Nicht der Wille ist der Antrieb unseres Handelns …Lesezeit: 8 Min.

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„Nicht der Wille ist der Antrieb unseres Handelns, sondern die Vorstellungskraft.“

Émile Coué
Nicht der Wille ist der Antrieb unseres Handelns, E. Coue - Gestaltung: privat
Gestaltung: privat

Émile Coué (1857-1926) war ein französischer Apotheker und Autor. Außerdem gilt er als Begründer der modernen, bewussten Autosuggestion. 

Die Wirkung der Vorstellungskraft

Émile Coués in um die 20 Sprachen übersetztes Büchlein „Die Selbstbemeisterung durch bewusste Autosuggestion“ beginnt mit: „Nicht der Wille ist der Antrieb unseres Handelns, sondern die Vorstellungskraft.“

Wie kam er darauf? Eines Tages bat ein Mann, dem kein Arzt mehr helfen konnte, den Apotheker um ein Medikament. Coué war Apotheker, kein Arzt, aber der Mann hatte Vertrauen zu ihm. Nach wiederholten Bitten des Mannes mischte Coué einige vollkommen wirkungslose Substanzen zusammen und überreichte sie dem Mann als Medizin.

Nach einiger Zeit erhielt Coué wieder Besuch von diesem Mann. Er sah sich als geheilt und hatte keine Schmerzen mehr. Durch diese und einige weitere Erfahrungen wurde Coué klar, dass der Glaube eines Patienten an seine Heilung eine entscheidende Rolle spielt. Natürlich war ein von einem Arzt verordnetes Medikament dadurch nicht überflüssig, aber es war nicht die einzig und allein entscheidende Komponente.

Darüber hinaus stellte Coué fest, dass sogar von Bedeutung ist, wie ein Medikament an einen Patienten übergeben wird. Wenn er seinen Patienten ein Medikament mit den Worten „Da hat Ihnen Ihr Arzt ein sehr gutes Mittel verschrieben. Sie werden sehen, dass es Ihnen bald besser geht.“ übergab, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es ihnen nach kurzer Zeit tatsächlich besser ging oder sie sogar geheilt waren. Verzichtete er jedoch darauf, die voraussichtliche Wirkung des Medikaments positiv hervorzuheben, berichteten seine Patienten viel seltener über eine Besserung ihres Zustands.

Vorstellungskraft als Antrieb

Aus seinen Erfahrungen als Apotheker leitete Coué ab, dass im Widerstreit zwischen dem Willen und der Vorstellungskraft die Vorstellungskraft ausnahmslos siegt. Und für ihn war klar: die Vorstellungskraft ist lenkbar.

In der Verlängerung des Gedankens, dass die Vorstellungskraft lenkbar ist, liegt die Folgerung nahe, dass die Vorstellungskraft die Selbstheilungskräfte aktivieren und stärken kann. Dies geschieht durch gedankliche Selbstbeeinflussung, als Autosuggestion bezeichnet.

Beispiele für die Autosuggestion im Bereich der persönlichen Gesundheit sind: „Es fällt mir jeden Tag leichter, nach draußen zu gehen und mich zu bewegen“; „Es fällt mir jeden Tag leichter, gesund zu essen“. Und Beispiele für die Autosuggestion hinsichtlich des Selbstvertrauens sind: „Ich kann selbstbewusster sein und auftreten“; „Ich bin reich an wertvollen Gaben und Fähigkeiten und ich kann sie einsetzen.“.

Ziel, Aktivität oder Erleben?

Wenn die Vorstellungskraft lenkbar ist, sollte man sie nicht in allen Bereichen des Lebens nutzbar machen? Falls ja, worauf möchte man sie richten? Es müsste schon etwas sein, was man bisher noch nie bewerkstelligt hat und das in der Konsequenz die bisherigen Grenzen sprengt. Man begibt sich auf unbekanntes Terrain. Wenn hingegen etwas leicht und ohne besonderes Engagement erreichbar ist, wird schließlich keine Vorstellungskraft benötigt.

