Nicht das Problem macht die Schwierigkeiten, sondern …Lesezeit: 9 Min.

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„Nicht das Problem macht die Schwierigkeiten, sondern unsere Sichtweise.“

Viktor Frankl
Nicht das Problem macht die Schwierigkeiten, V. Frankl - Gestaltung: privat
Gestaltung: privat

Viktor Frankl (1905-1997) war ein österreichischer Neurologe und Psychiater. Er begründete die Logotherapie und Existenzanalyse, die vielfach auch als die „Dritte Wiener Schule der Psychotherapie“ bezeichnet wird.

Ein Problem mit der Schule – Problem und Sichtweisen

Bettina (*) ist gerade ordentlich sauer. Ihre Tochter Leonie (*) hat vor kurzem, bedingt durch außergewöhnliche Umstände, während des laufenden Schuljahres eine neue Klassenlehrerin bekommen: Frau Schmidt (*). Frau Schmidt ist eine Quereinsteigerin. Sie hat zwar ein Studium hinter sich, jedoch war es kein Pädagogikstudium.

Die Schülerinnen und Schüler mögen Frau Schmidt. In den wenigen Wochen, in denen sie bisher unterrichtete, hat sie auch das Vertrauen der meisten Eltern gewonnen. Auch Bettina ist überzeugt, dass Frau Schmidt eine sehr gute Lehrerin ist.

Unterschiedliche Überzeugungen

Aber es gibt einige wenige Eltern, die der Meinung sind, dass eine Lehrerin zwingend Pädagogik studiert haben muss. In ihren Augen geht formale fachspezifische Qualifikation vor. Darüber ärgert sich wiederum Bettina sehr. Sie kann nicht verstehen, weshalb Frau Schmidt, die nach ihrer Ansicht und der des Rektors das „Lehrer-Gen“ besitzt und mit der Klasse sehr gut zurechtkommt, nicht qualifiziert sein soll. Schließlich gibt es andererseits auch viele Lehrerinnen und Lehrer, die zwar ein Pädagogikstudium erfolgreich absolviert haben, aber auf der menschlichen Ebene mit Schülerinnen und Schülern nicht gut zurechtkommen.

Für Bettina ist die Situation ein Problem. Sie ist in Sorge, dass Frau Schmidt die Klasse wieder abgeben muss, falls es den Gegnern von Frau Schmidt gelingt, sich durchzusetzen. Bettina möchte das Beste für Leonie. Sie möchte, dass ihre Tochter die bestmögliche Bildung an dieser Schule erhält. Und dafür, so ist sie überzeugt, bringt Frau Schmidt die Voraussetzungen mit. Deshalb möchte Bettina auf jeden Fall verhindern, dass eine Lehrerin oder ein Lehrer die Klasse übernimmt, die bzw. der besser einen anderen als den Lehrerberuf gewählt hätte.

Bettinas Sichtweise ist: Frau Schmidt muss unbedingt bleiben und die opponierenden Eltern liegen mit ihrer Anforderung falsch. Etwas direkter ausgedrückt: „Die opponierenden Eltern sind ein Problem und meine Feinde, weil sie sich Sinnvollem verweigern“.

Zwei Lager

Wie lässt sich das Problem lösen? Die Eltern sind aktuell in zwei Lager gespalten: in das Lager der Unterstützer von Frau Schmidt und in das Lager ihrer Gegner. Darin bilden sich zwei unterschiedlich Sichtweisen ab. Die eine Sichtweise lautet: Als Lehrerin braucht man hauptsächlich pädagogisches Geschick; ob und was man studiert hat, ist zweitrangig. Die andere lautet: Als Lehrerin braucht man unbedingt ein Studium der Pädagogik.

Ist das eigentliche Problem die Sichtweise?

Die beiden genannten Sichtweisen fokussieren auf die Qualifikation der Lehrerin. Die Kinder stehen dabei eher im Hintergrund. Doch es gibt auch eine Sichtweise, in der die Kinder die Hauptrolle spielen, in der es hauptsächlich um sie geht. Sie lautet: Die Persönlichkeit der Lehrerin ist wichtig. Wenn sie ein gutes Einfühlungsvermögen besitzt, gerne mit Menschen arbeitet, viel Geduld mitbringt, gut kommunizieren kann, Vermittlungskompetenz besitzt (die Fähigkeit, Lehrinhalte kompetent und zielgruppengerecht aufzuarbeiten und Wissen verständlich weiterzugeben), und natürlich den Lehrstoff beherrscht, dann wird sich der Bildungserfolg sicher einstellen.

Welche Rolle spielen Lebenseinstellungen?

