Wenn du verbittert bist, frisst es dich auf und richtet bei dir …Lesezeit: 10 Min.

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„Wenn du verbittert bist, frisst es dich auf und richtet bei dir sehr viel größeren Schaden an als die Menschen, die dich verletzt haben.“

Terry Waite
Wenn du verbittert bist, T. Waite - Gestaltung: privat
Gestaltung: privat

Terence (Terry) Hardy Waite (geb. 1939), war in den 1980er Jahren Assistent des damaligen Erzbischofs von Canterbury, Robert Runcie, und war für Anglikanische Gemeinschaftsangelegenheiten zuständig. Im Auftrag der Church of England reiste er als Gesandter in den Libanon, um über die Freilassung von vier Geiseln zu verhandeln und diese zu erwirken. Er wurde unter Bruch der Zusage freien Geleits selbst entführt und von Januar 1987 bis November 1991 gefangen gehalten. Die ersten vier Jahre verbrachte er in Einzelhaft.

Jahrelang in totaler Isolation

Vier Jahre lang war Terry Waite im Libanon alleine in einer fensterlosen kleinen Zelle an eine Wand gekettet. Vier Jahre lang sah er kein menschliches Gesicht, da er sich jedes Mal die Augen verbinden musste, bevor ein Wärter in seine Zelle kam. Er hatte keinerlei Kontakt zur Außenwelt. Und er bekam keinen Lesestoff und auch keine Schreibutensilien.

Wie hält man jahrelang ein Leben in totaler Isolation aus? Ungerechte Behandlung, ständige Demütigungen, Hilflosigkeit, dagegen etwas unternehmen zu können – wie kann man damit fertigwerden? Muss das nicht geradezu in einer Verbitterung enden?

Vom Ehemann verlassen

Sylvia (Name geändert) machte im Gespräch einen verbitterten Eindruck. Sie war von ihrem Ehemann Stefan (Name geändert), für den sie sich nach ihrem Empfinden aufgeopfert hatte, verlassen worden.

Würde man Stefan, jetzt ihr Ex-Mann, befragen, wie er die Zeit der Ehe erlebte, würde sich seine Wahrnehmung höchstwahrscheinlich sehr deutlich von der Sylvias unterscheiden. „Einer hat immer unrecht, aber mit zweien beginnt die Wahrheit.“, schrieb der Philosoph Friedrich Nietzsche in seinem Werk „Die fröhliche Wissenschaft“ (drittes Buch Nr. 260). Der Arzt, Psychiater und Philosoph Karl Jaspers formulierte ähnlich: „Die Wahrheit beginnt zu zweien.

Sylvia kennt nur ihre eigene Wahrheit – und sie will auch keine andere hören. Sie fühlt sich ungerecht behandelt, herabgewürdigt und ist zutiefst gekränkt. Ihre Gedanken scheinen ständig um das Verhalten Stefans und um die Trennung zu kreisen. Sie kann das aus ihrer subjektiven Sicht Schlimme nicht loslassen. Auch nach mehreren Jahren ist an der seelischen Verletzung nichts verheilt.

Wo ist man kränkungsgefährdet?

Ist grundsätzlich jeder Mensch kränkungsgefährdet? Im Prinzip trifft dies zu, wobei jedoch die Intensität, in der sich eine Kränkung ausprägen und zeigen kann, sehr stark von den individuellen Persönlichkeitsmerkmalen abhängt.

Eine Gefährdung besteht prinzipiell in den Bereichen, in denen man emotional sehr stark engagiert ist. Sylvia hatte ein klares Bild von Ehe. Sie sah Stefan und sich in einer lebenslangen und vertrauensvollen Liebesbeziehung. Zu diesem Bild gehörten auch gemeinsame Kinder.

Sylvia liebte Stefan, tat gewissermaßen alles für ihn. Doch dann geschah das aus ihrer Sicht Schreckliche. Stefan wandte sich einer anderen Frau zu und zog zu ihr. Für Sylvia brach ihre Welt zusammen.

