„Was immer du tun kannst oder träumst, es zu können, fang damit an! Mut hat Genie, Kraft und Zauber in sich.“
Johann Wolfgang von Goethe
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) war ein deutscher Dichter, Naturforscher und Politiker. Nicht nur in Deutschland gilt er als einer der bedeutendsten Schöpfer deutschsprachiger Dichtung.
Mut zum Anfangen
Tun können – tun wollen: manchmal besteht zwischen beidem eine tiefe Kluft. Was ist der Grund, etwas, was man tun kann oder könnte, nicht tun zu wollen? Die Gründe sind vielschichtig. Vielleicht bestehen wirtschaftliche Zwänge, Einkommen erwirtschaften zu müssen, um über die Runden zu kommen. Für das, was man gerne tun möchte, bleibt dann wenig Zeit übrig. Und dann ist man möglicherweise zu müde, um nach einem anstrengenden Arbeitstag noch Muse für etwas Anderes zu finden.
Vielleicht befindet man sich gerade in einem Zwiespalt. Der Beruf, den man ausübt, macht einem nicht wirklich Freude und erfüllt einen nicht. In seinem Innersten spürt man, dass man in diesem Beruf „nicht alt werden“ möchte. Es gibt etwas, von dem man träumt und für das man sich begeistern könnte, dem man sich gerne mit voller Überzeugung widmen würde. Was tun?
Davon träumen, etwas zu können, und dies dann wollen und konsequent damit anfangen? Man sieht sich vor hohen Hürden. Wie kann man denn wissen, dass man das tatsächlich können wird, was man sich erträumt? Der Weg geht letztlich nur über das Ausprobieren, unterfüttert von der Erwartung, es auch schaffen zu können.
Die Erwartung, es wirklich schaffen zu können, erfordert wiederum Vertrauen in die eigene Stärke, ein gesundes Selbstwertgefühl. Jeder Mensch verfügt von Geburt an über ein Fähigkeiten- und Kompetenzenbündel. Fähigkeiten und Kompetenzen werden von den Eltern vererbt, bleiben aber selbstverständlich nicht auf diesem Stand. Sie können im Lauf des Lebens kontinuierlich weiterentwickelt werden.
Selbst neue Fähigkeiten und Kompetenzen lassen sich erlernen. Wenn man sich genügend Zeit gibt, in kleinen Schritten vorgeht und sich kleine Ziele setzt, lassen sich sogar schwierige Fähigkeiten aneignen. Und natürlich darf die Motivation nicht fehlen.
Dann ist Mut notwendig, mit etwas Neuem tatsächlich anzufangen. Wenn dieser Mut aufgebracht wird, ist auch die dem Mut innewohnende Kraft zu spüren. Und auch, wie Goethe es ausdrückt, das Genie und der Zauber des Muts.
Eine mutige Neuorientierung
Immer wieder wagen Menschen etwas Neues, so beispielsweise Ava Celik. Mit 16 Jahren, lange vor ihrem Abitur, hatte sie ihren ersten Auftritt im Theater. Weitere Rollen als Schauspielerin, sowohl im Theater als auch in Film- und Fernsehproduktionen, folgten. Sie nahm professionellen Schauspielunterricht, studierte Filmwissenschaften und Philosophie, um ihrer beruflichen Zukunft als Schauspielerin ein solides Fundament zu verleihen.
Im Alter von 24 Jahren wurde bei ihr eine Zöliakie-Erkrankung festgestellt, eine durch Glutenunverträglichkeit verursachte, langfristige Auto-Immunerkrankung, die hauptsächlich den Dünndarm betrifft. Diese Glutenunverträglichkeit bleibt lebenslang bestehen und kann derzeit nicht ursächlich behandelt werden. Deshalb bleibt bis auf Weiteres nur die Möglichkeit, die Ernährung auf glutenfreie Kost umzustellen.
Für Ava Celik bedeutete die Ernährungsumstellung, künftig auf normales, glutenhaltiges, Brot zu verzichten. Sie kaufte also fortan normales Brot, das ihr jedoch nicht schmeckte. In einem Gespräch mit „Zeit Online“ (Artikel und Podcast) erzählte sie, dass sie etwa zwei Jahre nach ihrer Diagnose vor einer wichtigen Entscheidung stand: entweder wollte sie ihr eigenes Brot backen oder für den Rest ihres Lebens überhaupt kein Brot mehr essen. Sie entschied sich, künftig ihr eigenes Brot zu backen.
