Der erste Schritt bei der Heilung besteht darin, die Konzentration …Lesezeit: 8 Min.

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„Der erste Schritt bei der Heilung besteht darin, die Konzentration auf das zu richten, was jetzt gerade lebendig ist, und nicht auf das, was in der Vergangenheit passiert ist.“

Marshall B. Rosenberg
Der erste Schritt bei der Heilung, M. Rosenberg - Gestaltung: privat
Gestaltung: privat

Marshall B. Rosenberg (1934-2015) war ein US-amerikanischer Psychologe. Er entwickelte das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation (GFK), englisch: Nonviolent Communication (NVC). Dieses soll Menschen ermöglichen, dergestalt miteinander umzugehen, dass der Kommunikationsfluss auf Grundlage wertschätzender Beziehung zu mehr Vertrauen und Freude am Leben führt. 1984 gründete Rosenberg das gemeinnützige Center for Nonviolent Communication. Als Mediator war er international tätig.

Wenn der Blick in die Vergangenheit Schmerz auslöst

Hans (*) und Verena (*) waren wieder einmal bei ihrer Tochter Tanja (*) zu Besuch. Sie und ihr Ehemann Thomas (*) hatten mittlerweile Kinder und lebten in ihrem eigenen Haus. Wie aus heiterem Himmel nahm das Beisammensein eine Wendung. Tanja brachte Erlebnisse aus ihrer Kindheit und Jugendzeit zur Sprache. Der Auslöser war im Nachhinein nicht mehr festzustellen. Tanja fühlte Schmerz bei diesem Erinnern und machte ihren Eltern – immer wieder von Tränen begleitet – allerhand Vorwürfe. Ihre Kindheit und Jugendzeit stellte sie gewissermaßen als eine einzige Katastrophe dar. Auf einen kurzen Nenner gebracht: In Hans‘ und Verenas Wahrnehmung erhielten sie für ihre Erziehung die Schulnote 6.

Auch bei ihren Eltern wurde Tanjas Kindheit und Jugendzeit wieder lebendig. Sie hatten ein ganz anderes Bild vor Augen: das Bild der rebellischen Tochter, die ihre Eltern mit ihrem Verhalten und ihren Worten immer wieder verletzte, manchmal sogar sehr.

Hans und Verena waren bestürzt und fassungslos. Aus ihrer Sicht konnten sie sich Tanjas Blick auf ihre Kindheit und Jugend nicht erklären. In ihrer Wahrnehmung hatten sie sich bemüht, Tanja und auch ihrer älteren Schwester Laura (*) eine harmonische Kindheit und Jugendzeit zu bieten und beide gut zu erziehen. Sie wollten eine Eskalation vermeiden und kein Öl ins Feuer gießen. Deshalb zogen sie es vor, früher als geplant nach Hause zu fahren. Der Abschied verlief etwas frostig.

Auf der Heimfahrt sprachen Hans und Verena nicht viel miteinander. Jeder hing seinen Gedanken nach. Beide waren innerlich sehr aufgewühlt. Sie wussten nicht so recht, wie die Beziehung zu ihrer Tochter und deren Familie in der Zukunft aussehen konnte. Würde vielleicht sogar eine Art „Eiszeit“ anbrechen? Das wollten sie natürlich nicht.

Hilft ein Kampf um Interpretationen weiter?

Tanja, Hans und Verena hatten die Jahre bis zu Tanjas Auszug aus dem Elternhaus gemeinsam erlebt. Sie erlebten diese Jahre allerdings sehr unterschiedlich und hatten deshalb auch entsprechend unterschiedliche Bilder vor Augen.

Verena war während der Kindheitszeit von Tanja und Laura nicht berufstätig, konnte sich den beiden Kindern vollzeitlich widmen. Erst später stieg Verena mit einer Halbtagesstelle wieder ins Berufsleben ein.

Hans war beruflich sehr stark engagiert und mehr oder weniger nur an den Wochenenden in der Familie präsent. Als die Beziehung zu Tanja während ihrer Jugendzeit angespannt war, lud er sie hin und wieder zu einem gemeinsamen Essen ein. Hams wollte seine Tochter nicht verlieren. Manchmal erlebten die beiden eine gute Zeit, manchmal blieb die Unterhaltung an der Oberfläche.

Später lastete Tanjas Vorwurf, in ihrer Kindheit und Jugendzeit nicht wirklich dagewesen zu sein, schwer auf Hans. Doch er konnte die Zeit nicht mehr zurückdrehen. Dafür war es zu spät. Wäre es möglich gewesen, hätte Hans seinem Beruf eine geringere Priorität zugewiesen und sich deutlich intensiver der Familie gewidmet.

