„Man muss sich durch die kleinen Gedanken, die einen ärgern, immer wieder hindurch finden zu den großen Gedanken, die einen stärken.“
Dietrich Bonhoeffer
Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) war ein deutscher Theologe, profilierter Vertreter der Bekennenden Kirche, einer Oppositionsbewegung evangelischer Christen, und am Widerstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt.
Von den kleinen Gedanken zu den großen Gedanken
„Schon wieder hat der Briefträger die Post des Nachbarn bei mir eingeworfen“, „Der Maier begreift es einfach nicht, dass Kunststoff nicht in die Abfallpapiertonne gehört“, „Schon wieder haben sie die Gebühren erhöht“, solche oder ähnliche Gedanken schießen uns immer wieder in den Kopf – und sie ärgern und beschäftigen uns.
Im Grunde genommen sind es nur „kleine“ Gedanken, gemessen an den Gedanken, mit denen wir unserem Leben Richtung geben. Aber in der Tat beschäftigen uns diese „kleinen“ Gedanken und halten uns auf Trab. Doch bringen einen die „kleinen“ Gedanken wirklich vorwärts? Gedanken, die einen ärgern, sind eher destruktiv. Sie stärken einen nicht.
Durchaus viele dieser Gedanken, die einen ärgern, sind in Wirklichkeit verschwendete Zeit und Energie. Wenn beispielsweise Gebühren oder Steuern erhöht werden, kann man sich trefflich darüber ärgern. Aber man kann nichts daran ändern, dass man zahlen muss (es sei denn, man kann berechtigten Einspruch erheben).
Öfter als einem lieb ist bleibt man an diesen „kleinen“ Gedanken hängen. Sie beschäftigen einen viel zu lange, obwohl sie eine destruktive Wirkung haben und Zeit und Energie kosten. Aber wie kann man zu den „großen“ Gedanken hindurchfinden?
Ohne ein bewusstes „Stopp!“ geht es meistens nicht. Man muss dem Gedankenkarussell willentlich Einhalt gebieten und sich von den „kleinen“ Gedanken bewusst lösen.
Welche großen Gedanken stärken?
Wenn man Leben und Werk Dietrich Bonhoeffers kurz überblickt, fallen einige Themen auf, die man den „großen“ Gedanken zurechnen kann. Insbesondere Dankbarkeit, die Beziehung zu Gott und Liebe sind Themen, die mit großen Gedanken verknüpft sind. Und sicherlich stärkten ihn diese großen Gedanken, nicht zuletzt auch während seiner rund zweijährigen Haftzeit von April 1943 bis April 1945 (Bonhoeffer wurde am 9. April 1945, kurz vor Kriegsende, im Konzentrationslager Flossenbürg hingerichtet).
Die großen Gedanken durchziehen ein Leben. Sie treten immer wieder hervor, je nach Lebenssituation zeitweise eher öfter oder eher seltener. Je nachdem, wie man sich mit ihnen auseinandersetzt, können sie Unruhe auslösen oder auch stärken. Wenn man sie mit einer negativen Grundhaltung angeht, braucht man sich nicht zu wundern, wenn sie einen unruhig machen. Eine positive Grundhaltung weckt die zuversichtliche Erwartung, dass die Gedanken stärken, und dass man Herausforderungen und Probleme meistern kann.
Welche großen Gedanken bewegen heute? Sind es völlig andere große Gedanken als zu Bonhoeffers Zeiten? Wahrscheinlich eher nicht. Die Zeiten haben sich geändert, die wichtigen Themen und Fragestellungen im Leben jedoch nicht.
Welche großen Gedanken sind es, die heute stärken können? Diese Frage lässt sich natürlich nur individuell beantworten. Einige allgemeine Gedankenanstöße gibt es dennoch. Die folgenden beispielhaften Gedankenimpulse sind bewusst positiv und in der Ich-Form formuliert.
Ich bin gewollt und werde geliebt
„Ich bin nicht zufällig auf der Welt, denn ich bin gewollt und werde geliebt“. Leider können diesen Satz nicht alle Menschen ohne eine gewisse Beklemmung sagen. Manche Menschen haben das Empfinden, dass sie von ihren leiblichen Eltern nicht gewollt wurden und auch nicht geliebt werden. Wiederum andere Menschen wissen, dass sie gewollt sind, und spüren zutiefst, dass sie geliebt werden. Und dieser Gedanke stärkt. Er stärkt auch noch lange nachdem die leiblichen Eltern verstorben sind.