Gerade in dem was ihr so überaus wichtig war, war Sylvia verletzlich und auch so sehr gekränkt, als Stefan sie verließ. Und diese Kränkung sitzt immer noch tief. Wäre die emotionale Bindung an Stefan weniger stark ausgeprägt gewesen, wäre es vielleicht nicht zu dieser so intensiven Kränkung gekommen.

Auch in anderen Bezügen besteht die Möglichkeit einer tiefen Kränkung. Da ist beispielsweise der ehrgeizige Jurist Christian (fiktiver Name), der sich sehr stark mit seinem Beruf identifiziert, der sich, bildlich ausgedrückt, fast zu Tode arbeitet. Man kann ihn abends noch arbeiten sehen und auch an Wochenenden kann man ihm oft im Büro begegnen. Ein Acht-Stunden-Tag mit festen Arbeitszeiten ist ihm völlig unbekannt. Christian hat ein klares Ziel: er will Junior-Partner in der Kanzlei werden. Doch nach einigen Berufsjahren, als er Junior-Partner werden könnte, kommt er nicht zum Zug. Dafür wird ein Kollege zum Junior-Partner ernannt. Für Christian ist nicht nachvollziehbar, wieso ausgerechnet der Kollege und nicht er zum Zug kam. Zudem wird Christian in einer Sitzung vor anderen bloßgestellt. Verwundert es, dass der ehrgeizige Christian tief gekränkt ist und sich gedemütigt fühlt?

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Erfolg ist nicht der Schlüssel, A. Schweitzer - Gestaltung: privat
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Wie kann die Verbitterung „auffressen“?

Gerade wenn man so „mit dem Herzen“ dabei ist und es dann zu einer einschneidenden Kränkungserfahrung oder zu einer Kette von gleichgelagerten Kränkungsereignissen kommt, kann eine Verbitterung entstehen. In der chronischen Ausprägung wird von einer posttraumatischen Verbitterungsstörung (Post-traumatic Embitterment Disorder, PTED) gesprochen. Analog dazu ist auch die posttraumatische Belastungsstörung (Post-traumatic Stress Disorder, PTSD) bekannt, die durch ein einzelnes traumatisches Ereignis oder eine zeitlich dichte Serie derartiger Ereignisse ausgelöst werden kann.

Wenn man zutiefst verbittert ist, dann ist man von ständigem Groll gegen eine als ungerecht empfundene Behandlung erfüllt oder der Groll richtet sich gegen das eigene Schicksal, das als viel zu hart empfunden wird. Reaktionen, wie etwa ohnmächtige Wut, Hass, Rachegefühle und Depression, sind oft zu beobachten. Selbst Mordgedanken sind beileibe keine Seltenheit.

Verbittert sein bedeutet dann stets auch, sich in eine Opferhaltung zu ergeben und sich in einer Opferrolle zu sehen. Deshalb erkennen Betroffene die Verantwortung für die Ursache der Kränkung nicht bei sich selbst. Die Schuld dafür liegt aus ihrer subjektiven Sicht bei einer oder mehreren anderen Personen. In der Konsequenz erwarten sie auch, dass der Fehler von der Verursacherseite eingesehen und in welcher Form auch immer wieder gutgemacht wird.

Immer wieder reden Betroffene mit anderen Menschen, die die zur Kränkung führende Situation kennen, über die ihnen aus ihrer Sicht zugefügten seelischen Verletzungen. In der Regel erwarten sie bedingungslose Zustimmung. Wenn jedoch die Wahrnehmung von Betroffenen von anderen in Zweifel gezogen oder relativiert wird, fühlen sie sich unverstanden und neigen zur Selbstisolation. Ein „willst du das jetzt nicht hinter dir lassen?“ kann, als Beispiel, bei Betroffenen durchaus heftige Reaktionen auslösen.

Menschen, die so wie Sylvia sehr stark verbittert sind, fällt es schwer, aus der Gedankenspirale auszubrechen. Ständig kreisen die Gedanken um das ihnen zugefügte Unrecht. Sie können nicht loslassen.

