Man kann die Erfahrung nicht früh genug machen, wie …Lesezeit: 8 Min.

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„Man kann die Erfahrung nicht früh genug machen, wie entbehrlich man in der Welt ist.“

Johann Wolfgang von Goethe
Man kann die Erfahrung nicht früh genug machen, J.W. v. Goethe - Gestaltung: privat
Gestaltung: privat

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) war ein deutscher Dichter, Naturforscher und Politiker. Nicht nur in Deutschland gilt er als einer der bedeutendsten Schöpfer deutschsprachiger Dichtung.

Voller Einsatz am Arbeitsplatz

Sandra (Name geändert) gibt an ihrer Arbeitsstelle alles. Sie setzt sich derart ein, dass sie in Zeiten überaus starken Arbeitsanfalls bei ihrem Arbeitgeber auch ihre Wochenenden opfert. Sogar sonntags ist sie an ihrem Arbeitsplatz und bearbeitet dringende Angelegenheiten.

Ihre Tätigkeit ist wichtig. Manche Aufgaben in ihrer Abteilung müssen unbedingt innerhalb eines bestimmten Zeitfensters erledigt werden. Sie sieht für sich selbst eine Verantwortung, die Arbeit nicht einfach liegen zu lassen und den Kolleginnen und Kollegen aufzubürden, wenn diese am Montag wieder zur Arbeit erscheinen. Objektiv gesehen müsste Sandra jedoch nicht Wochenende für Wochenende opfern. Sie könnte sich mehr mit Kolleginnen und Kollegen abwechseln. Aber das tut sie nicht.

Sandras Einsatz bleibt nicht unbemerkt. Sie erhält Anerkennung, ehrliche wie unehrliche. „Wenn sie die Arbeit für mich mit erledigt, soll es mir recht sein“, so oder ähnlich mag die oder der eine oder andere aus dem Kollegenkreis insgeheim denken.

Wie lange mag das gutgehen? Irgendwann wird Sandra, wenn sie einfach so weitermacht, diese andauernde Überlastung zu spüren bekommen. Ihr Körper und ihre Seele werden sich bemerkbar machen und Symptome zeigen, beispielsweise Schlafstörungen, Muskelverspannungen, erhöhte Anfälligkeit für Infektionen oder das Gefühl tiefer Erschöpfung. Die möglichen Symptome sind bei jedem Menschen verschieden.

Sandra möchte bedeutend sein und Spuren hinterlassen. Aber sie verengt sich selbst auf ihre Arbeitskraft. Und wenn sie sich so verengt, reduziert sie dafür ihre Bedeutung in anderen Bereichen. Sie kann beispielsweise für andere Menschen in ihrem sozialen Umfeld nicht mehr so da sein wie bisher. Ihr fehlen ganz einfach die Zeit und der Antrieb, ihr soziales Netzwerk zu pflegen. Bildlich gesprochen gerät ein Mobile in Schieflage.

Was passiert, wenn Sandra eines Tages einfach nicht mehr kann, wenn sie gar in eine schwere Depression abgleitet und für einige Zeit überhaupt nicht mehr arbeiten kann? Dann wird ihr Arbeitgeber notgedrungen ihre Arbeitsstelle zumindest vorübergehend anders besetzen. Er erklärt Sandra damit stillschweigend für entbehrlich.

Schmerzliche und heilsame Erfahrung der Entbehrlichkeit

Noch ist es nicht so weit. Aber wenn Sandra an ihrem Arbeitsplatz tatsächlich ausfiele, würde sie die Erfahrung der Entbehrlichkeit mit voller Wucht treffen. Für ihren Arbeitgeber muss sie zwangsläufig ersetzbar, d. h. entbehrlich, sein. Ansonsten bliebe Arbeit liegen und Geschäftsprozesse würden gestört. Falls sich Sandra selbst als unentbehrlich wahrnimmt, wird sie dann eines Anderen belehrt. Dann muss die Erkenntnis, dass sie an ihrer Arbeitsstelle entbehrlich ist, auch bei ihr selbst in ihrem Innersten ankommen. Sie nimmt ihre Entbehrlichkeit ohnehin wahr, weil jetzt eine andere Person ihre Arbeit erledigt und der „Laden“ auch ohne sie weiterläuft.

Die Erkenntnis und Erfahrung, entbehrlich zu sein, ist oft sehr schmerzhaft. Man hat sich so sehr eingesetzt und sich dabei letzten Endes selbst geschadet. Man hat einen hohen Preis gezahlt und erkennt, dass man die Lebenszeit auch anders hätte einsetzen können. Seine eigenen Bedürfnisse hat man ignoriert, hat seine sozialen Beziehungen vernachlässigt und vielleicht sogar ganz aus dem Blick verloren.