Auch in einer spirituellen Dimension gewinnt der Gedanke Gestalt, gewollt und geliebt zu sein. In den biblischen Schriften wird erkennbar, dass jeder Mensch von Gott gewollt ist und bedingungslos geliebt wird. Für Gott ist es völlig unbedeutend, woher ein Mensch kommt, welches Geschlecht er hat oder was er besitzt. Sehr wahrscheinlich hat dieser Gedanke auch Dietrich Bonhoeffer gestärkt. Wenn man sich von einer höheren Instanz, Gott, geliebt weiß, fällt es auch leichter, ungerechtfertigte Abneigung und Ablehnung seitens der Mitmenschen zu ertragen.
Ich darf meinem Leben einen Sinn geben
Ich darf im Rahmen meiner Möglichkeiten Gestalter meines Lebens sein. Ich darf darüber nachdenken, welchen Sinn ich meinem Leben geben möchte. Der Lebenssinn kann mit meiner Berufung und Lebensaufgabe, so ich mir denn eine vorgenommen habe, verknüpft sein. Auf diese Weise verleihe ich meinem Leben Orientierung und Struktur.
Wie kann ich meinem Lebenssinn näherkommen? Einige Fragen können dabei helfen, so beispielsweise: „Was gibt mir in meinem Leben Kraft?“, „Was begeistert mich?“, „Was gibt mir Kraft und Energie, auch eine schwierige Zeit durchzustehen?“.
Der Lebenssinn wirkt als Rückgrat im Leben, in den schwierigeren Zeiten, aber auch in Zeiten, die ohne besondere Höhepunkte sind. Wenn ich beispielsweise Arzt bin, kann ich mir bei allem aufreibenden „Klein-Klein“ im täglichen Praxisbetrieb sagen: „Ich trage mit meinem ganzen Sein dazu bei, dass Menschen wieder gesund werden, und das erfüllt mich“. Dieser Gedanke, meiner Berufung zu folgen, stärkt mich.
Ich darf von dem, was ich an Ressourcen habe, etwas geben
Ich habe Begabungen, Fähigkeiten, Kompetenzen – kurzum: ich habe Ressourcen. Von diesen meinen Ressourcen, für die ich dankbar sein darf, kann ich etwas geben. Ich kann und darf meine Ressourcen einsetzen, wie es mir richtig erscheint. Und weil ich etwas geben kann, bin ich wertvoll.
Manche Menschen werten sich selbst ab, weil sie nicht so sind, wie sie es sich wünschen oder gar von sich selbst einfordern. Sie würden gerne anders sein, sich anders verhalten, aber sie schaffen es nicht. Vielleicht schaffen sie es nicht, mit dem Trinken aufzuhören. Vielleicht schaffen sie es nicht, irgendeine andere Schwäche oder gar Sucht in den Griff zu bekommen. Oder vielleicht können sie sich mit ihrem Körper nicht annehmen. Gerechtfertigte oder auch vermeintliche Gründe für eine Selbstabwertung gibt es viele.
Hilft es wirklich weiter, sich selbst abzuwerten und immer wieder daran zu denken, was man alles nicht kann oder hat? Oder ist es nicht sehr viel hilfreicher, sich mit dem Gedanken „Ich habe etwas, das ich geben kann, und deshalb bin ich wertvoll“ zu stärken?
Ist es nicht oft auch eine Frage der Sichtweise auf sich selbst? Ein Glas kann halb leer oder halb voll sein. Aber wenn man auf das halb volle Glas schaut, blickt man auf das Positive. Im übertragenen Sinn ist man ein und dieselbe Person, aber man betrachtet sich anders. Man wertet sich selbst auf.
Ich darf Prioritäten setzen
Manchmal wird das Leben als in feste Bahnen gepresst empfunden. Ich muss mit meiner Arbeitsstelle oder als Selbstständiger Einkommen erwirtschaften, um die regelmäßigen wie unregelmäßigen Ausgaben bestreiten zu können.
