„Dankbarkeit macht das Leben erst reich.“
Dietrich Bonhoeffer
Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) war ein deutscher Theologe, profilierter Vertreter der Bekennenden Kirche, einer Oppositionsbewegung evangelischer Christen, und am Widerstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt.
Dankbarkeit im Gefängnis?
Dietrich Bonhoeffer wurde am 5. April 1943 wegen „Wehrkraftzersetzung“ verhaftet und blieb bis zu seiner Hinrichtung am 9. April 1945 ein Gefangener. Dieses Zitat wurde in dem Buch „Widerstand und Ergebung“ (Band 8) festgehalten. Das Buch enthält Briefe und Aufzeichnungen Dietrich Bonhoeffers aus seinen beiden letzten Lebensjahren.
Kann man im Gefängnis überhaupt dankbar sein und, falls ja, wofür? Schließlich waren Dietrich Bonhoeffers Lebensumstände in Gefängnissen und später in den Konzentrationslagern mit Recht als schwierig zu bezeichnen.
Nach seiner Einlieferung in das Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Berlin-Tegel musste er zunächst in einer Isolierzelle leben. Niemand durfte ohne besondere Genehmigung zu ihm, der Freigang blieb ihm verwehrt, ebenso der Schriftverkehr mit der Außenwelt. Er durfte lediglich Essen empfangen und den Kübel herausstellen. Darüber hinaus litt er, wie auch die anderen Gefangenen, unter der ungerechten Behandlung der Untersuchungshäftlinge durch das Wachpersonal.
Später wurde er dann in eine Einzelzelle verlegt. Der Gefängnisleitung wurden Bonhoeffers verwandtschaftliche Verhältnisse – er war Neffe des Stadtkommandanten – bekannt. Für Dietrich Bonhoeffer bedeutete dies, dass er nicht mehr wie jeder andere Mithäftling behandelt wurde. Vielmehr genoss er eine bevorzugte, privilegierte Behandlung durch das Wachpersonal und die Gefängnisleitung.
Dietrich Bonhoeffer lernte nicht nur Unmenschlichkeit des Wachpersonals kennen, sondern auch die Menschlichkeit mancher Bewacher. Manche von ihnen gingen durchaus sachlich und, wenn möglich, freundlich mit den Häftlingen um.
Im Gefängnis in Berlin-Tegel gelang es Bonhoeffer, mit manchen Bewachern ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Er gewann an Einfluss und Beliebtheit und konnte seine Kontakte dazu nutzen, zur Verbesserung der Zustände für die Mithäftlinge und auch das Wachpersonal beizutragen.
Verankert in der Beziehung zu Gott
Als evangelischer Theologe kannte Dietrich Bonhoeffer natürlich die Texte des Alten und des Neuen Testaments, die von Dankbarkeit sprechen. Beispiele dafür sind: „Was immer auch geschieht, seid dankbar, denn das ist Gottes Wille für euch, die ihr Christus Jesus gehört.“ (Neues Testament, 1. Thessalonicher 5,18) und „Und dankt Gott, dem Vater, zu jeder Zeit für alles im Namen unseres Herrn Jesus Christus.“ (Neues Testament, Epheser 5,20).
In der Bibel, auf welcher der christliche Glaube gründet, ist Dankbarkeit eine Folge der Erkenntnis, dass Gott als Schöpfer das Leben geschenkt hat. Des Weiteren besteht ein Grund zur Dankbarkeit darin, dass Jesus Christus als Erlöser Versöhnung mit Gott und den Zugang zu Gottes Welt wieder möglich gemacht hat. Schließlich ist Dankbarkeit auch darin begründet, dass Jesus Christus durch diese Erlösung ewiges Leben schenkt.
Der Christ kann sich Vergebung und ewiges Leben nicht verdienen, sondern kann es im Vertrauen auf Jesus Christus nur als unverdientes Geschenk empfangen. Aus dieser Dankbarkeit heraus erwächst auch Liebe zu Gott. Beides, Dankbarkeit und Liebe zu Gott, sind wesentliche Motive für Sein und Handeln von Christen.