Sprichwörtlich „von Null auf Hundert“
Mit Kochen und Backen hatte sich Ava Celik bis dahin noch nicht beschäftigt. Sie hatte also noch keinen Begriff davon, wie sie das Brotbacken überhaupt angehen könnte. Was Sauerteig war, wusste sie noch nicht. Auch die verschiedenen Mehlsorten konnte sie noch nicht unterscheiden.
Die Recherche im Internet war ihr Startpunkt. Dort fand sie einige Rezepte, die sie ausprobierte. Allerdings merkte sie bald: das ist nicht „das Wahre“. Eine weitere Entscheidung stand an: entweder aufgeben oder nochmals von vorne anfangen.
Es ist alles andere als einfach, Gluten im Brot zu ersetzen. Schließlich ist es das Gluten, das einem Brot Struktur und Fülle gibt. Wenn dem Mehl eine Flüssigkeit zugegeben wird, bildet das Gluten den Teig, eine elastische und gummiartige Masse. Für die Backeigenschaften eines Mehls hat Gluten somit eine zentrale Bedeutung. Brot in Form eines Laibes kann nur aus Mehlen mit Gluten gebacken werden. Diese Gesetzmäßigkeiten galten, als sich Ava Celik ihrer Herausforderung stellte.
Ava Celik begann, sich eingehend und systematisch mit den verschiedenen glutenfreien Mehlsorten, wie beispielsweise Hirse, Teff (Zwerghirse), Mais, Reis und Buchweizen, zu befassen. Sie beschäftigte sich sogar intensiv mit Fachliteratur, um mehr über Mahlgrade, Backtemperaturen, Backdauer usw. zu erfahren. Das Durcharbeiten diverser Studien brachte sie schließlich weiter.
Sie kam zu der Erkenntnis, dass es sehr viele Einflussfaktoren gibt, die das Ergebnis, das glutenfreie Brot, bestimmen. Also fing sie an, zu experimentieren und zunächst bestimmte Rezepte als Ausgangspunkt zu wählen. Die Versuche, auf Basis dieser Rezepte ein für sie genießbares Brot zustande zu bringen, schlugen jedoch fehl.
Beharrlichkeit zahlt sich (endlich) aus
In der Folge probierte sie systematisch die verschiedensten Rezepturen aus. Um den Überblick nicht zu verlieren und Wiederholungen von Versuchen zu vermeiden, führte sie umfangreiche Tabellen. In diesen Tabellen waren die verschiedenen Faktoren, die sich auf das Backergebnis auswirken, aufgeführt. Zur technischen Unterstützung baute sie sich eine Art Laborumgebung auf, arbeitete sich in die Chemie ein und nutzte Reagenzgläser zur Mengenabmessung.
Die Arbeit an der Rezeptur nahm etwa zwei Jahre in Anspruch. Während dieser beiden Jahre verzichtete sie auf die Schauspielerei, tauchte gewissermaßen ab und verbrachte so gut wie jeden Tag mit Backen, mit fachlicher Recherche oder anderen Tätigkeiten, die sie weiterbringen sollten. Auch auf soziale Kontakte, beispielsweise das abendliche Ausgehen, verzichtete sie weitgehend.
Bis dahin bestand ihre Motivation darin, für sich selbst ein gutes Brot zu backen. Kommerzielle Interessen verfolgte sie zu dieser Zeit noch nicht. Sie hatte jedoch schon den Entschluss gefasst, sich von der Schauspielerei zu verabschieden und sich beruflich umzuorientieren. Vor ihrem geistigen Auge sah sie sich im Alter von 60 Jahren im Spiegel. Es war ihr sehr klar, dass sie nicht mehr Schauspielerin sein wollte. Trotz aller Erfolge – immerhin erhielt sie den französisch-türkischen Kulturpreis „Silver Horse Cinema & Music Award“ in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“ in dem Kurzfilm „Geschwisterliebe“ – fühlte sie sich unglücklich.
Endlich, nach etwa zwei Jahren, gelang ihr das erste Bot, das sie wirklich zufriedenstellte. In ihren Augen war es perfekt. Es sah so aus, wie sie es sich vorstellte und es schmeckte ihr. Für sie war es ein sehr emotionaler Moment.
Schon während ihrer Experimentierphase war sie in sozialen Medien präsent und ließ ihre Follower auf Instagram an ihren Backergebnissen, Fehlschlägen wie Fortschritten, teilhaben. Deshalb verwundert nicht, dass sie Anfragen aus aller Welt erhielt. Es zeichnete sich eine große Nachfrage nach ihrem Brot ab, das wie gutes Sauerteigbrot aussieht, riecht und schmeckt. Der Gedanke reifte, das Brot nicht nur für sich selbst zu backen, sondern auch für andere, die ebenfalls an Zöliakie litten.