Tanja fühlte sich nicht verstanden, von ihren Eltern nicht, und auch nicht von ihrer älteren Schwester. Auch zwischen den Schwestern gab es schwierige Konflikte. Andererseits hatten Hans und Verena den Eindruck, nicht an Tanja herankommen zu können. Sie empfanden Tanja oft als ausgesprochen rebellisch und bockig.

Vier Menschen lebten unter einem Dach, aber sie alle erlebten die gemeinsame Zeit sehr unterschiedlich. Es gab mithin vier subjektive Wirklichkeiten. Dass jeder Mensch seine eigene subjektive Wirklichkeit erlebt, brachte Paul Watzlawick, Kommunikationswissenschaftler, Psychotherapeut und Philosoph so auf den Punkt: „Jeder Mensch konstruiert sich seine Wirklichkeit.“. Dass dann auch jeder meint, dass seine Wirklichkeit die wirkliche Wirklichkeit ist, verwundert nicht. Wiederum Paul Watzlawick warnte deshalb vor falschen Schlüssen: „Der Glaube, es gebe nur eine Wirklichkeit, ist die gefährlichste Selbsttäuschung.“.

Was wäre geschehen, wenn Hans oder Verena die Wirklichkeit ihrer Tochter infrage gestellt oder versucht hätten, ihre jeweilige subjektive Wirklichkeit durchzusetzen? Hätte ein „Das stimmt so nicht. Es war vielmehr so …“ wirklich weitergebracht? Wohl kaum! Tanjas subjektive Wirklichkeit hätte sich dadurch sehr wahrscheinlich nicht verändert, denn sie ist sehr stark mit erlebten Gefühlen verknüpft.

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Wie kann der Weg zur Heilung aussehen?

Heilung setzt eine Wunde voraus. Diese Wunde hat eine reale Ursache. Gleichzeitig ist eine Wunde nichts Normales. Sie behindert im Leben. Wenn man an die Wunde denkt, erinnert man sich wieder, wie es sich angefühlt hat. Vielleicht läuft wieder ein innerer Film ab. Geräusche, Gerüche usw. sind wieder präsent. Tanja, Verena und Hans erging es in diesem Gespräch so. Sie erlebten konfliktgeladene Situationen auf die jeweilige ganz persönliche Weise wieder aufs Neue.

Eine Wunde schmerzt, mehr oder weniger intensiv. Und so schmerzt auch die Vergangenheit, d. h. der Blick in die Vergangenheit. Wie kann dann Heilung geschehen, wenn der Blick auf den Schmerz gerichtet ist?

Über die Vergangenheit sprechen, bringt für sich alleine keine Heilung. Rein intellektuelles Verstehen, was geschehen ist, führt nicht weiter. Empathie ist gefragt, d. h. die Fähigkeit und Bereitschaft, Empfindungen, Emotionen, Gedanken, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen, zu verstehen und nachzuempfinden. Intellektuelles Verstehen ist keine Empathie. Und das (wiederholte) Erzählen vertieft den Schmerz nur.

Was hindert daran, die unterschiedlichen subjektiven Wirklichkeiten als gleichberechtigt zu akzeptieren und sie stehenzulassen? Dadurch wird in gewisser Weise auch Wertschätzung ausgedrückt: „Ich erkenne deine subjektive Wirklichkeit an und stelle sie nicht infrage“. Nur unter dieser Voraussetzung kann man die subjektiven Wirklichkeiten mit ihren Sichtweisen zusammentragen und Verständnis füreinander gewinnen.

Wenn man in der Vergangenheit festhängt, wird bewusst, dass der Blick auf die Vergangenheit einer Heilung im Weg steht. Gefühle wie Wut, Ärger und Trauer leben erneut auf, wenn Erlebnisse, Ereignisse und Erfahrungen der Vergangenheit wie ein Film wieder angeschaut werden. Dann ist es hilfreich, den Blick weg von der Vergangenheit auf das zu lenken. das zu erkennen, was gerade lebendig ist. Welche Gefühle und Bedürfnisse sind gerade lebendig?

Was ist gerade lebendig?

Hans, Verena und Tanja leiden in der Eltern-Kind-Beziehung, die schließlich immer noch besteht. Auch Thomas leidet, wenn auch als nicht direkt Beteiligter. Bei allen sind ganz individuelle Gefühle und Bedürfnisse lebendig. Bei Hans sind es beispielsweise andere Gefühle und Bedürfnisse als bei Tanja. Und lebendig ist bei allen der mehr oder weniger stark ausgeprägte Wunsch, wieder zu einer guten Beziehung zu finden.