Richtet sich die Vorstellungskraft auf ein Ziel, eine Aktivität oder ein Erleben? Ein Ziel wäre beispielsweise, den Marathon-Weltrekord zu unterbieten oder der beste Bergsteiger zu werden, der man sein kann. Eine Aktivität wäre beispielsweise, die Eiger-Nordwand zu durchsteigen oder die Bundesrepublik Deutschland von Nord nach Süd zu durchwandern. Ein Erleben wäre schließlich, ebenfalls als Beispiel, sich in der Vorstellung auf dem Gipfel des Matterhorns zu sehen, glücklich darüber, dass man es geschafft hat und den einmaligen Ausblick in vollen Zügen genießend.

Emotionen sind der Schlüssel

Ist eine lebhafte Vorstellung von etwas ohne Verknüpfung mit starken Emotionen denkbar? Eine rhetorische Frage – sicherlich nicht! Was verbindet sich am Ehesten mit Emotionen? Ist es das Ziel, die Aktivität oder das Erleben? Die Antwort ist eindeutig: es ist das Erleben! Antoine de Saint-Exupery drückte es in einem Bild so aus: „Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Der Bau eines Schiffs würde vielleicht als eine Art Pflichtaufgabe empfunden werden. Völlig anders verhält es sich, wenn die Sehnsucht antreibt. Dann macht die Arbeit Freude und geht viel leichter von der Hand.

Vorab schon erleben

Wie könnte die Übersetzung in das eigene Erlebensuniversum aussehen, wenn man sich beispielsweise vorstellen kann, das Matterhorn zu besteigen? Man hat schon einiges an Bergerfahrung und hat schon einige Gipfel bestiegen, aber das Matterhorn? Ja, das Matterhorn wäre eine besondere Nummer. Die Besteigung würde die bisherigen Grenzen sprengen. So etwas war bisher außer Reichweite – bisher.

Die letzten Höhenmeter bis zum Gipfel des Matterhorns erleben. Den eigenen Atem spüren, das Geräusch der Tritte mit den Schuhen hören, die Konzentration beim Aufstieg wahrnehmen, die körperliche Anstrengung, den Gipfel schon vor Augen sehen. Dann die letzten Schritte auf dem gezackten Felsmassiv. Und dann steht man ganz oben, 4478 m über dem Meer, völlig überwältigt. Der Ausblick ist traumhaft – auf die umliegenden Bergmassive und in die Täler. Man nimmt die Eindrücke mit allen Sinnen in sich auf, wie der Wind weht und wie er sich im Gesicht anfühlt, wie die Wolken ziehen … und freut sich unbändig, dass man es geschafft hat. Worte können die Tiefe dessen, was man gerade alles wahrnimmt und erlebt, in keiner Weise fassen und wiedergeben.

Eine mit Erleben verknüpfte Vorstellung ist emotional aufgeladen. Man spürt in sich hinein, wie es sich anfühlen wird, wenn die Vorstellung zum echten Erleben wird. Dieser grandiose Moment – er fühlt sich einfach grandios an!

Bestiegen ist das Matterhorn nur in der Vorstellung, in der Realität noch nicht. Doch wird die Anstrengung nicht sehr viel leichter auszuhalten sein als wenn man den Aufstieg als Aktivität betrachtet?

Zitat des Tages

Dankbarkeit beinhaltet Demut, R. Emmons - Gestaltung: privat
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Erleben – ganz praktisch

Im Sommer 1984 unternahm der Extrembergsteiger Rainer Petek zusammen mit einem Kletterpartner die Erstbesteigung der Nordwand der Grandes Jorasses als Seilschaft. Die Grandes Jorasses sind ein mehrgipfliger Berg im Mont-Blanc-Massiv, an der Grenze zwischen Frankreich und Italien. Höchster Gipfel ist mit 4208 Metern die Pointe Walker. Die fast lotrechte Nordwand erhebt sich 1000 m hoch über dem Leschaux-Gletscher.

Im Interview mit „Business Insider” schilderte Rainer Petek, wie das Gefühl der Leidenschaft durch Angst ersetzt wurde. Der Berg wurde immer größer, je näher er ihm kam. Rainer Petek empfand sich in der Berghütte (die letzte Übernachtung vor dem Aufstieg) im Erleben der Angst wie gelähmt und konnte nicht aufstehen. Der Körper weigerte sich, obwohl gleichzeitig der Wunsch nach wie vor vorhanden war.

