„Niemand kann mich ohne meine Erlaubnis verletzen.“
Mahatma Gandhi
Mohandas Karamchand Gandhi, genannt Mahatma Gandhi, (1869-1949) war ein indischer Rechtsanwalt, Publizist, Morallehrer, Asket und Pazifist. Er wurde zum geistigen und politischen Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung.
Sein Gerechtigkeitssinn erwachte während seines Aufenthalts in Südafrika. Die dort lebenden Inder wurden wegen ihrer dunklen Haut als Menschen zweiter Klasse behandelt. Nach seiner Rückkehr nach Indien (1915) setzte er sich für die Unabhängigkeit seines Landes ein. Als Pazifist beschränkte er sich auf den Kampf mit friedlichen Mitteln.
Seelisch verletzt werden – der Stachel kann tief sitzen
Mahatma Gandhi machte selbst viele leidvolle Erfahrungen mit seelischen Verletzungen, die ihm von Mitmenschen zugefügt wurden. Er erlebte, was es bedeutet, diskriminiert zu werden.
Nach dem im Jahr 1891 in London erfolgreich bestandenem juristischem Examen war ihm die Tätigkeit als Rechtsanwalt überall dort möglich, wo das britische Recht galt. Gandhi kehrte nach Indien zurück und eröffnete in seinem Heimatland eine Anwaltskanzlei. Allerdings hatte der junge Familienvater beruflich wenig Erfolg und war außerdem durch seine Schüchternheit gehemmt.
Unliebsame Erfahrung im Zug
1893 schickte ihn seine Familie nach Südafrika, um im Rechtsstreit eines Familienfreundes zu unterstützen. Er schien dafür die geeignete Person zu sein. Auf der Zugfahrt von der Hafenstadt Durban nach Pretoria machte Gandhi eine demütigende Erfahrung, die ihn nachhaltig prägte.
In der damaligen Kapkolonie, der von Großbritannien innere Autonomie gewährt wurde, herrschte eine strenge Rassentrennung. Als ein weißer Fahrgast das 1. Klasse-Zugabteil betrat, in dem Gandhi saß, verließ er es umgehend wieder und kam mit drei Schaffnern zurück. Als „Farbiger“ wurde er aufgefordert, in den Gepäckwagen umzusteigen. Gandhi weigerte sich, wie Gepäck und nicht als Mensch behandelt zu werden, und wurde daraufhin an der Station Pietermaritzburg aus dem Zug geworfen.
Seine Weiterreise nach Pretoria führte ihn von Pietermaritzburg über Johannesburg. Von Pietermaritzburg aus blieb nur die Fahrt mit der Postkutsche. Doch auch hier erlebte er Diskriminierung. Er wurde aufgefordert, sich auf dem Kutschbock auf den Boden zu setzen. Dies lehnte er ab.
Mahatma Gandhi machte die Erfahrung seelischer Verletzung aufgrund seiner Hautfarbe. Auch seine Abstammung aus der gesellschaftlichen Oberschicht Indiens änderte nichts daran, als Mensch zweiter Klasse angesehen zu werden.
Eine Dynamik entsteht
In Gandhi selbst veränderte sich etwas. Die Wut über seine Herabwürdigung trug dazu bei, dass er seine Schüchternheit überwinden konnte. Und er entschied sich, sich für die Rechte der kleinen indischen Bevölkerungsgruppe in Südafrika zu engagieren. Schon eine Woche nach seiner Ankunft wurde er in Pretoria hinsichtlich der Gründung einer indischen Interessenvertretung initiativ. Eine von ihm einberufene Versammlung der dort lebenden Inder stimmte seiner Initiative begeistert zu.
Als Gandhi erfuhr, dass die Kolonialregierung plante, den Indern das Wahlrecht zu entziehen, beschloss er kurzfristig, in Südafrika zu bleiben. Mit Unterstützung von 500 weiteren Indern reichte er eine Petition gegen die Gesetzesvorlage ein. Allerdings blieb die Petition erfolglos und das Gesetz wurde verabschiedet.
Gandhis weiterer Weg führte ihn zum gewaltlosen politischen Widerstand in seiner indischen Heimat. Er wurde zum geistigen und politischen Anführer der Unabhängigkeitsbewegung für ein freies Indien. Im August 1947 endete schließlich die britische Kolonialherrschaft über Indien.
Verletzung mit Erlaubnis?
Carola (Name geändert) fühlt sich von ihrem Partner immer wieder herabgewürdigt, auch in Gesellschaft anderer Menschen. Er spricht manchmal abfällig über sie. Verständlicherweise ist sie dann zutiefst verletzt. Ihr Partner überschreitet eine Grenze, die ihm durchaus bewusst ist. Carola hatte ihm schon ganz am Anfang ihrer Beziehung zu verstehen gegeben, dass sie sich eine Beziehung auf Augenhöhe wünscht.
