Jedes Werden in der Natur, im Menschen, in der Liebe …Lesezeit: 10 Min.

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„Jedes Werden in der Natur, im Menschen, in der Liebe muss abwarten, geduldig sein, bis seine Zeit zum Blühen kommt.“

Dietrich Bonhoeffer
Jedes Werden in der Natur, D. Bonhoeffer - Gestaltung: privat
Gestaltung: privat

Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) war ein deutscher Theologe, profilierter Vertreter der Bekennenden Kirche, einer Oppositionsbewegung evangelischer Christen, und am Widerstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt.

Geduld – Können wir noch warten?

In der einen oder anderen Form kann man es oft lesen oder hören: Dem modernen Menschen fehlt es an Geduld. Man hat sich anscheinend daran gewöhnt, dass (fast) alles immer sofort verfügbar ist. Man bestellt im Internet und die Ware trifft schon am nächsten Tag ein. Oder man schreibt etwas, drückt auf „Senden“ (oder ähnlich) und schon können es alle Empfänger weltweit sehen, lesen und darauf reagieren. Die Aktion-Reaktion-Zyklen verkürzen sich immer mehr.

Bonhoeffer lebte in einer Zeit, in der Aktion-Reaktion-Zyklen noch wesentlich länger waren. Der schnelle Griff zum Telefon war nur sehr wenigen Menschen möglich. Die meisten Haushalte waren nicht an das Telefonnetz angeschlossen. Briefe waren das wichtigste Kommunikationsmittel. Und Briefe brauchten Zeit, einerseits zum Schreiben, andererseits auf dem Transportweg.

Zu Bonhoeffers Zeiten lebten in Deutschland sehr viel mehr Menschen von der Landwirtschaft als heute. Und viele Menschen bewirtschafteten einen kleinen Garten ums Haus und bauten Nutzpflanzen an. Den Menschen war bewusst, dass es eine Zeit des Aussäens bzw. des Pflanzens, eine Zeit des Wachsens und Reifens und eine Zeit der Ernte gibt.

In der Natur braucht Wachsen seine Zeit. Kein Landwirt wird an einem Tag säen und schon am nächsten Tag wieder auf sein Feld fahren, um nachzusehen, wie weit sich die Pflanzen schon entwickelt haben. Er muss Geduld haben und abwarten können, bis die pflanzenspezifische Zeit der Ernte gekommen ist.

Welches Wachstumsumfeld ist geeignet?

Nicht nur Geduld ist notwendig, um Pflanzen bis zum Blühen oder zur Ernte ausreifen zu lassen. Damit Pflanzen überhaupt zur Blüte und gegebenenfalls Fruchtbildung und ‑reife gelangen können, benötigen sie ein geeignetes, wachstumsförderndes Umfeld.

Ist kein geeignetes Wachstumsumfeld (Standort, Bodenbeschaffenheit usw.) gegeben, kann eine Pflanze nicht gut wachsen und gedeihen. So stellen beispielsweise Rhododendren und Heidelbeeren als Moorbeetpflanzen ganz bestimmte Ansprüche an die Bodenbeschaffenheit. Sie verlangen einen sauren Boden (d. h. mit tiefem pH­Wert zwischen 4 und etwa 5,5). Ist der pH-Wert zu hoch, kommt es zu Chlorosen, da Eisen nicht mehr aufgenommen werden kann. Als Folge verfärben sich die Blätter. In einem kalkhaltigen Boden werden sich Moorbeetpflanzen nicht gut entwickeln können.

Wenn eine Pflanze in einem geeigneten, wachstumsfördernden Umfeld gepflanzt wird, sind die grundlegenden Voraussetzungen für eine arttypisch gute Entwickelung geschaffen. Jetzt müssen noch die Ansprüche an die Bodenfeuchte erfüllt werden. Manche Pflanzen benötigen viel Feuchtigkeit für ihre Entwicklung, andere wiederum können länger anhaltenden Feuchtigkeitsmangel relativ gut verkraften

Sind alle für ein gesundes Gedeihen relevanten Anforderungen erfüllt, kann eine Pflanze ihr volles Potenzial entfalten. Dann ist nur noch Geduld notwendig, bis sie blüht.

Eine der Pflanzen, die besondere Geduld erfordert, ist die „Königin der Nacht“ (botanischer Name: Selenicereus grandiflorus). Nur einmal im Jahr öffnen sich in der Nacht die bis zu 30 cm großen Blüten dieser Pflanze. Weil sie durch nachtaktive Tiere (Fledermausarten) bestäubt wird, blüht sie nur nachts. Und das Blütenspektakel dauert auch nur kurze Zeit.

Die „Königin der Nacht“, die zur Familie der Kakteengewächse zählt, blüht nicht gleich im ersten Jahr. Sie muss mindestens fünf Jahre alt sein, bis sie zum ersten Mal Blüten trägt. Aber wenn sie dann Blüten trägt, kann man deren besondere Schönheit erleben.