Bei allen Missklängen hat die gemeinsame Geschichte als Familie, haben die gemeinsam erlebten Jahre etwas Verbindendes. Auch Tanja empfindet in der Rückschau auf ihre Kindheit und Jugendzeit nicht alles als schlecht. Es gab die schwierigen Momente und Zeiten. Aber es gab ebenso auch schöne Momente und Zeiten.

Was ist gerade lebendig, wenn Hans und Verena auf ihre Gefühle und Bedürfnisse schauen? Beide empfinden nach wie vor eine tiefe Elternliebe zu ihrer längst erwachsenen Tochter. Auch die seelischen Verletzungen durch Tanja, nicht nur während des vorzeitig beendeten Besuchs, sondern auch und vor allem während Tanjas Jugendjahren, können daran etwas ändern. Sie möchten Tanja nicht verlieren. Sie haben das Bedürfnis nach einer guten Beziehung zu Tanja, zu Thomas und natürlich auch zu den Enkelkindern.

Wenn sich alle Beteiligten über ihre gerade lebendigen Gefühle und Bedürfnisse austauschen, und wenn sie im Hier und Jetzt ganz präsent sind, schaffen sie den ersten Schritt und können einen Weg zur Heilung finden. Wird es ihnen gelingen, sich empathisch aufeinander einzulassen? Wenn ja, finden sie zu einem gegenseitigen empathischen Verstehen und können ihre Gefühle und Bedürfnisse klären. Heilung schließt dann schließlich auch gegenseitige Vergebung mit ein.

Bei der Heilung einer physischen Wunde kann ein Arzt unterstützen. Doch wie verhält es sich bei der Heilung einer Beziehung? Auch hier kann es sinnvoll sein, Unterstützung durch einen Dritten in Anspruch zu nehmen. So war es auch in der Beziehungskrise zwischen Tanja, Verena und Hans. In weiteren Gesprächen kristallisierte sich heraus, dass der wesentliche Konflikt aus Tanjas Sicht hauptsächlich in der Mutter-Tochter-Beziehung bestand. Tanja und Verena einigten sich darauf, eine psychologisch geschulte Person mit einzubeziehen. Mit deren Unterstützung gelang es, sich gegenseitig besser zu verstehen und die Beziehung auf eine neue Basis zu stellen.

Gutes und Sinnvolles tun – ganz praktisch

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Den ersten Schritt gehen

Wenn man die Aufmerksamkeit auf das richtet, was gerade lebendig ist, tritt die Vergangenheit in den Hintergrund. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass man die Vergangenheit gewissermaßen vergisst und auch nicht, dass man sie umdeutet und in irgendeiner Weise schönredet. Vergessen würde nicht wirklich gelingen können. Umdeuten und Schönreden würden an den Fakten selbst nichts ändern.

Das Fokussieren auf die Gegenwart hat eine Schutzfunktion. Man setzt sich selbst ein Stoppschild, um zu verhindern, dass man sich bei Gedanken an die Vergangenheit aus seiner subjektiven Wirklichkeit heraus zu Anklagen an einen Anderen hinreißen lässt. Damit bewertet man dessen Gedanken, Einstellungen, Werte oder Verhalten und begibt sich in eine Richterrolle. Dies kann nicht gut enden!

Das Stoppschild verhindert auch, dass man sich im Rückblick auf die Vergangenheit in Selbstvorwürfen und vielleicht auch Selbstmitleid verliert. „Wie konnte ich nur so dumm sein …“, „Warum habe ich nicht …“ oder „Wäre ich doch nur …“ sind Fragefragmente, die eine gedankliche Abwärtsspirale auslösen können. Und dann kann sich auch schnell eine depressive Stimmung einstellen.

Das aufzugreifen, was gerade lebendig ist, hilft dabei, dem Heilungsprozess einen Startpunkt und darüber hinaus eine Struktur zu geben. Der Heilungsprozess bedeutet für jeden Beteiligten gleichzeitig auch Selbstheilung. Und er schließt auch Vergebung mit ein – Vergebung gegenüber einem Anderen und auch Selbstvergebung.

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Ich bin Dieter Jenz, Begleiter, Berater und Coach mit Leidenschaft. Über viele Jahre hinweg habe ich einen reichen Schatz an Kompetenz und Erfahrung erworben. Meine Themen sind die "4L": Lebensaufgabe, Lebensplanung, Lebensnavigation und Lebensqualität.