Rainer Petek versetzte sich mit seiner ganzen Vorstellungskraft in die bevorstehende Herausforderung. Er versuchte, sich wirklich hineinzufühlen: wie es sein würde, auf 4000 Metern Höhe im sechsten Schwierigkeitsgrad im Granit zu klettern – wie es sein würde, im Eis zu klettern – wie es sein würde, zu biwakieren. All dies spielt sich vor seinem geistigen Auge ab. Er sah sich klettern. Plötzlich wusste er, dass er es schaffen würde.

Besonders hilfreich war, dass Rainer Petek in seiner Vorstellung das große Vorhaben in kleine Schritte zerlegte. Die Nordwand wird schließlich nicht in einem Zug durchstiegen, sondern in vielen Seillängen von jeweils 30 bis 40 Metern. Insgesamt ergaben sich so vielleicht 40 bis 50 Seillängen. Jede Seillänge bildete eine eigene „Vorstellungseinheit“. Dadurch konnte Rainer Petek innere Sicherheit aufbauen.

Sich selbst die Erlaubnis geben

Vielleicht hat man etwas vor Augen, eine Vorstellung von etwas Erlebbarem. Die Emotionen sind spürbar. Doch dann steigt eine Unsicherheit hoch, ob das gewünschte Erleben auch tatsächlich Realität werden könnte. Ist das gewünschte Erleben und das damit verbundene Vorhaben vielleicht doch außer Reichweite?

Möglicherweise denkt man an Menschen im persönlichen Umfeld. Was mögen sie sagen, wenn man über das gewünschte Erleben spricht? Werden sie einen für verrückt halten? Werden sie denken und sagen: „Er überschätzt sich total“? Oder werden sie insgeheim irgendetwas anderes denken, es aber nicht aussprechen?

Manche Menschen lassen sich von ihrer Begeisterung schnell mitreißen. Was andere denken, interessiert sie nicht besonders. Manche Menschen sind hingegen eher zögerlich. Sie sind von etwas begeistert, sie haben Vorstellungskraft, aber sie sind sich doch nicht so ganz sicher, ob sie an sich selbst glauben können.

Was würde sich ändern, wenn man das Vorhaben in kleine Schritte zerlegen würde? Würde man auch innere Sicherheit aufbauen?

Vielleicht ist es notwendig, sich selbst die Erlaubnis zu geben, das Vorhaben in Angriff zu nehmen. Die Erlaubnis bedeutet: die Vorstellungskraft darf ausgelebt werden.

Gutes und Sinnvolles tun – ganz praktisch

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Die Vorstellungskraft zur Entfaltung kommen lassen

Wenn man von einem Vorhaben sprichwörtlich ergriffen ist, fällt es leicht, ein Bild zu entwerfen. „Wo befinde ich mich?“, „Wer ist alles bei mir?“, „Was brauche ich?“, sind einige beispielhafte Fragen, die dabei helfen, das Bild zu konkretisieren. Natürlich hilft es auch, das Vorhaben in kleine Einheiten oder Schritte zu gliedern. Diese Einheiten oder Schritte sind überschaubar. „Das kann ich“, „Das schaffe ich“ oder „Ich kann mir das bestimmt aneignen“ sind Etiketten, die man gedanklich an diese Einheiten oder Schritte hängen kann.

Ist das Bild entworfen, kann ein weiterer kreativer Schritt folgen: das Übersetzen in einen Film. Dieser Film macht das Vorhaben vor dem inneren Auge in seinem Ablauf erlebbar, indem man sich in das Geschehen hineinversetzt. „Wie fühle ich mich?“, „Was nehme ich wahr?“, „Wie erlebe ich das Geschehen?“, sind einige der Fragen, die dem Film Leben einhauchen.

Dieser emotional aufgeladene Film ist nicht für die einmalige „Vorführung“ gedacht. Er will immer wieder erlebt werden, täglich, vielleicht sogar mehrmals täglich. Im Ergebnis wirkt die Vorstellungskraft wie ein Kompass, der das Erleben zur Realität führt.

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Ich bin Dieter Jenz, Begleiter, Berater und Coach mit Leidenschaft. Über viele Jahre hinweg habe ich einen reichen Schatz an Kompetenz und Erfahrung erworben. Meine Themen sind die "4L": Lebensaufgabe, Lebensplanung, Lebensnavigation und Lebensqualität.