Bei alledem habe ich die Möglichkeit, in meinem Leben Prioritäten zu setzen. Möchte ich ein möglichst hohes Einkommen erzielen und deshalb viel Zeit für das Erwirtschaften von Einkommen investieren? Oder möchte ich weniger Wert auf einen bestimmten Lebensstandard legen und dafür mehr Zeit in Aktivitäten investieren, die nicht einkommensrelevant sind? Vielleicht möchte ich auch viel Wert auf Beziehungen legen und der Beziehungspflege Zeit widmen.
Ich kann und darf Prioritäten für mein Leben setzen. Auch dieser Gedanke kann stärken. Er hilft auch dabei, sich abzugrenzen, wenn andere Menschen Einfluss auf meine Lebensgestaltung nehmen wollen.
Ich darf Lebensspuren hinterlassen
Ich darf mit meinem Leben Spuren hinterlassen. Diese Spuren können ganz unterschiedlich sein und ich kann darüber entscheiden, wo und wie ich im Rahmen meiner Möglichkeiten welche Spuren hinterlassen möchte.
Vielleicht möchte ich, dass nachfolgende Generationen etwas über mich in den Geschichtsbüchern lesen. Ich möchte ein Wissenschaftler, ein Politiker, ein Unternehmenslenker oder sonst eine Persönlichkeit sein und Spuren hinterlassen, die der Nachwelt in Erinnerung bleiben. Vielleicht möchte ich mich weniger einer Sache oder Aufgabe widmen und lieber Spuren in den Herzen der Mitmenschen hinterlassen. Wie auch immer: Ich darf entscheiden, welche Lebensspuren ich wo hinterlassen möchte. Der Gedanke, dass ich Lebensspuren hinterlassen kann, wirkt stärkend.
Wenn einem nichts einfällt?
Wenn man im Moment gar nichts sehen kann, woran sich die großen Gedanken stärkend orientieren können, dann könnte man dies als Impuls werten. Als Impuls, für sich einen Lebenssinn zu finden, und daran ausgerichtet, vielleicht eine Lebensaufgabe. Das macht widerstandsfähiger in den kleinen und großen Krisenzeiten des Lebens. Außerdem wird es leichter, Prioritäten zu setzen und sich abzugrenzen, wenn andere Menschen einen für ihre Interessen vereinnahmen, „vor ihren Karren spannen“ wollen.
Die großen Gedanken stärken tatsächlich! Aber wenn man das Empfinden hat, dass man noch lange nicht da angelangt ist, wo man sein möchte? Steht man vor einem Schwarz-Weiß-Bild, einem Entweder-ganz-oder-gar-nicht? Gibt es keine Zwischentöne oder stärken die Gedanken auch dann, wenn man sich noch ziemlich am Anfang des Wegs sieht?
Die kurze Antwort: Ja, die Gedanken stärken immer noch. Aus einem „nicht“ wird ein „noch nicht“. Die Leben wird schließlich nicht mehr in einer Kurzfrist-, sondern mehr in einer Langfristperspektive betrachtet. „Ich habe … noch nicht erreicht, aber der Einsatz lohnt sich, und ich bin auf Kurs“, könnte so ein stärkender Gedanke sein.
Bewusst umschalten, den „Schalter umlegen“
Im aufreibenden Alltags-Allerlei werden immer wieder Gedanken ausgelöst, die einen ärgern, manchmal sogar sprichwörtlich „bis aufs Blut“ ärgern. Vielleicht sind es Menschen, vielleicht sind es Ereignisse oder Situationen, die den Ärger auslösen. Doch wenn man sich dem Ärger hingibt, löst man dadurch noch kein einziges Problem.
Wäre es dann nicht hilfreich, sich innerlich selbst ein „Stopp!“ zuzurufen, um den „Schalter umzulegen“? Auch dadurch wird noch kein Problem gelöst. Aber wenn man sich seinen großen Gedanken zuwendet, die einen stärken, ändert man seine Sichtweise. Kleine(re) Probleme bekommen wieder ihre angemessene Größe zurück und man bringt sich selbst wieder auf Kurs.
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