Andererseits ist die Erfahrung der Entbehrlichkeit eine heilsame Erfahrung. Wenn man sich als entbehrlich erachtet, fühlt man sich von einem Rucksack an vermeintlichen Verpflichtungen entlastet. Wenn Sandra später wieder einmal vor der Frage steht, ob sie an einem Wochenende arbeiten soll, kann sie zu sich selbst sagen: „Ich bin entbehrlich. Eine Kollegin oder ein Kollege können dieses Wochenende übernehmen.“. Die Erfahrung der Entbehrlichkeit befreit, vor allem im Hinblick auf das Arbeitsleben.

Zitat des Tages

Die Liebe will nichts, D. Bonhoeffer - Gestaltung: privat
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Welche Kriterien könnten für Entbehrlichkeit gelten?

Gibt es ein objektives Maß für Entbehrlichkeit? Offensichtlich nicht! Doch was wären die Konsequenzen, wenn es dafür Kriterien gäbe? Und wer würde entsprechende Kriterien festlegen?

Nützlichkeit für die Gesellschaft

In ihrem Roman „Die Entbehrlichen“ entwirft die Autorin, Ninni Holmqvist, eine Gesellschaft, die den Nutzen der Menschen für die Gesellschaft in den Vordergrund stellt. Im Wesentlichen sind zwei Kriterien maßgeblich: Produktivität und Nützlichkeit. Anhand dieser Kriterien werden Menschen den Klassen „Entbehrliche“ oder „Benötigte“ zugewiesen. Als „Benötigte“ werden die Menschen verstanden, die Familien- und Betreuungsaufgaben zu leisten haben oder gesellschaftlichen Erfolg vorweisen können, wie auch immer gesellschaftlicher Erfolg zu fassen ist. Zu „Entbehrliche“ zählen Personen, die alleinstehend, unverheiratet und kinderlos sind. Kinderlose Personen werden mit ihrem 50. Geburtstag in ein Sanatorium eingewiesen. Dort werden sie gewissermaßen ausgebeutet, um für die Gesellschaft noch nützlich zu sein. Sie müssen für psychologische Tests, Humanexperimente und Organspenden zur Verfügung stehen. Irgendwann steht eine letzte Operation an, die sogenannte „Endspende“, die dann auch den Tod des Spenders zur Folge hat.

Wohl niemand mag sich eine Gesellschaft vorstellen, in der Menschen in „Entbehrliche“ und „Benötigte“ eingeteilt werden. Wer entbehrlich ist, wird gewissermaßen zum Verwertungsobjekt, um die Forschung voranzubringen oder um als Ersatzteillager für menschliche Organe zu dienen.

Nützlichkeit aus evolutionsbiologischer Sicht

So weit hergeholt und auf das Reich der Fiktion beschränkt, wie es zunächst den Anschein hat, ist der Gedanke der Einteilung in „Entbehrliche“ und „Benötigte“ leider nicht. Auch die Evolutionsbiologie liefert, bildlich ausgedrückt, indirekt dafür Argumente.

Wenn die Gene an die nächste Generation weitergegeben wurden, ist der nicht mehr fortpflanzungsfähige Mensch, evolutionsbiologisch betrachtet, praktisch nutzlos. Dies betrifft Frauen stärker als Männer, da sie nach der letzten Regelblutung, dem Eintreten der Menopause, nicht mehr schwanger werden können. Im Durchschnitt haben Frauen ihre letzte Regelblutung mit etwa 51 Jahren.

Bei Männern gibt es keine biologischen Vorgänge, die der Zeugungsfähigkeit ein Ende setzen. Mit zunehmendem Alter, ab etwa dem 50. Lebensjahr, steigt jedoch bei Männern das Risiko von Chromosomenstörungen in den Samenzellen. Das Risiko für genetische Defekte ist erhöht. Diese gelten als Ursache für einige seltene, genetisch bedingte Entwicklungsstörungen des Kindes.

Aus dem Blickwinkel der Evolutionsbiologie ließe sich somit ebenfalls eine Einteilung in „Entbehrliche“ und „Benötigte“ rechtfertigen. Zu den „Benötigten“ würden dann diejenigen Menschen zählen, die ihre Gene erfolgreich in die nächste Generation vererben können. Als „Entbehrliche“ würden diejenigen Menschen gelten, die dazu nicht oder nicht mehr in der Lage sind.