Neben den auf die Sache fokussierten Sichtweisen gibt es natürlich auch die persönlichen Sichtweisen der Eltern, die ihre persönlichen Einstellungen und Werte ausdrücken, und die verständlicherweise auch mit Emotionen verbunden sind. Was ist besonders wichtig? Ist es besonders wichtig, sich selbst zu profilieren, vielleicht sogar seine Sichtweise durchzusetzen? Oder geht es in erster Linie um das Wohl des eigenen Kindes und dann auch um das der anderen Kinder?

Die individuellen Prägungen eines Menschen finden in der Lebenseinstellung ihren Ausdruck. Da gibt es, um zwei Beispiele zu nennen, die pessimistische Lebenseinstellung, die zuvörderst die negativen Aspekte sieht, verbunden mit Unmöglichkeiten, Schwierigkeiten, Risiken und Gefahren. Und da gibt es andererseits die optimistische Lebenseinstellung, die in erster Linie die positiven Aspekte sieht, verknüpft mit Chancen und Möglichkeiten.

Mit einer optimistischen Lebenseinstellung fällt es naturgemäß leichter, eine lösungsorientierte Sichtweise zu entwickeln und sie auch mit einer Vermittlerrolle zu verknüpfen. Die Sichtweise des „Vermittlers“ basiert auf der Hoffnung, dass im konstruktiven Miteinander eine Lösung für ein Problem möglich ist, welche zudem auch von möglichst allen mitgetragen werden kann.

Ist vielleicht die Sichtweise das eigentliche Problem?

Bettina hat ihre ganz individuelle Sichtweise auf das Problem. Alle anderen Beteiligten haben ebenso ihre jeweils individuellen Sichtweisen. Ist eine davon von Vornherein bevorrechtigt? Wohl kaum! Wie wäre es dann, wenn alle Beteiligten sich selbst fragen würden, ob ihre jeweilige Sichtweise zur Lösung des Problems beitragen kann oder ob sie einer Lösung eher im Weg steht? Es mag sein, dass das eigentliche Problem nicht das Problem selbst ist, sondern die eigene Sichtweise. Diese provozierende Formulierung mag in manchen Situationen durchaus berechtigt sein.

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Welche Art von Sichtweise ist hilfreich und zielführend?

Ohne Frage kann Bettina das Problem nicht alleine lösen. Sie kann zwar etwas wünschen, vorschlagen oder fordern, aber entscheiden kann sie nicht. Es ist die Schulleitung, die entscheidet, ob Frau Schmidt Klassenlehrerin bleibt oder nicht.

Bedürfnisse wollen erkannt werden

Wenn es um eine Problemlösung geht, die möglichst alle Beteiligten zufriedenstellt, muss die Sichtweise unbedingt die Bedürfnisse der Beteiligten sehen (wollen). Was sind die Bedürfnisse der Eltern? Was sind die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler? Und was sind die Bedürfnisse von Schulleitung und Lehrerin?

Bedürfnisse lassen sich nicht losgelöst von Emotionen denken. Wenn man die Bedürfnisse der Beteiligten sehen und dann auch verstehen will, ist Einfühlungsvermögen gefordert. Wie sonst sollte man beispielsweise die Bedürfnisse anderer Eltern nachvollziehen können?

Um einer Lösung näherzukommen, bleibt es Bettina nicht erspart, sich von ihrer polarisierenden Sichtweise zu lösen. Sie hatte die Situation auf Basis ihrer individuellen Sichtweise bewertet und damit anders gelagerte Sichtweisen anderer Eltern abgewertet. Sie hatte sich zur Richterin erhoben und sich selbst – und nur sich selbst und denjenigen, die ihre Sichtweise teilten – Recht gegeben. Wenn Bettina ihre Richterrolle nicht aufgibt, behindert sie eine Lösung des Problems. Natürlich will sie nichts behindern, aber faktisch wäre es so.

Angenommen, Bettina hätte sich tatsächlich und mit allen Mitteln durchsetzen wollen. Außerdem angenommen, es wäre ihr gelungen. Dann hätte sie wahrscheinlich Lob von der Mehrheit der Eltern erfahren, denn sie hätte für sie auch in ihrem Sinn gesprochen und sich eingesetzt. Aber es wäre mit Konsequenzen verbunden gewesen. Sie hätte sich auch Eltern zu Gegnern gemacht, die es ihr möglicherweise bei passender Gelegenheit hätten heimzahlen wollen.

Man kann nicht auf Kosten anderer gewinnen

Man kann nicht wirklich auf Kosten anderer gewinnen. Der Psychologe Marshall B. Rosenberg, Entwickler des Konzepts der Gewaltfreien Kommunikation (GFK), englisch: Nonviolent Communication (NVC), drückte es so aus: „Wir können nicht auf Kosten einer anderen Person gewinnen. Wir können nur dann vollkommen zufriedengestellt sein, wenn die Bedürfnisse der anderen Person sowie unsere eigenen erfüllt werden.“.

