„Erfolg ist nichts Endgültiges, Misserfolg nichts Fatales: was zählt, ist der Mut weiterzumachen.“
Sir Winston Churchill
Sir Winston Leonard Spencer-Churchill (1874-1965) war ein britischer Staatsmann. Er war zweimal Premierminister und führte Großbritannien durch den Zweiten Weltkrieg. Darüber hinaus war er Autor politischer und historischer Werke. 1953 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Weniger bekannt ist Churchill als Maler. Er brachte es auf etwa 500 Werke.
Erfolg ist nicht endgültig, Misserfolg auch nicht
Sir Winston Churchills Leben belegt dieses Zitat auf eindrucksvolle Weise. 1908 wurde er erstmals in die Regierung berufen, leitete Ministerien, wurde aber auch mehrmals abberufen und blieb zwischen 1929 und 1939 jahrelang ohne politisches Amt. 1940 zum Premierminister berufen, musste er das Amt 1945 nach einer Wahlniederlage wieder aufgeben. 1951 wurde er erneut Premierminister. Nach einem Schlaganfall wurde er 1955 von Parteifreunden zum vorzeitigen Amtsverzicht gedrängt.
Für Churchill war es wichtig, den Mut nicht zu verlieren und weiterzumachen. Misserfolge nahm er nicht als etwas Endgültiges hin. Er nahm sie wohl auch nicht persönlich. Beispielsweise forderte er 1916 er in einer Rede vor dem Unterhaus kaum verhüllt seine Wiederernennung zum Marineminister. Allerdings erntete er dafür nur Spott. Es dauerte noch über ein Jahr bis er als Munitionsminister wieder ein Ministeramt übernehmen konnte.
Nichts ist endgültig! Erfolg ist es nicht, und Scheitern ist es auch nicht. Ein Misserfolg muss nicht das Ende bedeuten.
Was ist überhaupt Erfolg – und was ist Misserfolg?
Jeder kann sich unter Erfolg und Misserfolg etwas vorstellen. Doch das Bild von Erfolg und Misserfolg unterscheidet sich von Mensch zu Mensch, wenn auch oft nur in Feinheiten.
Nach landläufiger Definition bedeutet Erfolg, ein gesetztes Ziel zu erreichen. Bei diesem Ziel kann es sich um ein materielles oder ein immaterielles Ziel handeln. Zu den materiellen Zielen zählen beispielsweise: in der beruflichen Tätigkeit ein angestrebtes Jahreseinkommen zu erzielen, als Sportler einen Olympiasieg zu erreichen oder einen Schrank, wie in der Anleitung beschrieben, zusammenzubauen. Immaterielle Ziele sind beispielsweise: Glück, Anerkennung und Freundschaft.
Als Misserfolg wird ein Scheitern oder ein Fehlschlag verstanden. Ein gesetztes Ziel wird nicht erreicht. Man kann beispielsweise vor Gericht einen Misserfolg erleiden, wenn eine Klage abgewiesen wird und man einen Prozess verliert.
Welche Erfolge man anstrebt, ist vor allem eine Angelegenheit der persönlichen Wertevorstellungen. Ist es beispielsweise wichtiger, beruflichen Erfolg zu erreichen oder ist es wichtiger, Glück in einer Beziehung zu erleben? Erfolg und Misserfolg werden allerdings fast immer mit materiellen Zielen in Verbindung gebracht.
Der Weg zum Erfolg – mit Misserfolgen gepflastert?
Unzählige Menschen machten wohl die Erfahrung, dass Misserfolg den Weg zum Erfolg pflastern. Vor allem Wissenschaftler, Forscher und Erfinder können davon ein Lied singen. Es ließe sich eher die Frage stellen: „Ist es überhaupt möglich, ohne auch nur einen Misserfolg zum Erfolg zu gelangen?“. Wohl kaum! Der Physiker Albert Einstein brachte es auf einen kurzen Nenner: „Wer noch nie einen Misserfolg hatte, hat noch nie etwas Neues versucht.“.
Dem Erfolg gehen oft viele Misserfolge voraus
Ein neues Medikament, ein neuer Werkstoff, ein neues Verfahren, ein … – eine Erfolgsmeldung verbirgt die Tatsache, dass der Erfolg das Ergebnis (sehr) vieler Versuche ist. Die meisten davon endeten mit einem Misserfolg bzw. Rückschlag.