Was würde mit den „Entbehrlichen“ geschehen können? Würde man ihnen beispielsweise den Zugang zum Gesundheitswesen verweigern? Ein absurder Gedanke! Sicherlich möchte sich niemand vorstellen, dass Menschen auf Basis der „kalten“ und nüchternen Kriterien der Evolutionsbiologie in Klassen eingeteilt werden.

Nützlichkeitserwägungen – ein Irrweg!

Der Weg, Entbehrlichkeit entsprechend der Nützlichkeit zu bewerten, führt unweigerlich in die Irre! Wer sich selbst für entbehrlich hält, könnte dieses Goethe-Zitat durchaus als eine unterschwellige Ermunterung zum Suizid auffassen. „Es hat doch alles keinen Sinn – ich bin zu nichts mehr nützlich – mich wird keiner vermissen“ – ein derartiger Gedankengang wäre fatal!

Die Tatsache, dass der Mensch Würde besitzt (u. a. auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert), völlig unabhängig von seiner Nützlichkeit für irgendwen oder irgendetwas, würde in der Konsequenz komplett ausgeblendet. Wenn jedoch Würde vorausgesetzt wird, bleibt für Nützlichkeitserwägungen kein Raum mehr. Würde ist nicht an Nützlichkeit gebunden. Nützlichkeit im ökonomischen Sinn kann, beispielsweise durch eine schwere Krankheit, verloren gehen, Würde nie!

Weshalb die Erfahrung früh machen?

In „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ (VII, Kap. 8), dem dieses Zitat entstammt, heißt es unmittelbar danach weiter: „Welche wichtige Personen glauben wir zu sein! Wir denken allein den Kreis zu beleben, in welchem wir wirken; in unserer Abwesenheit muss, bilden wir uns ein, Leben, Nahrung und Atem stocken, und die Lücke, die entsteht, wird kaum bemerkt, sie füllt sich so geschwind wieder aus, ja sie wird oft nur der Platz, wo nicht für etwas Besseres, doch für etwas Angenehmeres.“

Die eigene Wichtigkeit nicht überschätzen – in dieser Hinsicht ergibt sich eine gewisse Überschneidung mit Sandras Einsatzbereitschaft. Sandra hält sich für wichtig, und deshalb setzt sie sich so ein. Gegen diese Einstellung, wichtig zu sein, spricht zunächst nichts. Doch wenn daraus ein „Ohne mich geht nichts!“ wird, hält sie sich gleichzeitig auch für unentbehrlich. Das ist sie aber an ihrer Arbeitsstelle definitiv nicht!

Unter diesem Vorzeichen scheint die Erfahrung, in der Welt entbehrlich zu sein, durchaus eine gesunde Erfahrung zu sein, die man nicht früh genug machen kann. So wichtig, dass man unentbehrlich wäre, ist man keineswegs. Diese Erfahrung erdet.

Gutes und Sinnvolles tun – ganz praktisch

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Gestaltung: privat

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Unentbehrlich sein – aus Sicht der Mitmenschen

Der eigenen realistischen Einschätzung, in der Welt entbehrlich zu sein, kann die Erfahrung gegenüberstehen, von Mitmenschen als unentbehrlich wahrgenommen zu werden. Man hat für andere Bedeutung, die sogar so weit gehen kann, dass sie einem anderen Menschen zwar nicht wortwörtlich, aber doch im übertragenen Sinn das Leben rettet.

„Da hast du mir aber sehr geholfen. Wenn du nicht gewesen wärst, hätte ich einen völlig falschen Weg eingeschlagen und mich fürchterlich verrannt.“ Wenn man Solches oder Ähnliches hört, wird deutlich, dass es auch den Aspekt der Unentbehrlichkeit gibt.

„Wenn du nicht gewesen wärst …“, „Ohne dich wäre ich …“ oder „Nur dank deiner Hilfe …“ – solche und ähnliche Satzanfänge sind es, die Unentbehrlichkeit aus Sicht anderer bezeugen. Insofern spricht einiges dafür, ein Komplement zu formulieren: „Man kann die Erfahrung nicht früh genug machen, wie unentbehrlich man in der Welt ist.“

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Man kann die Erfahrung nicht früh genug machen, J.W. v. Goethe - Gestaltung: privat
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Ich bin Dieter Jenz, Begleiter, Berater und Coach mit Leidenschaft. Über viele Jahre hinweg habe ich einen reichen Schatz an Kompetenz und Erfahrung erworben. Meine Themen sind die "4L": Lebensaufgabe, Lebensplanung, Lebensnavigation und Lebensqualität.