„Mit dem Herzen zu denken, ist die rechte Art für die Menschen.“
Albert Schweitzer
Albert Schweitzer (1875-1965) war ein deutsch-französischer Arzt, Philosoph, evangelischer Theologe, Organist, Musikwissenschaftler und Pazifist. Schweitzer, der „Urwaldarzt“, gründete 1913 ein Krankenhaus in Lambaréné im zentralafrikanischen Gabun. Er veröffentlichte theologische und philosophische Schriften, Arbeiten zur Musik, insbesondere zu Johann Sebastian Bach, sowie autobiographische Schriften.
Das Herz – nicht nur ein Organ
Mit dem Herzen kann man natürlich nicht denken. Für das Denken ist das Gehirn zuständig. Das war selbstverständlich auch Albert Schweitzer klar, der schließlich Arzt war.
Albert Schweitzer spielt auf die metaphorische Bedeutung des Herzens als Sitz der Seele an. Aristoteles, der griechische Philosoph hielt das Herz für das Seelenorgan. Bis heute hat sich diese Sichtweise als Bildsprache erhalten.
Mit dem Herz als Metapher drücken wir Gefühle und Seelenregungen aus. Man kann beispielsweise sein Herz an jemand verlieren, man ist mit jemand ein Herz und eine Seele, man leidet an Herzschmerz, man schließt jemand ins Herz, etwas dringt durchs Herz – all dies sind Ausdrücke von Gefühlen und Seelenregungen, die man mit dem Herzen in Verbindung bringt.
Auch Eigenschaften der Persönlichkeit bringt man oft mit dem Herz in Beziehung. Man spricht beispielsweise davon, dass jemand ein weiches, ein hartes oder gar ein „böses“ Herz hat, dass jemand warmherzig oder kaltherzig ist, dass jemand herzensgütig oder herzlos ist, oder dass jemand ein großes Herz oder ein Herz aus Stein hat.
Wenn einem etwas am Herzen liegt, dann bedeutet dies, dass man nicht nur auf der sachlichen Ebene etwas erledigen oder gar abarbeiten möchte. Hinter dieser Redewendung verbirgt sich viel mehr. Sie drückt aus, dass man sich für etwas mit „Leib und Seele“ engagiert, dass man voll und ganz bei der Sache ist. Man muss nicht erst motiviert werden, man ist schon motiviert. Und man möchte die Sache zu einem Erfolg bringen, worin auch immer der Erfolg bestehen mag.
Natürlich mag es sein, dass etwas, was einem am Herzen liegt, fehlschlägt. Dann nimmt man es jedoch nicht einfach oder gleichgültig hin. Im Gegenteil: man leidet, denn die Sache hat einem etwas bedeutet. Und man empfindet es als schmerzlichen Verlust, dass man sich dieser Sache jetzt nicht mehr widmen kann.
Da ist beispielsweise der Fußballer der „für sein Leben gern“ auf dem Platz steht. Doch dann kommt eine Knieverletzung, die das Karriereende bedeutet. Oder da ist die Künstlerin, die mit Leidenschaft Miniaturen herstellt. Doch dann verletzt sie sich so schwer an einer Hand, dass sie die Pinzette nicht mehr greifen kann. Sie kann sich etwas, das ihr am Herzen liegt, nicht mehr widmen, denn mit der anderen Hand ist sie nicht so geschickt und kann die Geschicklichkeit auch nicht antrainieren. Es schmerzt!
Wenn es eine Person ist, die einem am Herzen liegt, dann ist einem diese Person nicht gleichgültig. Diese Person ist für einen kostbar und wertvoll. Man kümmert sich um diese Person und nimmt Anteil an ihrem Leben. Es besteht eine emotionale Beziehung und eine Verbundenheit, die sehr tief gehen kann. Wenn sich diese Person freut, dann freut man sich mit. Und wenn diese Person leidet, dann leidet man selbst mit.
Der Verlust einer Person, die einem am Herzen liegt, tut weh. Man trauert und braucht für diese Trauer einige Zeit. Man spürt, dass man etwas Einmaliges und Unersetzliches verloren hat.
