„Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen.“
Sprichwort aus China
Veränderung – eine Konstante
Gibt es auch nur einen einzigen Augenblick, in dem sich nirgendwo etwas verändert? Die Antwort lautet mit Sicherheit: nein!
Stetig verändert sich etwas. Globalisierung, Digitalisierung und künstliche Intelligenz stehen für nur drei aktuelle Veränderungsprozesse, die sich auf viele Bereiche unseres Lebens nachhaltig auswirken. Neue Technologien werden verfügbar, die diese Prozesse vorantreiben. Die inhärente Dynamik dieser Prozesse führt unter anderem dazu, dass sich der Strukturwandel der Arbeitswelt eher noch beschleunigt. Berufsbilder verschwinden, neue bilden sich heraus. Und auch die Arbeitsorganisation sowie die Art und Weise des Zusammenwirkens in Betrieben und in der Gesellschaft als Ganzes verändert sich.
Um im Bild zu bleiben: der Wind der Veränderung weht ständig. Mal weht er stärker, mal weht er weniger stark, und kurzzeitig mag es sich vielleicht wie ein laues Lüftchen anfühlen. Doch Windstille gibt es nie.
Der Wind der Veränderung kommt von außen. Er kann auch im persönlichen Bereich Veränderungen mit sich bringen, die nicht gewollt oder gar willkommen sind. Einige Beispiele für ungewollte Veränderungen sind:
- der neue Vorgesetzte, wobei man diesen Menschen schon bisher nicht leiden konnte,
- die Übernahme des Unternehmens, und auf einmal wird man vor die Wahl gestellt, entweder zu letztendlich schlechteren Bedingungen zu bleiben oder das Unternehmen zu verlassen,
- die Kündigung der Arbeitsstelle, wobei man ein Lebensalter erreicht hat, indem es nicht mehr so einfach ist, wieder problemlos eine adäquate Stelle zu finden,
- die Trennung des Partners bzw. der Partnerin,
- der Unfall, der schwerwiegende körperliche Beeinträchtigungen mit sich bringt,
- neue Techniken, Methoden und Verfahren, die man ablehnt.
Eine Veränderung kann sich auf der persönlichen Ebene durchaus wie ein harter Schlag anfühlen, je nachdem wie einschneidend und bedrohlich eine Veränderung empfunden wird. Sie kann die Kräfte eines Betroffenen bis zum Äußersten fordern.
Bedrohung oder Chance?
Ist eine ungewollte Veränderung mit negativen Folgen stets nur Bedrohung oder könnte damit auch eine Chance verknüpft sein? Wie entscheidet sich, ob man eine Veränderung als bedrohlich oder als Chance empfindet?
Die sozialpsychologische Forschung steuert einige Erkenntnisse bei. Unsere unmittelbaren Gefühle beeinflussen maßgeblich, ob wir etwas als bedrohlich oder risikoreich einschätzen. Darüber hinaus ist unsere persönliche Einschätzung immer auch oft auf andere Menschen bezogen und wird häufig von ihnen beeinflusst. Aber letzten Endes entsteht eine Bedrohung immer erst im Auge des einzelnen Betrachters.
Unabhängig davon, ob man eher die Bedrohung oder die Chance sieht, stellt sich die Frage, welche Reaktionen auf eine ungewollte Veränderung möglich sind. Entziehen kann man sich dieser Veränderung schließlich nicht.
Veränderung fordert Energieeinsatz
Jede ungewollte Veränderung bewirkt eine Reaktion. Im Wesentlichen bestehen folgende Möglichkeiten:
- Die Veränderung wird passiv hingenommen. Man stellt sich auf sie ein und versucht, sich so gut wie möglich mit den neuen Verhältnissen zu arrangieren;
- Die Veränderung wird nicht hingenommen und es kommt zu einer Abwehrreaktion. Letzten Endes verschließt man sich der Veränderung. Im übertragenen Sinn baut man eine Mauer;
- Die Veränderung wird bewusst akzeptiert und man unternimmt selbst etwas, um die Veränderung zum persönlichen Vorteil zu nutzen. Im übertragenen Sinn baut man eine Windmühle.
