Halte dich nicht an jemandem fest, der geht, sonst …Lesezeit: 10 Min.

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„Halte dich nicht an jemandem fest, der geht, sonst wirst du nicht denjenigen treffen, der kommt.“

Carl Gustav Jung
Halte dich nicht an jemandem fest, C.G. Jung - Gestaltung: privat
Gestaltung: privat

Carl Gustav Jung (1875-1961), war ein Schweizer Psychiater und der Begründer der analytischen Psychologie. In dieser von ihm begründeten analytischen Psychotherapie ist die Auseinandersetzung mit unbewussten Aspekten der Psyche, wie sie z. B. in den psychischen und somatischen Krankheitssymptomen, in Träumen, Fantasien und Symbolen zum Ausdruck kommen, ein wichtiger Bestandteil.

Vom Festhalten und Loslassen

Ein Szenario: Iris (*) ist gerade alles andere als glücklich. Schon seit einiger Zeit lebt sie in einer Beziehung mit Olaf (*). Arbeitstechnisch bedingt wohnen beide noch an unterschiedlichen Orten, aber sie sehen sich so oft wie möglich.

Heiraten – sie will, er nicht

Iris wünscht sich sehr, dass sich Olaf zu ihr bekennt, dass sie heiraten und eine Familie gründen. Ihr ist es wichtig, ihre feste Beziehung durch die Heirat zu besiegeln. Sie liebt Olaf und stellt sich ihr weiteres Leben zusammen mit ihm vor. Für Olaf hingegen ist Heiraten kein Thema.

Natürlich ist Iris klar, dass ein Trauschein kein Schutz vor Seitensprüngen und auch keinerlei Garantie dafür ist, dass die Beziehung so lange hält, bis dass der Tod die beiden scheidet. Sie ist realistisch genug, sich selbst vor Illusionen zu bewahren.

Iris möchte die Heirat nicht zum Dauerthema machen, zumal sie wahrnimmt, dass Olaf zunehmend zurückhaltender reagiert. Für sie hat es den Anschein, dass Olaf „den Absprung macht“, wenn sie die Heirat zur Bedingung für ihre weitere Beziehung machen würde.

Eine zerplatzte Hoffnung

Eines Tages entzündet sich unversehens ein sehr heftiger Streit. Beide verletzen einander verbal. Wutentbrannt schleudert Olaf ihr schließlich ins Gesicht, dass er die Beziehung beende und verlässt Iris.

Am nächsten Tag möchte Iris mit Olaf wieder Kontakt aufnehmen. Doch Olaf geht nicht an sein Smartphone und in den sozialen Medien hat er sie gesperrt. Olaf gibt ihr keine Chance, mit ihm zu sprechen. Und sich selbst nimmt er die Chance, mit Iris zu sprechen. Vielleicht kämen sie ja beide zur Erkenntnis, dass es eigentlich ein Missverständnis war, das den Streit befeuerte. Dann könnten sie sich aussprechen und am Ende vielleicht sogar beide darüber lachen.

Leider ist nicht dies die Realität, sondern die „Funkstille“. Iris möchte wieder in Kontakt mit Olaf kommen, denn sie liebt ihn ja nach wie vor. Natürlich ist sie aufgewühlt, nachdem was geschehen ist. Schlimme Worte sind gefallen, die sie sehr verletzt haben. Aber die Beziehung wäre mit einer Versöhnung zu retten, denkt sie.

Tage vergehen. Olaf meldet sich nicht. Und er schottet sich ihr gegenüber weiterhin kommunikationstechnisch ab. Er scheint sie aus seinem Leben geworfen zu haben.

Festhalten oder Loslassen?

Olaf hat Iris losgelassen. Wenn ihm an der Beziehung noch etwas läge, hätte er mit Iris schon längst wieder Kontakt aufgenommen. Er hätte das Gespräch mit ihr suchen können, doch dies ist nicht geschehen.

Es gibt immer einen Weg, über das Vorgefallene zu sprechen und einen Konflikt beizulegen. Wahre Liebe lässt sich selbst durch eine Kränkung nicht zerstören, denn die Liebenden haben das Wohl des jeweils anderen im Auge. Und wenn dies so ist, bedeutet eine Kränkung nicht das Ende der Liebe. Jeder ist dann bemüht, zur Heilung einer Wunde beizutragen. Graue Theorie? Durchaus nicht! Langjährige glückliche Liebesbeziehungen – und davon gibt es durchaus viele – wären ohne den Willen zur Verständigung, ohne „Heilungswillen“ nicht denkbar.

Der Pilot und Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry drückte es so aus: „Ich erkenne die Freundschaft daran, dass sie sich nicht enttäuschen lässt, und ich erkenne die wahre Liebe daran, dass sie nicht gekränkt werden kann.“. Eine wahre Liebe ist gewissermaßen „unkaputtbar“.