Wie soll sie mit solchen Situationen, die sich immer mal wiederholen, umgehen? Sie liebt ihren Partner. Sie erleben gemeinsam schöne Zeiten und haben auch kleinere Beziehungskrisen bewältigt.
Die Frage stellt sich natürlich: Weshalb stimmt Carola unausgesprochen immer wieder zu, sich verletzen zu lassen? Ist es ein falsches Verständnis von Liebe? Denkt Carola, überspitzt ausgedrückt, dass zur Liebe gehört, sich alles gefallen zu lassen? Nimmt sie damit hin, dass ihre Selbstachtung auf der Strecke bleibt? Oder hat sie Angst, ihren Partner zu verlieren? „Es ist trotzdem immer noch besser, ihn zu haben, als alleine zu sein“ – ist es das, was sie denkt? Oder fühlt sie sich durch die Beziehung aufgewertet und nimmt deshalb sein Verhalten in Kauf? „Durch ihn gelte ich etwas, werde anerkannt“, so oder ähnlich mag sie vielleicht denken. „Ohne ihn bin ich nichts wert“, steht dann allerdings auf der anderen Seite der Medaille.
Wenn Carola das Verhalten ihres Partners stillschweigend hinnimmt, sind weitere Verletzungen vorprogrammiert. Und sie gibt ihm damit die Erlaubnis, sie weiterhin zu verletzen. Wenn sie sich alles gefallen lässt, bestärkt sie sogar noch sein Verhalten. Aber diese Erlaubnis will sie ihm jetzt entziehen.
Was sagt herabwürdigendes Verhalten über den Verletzenden aus?
Weshalb verletzen manche Menschen bewusst? Die Gründe dafür zeigen sich im Persönlichkeitsbild des Verletzenden.
Der Verletzende mag selbst unter Minderwertigkeitsgefühlen leiden, die sich oft auch durch Überempfindlichkeit äußern. Deren tiefere Ursache liegt im Allgemeinen in schwach ausgeprägter Selbstwertschätzung. Durch sein herabwürdigendes Verhalten gegenüber vordergründig Schwächeren fühlt sich der Verletzende mächtiger, überlegen und „besser“.
Ein weiterer Grund kann in mangelndem Konfliktbewältigungsvermögen liegen. Der Verletzende erfährt in Konflikten selbst Kränkungen, vielleicht auch Demütigungen, und gibt diese gewissermaßen in etwas anderer Form weiter. Erlebte Frustration, Ärger, Zorn, Wut, Enttäuschung usw. suchen sich ein Ventil. Ein Schwächerer wird gesucht, an dem diese Emotionen abgeleitet werden können.
Schließlich kann die Herabwürdigung anderer Menschen auch das Verlangen reflektieren, Schuld von sich abzuwälzen. Das eigene Unvermögen und die Unfähigkeit oder der Unwille, Verantwortung zu übernehmen, werden auf andere projiziert. Ein Schuldiger wird gesucht, um sich selbst zu entlasten.
Der bewusst und wiederholt Verletzende zeichnet sich keineswegs durch einen starken Charakter aus. Im Gegenteil: absichtliches und wiederholtes Verletzen ist klares Zeichen einer Charakterschwäche.
Seelische Verletzungen – unvermeidliches Schicksal?
Jeder Mensch ist immer wieder seelischen Verletzungen ausgesetzt, ob diese nun bewusst oder unbewusst geschehen. Man wird gekränkt oder sogar gedemütigt.
Unter einer Kränkung wird eine seelische Verletzung des Menschen verstanden. Sie kann sich in einer Verletzung der Ehre, der Würde und der Gefühle ausdrücken. Das Selbstwertgefühl und das Gerechtigkeitsempfinden werden angegriffen. Eine Demütigung ist die massivste Ausprägung einer Kränkung, eine totale Erniedrigung.
Kränkungen zeigen sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Einige Beispiele sind: Beleidigung, bloßstellen vor anderen, vorenthalten von Anerkennung, Nichtbeachtung, Zurückweisung und Liebesentzug. Wohl jeder hat schon Kränkungen dieser Art in seinem Leben erfahren.
Seine Mitmenschen kann man nicht ändern. Zwangsläufig wird man immer wieder im Leben Menschen begegnen, die ihre Mitmenschen bewusst und wiederholt kränken oder sie vielleicht sogar demütigen. Aber man muss nicht Opfer sein oder bleiben. Die Frage ist dann: wie geht man mit Kränkungen und Demütigungen um?
Die Erlaubnis für seelische Verletzungen verweigern – aber wie?
Carola möchte sich von ihrem Partner nicht mehr herabwürdigen lassen. Dadurch entsteht unmittelbar ein Konflikt in der Beziehung. Ihr Partner müsste sein Verhalten ändern, aber darauf hat Carola keinen Einfluss. Ihr Partner kann sich nur selbst ändern. Und er wird sich nur dann selbst ändern, wenn er es wirklich möchte.