Die Mauer bauen
Wenn man sich der Veränderung verschließt, entscheidet man sich dann für Stillstand? Wenn dies so ist, muss man – bildlich ausgedrückt – eine Mauer bauen. Die Mauer grenzt gewissermaßen gegenüber dem Rest der Welt ab. Innerhalb der jetzt bestehenden Grenzen richtet man sich ein und verlässt seinen geschützten Bereich nur noch, wenn es sein muss.
Es wäre jedoch ein Trugschluss, zu denken, dass es keine Energie kostet, die Mauer zu bauen und sie instand zu halten. Was an Veränderung von außen hereindrängt, will aufgehalten werden. Man muss sich gegen die Macht der Veränderung stemmen, zumindest indem man Kompensationsstrategien entwickelt und sich Mittel und Wege sucht, die dabei unterstützen.
Wie kann man sich beispielsweise der gesteigerten Bedeutung moderner Kommunikationsmedien entziehen? Bei vielen Geschäftsprozessen (z. B. Banking) ist ein Smartphone eingebunden und damit implizite Voraussetzung zur Teilnahme am Banking. Wenn man kein Smartphone hat und sich auch keines anschaffen möchte, muss man aufwändigere Mittel und Wege in Kauf nehmen.
Es mag sein, dass der Druck der Veränderung im Zeitverlauf zu groß wird und es irgendwann unmöglich wird, diesem Druck weiter standzuhalten. Die Veränderung wird sich unweigerlich ihre Wege suchen, so wie beispielsweise das Wasser. Je mehr Gegendruck jedenfalls von innen aufgewendet werden muss, desto mehr Energie ist erforderlich.
Wenn irgendwann der Zeitpunkt kommt, an dem man dem Druck von außen nicht mehr standhalten kann, bekommt die Mauer Risse und stürzt schließlich unweigerlich ein. Gustav Heinemann, dritter Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, drückte das Endergebnis mit folgenden Worten aus: „Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte.“.
Die Windmühle bauen
Konstruktion und Bau einer Windmühle benötigen „Gehirnschmalz“, Sachverstand und handwerkliches Geschick. Wenn man eine Windmühle baut, hat man die Absicht, sich etwas zunutze zu machen, was ohnehin vorhanden und darüber hinaus kostenlos ist: den Wind. Die im Wind enthaltene kinetische Energie kann als mechanische Energie nutzbar gemacht werden, um beispielsweise ein Mahlwerk anzutreiben.
Für den Wind muss man selbst nichts leisten. Er weht ganz einfach, mal mehr und mal weniger stark. Doch manchmal ist es auch windstill. Da der Wind aus unterschiedlichen Richtungen wehen kann, muss man sich etwas einfallen lassen. Ein drehbarer Kopf löst das Problem. Dann kann der Mühlenkopf mit den Flügeln in den Wind gedreht werden. Somit ist es möglich, sich auf wechselnde Windverhältnisse gut einzustellen. Vor vielen Jahrhunderten beschrieb der griechische Universalgelehrte Aristoteles das Prinzip so: „Wir können den Wind nicht ändern, aber wir können die Segel richtig setzen.“.
Wenn im übertragenen Sinn der Wind der Veränderung weht und man diesen Wind zu seinem Vorteil nutzen möchte, entwickelt man eine Strategie, wie man die Windverhältnisse am besten für sich nutzen kann. Um im Bild zu bleiben: die Windverhältnisse können beispielsweise neuen Trends, neuen Technologien oder auch neuen Methoden und Verfahren entsprechen.
Etwas anders, mit einem anderen Bild ausgedrückt: Man versucht, „auf der Welle zu reiten“. Man sieht die Chancen, wie man die dem Wind und den Wellen schon innewohnende Energie gut nutzen kann und kann dann intensiv darüber nachdenken, wie man selbst mit möglichst wenig Energieeinsatz agieren kann.
Lieber doch eine Windmühle bauen?
Wenn sowohl der Bau einer Mauer als auch der einer Windmühle Energieeinsatz erfordern, ist es dann nicht sinnvoller, gleich auf den Mauerbau zu verzichten und die eigenen Kräfte für den Bau einer Windmühle einzusetzen? Schließlich ist auch zu bedenken, dass der Energieeinsatz steigt, wenn der Veränderungsdruck zunimmt.