Mit dem Herzen denken – wie geht das?
Wenn wir vom Herzen sprechen, so meinen wir, wie schon erwähnt, je nach Kontext das Herz als Organ („Blutpumpe“) oder das Herz als Raum bzw. Behälter für Gefühle und Kostbares. Mit dem Herzen denken kann sich jedoch nur auf einen Kontext beziehen: den Raum für Gefühle und Kostbares.
Der Begriff „mit dem Herzen denken“ wird grundsätzlich positiv verstanden. Dennoch kann man mit dem Herzen auch Böses denken. Wenn jemand ein „böses Herz“ hat, wird er nicht nur Gutes, sondern auch Böses in seinem Herzen bewegen. Es mag auch sein, dass sich das, was jemand über einen Anderen denkt, mit der Zeit verändert. Beispielsweise mag das positive Gefühl der Liebe, wenn die Liebe scheitert, in ein Gefühl des Hasses umschlagen (siehe auch „Der Hass ist die Liebe, an der man gescheitert ist“, Søren Kierkegaard). Beides wird mit dem Herzen gedacht.
An dieser Stelle soll das positiv gerichtete Denken mit dem Herzen im Mittelpunkt stehen. Schließlich hilft nur dieses positive Denken mit dem Herzen im sozialen Miteinander weiter.
Denken mit dem Herzen – was ist die Grundeinstellung?
Kann man ohne Empathie mit dem Herzen denken? Dies ist kaum vorstellbar. Wenn das Herz als Raum bzw. Behälter für Gefühle und Kostbares verstanden wird, lässt sich dieser Raum bzw. Behälter auch nur über Empathie erreichen.
Unter Empathie wird die Fähigkeit und Bereitschaft zum Einfühlen und Nachempfinden der Erlebnisse und Gefühle anderer Menschen verstanden. Empathie gilt als Voraussetzung für moralisches Handeln (siehe auch Stangl, W. (2021). Stichwort: ‚Empathie‘. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik). Und ohne Empathie kann man menschliche Beziehungen weder aufbauen noch aufrechterhalten.
Empathische Menschen können sich in die Lage eines Gegenübers versetzen und ihre Perspektive wechseln. Wenn man mit feinfühligem Eingehen die Beweggründe eines anderen Menschen erkennen kann, gelingt auch die Kommunikation besser. Und es gelingt auch besser, vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen.
Denken mit dem Herzen – geschieht es automatisch?
Empathie wird einem nicht in die Wiege gelegt. Manchen Menschen fällt es leichter, empathisch zu sein, manchen fällt es nicht so leicht. Prägungen der Kindheit und des bisherigen Lebenswegs spielen eine wichtige Rolle.
Wenn man bei sich ein Defizit an Empathie wahrnimmt, kann man, wenn man es möchte, seine Einstellungen ändern. Empathielosigkeit ist keine unveränderliche Eigenschaft. Empathie kann man lernen.
Denken mit dem Herzen – was ist dabei wichtig?
Wenn mit dem Herzen zu denken die richtige Art für den Menschen ist – weshalb gibt es dann dafür kaum eine Anleitung? Es wäre doch naheliegend, im Internet jede Menge Ratgeber und Anleitungen zu diesem Thema zu finden. Liegt das vielleicht daran, dass man mit dieser Art von denken eher nicht reich werden kann?
In der Tat ist mit dem Denken mit dem Herzen keine Perspektive für Reichtum und Wohlstand verknüpft. Dass es keine Schritt-für-Schritt-Anleitung gibt, ist jedoch vor allem darin begründet, dass das Denken mit dem Herzen keine Technik oder Methode ist. Es sind wohl drei Einstellungen und Verhaltensweisen, die das Denken mit dem Herzen ausmachen: präsent sein, Empathie leben und gut für sich selbst sorgen.
Präsent sein
Präsent sein bedeutet, ganz im Hier und Jetzt zu leben. Menschen, mit denen man kommuniziert haben den Eindruck, dass man mit seiner Aufmerksamkeit ganz bei ihnen ist. Sie nehmen wahr, dass man ihnen wirklich aufmerksam zuhört und nicht mit den Gedanken schon ganz woanders ist. Und sie nehmen auch wahr, dass man nicht dauernd mehr oder weniger verstohlen auf die Uhr schaut.