Iris steht vor der Frage, ob sie an Olaf festhalten oder ihn auch loslassen soll. Olaf ist diesen Schritt ja offensichtlich bereits gegangen.

Könnte Festhalten gelingen?

Soll Iris jedes Mittel einsetzen, um mit Olaf wieder in Kontakt zu kommen? Und wenn es gelänge, sollte sie versuchen, ihn festzuhalten? Was wäre der Preis für das Festhalten?

Kann Iris überhaupt bei Olaf die Geborgenheit finden, die sie sucht? Mit dieser Frage setzt sie sich intensiv auseinander. Und eine weitere Frage schließt sich an: Müsste sie etwas bei sich aufgeben, um die Beziehung zu retten? Wenn ja, was wäre dies? Wäre sie überhaupt bereit, etwas bei sich aufzugeben, was sie eigentlich nie aufgeben möchte? Dies wäre dann ein Preis für das Festhalten. Möchte sie diesen Preis zahlen?

Enttäuscht und ent-täuscht – die Täuschung los – zugleich, so lässt sich Iris‘ Gemütsverfassung auf einen kurzen Nenner bringen. Dennoch ist etwas in ihr, das an der Täuschung festhalten will. Gefühle und Verstand sind nicht auf einer Linie. Der Verstand sagt: die Beziehung ist am Ende, das Gefühl sagt: „Ich will festhalten“.

Physisch kann Iris Olaf nicht festhalten. Aber in ihrer Seele kann sie ihn festhalten, obwohl sie sich unglücklich fühlt. Wenn sie an ihm festhält, zahlt sie einen Preis: sie blockiert sich selbst, eine Beziehung mit einem anderen Mann zu beginnen. Und sie bindet Energie bei sich selbst, denn sie erinnert sich immer wieder an die Szene mit Olaf, an den ungelösten Konflikt.

Warum möchte Iris an der Beziehung festhalten? Ist insgeheim vielleicht „lieber der als gar keiner“ ein Motiv? Ist es die Angst vor dem Alleinsein? Oder hegt sie die Erwartung, dass nur ein Partner sie glücklich machen kann? Dafür ist aber eine Beziehung nicht geschaffen.

Würde sich an ihrer Einstellung etwas ändern, wenn sie nicht erwarten würde, dass ein Partner sie glücklich macht? Was wäre, wenn sie alles daransetzen würde, sich selbst glücklich zu machen, damit sie auch ohne Partner glücklich sein kann? Sehr wahrscheinlich würde es ihr dann auch leichter fallen, Olaf loszulassen. Sie könnte ihn ohnehin nicht festhalten.

Zitat des Tages

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Was wäre der „Worst Case“?

Wie ließe sich für Iris der „Worst Case“, der schlimmste Fall, der in Zukunft eintreten kann, beschreiben? Aus Iris‘ Sicht tritt der schlimmste Fall ein, wenn die Beziehung endgültig in die Brüche geht. Doch ist das Alleinsein, wenn Olaf aus ihrem Leben verschwindet, wirklich der „Worst Case“ oder könnte sich auch die Ehe als solcher erweisen?

Das Alleinsein als „Worst Case“?

Was könnte im schlimmsten Fall geschehen, wenn Iris Olaf loslässt? Es könnte sein, dass Iris keinen Partner für das Leben mehr findet. Sie würde vielleicht kurzlebige Beziehungen haben, gefolgt von Enttäuschungen. Ihr sehnlicher Wunsch, Familie zu haben, bliebe ihr versagt. Sie bliebe alleine.

Nach der Trennung wird Iris alleine sein, aber muss es so bleiben? Wenn es Iris gelingt, Olaf loszulassen, macht sie sich selbst frei für neue Begegnungen und eine neue Beziehung. Dann hat der eine Chance, zu kommen und in ihr Leben zu treten, der sie wirklich liebt und sich ungeteilt zu ihr bekennt.

Die Ehe als „Worst Case“?

Angenommen, Iris und Olaf finden doch wieder zusammen und Olaf gibt schließlich ihrem Wunsch nach, sie zu heiraten. Iris wäre glücklich – zumindest zunächst.

Durch die Heirat sind die beiden nicht über Nacht zu anderen Menschen geworden. Ihre Persönlichkeiten mit ihren charakterlichen Stärken und Schwächen haben sie mit in die Ehe genommen, ebenso schwelende Konflikte.