Man kann im Vorhinein nicht genau abschätzen, wann die Pflanze blühen wird. Erst am Tag der Blüte ist etwa ab der Mittagszeit erkennbar, ob die rund 10 cm großen Knospen aufbrechen werden. Viele botanische Gärten bieten deshalb kurzfristig Sonderöffnungszeiten in den Abendstunden an, um das Blütenspektakel überhaupt erlebbar zu machen.

Wann „blüht“ ein Mensch?

Menschen sind natürlich nicht mit Pflanzen vergleichbar. Dennoch lohnt es sich, einen Augenblick über Analogien nachzudenken.

Auch Menschen benötigen ein gesundes, wachstumsförderndes Umfeld, um sich gut entwickeln zu können. Wie kann dieses gesunde, wachstumsfördernde Umfeld aussehen, damit Menschen ihre Potenziale ausschöpfen können?

Wann „blüht“ ein Mensch körperlich?

Aus biologischer Sicht benötigt der Mensch zum körperlichen Wachstum eine gesunde und ausgewogene Ernährung sowie ausreichend Flüssigkeit. Werden diese Anforderungen erfüllt, sind Mangelerscheinungen unwahrscheinlich. Der gesunden Entwicklung vom Baby zum Erwachsenen steht nichts im Weg.

Das Stadium des Erwachsenenalters ist aus biologischer Sicht im Alter von etwa 18 bis 20 Jahren erreicht. Die tiefgreifenden entwicklungsbedingten körperlichen Veränderungen des Jugendalters sind abgeschlossen. Wäre es berechtigt, zu behaupten, dass der Mensch jetzt „blüht“? Aus rein biologischer Sicht wäre zuzustimmen, denn die höchste körperliche Leistungsfähigkeit besitzt der Mensch im Allgemeinen in etwa zwischen dem 20. und 35. Lebensjahr. Danach lässt die körperliche Leistungsfähigkeit langsam wieder nach.

Wann „blüht“ ein Mensch geistig-seelisch?

Natürlich besteht der Mensch nicht nur aus dem Körper. Er macht auch eine geistig-seelische Entwicklung durch. Im Unterschied zur körperlichen Entwicklung ist die geistig-seelische Entwicklung niemals abgeschlossen. Selbst in hohem Alter kann man noch Neues lernen, neue Erfahrungen machen. Erkenntnisprozesse ziehen sich durch das ganze Leben.

Auch für das geistig-seelische Wachstum braucht der Mensch ein geeignetes, wachstumsförderndes Umfeld. Wie könnte dieses Wachstumsumfeld idealerweise beschaffen sein?

Welches Wachstumsumfeld ist günstig?

Zwischenmenschliche Beziehungen spielen im geistig-seelischen Wachstumsprozess eine überaus wichtige Rolle. Deshalb liegt es nahe, das Wachstumsumfeld so zu gestalten, dass man sich geistig-seelisch gut entwickeln kann. Während das Wachstumsumfeld bis zum Jugendalter im Wesentlichem von Eltern und Familie bestimmt ist, kann man es ab dem Jugendalter zunehmend selbst beeinflussen und gestalten. Man kann sich, bildlich gesprochen, immer wieder selbst in ein gutes Wachstumsumfeld umpflanzen.

Geistig-seelisches Wachstum gelingt am besten, wenn man Menschen um sich hat, die einen wertschätzen und denen man vertrauen kann. Damit ist jedoch nicht gemeint, „Ja-Sager“ um sich zu scharen, die einen stets bestätigen. Dies wäre eher ein Zeichen einer nachhinkenden geistig-seelischen Entwicklung. Menschen, die viel Bestätigung von außen, von anderen Menschen, benötigen, geben damit eher zu erkennen, dass sie ihr Selbst noch nicht so richtig gefunden haben.

Wenn man sich in sich selbst zurückzieht, fehlt das Korrektiv. Wie will man wissen, ob man sich in der richtigen Richtung entwickelt? In guten zwischenmenschlichen Beziehungen wird hingegen das Selbst herausgefordert. Es entwickelt sich im Konflikt und auch wenn die Bestätigung durch andere Menschen ausbleibt. Man lernt das eigene Verhalten und die eigenen Schwächen kennen und muss lernen, damit umzugehen. Angelerntes, aufgesetztes, unechtes, nicht wirklich verinnerlichtes, wird offenbar.

Die geistig-seelische Entwicklung führt im Optimalfall dazu, dass man sich selbst finden und sich mit allen seinen Stärken und Schwächen annehmen kann. Man muss nicht mehr vor etwas oder gar vor sich selbst fliehen, beispielsweise in Alkohol- oder Drogensucht.

Zitat des Tages

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Was sind Anzeichen der „Blüte“?

Jeder Mensch durchläuft während seines Lebens eine mehr oder weniger intensive geistig-seelische Entwicklung. Doch was sind die Anzeichen, die darauf hindeuten, dass die Zeit des „Blühens“ gekommen ist?

Eine Definition, was unter geistig-seelischem „Blühen“ verstanden werden kann, gibt es nicht. Somit ist es auch schwierig, Anzeichen dafür zu bestimmen. Bei aller Vorsicht, welche könnten es sein? Wie würde man sich einen geistig-seelisch „blühenden“ Menschen vorstellen? Drei Merkmale würden wohl sicher dazu zählen: Solche Menschen

  • haben ihr Selbst gefunden und erscheinen innerlich ausgeglichen,
  • strahlen menschliche Wärme aus,
  • haben Hochachtung vor ihren Mitmenschen und begegnen ihnen auf Augenhöhe.