Es ist wohl diese immer mitschwingende Dankbarkeit gegenüber Gott, die Dietrich Bonhoeffer zu einer persönlichen Grundstimmung der Dankbarkeit führte. Wahrscheinlich suchte er auch in seinem Gefängnisumfeld bewusst nach Dingen, für die er dankbar sein konnte. Sicherlich gab ihm Dankbarkeit auch Lebenskraft und führte ihn schließlich zu der Erkenntnis, dass Dankbarkeit das Leben erst reich macht.
Dankbarkeit – eine Frage der Perspektive?
Im Alltagsleben begegnen wir ganz unterschiedlichen Menschen. Mit manchen kommt man gut oder sogar sehr gut zurecht, mit anderen wiederum weniger oder überhaupt nicht. Und man erlebt ganz unterschiedliche Situationen und Ereignisse. Manche sind angenehm, manche weniger. Wie kann man im ganz normalen Alltagsleben zur Dankbarkeit finden?
Ein Szenario: Alexandra ist eine vielbeschäftigte Frau. Sie ist nicht nur Mutter zweier Kinder, sondern sie arbeitet auch in einem Unternehmen und trägt zum gemeinsamen Lebensunterhalt bei. Es ist auch wichtig, dass sie ein eigenes Einkommen hat, denn das ihres Ehemanns reicht alleine nicht aus.
Für Alexandra gibt es jeden Tag vielerlei Gründe, sich zu ärgern. Ihr Partner verhält sich nicht immer so, wie sie sich das wünscht. Die Kinder nerven manchmal. Immer wieder streiten sie miteinander. Sie sind zuweilen bockig und machen Unordnung. Die Kollegen machen ihr manchmal das Leben unnötig schwer. Kurzum, Alexandra hat es nicht leicht. Es ist verständlich, dass sie sich oft ärgert.
In Alexandras Leben hat die Dankbarkeit so gut wie keinen Raum. Wofür sollte sie denn auch dankbar sein bei dem vielen, was einfach nur nervt? Dabei gibt es durchaus auch genügend Gründe für Alexandra, dankbar zu sein. Nur – diese sieht sie nicht. Der Ärger überlagert alles andere.
Ohne dass sich an ihrem Alltagsleben das geringste ändert, könnte sie ihre Aufmerksamkeit bewusst darauf lenken, wofür sie dankbar sein kann. Sie würde ihr Leben aus einer Perspektive der Dankbarkeit betrachten und auf einmal das wahrnehmen, was sie bisher unbeachtet ließ.
Alexandra könnte beispielsweise dankbar dafür sein, dass ihr Partner ihr seine Liebe immer wieder zeigt, und dass er sie so annimmt, wie sie ist. Sie könnte dankbar sein für die vielen schönen Momente, die ihr ihre Kinder immer wieder schenken. Und sie könnte dankbar sein für viele Dinge, die häufig als selbstverständlich angesehen werden, es aber nicht sind. Dazu zählen zum Beispiel das Dach über dem Kopf, das mehr als ausreichende Angebot an Nahrungsmitteln oder auch die freiheitliche Grundordnung im Land. Beim Nachdenken, worüber sie Grund zur Dankbarkeit hat, würde Alexandra sehr wahrscheinlich noch sehr viel mehr einfallen.
Dankbarkeit – eine Frage der Entscheidung?
Ist Dankbarkeit eine Entscheidungssache? Eine kleine Geschichte, deren Verfasser unbekannt ist, mag illustrieren, dass man sich auch bewusst für eine Einstellung der Dankbarkeit entscheiden kann.
Ein alter Mann beschloss nach dem Tod seiner Frau, ins Altersheim zu gehen. Die Wohnung schien ihm zu groß, und er wollte für seine letzten Tage auch noch ein bisschen Gesellschaft haben, denn er war geistig noch in guter Verfassung.
Im Heim musste er lange in der Halle warten, ehe ein junger Mann zu ihm kam und mitteilte, dass sein Zimmer nun fertig sei. Er bedankte sich und lächelte seinem Begleiter zu, während er, auf seinen Stock gestützt, langsam neben ihm herging.
Bevor sie den Aufzug betraten erhaschte der alte Mann einen Blick in eines der Zimmer und sagte. „Mir gefällt es sehr gut.“ Sein junger Begleiter war überrascht und meinte, er habe doch sein Zimmer noch gar nicht gesehen.
