„Wer sich am Ziel glaubt, geht zurück.“
Laotse
Laotse (auch andere Schreibweisen, wie z. B. Laozi, sind bekannt) war ein legendärer chinesischer Philosoph und gilt als Begründer des Daoismus. Er soll im 6. Jahrhundert v. Chr. gelebt haben, jedoch wird grundsätzlich infrage gestellt, ob er wirklich existiert hat.
Der Daoismus ist eine chinesische Philosophie und Weltanschauung. Ein zentrales Thema des Daoismus ist die Suche nach Unsterblichkeit.
Kann man an einem Ziel wirklich ankommen?
Laotses Lebensweisheit legt den Gedanken nahe, dass man an einem Ziel nie wirklich ankommen kann. Man glaubt, es erreicht zu haben, aber man geht, bildlich gesprochen, gleich wieder zurück. Sicherlich geht man nicht willentlich und aktiv zurück. Man bleibt vielmehr passiv und bemerkt nicht oder ignoriert, dass man zurück geht.
Oder verschiebt sich gar das Ziel, obwohl man es nicht möchte? Wäre man dann etwa mit dem sprichwörtlichen Esel zu vergleichen, dem Futter vor den Kopf gehalten wird? Er soll dazu bewogen werden, weiterzugehen. Der Abstand zum Futter wird aber nicht geringer. Das kann es nicht sein!
Der Alpinist Reinhard Karl beschrieb dieses Nichtankommen aus einem anderen Blickwinkel. Obwohl er den Mount Everest bestieg, hatte er für sich die Ahnung, dass er den wirklichen Gipfel nie erreichen wird. Sein Bergsteigen war eine Suche. Es war eine Suche nach der Erfahrung, wirklich angekommen zu sein, nicht mehr weiter wollen zu müssen, am Ende der Sehnsucht angelangt zu sein, in einem Frieden, der bleibt.
Und wenn man davon ausgeht, dass man am Ziel ankommen kann? Dies entspricht schließlich auch der Lebensrealität, denn Ziele sind erreichbar. Man kann sich beispielsweise ein bestimmtes Berufsziel vornehmen, dafür ein Studium beginnen und es konsequent und diszipliniert zum Abschluss bringen.
Wenn man ein Ziel tatsächlich erreicht hat – was bedeutet es dann, wieder zurück zu gehen? Man glaubt sich ja nicht nur am Ziel, sondern man hat es tatsächlich erreicht. Die Urkunde hat man in Händen und man kann sie an die Wand hängen.
Doch ist ein Studium – um beim Beispiel zu bleiben – wirklich zu Ende? Oder hat es einen anderen Bezug? Ist es in ein größeres Ziel eingebettet? Üblicherweise markiert ein Studium den Beginn einer beruflichen Karriere. Dann ist es in das Berufsziel eingebettet. Das Studium hat zwar an der Universität seinen Abschluss gefunden, aber es setzt sich unter dem Begriff „Lebenslanges Lernen“ fort.
Wer sich mit seinem Studienabschluss am Ziel sähe und das Weiterlernen einstellte, ginge in der Tat zurück. Das Wissensvolumen wächst ständig an, aber man schlösse sich davon aus. Irgendwann wäre man wissensmäßig abgehängt.
Kontinuierliche Verbesserung?
Hieße „nichts mehr dazulernen wollen“, „nichts mehr verändern wollen“, „sich nicht weiterentwickeln wollen“, dass man zurück geht? Man gibt sich zufrieden mit dem, was jetzt ist, was man erreicht zu haben glaubt. In Wirklichkeit geht man schon zurück.
Laotse konnte den japanischen Begriff des „Kaizen“ noch nicht kennen. Kaizen bezeichnet sowohl eine japanische Lebens- und Arbeitsphilosophie als auch ein methodisches Konzept, in deren Zentrum das Streben nach kontinuierlicher und unendlicher Verbesserung steht (siehe Wikipedia). Es wird davon ausgegangen, dass jeder gegenwärtige Zustand verbesserungswürdig ist. Deshalb muss man kontinuierlich an ihm arbeiten, um ihn weiter zu verbessern. Die Möglichkeit, sich am Ziel zu glauben, kann bei Kaizen von vornherein nicht bestehen.
Kaizen hat seine Anwendung in Industriebetrieben schon längst gefunden, insbesondere in der Automobilindustrie. Einige grundsätzliche Gedanken lassen sich auch in den persönlichen Bereich übernehmen und anpassen.
Wenn man verhindern will, wieder zurückzugehen, muss man sich für eine kontinuierliche Verbesserung öffnen. Dann gibt man sich eben nicht (mehr) zufrieden, mit dem, was jetzt ist. Man möchte sich aus eigener Motivation heraus weiterentwickeln und seine Potenziale immer besser ausschöpfen.
Neues Leistungsdenken?
Führt der Drang zur kontinuierlichen Veränderung zum Besseren zu einem neuen Leistungsdenken? Setzt man sich dadurch selbst unter Druck?
Zu einem Leistungsdenken würde es dann führen, wenn es nur um ein „schneller, höher, weiter“ ginge, wenn Faktoren der geistigen und seelischen Entwicklung, des menschlichen Zusammenlebens usw. außer Acht gelassen werden. Um Leistungsoptimierung kann es jedoch für den Menschen nicht gehen.
Wenn die Chancen in den Blick rücken, sich selbst weiterentwickeln zu können und zu dürfen, den Horizont erweitern zu können und zu dürfen, löst dies eher Freude aus. Persönlich wachsen zu können wird als Privileg empfunden.
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