Welche andere Sichtweise könnte Bettina einnehmen? Wenn sie die anderen Beteiligten mit ihren Gefühlen und Bedürfnissen wahrnimmt und ernstnimmt, diese Gefühle und Bedürfnisse anerkennt und respektiert, steigt die Chance auf eine einvernehmliche Lösung. Verständnis bedeutet nicht Zustimmung, denn das Verständnis bezieht sich auf die Gefühle und Bedürfnisse. Aber gegenseitiges Verständnis ist auf dem Weg zu einer Lösung hilfreich.

Einige Zeit später: Im Konflikt um die Rolle von Frau Schmidt konnte schließlich eine Lösung gefunden werden, mit der alle Beteiligten einverstanden sein konnten. Frau Schmidt unterrichtet die Klasse weiterhin. Offiziell ist sie aber nicht Klassenlehrerin. Sie bekam eine Kollegin an die Seite gestellt, die diese Rolle übernimmt. Dass Frau Schmidt weiterhin unterrichtet, das war das, was Bettina wollte – und Leonie ebenso. Dass die Verantwortlichkeit hinsichtlich des Bildungsauftrags gut geregelt ist, das war das, was die anfangs nicht einverstandenen Eltern wollten.

Wie kann man handlungsfähig bleiben?

Die eigene individuelle Sichtweise beeinflusst die Handlungsfähigkeit, nicht nur die eigene, sondern indirekt auch die von anderen von einem Problem Betroffenen. Hätte Bettina auf ihrer polarisierenden Sichtweise bestanden – nur die eigenen Bedürfnisse zählen -, hätte sie sich gewissermaßen sogar selbst um Weg gestanden. Sie hätte ihre Handlungsfähigkeit beschnitten. Die Sichtweise machte Schwierigkeiten, nicht das Problem.

Es gibt nicht nur eine Sichtweise

Auch in vielerlei anderen Lebenssituationen bestimmt die Sichtweise über die Handlungsfähigkeit. Wie geht man beispielsweise damit um, wenn man mit einem Vorhaben scheitert? Betrachtet man es als endgültiges Scheitern? Oder betrachtet man es als diesmaliges Scheitern? Wenn man es als endgültiges Scheitern ansieht, ist die Kapitulation nicht weit. Betrachtet man es jedoch als diesmaliges Scheitern, bewahrt man seinen Handlungsspielraum. Wenn man noch Möglichkeiten sieht, kann man es erneut versuchen. Henry Ford, Erfinder und Automobilpionier, formulierte es so: „Misserfolg ist lediglich eine Gelegenheit, mit neuen Ansichten noch einmal anzufangen.“.

In der Tat macht manchmal die Sichtweise Schwierigkeiten, nicht das Problem. Dies muss man jedoch erkennen – und dies ist manchmal nicht einfach. Wenn man auf das Problem fokussiert ist, ist Verbissenheit keine Lösung. Verbissenheit in das Problem hält davon ab, die Sichtweise zu hinterfragen, und birgt auch die Gefahr, sich mit seinen Gedanken festzufahren. Dann ist es notwendig, gedanklich einen Schritt zurückzutreten. Sonst nimmt man sich seine Handlungsfähigkeit. Es kann sehr hilfreich sein, seine Sichtweise mit einem neutralen Dritten zu besprechen. Vielleicht wird man dabei in seiner Sichtweise bestätigt. Sehr wahrscheinlich werden aber durch die Sicht von außen Aspekte ins Spiel kommen, die man bisher noch nicht bedacht oder tiefer durchdrungen hat. Dadurch erweitert man seine Handlungsfähigkeit.

Gutes und Sinnvolles tun – ganz praktisch

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Eine im Grundton positive Sichtweise ist erlernbar

Im Übrigen hat die Sichtweise, die Sicht der Dinge, auch Auswirkungen auf das Stressniveau. Das Stressniveau hängt nicht in erster Linie davon ab, was einem geschieht, sondern sehr viel mehr davon, wie man darauf reagiert. Maßgeblich ist vor allem, wie man etwas bewertet und welches Gewicht man dem beimisst. Natürlich kann man nicht alle Schläge des Lebens so einfach wegstecken. Aber eine im Grundton positive Sichtweise der Dinge, soweit es eben geht, beeinflusst auch das Lebensgefühl positiv und bewahrt die Handlungsfähigkeit. Die gute Nachricht: eine positive Sichtweise kann man erlernen.

* Name(n) geändert

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Ich bin Dieter Jenz, Begleiter, Berater und Coach mit Leidenschaft. Über viele Jahre hinweg habe ich einen reichen Schatz an Kompetenz und Erfahrung erworben. Meine Themen sind die "4L": Lebensaufgabe, Lebensplanung, Lebensnavigation und Lebensqualität.