Dann stellt sich die Frage, wie man sich selbst überzeugen kann, dass eine ungewollte Veränderung nicht nur eine (potenzielle) Bedrohung ist, sondern auch Chancen in sich birgt. Schließlich ergeben sich mit jeder Veränderung auch Chancen, die der Veränderung innewohnende Energie für sich nutzbringend einzusetzen. Wie eine Bedrohung, so entsteht auch eine Chance immer erst im Auge des Betrachters.
Wie lässt sich das Gefühl intuitiv darauf ein, eine Veränderung als Chance zu sehen? Diese Frage kann von der Wissenschaft (noch) nicht hinreichend fundiert beantwortet werden. Aber es gibt eine zweite Instanz: das Denken. Unser Gefühl bleibt nicht nur Gefühl, sondern das Denken wird angeregt. Dann besteht die Möglichkeit, sich mit dem Gefühl kritisch auseinanderzusetzen und rational abzuwägen.
Wenn Bedrohung und Chance im Auge des Betrachters entstehen, ist folgerichtig die persönliche Sichtweise auf die Veränderung – oder allgemein auf Probleme – ein Ansatzpunkt. „Nicht das Problem macht die Schwierigkeiten, sondern unsere Sichtweise.“, so drückte es Viktor Frankl, Neurologe und Psychiater, aus. Der Psychologe Wayne Dyer formulierte es allgemeiner: „Wenn du deine Sicht auf die Dinge veränderst, verändern sich die Dinge, die du siehst.“.
Wie kann man sich selbst überzeugen?
Ungewollte Veränderungen können dazu verführen, sich selbst als unschuldiges Opfer zu sehen und in die Opferrolle zu schlüpfen. Wenn man sich jedoch in die Opferrolle fallenlässt, gibt man Macht und Kontrolle über sein Leben ab. Man begibt sich in eine passive Rolle. Gefühle der Ohnmacht, der Hilflosigkeit oder der Angst sind eine psychisch belastende Folge davon.
Ist es vor diesem Hintergrund nicht anzuraten, sich in die Rolle des aktiven Gestalters zu versetzen? Der Verstand sagt zwar „ja“, doch vielleicht schafft man es gerade nicht alleine, weil einem der Wind der Veränderung gerade sehr zu schaffen macht. Dann erweisen sich Gespräche mit anderen vertrauenswürdigen Menschen im Familienumfeld, im Freundes- und Bekanntenkreis oder auch mit einer vertrauenswürdigen neutralen Person meist als hilfreich. Auch ein Anruf bei der Telefonseelsorge (0800-1110111 und 0800-1110222) kann dabei helfen, sich von einer einseitig negativen Sicht der Dinge zu lösen. „Es wird immer alles gleich ein wenig anders, wenn man es ausspricht.“ – diese Erkenntnis des Schriftstellers, Dichters und Malers Hermann Hesse erweist sich eigentlich immer als zutreffend.
Wie kann man in sich die Überzeugung bilden, dass man es schaffen kann, die „Windmühle“ zu bauen? Ein Blick in die eigene Vergangenheit kann sehr hilfreich sein. Positive Lebenserfahrungen, was im Leben schon alles geschafft worden ist, wie frühere Veränderungsprozesse schon erfolgreich bewältigt worden sind, steigern das Selbstvertrauen. Dann kann man zuversichtlich in die Zukunft blicken, auch weitere Veränderungen nicht nur bewältigen zu können, sondern auch „die Welle reiten“ zu können.
Man bestärkt sein Vertrauen in sich selbst. Wenn man in der Vergangenheit schon einiges geschafft hat, wird man auch in der jetzigen Situation einen Weg für sich finden können. Und man wird auch mit Hindernissen fertig werden können. Es fällt leichter, Unbekanntes als Herausforderung zu verstehen, an dem man wachsen kann.
Des Weiteren ist es hilfreich, Veränderungen eine positive Bedeutung zu geben. Eine Veränderung, auch wenn sie negativen Charakter hat, ist nicht ausschließlich negativ, sondern trägt zumindest auch etwas Positives in sich – und sei das Positive auf den ersten Blick auch noch so unbedeutend. Veränderungen haben immer auch den Charakter eines Abenteuers. Und wir können uns in diesem Abenteuer immer weiterentwickeln. Unser Gehirn unterstützt uns dank der Neuroplastizität (die Fähigkeit des Gehirns, sich selbst zu ändern) jedenfalls ein Leben lang. Wir können bis ins hohe Alter hinein immer Neues lernen.
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