Was geschieht, wenn man selbst gerade einen Misserfolg erlebt hat? Man hat ein Ziel vor Augen, hat schon so viel seiner Kraft und Lebenszeit dafür eingesetzt, und dann das: wieder ein Rückschlag. Schon zuvor gab es eine Reihe von Rückschlägen. Dass man schließlich doch Erfolg haben wird, kann man im Moment noch nicht wissen. Man steckt gerade mitten drin und ist frustriert. Wie geht man damit um?
Kann man, bildlich gesprochen, einfach wieder aufstehen, sich den Staub ab den Kleidern abklopfen und wieder weitermachen? Henry Ford, Erfinder und Automobilpionier, konnte dies wohl. Er erlebte eine ganze Reihe von Misserfolgen, ließ sich davon aber nicht beirren und von seinem Weg abbringen. Über den Misserfolg sagte er lakonisch: „Misserfolg ist lediglich eine Gelegenheit, mit neuen Ansichten noch einmal anzufangen.“.
Nicht jeder ist ein „Stehaufmännchen“, so wie Henry Ford. Jeder Mensch hat seine ganz individuelle, einzigartige Persönlichkeit. Deshalb wäre es irreführend, mit Misserfolgen einfach so umgehen zu wollen wie ein Henry Ford. Mit einem Misserfolg sind schließlich Gefühle, wie beispielsweise Frustration, Enttäuschung und Verdrossenheit, verknüpft. Diese Gefühle lassen sich nicht einfach verdrängen.
Wie soll es nach einem Misserfolg weitergehen?
In der aktuellen Situation, nach einem Misserfolg, weiß man vielleicht nicht, wie es weitergehen soll. Erweist sich der Misserfolg im Nachhinein vielleicht lediglich als Umweg, auf dem man wertvolle Erkenntnisse gewinnen konnte? Oder ist gerade dieser Misserfolg der Auslöser für eine zielführende Idee? Oder ist der Misserfolg der letzte in der Reihe und es ist nicht mehr sinnvoll, noch etwas von seiner Kraft und Lebenszeit zu investieren? Man steht gerade, bildlich gesprochen, im Nebel. Die Zukunft ist noch verborgen.
Natürlich hat man selbst ein Gefühl dafür, ob es sich nach einem Misserfolg noch lohnt, das Ziel weiterhin zu verfolgen. Doch trügt das Gefühl vielleicht doch und es ist in Wirklichkeit Verbissenheit, weil man schon längst einen „Tunnelblick“ hat? Und man sieht noch Möglichkeiten, wo in Wirklichkeit keine mehr sind. Bedenken von Mitmenschen wischt man einfach hinweg.
Angenommen, man ist nach wie vor davon überzeugt, es schaffen zu können. Und andere Menschen, die das angestrebte Ziel ebenfalls kennen, bestärken einen. Dann braucht man Mut, gestützt auf die eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen, wieder weiterzumachen. Mut ist der entscheidende Faktor.
Erfolge werden publik gemacht – Misserfolge nicht
Wenn von Erfolgen zu lesen ist, steht naturgemäß der Erfolg im Mittelpunkt und die Misserfolge auf dem Weg zum Erfolg „fallen unter den Tisch“. Wieso sollte man auch über die Misserfolge berichten? Man hat schließlich nicht so viel Platz oder Sendezeit, um sie erwähnen zu können. So bleibt beispielsweise unerwähnt, dass der Olympiasieger bei vorhergehenden Wettkämpfen sich reihenweise mit vierten Plätzen begnügen musste und so oft nicht auf dem Siegertreppchen stand. In der Konsequenz geht unter, dass Misserfolge Teil des Lebens sind und ein Misserfolg nichts Fatales ist.
Ein Lebenslauf der Misserfolge
Johannes Haushofer veröffentlichte 2016, zu diesem Zeitpunkt Professor an der renommierten Princeton University, einen Lebenslauf der Misserfolge (CV of failures). Eine erste, schon 2011 verfasste Version seines Lebenslaufs der Misserfolge war dazu gedacht, eine Freundin aufzumuntern, deren Bewerbung für eine Professur erfolglos blieb.
In diesem Lebenslauf der Misserfolge findet sich eine Liste mit Stipendien und Professuren, die er nicht bekommen hatte, und Artikel, die von Fachzeitschriften abgelehnt wurden. Das Motiv für die Veröffentlichung war, andere zu ermutigen und ihnen zu helfen, mit Rückschlägen umzugehen.
Diesen Lebenslauf begann er so: „Das meiste, was ich versuche, gelingt mir nicht. Aber diese Rückschläge sind meistens unsichtbar, während meine Erfolge sichtbar sind. Ich habe wahrgenommen, dass dies anderen manchmal den Eindruck vermittelt, dass mir die meisten Dinge gelingen. Als Folge davon schreiben sie sich ihre eigenen Misserfolge eher selbst zu als der Tatsache, dass die Welt vom Zufall abhängig ist, Bewerbungen Glückssache sind, und Auswahlgremien und Gutachter schlechte Tage haben.“.