Olaf hat sich in der Auseinandersetzung, die ihn zur Trennung veranlasste, und auch in der Zeit unmittelbar danach, nicht gerade erwachsenengemäß verhalten. Wie sähe denn eine gemeinsame Zukunft aus, wenn sich Olaf auch bei künftigen Auseinandersetzungen – und diese werden in einer Beziehung nicht ausbleiben – zurückzieht und wie ein schmollendes Kind eine Weile lang nicht mehr mit Iris spricht?

Und Iris? Es steht nicht in ihrer Macht, Olafs Konfliktbewältigungskompetenz zu entwickeln und ihn zu ändern. Das kann nur er selbst. Und er muss sich selbst arbeiten und sich verändern wollen. Sie muss Olaf nehmen wie er ist.

Würde es den beiden gelingen, eine gesunde Streitkultur zu entwickeln? Oder würde im heftigen Streit die Sachlichkeit immer wieder völlig verlorengehen? Können beide immer wieder einen Weg finden, ihre unterschiedlichen Wahrheiten zur Sprache zu bringen? In einer Beziehung gibt es immer zwei Wahrheiten. „Die Wahrheit beginnt zu zweien.“, so formulierte es der Psychiater und Philosoph Karl Jaspers.

Wenn beide einen Weg finden würden, auf der Erwachsenenebene miteinander zu sprechen, hätten sie eine Chance, bei Konflikten ihre jeweiligen Anteile zu erkennen. Dann könnten sie auch viel leichter wieder zueinander finden.

Und wenn sich nach der Heirat nichts ändert? Dann könnte es sein, dass Olaf die Ehe zunehmend als eine Art Gefängnis empfindet. Versuche, zumindest gelegentlich aus dem Gefängnis ohne Gitter auszubrechen, wären wahrscheinlich. Iris wäre wahrscheinlich oft sauer auf Olaf.

In Konflikten werden das Selbst, die persönliche Stabilität, die Flexibilität, herausgefordert. Man wird mit dem eigenen Verhalten und mit seinen charakterlichen Schwächen konfrontiert. Aber gerade in Konflikten kann eine Beziehung wachsen. Wenn beide es jedoch verpassen, in Konflikten zu wachsen, machen sich beide gegenseitig unglücklich.

Vielleicht würde sich in der Ehe eine Sprachlosigkeit breitmachen. Man lebt nebeneinander her. Jeder hat seine Aufgaben und erfüllt sie. Nach außen hin wahrt man den Anschein einer „funktionierenden“ Beziehung. Wenn man einander noch ausstehen kann, lebt man eher wie Bruder und Schwester. Und wenn man sich nicht mehr ausstehen kann, denkt man an Trennung.

Wäre am Ende nicht sogar die Ehe der „Worst Case“ – für beide? Beide hätten vermutlich mit anderen Partnern glücklich werden können. Iris ist enttäuscht und Olaf auch. Beide haben wertvolle Lebenszeit investiert, aber gegenseitig glücklich gemacht haben sie sich nicht.

Gutes und Sinnvolles tun – ganz praktisch

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Offen sein für Neues

Eigentlich braucht Iris sich nicht mehr zu entscheiden. Schließlich hat Olaf schon Fakten geschaffen und die Beziehung beendet. Iris bleibt nur, Olaf auch in ihrer Seele loszulassen. Um die Beziehung auch für sich zu beenden, könnte sie beispielsweise einen „Wutbrief“ an Olaf schreiben. In diesem Brief drückt sie ungeschminkt aus, was sie verletzt hat und was sie jetzt empfindet. Diesen Brief schickt sie natürlich nicht ab, sondern vernichtet ihn. Sie könnte ihn beispielweise schreddern oder verbrennen und damit auch mit ihren Wahrnehmungen und Gefühlen einen Schlusspunkt setzen.

Wenn Iris loslässt, kann sie sich wieder für Neues öffnen. Wer weiß, ob es wirklich lange dauert, bis sich wieder eine neue Beziehung anbahnt? Um diese Öffnung zu unterstützen und an ihrer Ausstrahlung zu arbeiten, könnte sie ihr Selbstwertgefühl stärken. Dass sie so lange an der Beziehung zu Olaf festgehalten hat, deutet darauf hin, dass ihr Selbstwertgefühl etwas schwach ausgeprägt ist. Je stärker ihr Selbstwertgefühl, ihre Selbstwertschätzung, ist, desto stärker wirkt sich dies auf ihre Ausstrahlung aus. Und auch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass derjenige in ihr Leben tritt, mit dem sie in einer glücklichen Beziehung leben kann.

* Name(n) geändert

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Ich bin Dieter Jenz, Begleiter, Berater und Coach mit Leidenschaft. Über viele Jahre hinweg habe ich einen reichen Schatz an Kompetenz und Erfahrung erworben. Meine Themen sind die "4L": Lebensaufgabe, Lebensplanung, Lebensnavigation und Lebensqualität.