Das geistig-seelische „Blühen“ ist kein einmaliges Ereignis. Es hält vielmehr über einen längeren Zeitraum an, idealerweise bis zum Lebensende. Man ist gewissermaßen „Dauerblüher“.

Warum braucht man Geduld?

Geistig-seelisches Wachstum geschieht normalerweise nicht über Nacht, im Sinne einer plötzlichen lebensverändernden Erkenntnis, die sogleich im realen Leben umgesetzt wird. Vielmehr ist das geistig-seelische Wachstum beim Menschen ein Entwicklungsprozess, der seine Zeit braucht und nie abgeschlossen ist.

Liegt es nicht nahe, alles zu versuchen, um möglichst schnell zum geistig-seelische „Blühen“ zu gelangen? Doch was geschähe, wenn man aus Ungeduld einfach versuchen würde, den Entwicklungsprozess, den Prozess des geistig-seelischen Werdens, abzukürzen? Dann würde man wohl unecht, würde etwas vorwegnehmen, was in Wirklichkeit noch nicht vorhanden und im Inneren verankert ist. Man wäre nicht authentisch.

Manchmal fehlt vielleicht die Geduld mit sich selbst. Aber Ungeduld gliche einem Landwirt, der am Halm zieht, um das Pflanzenwachstum zu beschleunigen. Es wäre schlichtweg dumm und würde darüber hinaus die Gefahr mit sich bringen, dass ein zartes Pflänzchen ausgerissen wird und nie zur Blüte gelangen kann. Ist dann Geduld mit sich selbst nicht doch der bessere Weg? Franz von Sales drückte es so aus: „Hab Geduld mit allen Dingen, vor allem aber mit dir selbst.

Wann „blüht“ die Liebe?

Nicht nur Pflanzen und Menschen brauchen ein geeignetes, wachstumsförderndes Umfeld, um sich gesund zu entwickeln und ihr Potenzial auszuschöpfen. Auch die Liebe braucht es, um zu wachsen und an Tiefe zu gewinnen. Dietrich Bonhoeffer hat die Nächstenliebe im Blick, die Liebe zu allen menschlichen Wesen. Nächstenliebe bindet sich nicht daran, ob Mitmenschen einen Zweck für einen erfüllen oder nicht. Sie setzt sich auch über Trennendes hinweg, beispielsweise über Unterschiede bei Herkunft oder Bildung.

Welches Wachstumsumfeld ist günstig?

Braucht die Liebe äußere Dinge, wie beispielsweise gesicherte finanzielle Verhältnisse, um sich gut entwickeln zu können? Wohl eher nicht. Dann wären es eher die eigenen Überzeugungen und Einstellungen, die das Wachstumsumfeld für die Liebe ausmachen.

Welche Überzeugungen und Einstellungen würde man als günstiges Wachstumsumfeld erachten? Wahrscheinlich bestünde Einigkeit darin, drei Merkmale als wesentlich anzusehen:

  • Hochachtung: die Bereitschaft, den Anderen zu achten. Charles de Foucauld drückte es so aus: „Die gegenseitige Hochachtung ist die Mutter der Liebe und befähigt, einander zu lieben.“;
  • Annahme: die Bereitschaft, den Anderen mit allen seinen Stärken und Schwächen anzunehmen;
  • Vergebung: die Bereitschaft, das Trennende der Schuld zu beseitigen. Dietrich Bonhoeffer formulierte es so: „Vergeben und Verzeihen kennt keine Zahl noch ein Ende. Vergebung ist ohne Anfang und ohne Ende. Sie geschieht täglich unaufhörlich, denn sie kommt von Gott.“.

Gutes und Sinnvolles tun – ganz praktisch

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Was sind Anzeichen der „Blüte“?

In seinem Buch „Die Kunst des Liebens“ bezeichnet der Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe Erich Fromm die Nächstenliebe als Liebe zwischen Gleichen. Er schreibt: „Die Nächstenliebe gründet sich auf die Erfahrung, dass wir alle eins sind. Die Unterschiede von Begabung, Intelligenz und Wissen sind nebensächlich im Vergleich zur Identität des menschlichen Kerns, der uns allen gemeinsam ist. […] Wenn ich bei einem anderen Menschen hauptsächlich das Äußere sehe, dann nehme ich nur die Unterschiede wahr, das, was uns trennt; dringe ich aber bis zum Kern vor, so nehme ich unsere Identität wahr, ich merke dann, dass wir Brüder sind.“. Wäre dann nicht das Vorgedrungensein zum Kern ein Anzeichen der „Blüte“?

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Ich bin Dieter Jenz, Begleiter, Berater und Coach mit Leidenschaft. Über viele Jahre hinweg habe ich einen reichen Schatz an Kompetenz und Erfahrung erworben. Meine Themen sind die "4L": Lebensaufgabe, Lebensplanung, Lebensnavigation und Lebensqualität.