Die neue berufliche Zukunft
Für Ava Celik stellte sich die Frage, wie ihre berufliche Zukunft aussehen sollte. Der Entschluss, ihre Karriere als Schauspielerin aufzugeben, stand schon fest. Andererseits waren ihre Ersparnisse nahezu aufgebraucht. Sie hatte sich schließlich etwa zwei Jahre lang fast Tag und Nacht mit Brotbacken beschäftigt und auf ein mehr oder weniger regelmäßiges Einkommen verzichtet.
Schließlich kam sie zu der Entscheidung, in Berlin ihre eigene Bäckerei zu eröffnen. Dafür benötigte sie einen Bankkredit. Sie legte die Bäckermeisterprüfung erfolgreich ab und ist jetzt Bäckermeisterin. Aus der ursprünglich einen Brotsorte wurden zwischenzeitlich mehrere Brot- und Gebäcksorten, um den Kunden ein kleines, überschaubares Sortiment an Backwaren anbieten zu können. Alle neuen Brot- und Gebäcksorten entwickelt sie selbst.
Über ihren Online-Shop beliefert sie mittlerweile Kunden in ganz Europa. Da Sauerteig verwendet wird, hält sich das Brot länger frisch. Nicht nur Menschen, die an Zöliakie leiden, kaufen das Brot. Es wird auch von Kunden gekauft, die einfach ein gutes Sauerteigbrot schätzen.
Zahlreichen Anfragen von Investoren, die eine lukrative Geschäftsidee wittern, hat Ava Celik bisher widerstanden. Natürlich läge es nahe, eine deutschlandweite Filialkette aufzubauen und später sogar in das Ausland zu expandieren. Mit ziemlicher Sicherheit wäre eine internationale Expansion erfolgreich, zumal ihre Backwaren ein Alleinstellungsmerkmal aufweisen. Aber das ist nicht das, was sie für sich möchte. Und deshalb sagte sie bisher stets „Nein“ und beließ es bei ihrer Bäckerei in Berlin.
Vorstellungskraft und Leidenschaft können Berge versetzen
Diese Geschichte einer mutigen Neuorientierung ist bei weitem nicht die Einzige. Stellvertretend für die vielen Erfinder, die lange Zeit scheinbar erfolglos an einem Vorhaben arbeiteten, aber schließlich doch ihren Durchbruch feiern konnten, sei Thomas Alva Edison genannt.
Angeblich probierte Thomas Alva Edison für die Erfindung der Glühbirne um die 9500 kleine Kohlefäden aus, bis er denjenigen fand, der die Glühbirne dauerhaft zum Leuchten brachte. Von ihm sind einige Zitate erhalten, die Zeugnis von seiner Beharrlichkeit geben: „Ich bin nicht gescheitert – ich habe 10.000 Wege entdeckt, die nicht funktioniert haben.“, „Der sicherste Weg zum Erfolg ist immer, es doch noch einmal zu versuchen.“, und „Jeder falsche Schritt ist ein weiterer Schritt vorwärts.“.
Einen anderen Aspekt benannte der französische Apotheker und Autor Émile Coué, der auch als Begründer der modernen, bewussten Autosuggestion gilt. Durch verschiedene berufliche Erfahrungen wurde Coué klar, dass der Glaube eines Patienten an seine Heilung eine entscheidende Rolle spielt. Daraus leitete er ab, dass im Widerstreit zwischen dem Willen und der Vorstellungskraft die Vorstellungskraft ausnahmslos siegt. Und für ihn war außerdem klar: die Vorstellungskraft ist lenkbar. So hielt er fest: „Nicht der Wille ist der Antrieb unseres Handelns, sondern die Vorstellungskraft.“
Vorstellungskraft und Leidenschaft können Berge versetzen. Aber was wäre, wenn man es trotz aller Mühen doch nicht schafft? War dann alles umsonst? Mit Sicherheit nicht! Man hat wenigstens angefangen und es zumindest versucht. Ava Celik hätte sich damit abfinden können, für den Rest ihres Lebens glutenfreies „Industriebrot“ zu essen. Aber sie wollte für sich etwas Neues schaffen – es ist gelungen und alle Mühen haben sich gelohnt. Sie macht heute das, was sie leidenschaftlich gerne macht.
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