In der Verlängerung fielen keine weiteren Tore. Also musste das Elfmeterschießen die Entscheidung bringen. Und siehe da: am Ende gewannen The Reds das Elfmeterschießen und damit den Titel. The Reds hatten das schier Unmögliche geschafft.

Eine ähnliche Aufholjagd gelang dem FC Liverpool am 14. April 2016 im Viertelfinal-Rückspiel in der Europa-League. Borussia Dortmund war zu Gast an der Anfield Road. Im Hinspiel in Dortmund hatte man sich mit 1:1 getrennt.

Bereits nach 9 Minuten lag Borussia Dortmund mit 2:0 in Front. Aufgrund der Auswärtstore-Regel, die jetzt zugunsten der Dortmunder sprach, mussten The Reds auf jeden Fall das Spiel gewinnen. Sie mussten mindestens 3 Tore erzielen, um in das Halbfinale einzuziehen. Mit der Dortmunder 2:0-Führung ging es in die Halbzeit. Kurz nach Wiederanpfiff gelang der Anschlusstreffer. Aber Borussia Dortmund schraubte den Spielstand keine 10 Minuten später auf 1:3. Nun musste der FC Liverpool also in der verbleibenden guten halben Stunde noch 3 Tore erzielen. Es schien unwahrscheinlich. Aber es ging ein Ruck durch die Mannschaft und es gelang. Am Ende der regulären Spielzeit stand es 4:3 für den FC Liverpool.

Anschlusstreffer geben neue Hoffnung. Sie fallen manchmal „aus dem Nichts heraus“, manchmal auch unverdient durch Zufall, aber sie zählen natürlich. Sie geben Hoffnung, dass „noch etwas geht“. Und die Hoffnung setzt Kräfte frei.

Und im realen Leben?

Was haben Fußballspiele mit der Realität von Menschen zu tun, die beispielsweise in ihrem Alltags- oder Berufsleben Rückschläge erleiden? Wo kann da Hoffnung sein, die zum Leben unbedingt notwendig ist?

Da brechen beispielsweise bei einem Solo-Selbständigen plötzlich Aufträge weg. Liquiditätsengpässe sind die Folge. Wovon sollen jetzt Rechnungen und laufende Kosten bezahlt werden? Mit kurzfristiger Besserung der Lage ist nicht zu rechnen. Auf einmal erscheint alles hoffnungslos.

Der Angestellte steht vor der schwierigen Frage, ob er vor dem Hintergrund einer angekündigten Betriebsschließung das Weiterbeschäftigungsangebot des Arbeitgebers an einem weit entfernten, für ihn nicht attraktiven Ort annehmen soll. Oder soll er sich stattdessen in Zeiten einer Rezession mit einem engen Arbeitsmarkt eine neue Stelle suchen? Gibt es überhaupt Hoffnung, gerade jetzt eine adäquate Stelle zu finden?

Der an einer Depression Erkrankte findet wieder einen Arbeitsplatz mit Festanstellung. Aber dort kommt er nicht zurecht. Er leidet unter Mobbing und muss sich wieder krankmelden. Bald darauf bekommt er die Kündigung. Wie soll es weitergehen?

In schwierigen Zeiten muss man sich oft einschränken, manchmal sogar sich auf das Allernotwendigste beschränken. Und dann stellt man fest, dass man mit äußerst wenig auskommen kann. Aber ohne Hoffnung kann man nicht auskommen.

Vermeintlich hoffnungslos oder absolut hoffnungslos?

Hoffnungslose, oder besser gesagt vermeintlich hoffnungslose, Situationen gibt es im realen Leben zur Genüge. Wie kann man in einer vermeintlich hoffnungslosen Situation Hoffnung schöpfen und mit Hoffnung leben?

Vermeintlich hoffnungslos ist eine Situation deshalb, weil man nicht wissen kann, ob sie absolut hoffnungslos ist. Man ist ja noch nicht am Lebensende angelangt. Oder um es in der Fußballersprache auszudrücken: der Schlusspfiff ist noch nicht ertönt. Eine Situation kann sich genauso plötzlich, wie sie sich zum Schlechten hin verändert hat, auch zum Positiven hin verändern.

Was macht einen so sicher, dass die jetzige vermeintlich hoffnungslose Situation so andauern wird und es keine Verbesserung der Lage geben wird? Die Antwort: Man kann nicht sicher sein, denn man kann ja nicht wissen, wie sich die Dinge in der Zukunft entwickeln. Man erwartet, dass es so bleibt, man befürchtet es, aber man kann es nicht wirklich wissen.

Wenn es denn so ist, dass es Annahmen, Erwartungen und Befürchtungen sind, die man auf die Zukunft projiziert, aber kein konkretes Wissen, besteht Hoffnung. Um wieder die Fußballersprache zu bemühen: es besteht immer Hoffnung, dass man den Anschlusstreffer erzielt, vielleicht „aus dem Nichts heraus“. Ist es dann nicht besser, mit Hoffnung zu leben?

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Der Hoffnung eine Chance geben

Man muss sich selbst und der Hoffnung eine Chance geben. Nur so kann man herausfinden, ob sich die Situation wieder zum Positiven hin verändern wird. Wenn man passiv bleibt und die Hoffnung aufgibt, wird das Gefühl der Hoffnungslosigkeit unweigerlich verstärkt.