In Konflikten wird man selbst, das eigene Selbst, herausgefordert. In dieser Herausforderung kann man sich entwickeln und wachsen. Wo und wie könnte Carola ansetzen?
Sich selbst wertschätzen
Bei Carola liegt ein Schlüssel zu ihrem bisherigen erduldenden Verhalten in ihrer mangelnden Selbstwertschätzung. Sie schätzte sich selbst nicht wirklich wert, sondern machte ihren „Wert“ in hohem Maß von der Meinung und Einschätzung anderer Menschen abhängig. So konnte sich in ihrer Partnerschaft auch nie eine Beziehung auf Augenhöhe entwickeln.
In dem Maß, in dem Carola sich selbst wertschätzen lernt, den Blick auf sich selbst richtet und sich ihrer Würde zutiefst bewusstwird, verändert sich auch die Beziehung. Sie wird sich in relativ kurzer Zeit hin zu einer Beziehung auf Augenhöhe entwickeln. Allerdings kann es auch zur Trennung kommen, wenn ihr Partner Carola unausgesprochen dazu benutzte, ein Dominanzgefühl zu befriedigen, und wenn er sich nicht ändert. Dann wird Carola über kurz oder lang nicht mehr bereit sein, die Unwucht in der Beziehung zu tolerieren.
Wenn Carola sich selbst wertschätzt, ist es tatsächlich so: weder ihr Partner noch sonst irgendeine andere Person können sie ohne ihre Erlaubnis verletzen. Sie kann nicht nur ihre Grenzen setzen, sondern auch ihre Grenzen schützen.
Eigene Bedürfnisse ernstnehmen
Mit einer gesunden Selbstwertschätzung als Unterbau fällt es Carola leichter, ihre Bedürfnisse zu erkennen und zu formulieren. „Ich möchte geachtet werden“, „Ich möchte mit Respekt behandelt werden“, „Ich möchte ernstgenommen werden“, so mögen beispielhaft einige ihrer Bedürfnisse lauten.
Die Frage, ob Bedürfnisse erfüllbar sind, stellt sich allerdings auch. Wenn Carola beispielsweise das Bedürfnis hätte, von ihrem Partner glücklich gemacht zu werden, und von ihm folglich erwartet, sie glücklich zu machen, wäre dieses Bedürfnis nicht erfüllbar. Ihr Partner ist selbst wohl nicht glücklich. Wie sollte er dann Carola glücklich machen?
Man muss zuerst selbst glücklich sein, um andere glücklich machen zu können. Ludwig Feuerbach, Philosoph und Anthropologe, drückte es so aus: „Deine erste Pflicht ist es, dich selbst glücklich zu machen. Bist du glücklich, so machst du auch andere glücklich.“. Und der Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim stellt die Bedingung in den Vordergrund: „Nur wer glücklich ist, kann glücklich machen. Wer’s tut, vermehrt sein eignes Glück.“.
Wenn Carola sich über ihre Bedürfnisse im Klaren ist, muss sie auch den nächsten Schritt gehen und ihre Bedürfnisse ernstnehmen. Wenn sie selbst ihre Bedürfnisse nicht ernstnimmt und bereit ist, für sie einzustehen, wieso sollte es ihr Partner tun? Der Psychologe Marshall B. Rosenberg formulierte es so: „Wenn wir unsere Bedürfnisse nicht ernst nehmen, tun es andere auch nicht.“.
Grenzen setzen
Die eigenen Bedürfnisse ernstnehmen hat zur Folge, dass Abgrenzung erfolgen muss. Eine Unterscheidung zwischen „Bedürfnisse werden ernstgenommen“ und „Bedürfnisse werden nicht ernstgenommen“ muss möglich sein. Also muss Carola Grenzen setzen und auch darauf achten, dass sie eingehalten werden.
Carola könnte das nächste Mal, wenn sie sich wieder verletzt fühlt, mit einem „Stopp!“ intervenieren. Dann könnte eine Ich-Botschaft folgen: „Auah, das, was du gerade gesagt hast, hat mir weh getan!“. Und sie könnte die Frage anschließen: „Warum hast du das gerade so gesagt?“. Im weiteren Verlauf des Gesprächs kann sie ihre Grenzen setzen: „Ich möchte nicht, dass du so mit mir/über mich sprichst!“.
Wenn Carola auf diese Weise darauf achtet, dass ihre Grenzen nicht verletzt werden, hat jede Grenzüberschreitung etwas mit Erlaubnis zu tun. Sie ist Herrin ihrer Grenzen.
Anmerkung: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde im Text die männliche Form gewählt. Dies ist nicht geschlechtsspezifisch gemeint.
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