Reihenweise Ablehnungen von Buchmanuskripten
Auch Joanne K. Rowling, britische Schriftstellerin, die mit der Romanreihe Harry Potter um den gleichnamigen Zauberschüler berühmt wurde, erlebte viele Rückschläge in Form von Ablehnungen ihrer Manuskripte. Beispielsweise bekam sie für den ersten Harry-Potter-Band Absagen von rund einem Dutzend britischen Verlagen. Doch sie hatte Durchhaltevermögen. Auf Twitter schrieb sie: „Ich hätte nicht aufgegeben, bis mich jeder einzelne Verleger abgelehnt hätte. Aber ich hatte oft Angst, dass genau das geschehen könnte.“.
Joanne K. Rowling ist übrigens in bester Gesellschaft. Die Liste der Autoren von Weltbestsellern, die viele Ablehnungen ihrer Manuskripte hinnehmen mussten, ist lang. Spitzenreiter in der Kategorie „Ablehnungen“ dürfte Erich Maria Remarque sein, dessen Buch „Im Westen nichts Neues“ zum erfolgreichsten Buch der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde. Er erhielt 120 Absagen.
Kann ein Erfolg auch ein Misserfolg sein?
Ein fiktives Szenario: Angenommen, man hat sich zum Ziel gesetzt, es bis zur Position des Vorstandsvorsitzenden in einem Großunternehmen zu schaffen. Dieses materielle Ziel hat man schließlich unter vielen Mühen auch erreicht. Zweifellos wird man es als Erfolg verbuchen. Außerdem angenommen: man hat sich für sein Leben persönliches Glück zum immateriellen Ziel gesetzt.
Leider brachte der Aufstieg in die Spitzenposition es mit sich, dass es sehr einsam um einen herum geworden ist, was zwischenmenschliche Vertrautheit anbelangt. Um sich herum sieht man Menschen, die auch nach dieser Position streben und in ihrem Handeln nicht immer zimperlich sind. Sie „sägen am Stuhl“.
Davon abgesehen zollte das überaus intensive berufliche Engagement im Privatleben seinen Tribut. Die Ehe zerbrach und die Kinder leben jetzt bei der Ex-Frau.
Das materielle Ziel wurde erreicht, das immaterielle jedoch nicht. Einem Erfolg auf der einen Seite steht ein Misserfolg (Scheitern) auf der anderen Seite gegenüber. Betrachtet man den Erfolg „unter dem Strich“ immer noch als Erfolg oder wurde aus dem Erfolg in der Gesamtschau sogar eher ein Misserfolg?
Die Vogelperspektive einnehmen
Das Leben Sir Winston Churchills ist Geschichte. Biografische Daten lassen sich nicht mehr verändern. Sein ganzes Leben liegt mehr oder weniger überschaubar vor einem.
Wie bewertete er selbst sein Leben? Und wie bewertet der Leser seiner Lebensgeschichte sein Leben? Wie unterscheiden sich Bewertungen nach Nationalität des Lesers? Wie denkt ein typischer Brite über Churchills Leben, wie ein typischer Deutscher (als von der Politik Churchills Betroffener) oder beispielsweise ein typischer Schweizer (als von der Politik Churchills nur indirekt Betroffener)? Welche Bewertung ist maßgeblich?
Wer bewertet, was Erfolg und was Misserfolg ist? Und könnte ein Misserfolg nicht sogar den nächsten Erfolg begünstigen? Anders ausgedrückt: wäre es zum Erfolg gekommen, wenn nicht vorher ein Misserfolg gestanden hätte? Wäre der nächste Erfolg ohne den Mut, weiterzumachen, ausgeblieben?
Derlei Fragen lassen sich nicht fremdbeantworten, sondern nur aus der Perspektive desjenigen, um den es geht und der sein Leben lebt. Nur diese Perspektive ist maßgeblich. Joanne K. Rowling zog für sich persönlich folgendes Resümee: „Inzwischen weiß ich, dass all meine vergangenen Misserfolge und Frustrationen das Fundament für das Leben gelegt haben, das ich heute genieße.”.
Wenn Erfolg ist nichts Endgültiges ist, dann darf er nicht überbewertet werden. Wenn andererseits Misserfolg nichts Verheerendes ist, dann kann sich der Mut lohnen, weiterzumachen und für den nächsten Erfolg zu arbeiten.
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