Bedächtig antwortete der alte Mann. „Wissen Sie, junger Mann, ob ich den Raum mag oder nicht, hängt nicht von der Lage oder der Einrichtung, sondern von meiner Einstellung ab, von der Art, wie ich ihn sehen will. Und ich habe mich entschieden, glücklich zu sein. Diese Entscheidung treffe ich jeden Morgen, wenn ich aufwache, denn ich kann wählen. Ich kann im Bett bleiben und damit hadern, dass mein Körper dies und jenes nicht mehr so reibungslos schafft – oder ich kann aufstehen und dankbar sein für alles, was ich noch kann. Jeder Tag ist ein Geschenk, und solange ich meine Augen öffnen kann, will ich sie auf den neuen Tag richten, und solange ich meinen Mund öffnen kann, will ich danken für all die glücklichen Stunden, die ich erleben durfte und noch erleben darf.
Sie sind noch jung, doch nehmen Sie sich den Rat eines alten Mannes zu Herzen. Deponieren Sie alles Glück, alle Freude, alle schönen Erlebnisse als Erinnerungen auf einem Dankbarkeits-Konto, um im Alter über einen Schatz zu verfügen, von dem Sie zehren können, wann immer Sie dessen bedürfen. Es liegt an Ihnen, wie hoch die Einlagen auf dem Konto sind. Ich gebe Ihnen noch zwei einfache Tipps, mit denen Sie ihr Konto rasch wachsen lassen können: Hegen Sie in Ihrem Herzen nur Liebe, und in ihren Gedanken nur Freude. In dem Bewusstsein, so ein Konto zu besitzen, verliert die Zukunft ihre Ungewissheit und der Tod seine Angst.“
Der junge Mann hatte staunend zugehört und bedankte sich nun mit einem strahlenden Leuchten in seinen Augen. Freudig drückte er den Arm des Alten und meinte: „Vielen Dank, ich habe soeben mein Dankbarkeits-Konto eröffnet, und dieses Gespräch ist die erste Einlage.“
Mit diesen Worten öffnete er die Tür, um dem neuen Bewohner sein Zimmer zu zeigen. Mit einem Schmunzeln sagte dieser: „Mir gefällt es sehr gut.“
Man kann sich, wie diese kleine Geschichte veranschaulicht, für Dankbarkeit entscheiden und Dankbarkeit immer wieder einüben. Dann kann sich daraus sogar, konsequent weitergedacht, eine gelöste Grundhaltung der Dankbarkeit entwickeln. Dietrich Bonhoeffer drückte es so aus „Dem Dankbaren wird alles zum Geschenk, weil er weiß, dass es für ihn überhaupt kein verdientes Gut gibt.“
Dankbarkeit wirkt sich positiv im Leben aus
Es ist beileibe keine neue Erkenntnis, dass sich bewusste Dankbarkeit auch auf das Gehirn auswirkt. Dankbarkeit kann durch Einüben dort nachhaltig und langfristig verankert werden. Untersuchungen haben ergeben, dass Dankbarkeit gesundheitsfördernd wirkt, sowohl auf seelischer wie körperlicher Ebene.
Dankbare Menschen bewerten sich im Allgemeinen als glücklicher und zufriedener. Sie erleben sich als stärker eingebunden in soziale Beziehungen. Und außerdem sehen sie sich als weniger stressanfällig. Auf der körperlichen Ebene ergeben sich beispielsweise positive Effekte im Hinblick auf Herzfrequenzvariabilität (gleichbedeutend mit einem geringeren Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden) und Blutdruck.
Wie kann man sich bewusst machen und festhalten, wofür man dankbar sein kann? Eine gute Möglichkeit ist, ein Dankbarkeits-Tagebuch zu führen. Dort könnte man zum Beispiel abends in Stichworten eintragen, wofür man an diesem Tag dankbar sein konnte. Wenn man dann immer mal wieder darin liest und sich zurückerinnert, wird bestimmt bewusst, wie reich man im Leben schon geworden ist. Und man kann mit Überzeugung zustimmen: Dankbarkeit macht das Leben erst reich.
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