Wenn man präsent ist, bringt man anderen Wertschätzung entgegen. Man zeigt ihnen darüber hinaus, dass sie einem die Zeit wert sind, die man zusammen verbringt.
Empathie leben
Menschen, die Empathie leben, setzen sich für das soziale Miteinander ein. Bei Konflikten versuchen sie, Brücken zu bauen. Sie beteiligen sich nicht an Mobbing, Intrigen oder Ausgrenzung, denn sie können und wollen sich in die Perspektive Betroffener hineinversetzen.
Sie denken nicht in Kategorien von fein austarierter Leistung und Gegenleistung, denn für sie hat ein gutes soziales Miteinander einen hohen Wert. Lieber geben sie einmal mehr als zu nehmen. Und sie schielen in zwischenmenschlichen Beziehungen nicht ständig auf Vorteile und Nutzen.
Gut für sich selbst sorgen
Das Denken mit dem Herzen umfasst auch eine gute Selbstfürsorge, gewissermaßen Empathie sich selbst gegenüber. Wenn man gut für sich selbst sorgt, bringt man auch den Mut auf, sich abzugrenzen und „Nein“ zu sagen. Dadurch bringt man zum Ausdruck, dass man sich und die eigenen Bedürfnisse wertschätzt. Nicht nur andere Menschen verdienen Empathie, sondern auch man selbst.
Wenn man sich zu sehr auf die Gefühle anderer ausrichtet, kann es schwerfallen, etwas abzulehnen. Und es besteht die Gefahr, dass man sich anfällig für Manipulation macht. Es gibt schließlich Menschen, die Gefühle sehr gut vorspielen können, einen in Wirklichkeit jedoch ausnutzen oder gar ausbeuten wollen.
Die Sorge, jemanden mit einem „Nein“ zu enttäuschen, ist empathischen Menschen sehr vertraut. Wenn man sich jedoch nicht abgrenzen auch einmal etwas ablehnen kann, besteht die Gefahr, dass man sich selbst überlastet.
Das Denken mit dem Herzen schließt eine gesunde Sachlichkeit nicht aus. Sie kann sich beispielsweise in der Frage „Muss diese Aufgabe unbedingt noch heute erledigt werden?“ äußern, wenn man darüber nachdenkt, ob man auf eine Bitte hin Überstunden machen soll. Sachlichkeit hilft dabei, die eigenen Gedanken zu ordnen.
Mit dem Herzen denken – was hat man davon?
Die „rechte Art“ meint die „richtige Art“. Warum ist das „mit dem Herzen denken“ die richtige Art? Wenn es die richtige Art ist, muss auch ein wie auch immer gearteter „Nutzen“ damit verbunden sein.
Menschen, die mit dem Herzen denken, spalten nicht. Sie versuchen, Brücken zu bauen und zu vereinen. Und sie behandeln andere Menschen so, wie sie selbst behandelt werden möchten. Damit fördern sie empathische soziale Beziehungen und bereichern auf diese Weise nicht nur das Leben anderer Menschen, sondern auch ihr eigenes. Das Leben gewinnt an Tiefe.
Kann das Leben misslingen, wenn man mit dem Herzen denkt? Dies wird schwerlich möglich sein. Wenn man mit dem Herzen denkt, strahlt man etwas aus. Und das, was man ausstrahlt, wirkt auf andere Menschen anziehend. Andere Menschen fühlen sich wohl, wenn man in ihrer Gegenwart ist.
Wenn man mit dem Herzen denkt, kommt man dadurch sicherlich nicht zu materiellem Wohlstand. Aber man kommt mit absoluter Sicherheit zu „sozialem Wohlstand“. Man erlebt bereichernde und wertschätzende zwischenmenschliche Beziehungen, sei es in der Partnerschaft oder Ehe, in Freundschaften oder auch mit anderen Menschen, die einem wichtig sind.
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