In der Konsequenz fügt man sich mit einer Verbitterung selbst noch weiteren seelischen Schaden zu. Man lässt zu, dass man sich gewissermaßen von seiner Verbitterung auffressen lässt. Wenn man aus der Gedankenspirale nicht ausbrechen kann, treibt man gleichzeitig auch, bildlich ausgedrückt, die Verbitterungsspirale immer weiter voran. Man traumatisiert sich selbst gewissermaßen stets wieder aufs Neue.

Was kann man als bereits Betroffene(r) tun?

Die Wärter, mit denen Terry Waite in Kontakt kam, scherten sich vermutlich nicht viel um sein Schicksal. War ihnen bewusst, welche seelischen Verletzungen sie anrichteten? Wohl kaum. Wahrscheinlich sahen sie sich als einfache Ausführende von Befehlen. Menschen, die anderen schlimme seelische Verletzungen zufügen, ist oft nicht bewusst, was sie mit ihrem Verhalten anrichten. Sie leiden nicht.

Auch Sylvias Ex-Mann litt augenscheinlich nicht unter der Trennung. Er dachte wahrscheinlich auch nicht tiefer darüber nach, was er bei Sylvia durch die Trennung anrichtete. Nach Sylvias Worten war er auch schon während der Ehe nicht bemerkenswert empathisch. Weshalb sollte dann nach der Trennung mit Sylvia mitfühlen?

Eine kurzzeitige Verbitterung ist als Folge einer Kränkung durchaus normal. Wenn man jedoch an einer länger andauernden Verbitterung leidet, ist es generell ratsam, professionelle Unterstützung durch eine psychologische Fachperson in Anspruch zu nehmen. Fast immer gelingt es nicht, sich alleine wieder von einer Verbitterung zu lösen. Stattdessen lässt man sich von der Verbitterung „auffressen“.

Um seine Verbitterung aus einer Distanz heraus betrachten und bewerten zu können, wäre es erforderlich, sich in die Position des Leidverursachers hineinversetzen zu können. Dies gelingt jedoch im Allgemeinen nie. Während die betroffene Person beispielsweise Mordgedanken hegt, wird ein Perspektivwechsel nicht gelingen. Wäre zu erwarten, dass Sylvia sich in die vermeintliche Position ihres Ex-Manns hineinversetzen kann und möglicherweise sogar Verständnis für seine Trennung von ihr aufbringen kann? Wohl keineswegs! Sylvia ist in ihrer Gedankenspirale gefangen und hat eine Art „Tunnelblick“.

Würde es einer betroffenen Person gelingen, die eigene Anspruchshaltung – die Verursacherseite soll ihren Fehler einsehen und in welcher Form auch immer wieder gutmachen – zu hinterfragen? Auch hier ist die Wahrscheinlichkeit gering, eigene Anteile zu erkennen und die Verursacherseite dadurch ein Stück weit zu entlasten. Könnte Sylvia ihre eigenen Anteile, die aus Sicht Stefans zur Trennung führten, ohne Unterstützung einer dritten Person erkennen? Mit Sicherheit war Sylvia nicht zu jeder Zeit die vorbildliche Ehefrau, und für Stefan gab es offensichtlich Gründe für die Trennung, die in ihrer Person lagen. Sehr wahrscheinlich hatte sich Stefan nicht aus einer spontanen Laune heraus zur Trennung entschlossen.

Gutes und Sinnvolles tun – ganz praktisch

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Kann man einer Verbitterung vorbeugen?

Eine Möglichkeit zur Vorbeugung gegen Ungerechtigkeit, Herabwürdigung, Demütigung, Vertrauensbruch und ähnliches gibt es leider nicht. Deshalb besteht immer die Gefahr, gekränkt und seelisch verletzt zu werden.