Als der FC Liverpool im Champions-League-Finale zur Halbzeit vermeintlich hoffnungslos zurücklag, hätte die Mannschaft die Hoffnung aufgeben und auf Ergebnissicherung spielen können. Anrennen und weitere Gegentore kassieren, schließlich vielleicht mit einem 0:6 nach Hause fahren, wäre natürlich blamabel gewesen.

Es kam anders. Der FC Liverpool versuchte nach einer Taktikumstellung und entsprechender motivierender Einstellung der Spieler durch den Trainer, im Mittelfeld ein Übergewicht zu erzielen. Und es funktionierte. Wer weiß, vielleicht hätte das Spiel dennoch mit einem 1:3, einem 2:3 oder irgendeinem anderen Ergebnis zuungunsten des FC Liverpool geendet. Aber man hätte es zumindest versucht und blieb nicht passiv.

Wie kann man die Hoffnungsflamme nähren?

Wenn man sich selbst zugesteht, dass eine Situation nur vermeintlich aber nicht absolut hoffnungslos ist, ist schon ein Hoffnungsflämmchen da. Dieses kleine Hoffnungsflämmchen genügt schon. Wenn man auch nur für einen Moment davon ausgeht, dass es Hoffnung geben könnte, ist der Anfang gemacht. Das Hoffnungsflämmchen brennt. Jetzt muss man es nähren.

Wie kann man das Hoffnungsflämmchen nähren? Manchmal bedrücken negative Erfahrungen der Vergangenheit und drohen, das Hoffnungsflämmchen gleich wieder zum Erlöschen zu bringen. Ja, früher hat man auch gehofft, in anderen Situationen, und man hat vergebens gehofft. Die Hoffnung ist nicht zur Realität geworden.

Aber damals ist nicht jetzt. Man rafft sich auf, versucht wieder etwas und nimmt wahr, dass es scheinbar nicht gelingt. Den Spielern des FC Liverpool ging es im Spiel gegen Borussia Dortmund wohl auch so. Kurz nach Wiederanpfiff wurde der Anschlusstreffer erzielt. Aber mit dem 1:3 gab es kurz darauf wieder einen Nackenschlag. Das Spiel war aber noch nicht zu Ende. The Reds kämpften trotzdem weiter und wurden schließlich mit dem Sieg und dem Einzug ins Halbfinale belohnt.

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Der innere Hoffnungsfilm – mit Hoffnung leben

Eine Möglichkeit, das Hoffnungsflämmchen zu nähren, besteht darin, für sich einen ganz individuellen inneren Hoffnungsfilm zu gestalten. Vom österreichischen Neurologen und Psychiater Viktor Frankl wird berichtet, dass er während seiner Zeit im Konzentrationslager einen solchen inneren Hoffnungsfilm entwarf. Mit diesem inneren Hoffnungsfilm versetzte er sich in eine bessere Zukunft. Er stellte sich vor, in einem warmen, hell erleuchteten Hörsaal über das zu berichten, was er soeben noch durchmachen musste.

Für diese Vorstellung gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht den geringsten Anlass. Die Häftlinge in den Konzentrationslagern litten an Mangelernährung. Viele starben an Krankheiten, Schwäche und Erschöpfung. Eine Befreiung durch die Alliierten war nicht absehbar. Und es gab kaum Möglichkeiten, sich über die Kriegslage zu informieren. Für Häftlinge musste die Situation aussichtslos und hoffnungslos erscheinen.

Sein innerer Hoffnungsfilm gab Frankl Kraft zum Durchhalten. Unter anderem wird berichtet, dass Frankl kurz vor seiner Befreiung im Konzentrationslager Türkheim an Fleckfieber erkrankte. Er wusste, dass er sich wachhalten musste, um einen lebensgefährlichen Gefäßkollaps zu vermeiden. Und er wusste auch, dass er sich nur wachhalten konnte, wenn er einen Sinn hat, der ihm dazu die Kraft gibt. Er begann damit, sein Buch „Ärztliche Seelsorge“ stenografisch auf Zetteln zu rekonstruieren. Dieses Buch hatte er schon vor seiner Deportation verfasst und in seinen Mantel eingenäht. Im Konzentrationslager Auschwitz wurde ihm der Mantel jedoch abgenommen und das Manuskript ging somit verloren.

Frankl wurde 1945 aus dem Konzentrationslager Türkheim befreit. Später wurde sein innerer Hoffnungsfilm zur Realität. Frankl wurde Vorstand der Wiener Neurologischen Poliklinik und konnte als Dozent für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Wien wirken.

Ein innerer Hoffnungsfilm stellt eine gesunde Distanz zu den aktuellen Gefühlen, Gedanken und leidvollen Erfahrungen her. Und der innere Hoffnungsfilm macht es einem leichter, sich selbst davor zu bewahren, in die Opferrolle zu verfallen. In der Opferrolle verfällt man schnell in Passivität, während der innere Hoffnungsfilm in der Aktivität hält.

Mit einem inneren Hoffnungsfilm gibt man der Hoffnung eine Chance. Man entscheidet sich dafür, mit Hoffnung zu leben. Und man nährt die Hoffnungsflamme.

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Ich bin Dieter Jenz, Begleiter, Berater und Coach mit Leidenschaft. Über viele Jahre hinweg habe ich einen reichen Schatz an Kompetenz und Erfahrung erworben. Meine Themen sind die "4L": Lebensaufgabe, Lebensplanung, Lebensnavigation und Lebensqualität.