Auch der Neurologe und Psychiater Viktor Frankl hatte unter Ungerechtigkeit zu leiden. Mehr als zwei Jahre musste er in verschiedenen Konzentrationslagern verbringen. Er sah eine Wahlmöglichkeit, wie man auf seelische Verletzungen reagieren kann, auch wenn es sehr schmerzhafte Verletzungen sind. Er drückte es so aus: „Es gibt etwas, was ihr mir nicht nehmen könnt: meine Freiheit, zu wählen, wie ich auf das, was ihr mir antut, reagiere.“.

Viktor Frankl verfügte durch seinen Werdegang als Psychiater über das „Instrumentarium“ des Empathievermögens, der Fähigkeit zum Perspektivwechsel und zur Selbstdistanzierung. Dadurch konnte er sich Freiraum verschaffen. Die meisten stark verbitterten Menschen verfügen in ihrer Situation nicht über dieses Instrumentarium. Deshalb ist, wie bereits angedeutet, professionelle Unterstützung durch psychologisches Fachpersonal je nach persönlicher Situation oft dringend geraten.

Empathie, die Fähigkeit zum Perspektivwechsel und die zur Selbstdistanzierung lassen sich jedoch gewissermaßen antrainieren. Empathie hilft dabei, die Gefühlswelt eines anderen Menschen richtig verstehen und mitfühlen zu können. Die Fähigkeit zum Perspektivwechsel hilft dabei, sich auch in die Gegenseite eines Konflikts hineinversetzen zu können. Mit der Fähigkeit zur Selbstdistanzierung gelingt es beispielsweise besser, eigene Anteile an einem Konflikt zu erkennen oder die eigene Anspruchshaltung zu hinterfragen.

Das Training kann darin bestehen, sich in Situationen oder Szenarien hineinzuversetzen, die man in seinem Umfeld wahrnimmt und beobachtet, die sich jedoch mit der eigenen Lebenssituation nicht überdecken. Ein Beispiel dafür ist die Trennung eines befreundeten Paars. Was fühlen die Beteiligten? Welche Perspektiven haben die Beteiligten auf die Situation? Welche Erwartungen haben die Beteiligten? Das Training weitet die Sicht und wird bestätigen, dass es nicht nur eine „Wahrheit“ gibt.

Mit diesem Training wirkt man eigener Hilflosigkeit entgegen, wenn man selbst gekränkt wird. Wenn man sich diese Fähigkeiten hinreichend antrainiert hat, kann es im besten Fall gelingen, zu sich selbst zu sagen: „Ich lasse mich nicht verbittern!“. Die Kränkung wird zwar empfunden, aber man weiß um die möglichen Folgen und setzt sich deshalb gewissermaßen selbst ein Stopp-Zeichen. Man kann noch hinzufügen: „Ich will den Schaden bei mir unbedingt begrenzen. Ich will nicht impulsiv reagieren, sondern mit Bedacht“. Viktor Frankl wies auf den Raum zwischen Reiz und Reaktion hin: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.

Wenn der Optimalfall nicht eintritt, ist die Wahrscheinlichkeit dennoch höher, Kränkungen und Verbitterungsgefühle nach einer gewissen Zeit loslassen zu können, als wenn man sich diesem Training nicht gewidmet hätte. Eine Garantie kann jedoch auch das Training nicht bieten.

Ein wirksamer Schutz gegen die zerstörerische Wirkung von Verbitterung besteht zudem darin, das Selbstwertgefühl zu stärken. Je stärker das Selbstwertgefühl und die Selbstwertschätzung, desto besser kann man die üblen Wirkungen einer Verbitterung erkennen – und sich davor schützen, dass man sich im schlimmsten Fall von der Verbitterung auffressen lässt.

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Ich bin Dieter Jenz, Begleiter, Berater und Coach mit Leidenschaft. Über viele Jahre hinweg habe ich einen reichen Schatz an Kompetenz und Erfahrung erworben. Meine Themen sind die "4L": Lebensaufgabe, Lebensplanung, Lebensnavigation und Lebensqualität.